11. Dezember 2001

Diskriminierende Postzensur vor dem Bezirksgericht Frauenfeld 
(Postzensurprozess Nr 2)

In einem Vorverfahren hat das Bezirksgericht Frauenfeld beschlossen, dass sich - wie schon im ersten Postzensurprozess - nicht der Einzelrichter, sondern das Gesamtgericht mit der Klage befassen wird. Der Verhandlungstermin steht noch nicht fest.

Die vom VgT eingereichte Klageschrift hat folgenden Wortlaut: 

 

Sehr geehrter Herr Vizepr�sident,

in Sachen

Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT, 9546 Tuttwil

gegen

Die Schweizerische Post, Viktoriastr 21, 3030 Bern

betreffend

Feststellung diskriminierende Post-Zensur

reiche ich hiermit die

Klageschrift

ein.

Rechtsbegehren:

Es sei festzustellen, dass die Zeitschriften "VgT-Nachrichten" und "ACUSA-News" die Voraussetzung "nichtkommerziell" im Sinne der Richtlinien der Post f�r unadressierte Sendungen erf�llen,
unter Kosten- und Entsch�digungsfolge zu Lasten der Beklagten.

Begr�ndung:

1. Sachverhalt

Gem�ss den Promopost-Richtlinien der Post werden unadressierte Sendungen "nichtkommerzieller Natur" auch in Briefk�sten mit dem Kleber "Keine Werbung" verteilt (BeilageMit Schreiben vom 22.8.2001 hat der Kl�ger die Post um Auskunft ersucht, ob sie bereit sei, die VgT-Zeitschriften gem�ss den Postrichtlinien f�r nichtkommerzielle, unadressierte Sendungen in alle Briefk�ste, auch solche mit dem Kleber "Keine Werbung" zu verteilen (Beilage 1). Am 15.10.2001 kam per Email die ablehnende Antwort (Beilage 2), die VgT-Zeitschriften seien gem�ss den Dienstanweisungen der Post nicht als "nichtkommerziell" einzustufen.

2. Rechtliche Beurteilung

Der VgT macht keinen absoluten Anspruch darauf geltend, dass seine Zeitschriften in Briefk�sten "Keine Werbung" verteilt werden. Was Postkunden nicht wollen, muss ihnen sicher nicht zugestellt werden. Hier st�sst die Meinungs�usserungs- und Pressefreiheit an Grenzen, und das ist vern�nftig. Im vorliegenden Verfahren steht deshalb diese Begrenzung der Meinungs�usserungs- und Pressefreiheit nicht ansich zur Debatte. Es geht vielmehr um die von der Post ausge�bte, sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung verschiedener nicht kommerzieller Sendungen.

Gem�ss der Europ�ischen Menschenrechtskonvention kann die Meinungs�usserungs- und Pressefreiheit auf gesetzlicher Grundlage und soweit dazu eine Notwendigkeit im �ffentlichen Interesse besteht eingeschr�nkt werden. Absolut verboten ist hingegen eine diskriminierende Einschr�nkung von Grundrechten (Artikel 14 EMRK).

Die VgT-Nachrichten sind nichtkommerziell. Sie enthalten keine Inserate und dienen einer gemeinn�tzigen Nonprofitorganisation zur Information der Bev�lkerung �ber Tierschutz- und Konsumentenschutzfragen (Beilage 4). Dass jeweils ein Zahlschein f�r Spenden beiliegt, �ndert daran nichts und war nicht ausschlaggebend f�r die Weigerung der Post. Ausschlaggebend war (Beilage 3), dass diese Zeitschriften nicht in eine der von der Post ausschliesslich als "nichtkommerziell" anerkannten Kategorie fallen, n�mlich:

- Sendungen von Beh�rden

- Amtliche Anzeiger

- Sendungen von politischen Parteien

- Sendungen von �berparteilichen Kommittees, welche in einem konkreten Zusammenhang stehen mit bevorstehenden Wahlen und Abstimmungen

