6. Juli 2006

Thurgauer Veterinäramt stellt verbreitet Missstände fest

Es gibt in der Tierschutzverordnung nur wenige, minimalistische Vorschriften zur Schweinehaltung. Die Tierschutzorganisationen sind sich einig: Wenn diese Mindestvorschriften eingehalten werden, ist die Tierhaltung immer noch völlig artwidrig und tierquälerisch, nur wenig besser als in Ländern ohne Tierschutzgesetz. So erlauben die Vorschriften, dass diese sensiblen Tiere (vergleichbar mit Hunden) lebenslänglich in dichtem Gedränge - zwei Tiere pro Quadratmeter - tierquälerisch auf Vollspaltenböden (Betonrostböden) gehalten werden, wo sie am gleichen Ort koten, harnen, fressen, liegen und schlafen müssen. Schweine haben eine starke angeborene Verhaltensweise, Kot- und Liegeplatz sauber zu trennen und Abends ein gemeinsames Schlafnest zu bauen. Viele Stunden täglich verbringen die neugierigen, intelligenten Schweine bei artgerechter Haltung mit Spielen, Erkunden der Umgebung, an der Sonne liegen etc. In der gemäss Mindestvorschriften erlaubten Intensivhaltung werden die Tiere gezwungen, entgegen ihren angeborenen elementaren Bedürfnissen auf dem verkoteten Betonboden zu liegen, lebenslänglich in extremer Enge und Eintönigkeit. Mutterschweine dürfen zudem wochenlang in sogenannte Kastenstände eingesperrt werden, so dass sie sich nicht einmal umdrehen können. Ein Verbot jeglicher Kastenstandhaltung ist nicht in Sicht, obwohl von den schweizerischen Tierschutzorganisationen seit Jahren gefordert.

Insgesamt erlaubt die Tierschutzverordnung des Bundesrates eine Schweinehaltung, die objektiv-wissenschaftlich krass artwidrig ist, elementare angeborenen Bedürfnisse missachtet, die Anpassungsfähigkeit der Tiere überfordert und damit das vom Volk vor einem Vierteljahrundert mit überwältigender Mehrheit gutgeheissene Tierschutzgesetz offen verletzt. Gegen dieses rechtswidrige Verhalten des Bundesrates gibt es in unserer Scheindemokratie keine rechtlichen oder demokratischen Mittel. Die Tierschutzorganisationen haben kein Klagerecht und das Volk darf den Bundesrat nicht wählen und nicht abwählen. Und auch das Initiativrecht des Volkes versagt: Eine Verfassungs- oder Gesetzesinitiative, welche den Bundesrat zur Einhaltung des Tierschutzgesetzes verpflichten würde, wäre nutzlos, denn diese Verpflichtung besteht ohnehin, nur fehlen die Sanktionsmöglichkeiten, wenn der Bundesrat sich nicht an geltende Gesetze hält (wie zum Beispiel auch bei der Alpeninitiative).

Die wenigen bestehenden Tierschutzvorschriften könnten die erlaubten KZ-artigen Haltungsbedingungen etwas mildern: Eine Beschäftigungsmöglichkeit mit Stroh sowie Stroheinstreu für Mutterschweine während dem Abferkeln und Säugen. Diese sogenannte Beschäftigungs- und Einstreuvorschriften werden in der ganzen Schweiz systematisch missachtet - geduldet von den  kantonalen Veterinärämtern und dem Bundesamt für Veterinärwesen. Anzeigen des VgT aufgrund von Fotobeweisen verlaufen meistens im Sand und der VgT hat - wie andere Tierschutzorganisationen  - kein Klage- und Beschwerderecht, um bei Nichtbehandlung von Anzeigen vor Gericht zu gehen. Und dort wo eine Anzeige ausnahmsweise von einem Tierschutzbeamten mit Verantwortungsbewusstsein behandelt wird, sprechen die Strafbehörden Trinkgeldbussen aus, die nichts bewirken und die Missstände nicht beseitigen.

