VN2004-1, Mai 2004

Weg vom hellen Kalbfleisch - keine künstlich blutarmen Kälber mehr:

Durchbruch im Kälber-Schutz
dank Migros

von Erwin Kessler, Präsident VgT

Oft erhalten Kälber anstatt Muttermilch (= Kuhvollmilch) eine in der Fachsprache "Milchtauscher" genannte Mixtur aus Schlachtfetten, Milchpulver und diversen anderen "Pülverchen" (Fleischaufheller, Antibiotika etc). Dies ist besonders noch in Ländern vorherrschende Praxis, aus denen Fleisch in die Schweiz importiert wird. Auch in der Schweiz wird oft Milchtauscher anstelle von Vollmilch gefüttert, und vor allem wird den Kälbern praktisch überall Raufutter (Heu) vorenthalten, obwohl alleinige Milchfütterung nur in den ersten Tagen oder Wochen artgerecht ist. Die Kälber leiden deshalb unter Blutarmut (Anämie), was mit mehr oder weniger starkem Unwohlsein verbunden ist; oft leiden sie auch an Durchfall. Anämische Menschen und Tiere sind krank! Dieser kranke Zustand der Kälber wird von Metzgern und Mästern bewusst herbeigeführt, damit das Fleisch heller wird, obwohl Geschmackstests gezeigt haben, dass rötliches Fleisch von gesunden Kälbern schmackhafter ist. Aber die Metzger wollen, dass das teure Kalbfleisch farblich vom billigeren Rindfleisch unterscheidbar ist. Die helle Farbe wird als Garantie für zartes Fleisch gehandelt, was objektiv nicht richtig ist und eine Konsumententäuschung darstellt.

Für rötliches Kalbfleisch erhalten die Mäster Preisabzüge. Dieses Kalbfleisch wird dann an die Gastronomie verkauft, wo der Kunde den Farbunterschied nicht bemerkt, da er das Kalbsplätzli ja erst in gekochtem Zustand zu sehen bekommt und kein kulinarischer, geschmacklicher Nachteil damit verbunden. Im Gegenteil wird Kalbfleisch von gesund ernährten Kälbern im Blindtest als aromatischer bevorzugt.

Seit Jahrzehnten kämpfen Tierschützer gegen das tierquälerisch produzierte helle Kalbfleisch - ein endloser Grabenkampf, wie es bisher schien. Nun hat Migros mit einer wahren Pioniertat die lange geforderte Wende eingeleitet: M7-Kälber werden künftig mit Vollmilch und Heu gefüttert.

Zu dieser historischen Wende habe ich meinen Beitrag geleistet, indem ich mich in Gesprächen mit den Migros-Verantwortlichen - zu denen ich trotz meiner immer wieder heftigen Kritik an Migros in anderen Bereichen in konstruktivem Kontakt stehe - vehement für die Heufütterung eingesetzt habe. Gemäss geltendem Tierschutzrecht ist Raufutter scheinbar vorgeschrieben, aber nur so (Artikel 16 der Tierschutzverordnung): "Kälber, die mehr als drei Wochen alt sind, müssen Stroh, Heu oder ähnliches Futter zur freien Aufnahme erhalten." Diese Vorschrift wird in der Praxis nur mit Stroh umgesetzt. Ich konnte nun die Migros-Verantwortlichen davon überzeugen, dass Stroh kein Futter für Kälber ist. Stroh ist nährstoffarm und viel zu grob für junge Kälber. Die Kälber nagen zwar aus Langeweile daran herum, aber von Fressen kann keine Rede sein. So wird die Raufuttervorschrift mit Alibi-Stroh "erfüllt" und die Kälber bleiben anämisch. Natürliches und gesundes Raufutter ist Heu. Nur genügt es nicht, Heu vorzuschreiben, solange für rötliches Kalbfleisch Preisabzüge gemacht werden. Die Mäster würden in diesem Fall, altes, wertloses und unappetitliches Heu verwenden, das gar gefressen wird. Darum musste ich die Migros auch überzeugen, dass auf Preisabzüge wegen der Fleischfarbe grundsätzlich verzichtet werden muss. Die Migros hat nun ihre grossen Bedenken bezüglich der Akzeptanz von rötlichem Kalbfleisch durch die jahrzehntelang falsch informierten und falsch "erzogenen" Konsumenten überwunden und diesen grossartigen Schritt nach vorn getan: Heufütterung ist für M7-Kälber Vorschrift und Preisabzüge gibt es nicht mehr!

Demgegenüber hält Coop rückständig am hellen Kalbfleisch fest. Coop wird vom Schweizer Tierschutz STS beraten, der in der Werbung die Tierfreundlichkeit der Coop-NatauraPLAN-Kälber "garantiert". Der VgT bereitet zur Zeit eine Klage gegen Coop vor wegen unlauterem Wettbewerb. Es ist eine Konsumententäuschung, bei blutarm gemästeten Kälberm von "tierfreundlich" zu reden.

M7-Kälber werden in Gruppen aus Stroh gehalten, ohne Auslauf ins Freie. Selbstverständlich bin ich der Auffassung, dass von einer tierfreundlichen, artgerechten Haltung nur die Rede sein kann mit Weidegang. Das ist auch die offizielle Haltung des VgT. Ich behaupte deshalb nicht, die Haltung von M7-Kälbern sei nun optimal. Die Forderung nach Auslauf für alle landwirtschaftlichen Tiere bleibt bestehen. Das ändert jedoch nichts daran, dass Migros bei der für das Wohlbefinden von Kälbern sehr wichtigen Fütterungsfrage eine Wende von historischer Bedeutung eingeleitet und damit eine Grossverteiler-Pioniertat vollbrachte.

Bravo Migros! Jetzt müssen nur noch die Konsumenten mitmachen und endlich zur Kenntnis nehmen: Rotes Kalbfleisch ist schmackhafter als das bleiche von leidenden, blutarmen Kälbern.


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