Diese Abgrenzung "nichtkommerzieller" Sendungen ist willk�rlich, weil es keinen sachlichen Grund gibt, Werbesendungen von politischen Parteien gegen�ber solchen von gemeinn�tzigen Organisationen zu bevorzugen. Politische Parteien k�nnen Zeitungen oder Brosch�ren sogar mit kommerziellen Fremdinseraten finanzieren und auch Einzahlungsscheine beilegen. Es kommt der Post allein darauf an, dass es sich um eine politische Partei handelt; in welchem Ausmass die von politischen Parteien verschickten Drucksachen kommerzieller Natur sind, stellt f�r die Post kein Kriterium dar.

Eingriffe in die durch die Verfassung und die Europ�ische Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierte Meinungs�usserungs- und Pressefreiheit sind nur auf gesetzlicher Grundlage zul�ssig und (kumulativ) nur wenn im Einzelfall eine Notwendigkeit im �ffentlichen Interesse besteht (Villiger, Handbuch der EMRK). An der von der Post vorgenommenen Benachteiligung gemeinn�tziger, nichtgewinnorientierter Organisationen gegen�ber politischen Parteien besteht kein �ffentliches Interesse. Diese Ungleichbehandlung von nichtkommerziellen Drucksachen, insbesondere von Zeitschriften, verletzt deshalb die Meinungs�usserungs- und Pressefreiheit, und zwar in diskriminierender Weise.

Die Diskriminierung wird dadurch vest�rkt, dass die Post ihre an sich schon diskriminierenden Kriterien in der Praxis mehr oder weniger willk�hrlich anwendet. Als Beispiel gebe ich das W�ngenerbl�ttli zu den Akten (Beilage 4), das die Post in der Gemeinde W�ngi in alle Briefk�sten, einschliesslich solcher, die keine Werbung w�nschen, verteilt. Das W�ngenerbl�ttli ist klar ein gewinnorientiertes Produkt einer privaten Firma. Dass es gelegentlich auch Mitteilungen des Gemeinderates ver�ffentlicht, macht es jedenfalls noch lange nicht zu einem "amtlichen Anzeiger". Es ist vielmerh ein privater Anzeiger mit gelegentlich amtlichen Mitteilungen. Die Zeitschriften des VgT enthalten auch gelegentlich amtliche, tierschutzrelevante Informationen. Die Ungleichbehandlung dieses Anzeigers gegen�ber den VgT-Zeitschriften l�sst sich sachlich nicht rechtfertigen. Es ist willk�rlich anzunehmen, die Postkunden, die keine Werbung w�nschen, h�tten lieber parteipolitische Werbung als Informationen von gemeinn�tzigen Organisationen oder lieber sog das W�generbl�ttli als die VgT-Nachrichten. Wichtige amtliche Informationen werden ja den B�rgern ohnehin adressiert zugestellt; niemand ist darauf angewiesen, Mitteilungen der Gemeinde in Gratisbl�ttern zu lesen.

Im Falle der Zensur eines VgT-TV-Spots hat das Bundesgericht festgestellt, der darin enthaltene Aufruf, weniger Fleisch zu essen, sei politisch. Insofern man die VgT-Nachrichten nicht als Konsumenten-Information, sondern als Tierschutzwerbung ansehen will, handelt es sich jedenfalls um politische, nicht um kommerzielle Werbung. Mit dieser Begr�ndung hat das Bundesgericht die Zensur dieses TV-Spots gesch�tzt, da in Fernsehspots nur kommerzielle, nicht politische Werbung erlaubt sei. Der Europ�ische Gerichtshof f�r Menschenrechte hat anerkannt, dass es sich um politische Werbung handle, das Bundesgerichtsurteil aber trotzdem aufgehoben, weil das Verbot politischer Werbung die Meinungs�usserungsfreiheit verletze.