Durch das erzwungene Liegen auf dem einstreulosen, harten und rauhen Zementboden entstehen offene Schürfungen, die sich zu Geschwüren auswachsen (Dekubitus). Solche Geschwüre werden durch die Überzüchtung der Schweine zusätzlich gefördert, insbesondere durch deren unnatürlich grosses Körpergewicht und die Beinschwäche, welche das Schürfen beim Aufstehen und Abliegen verstärken. Die Vorschrift, dass kranke und verletzte Tiere entsprechend ihrem Zustand gepflegt, behandelt und untergebracht werden müssen, wird praktisch überall nicht befolgt. Mutterschweine mit offenen Schultergeschwüren werden nicht behandelt und müssen weiterhin mit ihrer schmerzenden Wunde auf dem harten, einstreulosen Zementboden liegen. Generell besteht die rechtswidrige Unsitte, kranke Tiere in Kastenstände einzusperren, ohne Einstreu, anstatt sie im Sinne der Tierschutzvorschriften in einer Krankenbucht mit reichlich Stroh unterzubringen.

Das Thurgauer Veterinäramt hat diese Missstände in seinem Geschäftsbericht bestätigt und festgehalten, dass die Vorschriften bezüglich Einstreu, Beschäftigung und Pflege kranker Tiere "verbreitet schlecht befolgt" würden. Dies bedeutet nun aber nicht, dass die Schweine im Kanton Thurgau schlechter gehalten werden als in anderen. Die Missstände bestehen in der ganzen Schweiz. Ungewöhnlich ist lediglich, dass diese Missstände von einem kantonalen Veterinäramt ehrlich zugegeben werden. Die personellen Ressourcen des Veterinäramtes reichen bei weitem nicht aus, um diese Missstände zu beseitigen. Das ist politisch gewollt. Nicht nur im Agrarkanton Thurgau, sondern zum Beispiel auch im Kanton Zürich, wo - zur Beruhigung der Öffentlichkeit - ein staatlicher Tierschutzanwalt amtet, der aber nur Alibifunktion hat und nichts tut gegen solche Missstände. In anderen Kanton dasselbe.

Vor ein paar Jahren hat der VgT diese Missstände beispielhaft anhand der Schweinefabriken entlange des Thurwanderweges aufgezeigt (www.vgt.ch/vn/0303/thurweg.htm). Seither hat sich nichts wesentlich geändert. In den VgT-Nachrichten wird seit der Gründung des VgT im Jahr 1989 regelmässig immerfort über die gleichen schlimmen Zustände in der Schweinehaltung in der ganzen Schweiz berichtet (www.vgt.ch/vn).

Weil die bürgerliche Mehrheit in den Parlamenten heute wie immer schon, einen wirksamen Tierschutz blockiert - Blocher und die SVP möchten Tierschutzvorschriften in der Landwirtschaft überhaupt abschaffen -, werden die Veterinärämter personell so knapp gehalten, dass Schweinefabriken im Durchschnitt nur ca alle zehn Jahre mit einer Kontrolle rechnen müssen. Dabei drücken die Tierschutzbeamten in den meisten Kantonen beide Augen zu, und dort wo es zu Verzeigungen bei den Strafbehörden kommt, werden lächerliche Trinkgeldbussen ausgesprochen. Tierquälerei wird als belanglose Übertretung geahndet, wenn überhaupt. Im Agrarkanton Thurgau sind die von den Bezirksämtern gefällten Bussen besonders niedrig. Die Missstände gehen fröhlich weiter und das Thurgauer Veterinäramt wird in den nächsten Jahren in seinem Geschäftsbericht immer wieder die gleiche Feststellung machen müssen. Poltisch unterbunden werden allenfalls diese Feststellungen, sicher nicht die Missstände.

Vor zehn Jahren hat der VgT erkannt, dass mit rechtlichen und demokratischen Mitteln gegen diese grausamen Missstände nichts Wirksames unternommen werden kann. Seither lautet seine Konsumenten-Empfehlung: Essen Sie heute vegetarisch - Ihrer Gesundheit und den Tieren zuliebe! (Anmerkung: Es ist immer heute.)

Erwin Kessler, Gründer und Präsident des VgT


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