Worin nun der entscheidende Unterschied in der politischen Werbung einer Tierschutz- und Konsumentenschutzorganisation und der politischen Werbung von Parteien liegen soll, welche die postalische Ungleichbehandlung rechtfertigen k�nnte, ist schleierhaft. Bis jetzt hat die Post keine solche Rechtfertigungsgr�nde vorgebracht, sondern sich einfach darauf berufen, die VgT-Nachrichten gen�gten nicht der von der Post selber festgelegten Definition von "nichtkommerziell". Damit macht die Post wieder den gleichen Fehler, wie im ersten Postzensurprozess, wo ihr in erster und zweiter Instanz erkl�rt werden musste, dass die Post trotz Teilliberalisierung nicht willk�rlich machen kann was sie will, sondern wie alle staatlichen Institutionen die Grundrechte zu beachten hat, also insbesondere die in Verfassung und EMRK niedergelegte Meinungs�usserungs- und Pressefreiheit sowie das Willk�r- und Diskriminierungsverbot.

Die Post hat eine Brosch�re der AUNS in alle Briefk�sten verteilt, obwohl die AUNS zwar eine politische Vereinigung, aber keine politische Partei ist. F�r die unterschiedliche Behandlung von (tierschutz-)politischen Sendungen des VgT und politischen Sendungen der AUNS gibt es keine sachliche Rechtfertigung (Beilage 6).

Die Post hat sich fr�her geweigert, die VgT-Nachrichten �berhaupt als unadressierte Sendung zu bef�rdern. Im sog "Postzensurprozess" ist sie damit unterlegen. Nun versucht die Post, den VgT auf mit dieser Diskriminierung wenigstens teilweise zu zensurieren mit der Wirkung, dass mit den VgT-Nachrichten in Gebieten ohne private Verteildienste nur etwa gut die H�lfte aller Haushaltungen erreicht werden kann. Die willk�rliche Definition von "nichtkommerziell" durch die Post l�uft deshalb auf massive Pressezensur hinaus. Dass sich die Post als dazu berechtigt versteht, ist von den Gerichten im ersten Postzensurprozess mit klaren Worten kritisiert worden:

Bezirksgericht Frauenfeld, Urteil vom 22. September 2000:

Die Klage w�re indessen sogar dann zu sch�tzen, wenn man die strittigen Druckerzeugnisse der Kl�gerin nicht als Zeitungen qualifizieren w�rde. Diesfalls w�rden sie als Produkte in den Bereich der Wettbewerbsdienste der Beklagten gem�ss Art. 9 ff. PG fallen, wo, wie bereits festgehalten, freier Wettbewerb herrscht und der Grundsatz des freien Zugangs nicht gilt. F�r diesen Fall ist zu ber�cksichtigen, dass die Beklagte eine mit eigener Rechtspers�nlichkeit ausgestattete �ffentliche Anstalt des Bundes ist (Art. 2 des Bundesgesetzes vom 30. April 1997 �ber die Organisation der Postuntemehmen des Bundes; Postorganisationsgesetz, POG; SR 783.1). Als solche ist sie gesetzlich mit erheblicher verwaltungsrechtlicher Autonomie ausgestattet, auch wenn der Bundesrat die strategischen Ziele festlegt (Art. 6 POG), weitere Vorgaben macht und die Beklagte der Aufsicht des Bundesrats und damit mittelbar auch der Oberaufsicht der Bundesversammlung untersteht (Art. 169 Abs. 1 BV). Die Autonomie einer �ffentlich-rechtlichen K�rperschaft oder Anstalt ist indessen nicht gleichzusetzen der Freiheit der Privaten. Autonomie heisst Gestaltungsfreiheit in Erf�llung eines rechtlichen Auftrags und in Bindung an die verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Regelungen, die f�r das Gemeinwesen in allen seinen Erscheinungsformen bestehen. W�hrend Freiheit beliebiges Verhalten innerhalb der gesetzlich spezifiziert bezeichneten Bindungen erlaubt, ist das mit Autonomie ausgestattete �ffentliche Gebilde stets auf das Allgemeinwohl mit Einschluss der Verwirklichung der Grundrechte der B�rger ausgerichtet. Ein solches Grundrecht ist nun aber gerade die Meinungs�usserungsfreiheit, deren Verletzung der Kl�ger moniert. Gem�ss Art. 16 BV ist die Meinungs- und Informationsfreiheit gew�hrleistet und jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu �ussern und zu verbreiten. Jede Person hat im �brigen das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zug�nglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten. Art. 17 BV gew�hrleistet sodann unter anderem die Freiheit der Presse, wobei Zensur ausdr�cklich verboten ist und das sogenannte Redaktionsgeheimnis gew�hrleistet wird. Wer alsdann staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen (Art. 35 Abs. 2 BV). Diese besondere Bindung an die Grundrechte gilt auch f�r rechtlich verselbst�ndigte Verwaltungseinheiten, so, wie sich juristische Personen des Privatrechts wie nat�rliche Personen auf die Grundrechte der Privaten berufen k�nnen, soweit diese nicht speziell nur auf nat�rliche Personen zugeschnitten sind (vgl. Hangartner, Grundrechtsbindung �ffentlicher Unternehmen, AJP 2000 S. 515 ff.). Im vorliegenden Fall f�hrt damit auch die verfassungsrechtlich vorgegebene Grundrechtsbindung der Beklagten dazu, dass sie verpflichtet ist, die strittigen Nachrichten zu bef�rdern, da nur �ber diesen Kontrahierungszwang (vgl. auch Handschin/Siegenthaler, Privatisierung �ffentlicher Aufgaben, SJZ 2000S. 412 f.) der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie der Medienfreiheit geb�hrende Nachachtung verschafft werden kann.

Das Obergericht hat die Auffassung des Bezirksgerichtes �bernommen und durch eigene Erw�gungen zus�tzlich untermauert.

Obergericht des Kantons Thurgau, Urteil vom 22. M�rz 2001:

4. a) Die Schweizerische Post geh�rt zu den �ffentlich-rechtlichen Anstalten und ist mit eigener Rechtspers�nlichkeit ausgestattet (Art. 2 Postorganisationsgesetz; POG, SR 783.1; Haefelin/M�ller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3.A., N 1042, 1046 f.). Eine �ffentlich-rechtliche Anstalt ist eine von der Zentralverwaltung ausgegliederte Einheit, und ihr wird die Erf�llung einer bestimmten Aufgabe �bertragen. Im Gegensatz zu einer K�rperschaft, die Mitglieder z�hlt, steht die �ffentlich-rechtliche Anstalt einem Kreis von Ben�tzern zu, die ihre Dienste in Anspruch nehmen (Haefelin/M�ller, N 1043 ff.).

b) Es kann offen gelassen werden, ob das Verh�ltnis zwischen der Post und ihren Kunden auf Privatrecht oder �ffentlichem Recht gr�ndet. Selbst wenn die Berufungskl�gerin als privatrechtlich handelnde Anstalt auftritt, was sie im Rahmen des Wettbewerbsdienstes macht, ist sie an die Grundrechte gebunden. So hat das Bundesgericht erkl�rt, dass die Schweizerische Nationalbank auch dort, wo sie als Aktiengesellschaft privatrechtlich handelnd auftrete, "an ihren �ffentlichen Auftrag im weitesten Sinn gebunden bleibt, was zur Folge hat, dass sie in ihren privatrechtlichen Aktivit�ten 3inngem�ss die verfassungsm�ssigen Grundrechte zu beachten hat" (BGE 109 Ib 155; best�tigt in BGE vom 10. September 1986, in: ZBl 88, 1987, S. 208). In der Lehre wird sodann daf�r pl�diert, dass das Gemeinwesen, unabh�ngig davon in welcher Gestalt es auftritt und in Anwendung welchen Rechts es Vertr�ge abschliesst, an die Grundrechte gebunden ist (Haefelin/M�ller, N 236; Hangartner, Grundrechtsbindung �ffentlicher Unternehmen, in: AJP 2000 S. 516 f.). Hangartner verweist zudem auf die Europ�ische Menschenrechtskonvention, da Beschwerden wegen Verletzung von Rechten aus der EMRK nicht hoheitliche Anordnungen voraussetzen, sondern gegen irgendwelches, also auch privatrechtliches oder faktisches Handeln des Staates mit Einschluss seiner K�rperschaften und Anstalten erhoben werden k�nnen (Hangartner, S. 517 mit Hinweisen). Art. 35 Abs. 2 BV besagt, wer staatliche Aufgaben wahrnehme, sei an die Grundrechte gebunden. Dies bezieht die (privat)wirtschaftliche T�tigkeit des Staats und seiner Einrichtungen mit ein (vgl. Hangartner, S. 517; Haefelin/Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Supplement zur 4.A., Die neue Bundesverfassung, Z�rich 2000, N 1104). Schliesslich wird in Art. 9 Abs. 3 PG ausdr�cklich festgehalten, die Post sei "im Bereich der Wettbewerbsdienste, vorbeh�ltlich gesetzlicher Ausnahmen, denselben Regeln unterstellt wie die privaten Anbieter". Zu diesen Ausnahmen geh�ren nun aber nicht nur gesetzliche Regelungen im technischen Sinn, sondern selbstverst�ndlich auch Bestimmungen der Bundesverfassung und der Europ�ischen Menschenrechtskonvention (vgl. Hangartner, S. 518).

c) Damit stellt sich die Frage, ob die Berufungskl�gerin berechtigt war, die Bef�rderung der Presseerzeugnisse des VgT zu verweigern, oder ob sie damit die Medienfreiheit, namentlich die Pressefreiheit (Art. 17 BV) verletzte.

aa) Mit der Pressefreiheit soll garantiert werden, dass Nachrichten ungehindert �bermittelt und Meinungen frei ausgetauscht werden k�nnen. Gesch�tzt ist die "Herstellung von Druckerzeugnissen und ihre Verbreitung in der �ffentlichkeit" (M�ller, Grundrechte in der Schweiz, 3.A., S. 251 f. mit Hinweisen). Berufen k�nnen sich sowohl nat�rliche wie auch juristische Personen auf die Pressefreiheit, sofern sie an der Herstellung oder Verbreitung von Presseerzeugnissen beteiligt sind.

Die Berufungsbeklagte verfasst und verbreitet in der deutschsprachigen Schweiz die VgT-Nachrichten und in der franz�sischsprachigen Schweiz die ACUSA-News. Dabei handelt es sich um Zeitschriften, die einer breiten �ffentlichkeit zug�nglich gemacht werden. In den Beitr�gen werden nicht dem Tierschutz entsprechende Tierhaltungen bei namentlich erw�hnten Bauern und in eindeutig identifizierbaren Orten geschildert. Der Berufungsbeklagte ist daher berechtigt, sich auf das Grundrecht der Pressefreiheit zu berufen, da die Post die Bef�rderung dieser Zeitschriften verweigerte, nachdem sie deren Inhalt gepr�ft hatte.

bb) Freiheitsrechte d�rfen nur dann eingeschr�nkt werden, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erf�llt sind: Es bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die Einschr�nkung muss durch ein �ffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein, die Einschr�nkung muss verh�ltnism�ssig sein, und der Kerngehalt darf nicht angetastet werden (Art. 36 BV; Botschaft des Bundesrats, BBl 1997 I 194 f.).

Im Rahmen der Medienfreiheit ist die Zensur ausdr�cklich verboten (Art. 17 Abs. 2 BV). Unter dem Begriff der Zensur wird die staatliche �berwachung sowie Unterdr�ckung des Inhalts verstanden. An vorg�ngige Verbote der Ver�ffentlichung einer Meinung sind ausserordentlich hohe Anforderungen zu stellen, da sie nahezu den Kerngehalt der Meinungs�usserungsfreiheit betreffen. Es m�ssen elementarste Rechtsg�ter eines Menschen oder des Staates auf dem Spiel stehen, deren Verletzung zudem nicht nur im Bereich des M�glichen liegt, sondern unmittelbar zu bef�rchten ist (vgl. M�ller, S. 192 ff. mit Hinweisen, S. 255 f.). Unter diesem Gesichtspunkt sind unter Umst�nden Verbote zul�ssig, wenn durch eine Meinungs�usserung Straftatbest�nde (z.B. Art. 173 f. StGB) oder der Tatbestand der Pers�nlichkeitsverletzung im Sinn von Art. 28 ZGB erf�llt werden.

Mit Blick auf die in den Presseerzeugnissen des Berufungsbeklagten namentlich erw�hnten Bauern, denen eine gesetzwidrige Tierhaltung vorgeworfen wird, stellt sich die Frage, ob mit der Publikation die Tatbest�nde der Ehr- oder Pers�nlichkeitsverletzung erf�llt sind. Die Ehrverletzungsdelikte des StGB setzen voraus, dass der T�ter jemanden eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu sch�digen, beschuldigt oder verd�chtigt. Als ehrverletzend wird unter anderem grunds�tzlich auch der Vorwurf strafbaren Verhaltens angesehen (Rehberg, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2.A., vor Art. 173 N 4). Je nachdem welcher Straftatbestand zur Diskussion steht, ist der T�ter entweder zum Wahrheitsbeweis zugelassen, sofern die Wahrung �ffentlicher Interessen oder sonstwie begr�ndete Veranlassung zur �usserung vorhanden war (Art. 173 StGB; dies trifft auch f�r Art. 28 ZGB zu, vgl. BGE 102 II 227), oder die �usserung muss wider besseres Wissen erfolgt sein (Art. 174 StGB). Es ist nun aber gerade die Aufgabe der Presse, die allgemeinen Interessen auch dadurch zu wahren, dass sie Missst�nde bekannt gibt und so ihre Beseitigung erm�glicht. Wahre oder zumindest solche Tatsachen, welche bei vorsichtiger Pr�fung sich als wahr erweisen, d�rfen ver�ffentlicht werden, wenn das �ffentliche Interesse daran schwerer wiegt als das private Interesse des in seiner Pers�nlichkeit Verletzten (vgl. BGE 104 IV 14, 52 I 265). Ein derartiges �berwiegendes �ffentliches Interesse besteht im vorliegenden Fall in der Durchsetzung der Normen des Tierschutzgesetzes und des Konsumentenschutzrechts (Information der Fleischkonsumenten). Somit kann dem Berufungsbeklagten keine widerrechtliche Berichterstattung vorgeworfen werden. Eine solche macht im �brigen auch die Berufungskl�gerin nicht geltend.

Die Berufungskl�gerin bringt einzig vor, die Verteilung der VgT-Nachrichten und der ACUSA-News w�rde ihrem Ruf schaden, weil zu viele Landwirte namentlich in den Beitr�gen erw�hnt seien. Dies werde Auswirkungen auf ihre Gesch�ftst�tigkeit haben. Diese bef�rchteten Auswirkungen k�nnen mit wenig Aufwand, n�mlich mit einer distanzierenden Stellungnahme beseitigt werden. Ein �berwiegendes �ffentliches Interesse, die strittigen VgT-Nachrichten und ACUSA-News nicht unter die Bev�lkerung zu bringen, ist nicht erkennbar. Es kann nicht die Rede davon sein, dass die wirtschaftlichen Interesssen der Berufungskl�gerin h�her gestellt werden d�rfen als die Pressefreiheit, welche durch eine solche Zensur nahezu in ihrem Kerngehalt verletzt wird.

Diese klaren Ausf�hrungen ignoriert die Post vollst�ndig und bringt nun erneut vor, massgebend seien einzig und allein ihre eigenen Richtlinien. Gesetze und Gerichtsurteile interessieren das Postmanagement offensichtlich �berhaupt nicht. Das Defizit zahlt ja in jedem Fall der Steuerzahler. So k�nnen es sich die Postmanager bedenkenlos leisten, ihre Macht f�r politische Zwecke zu missbrauchen und Grossauftr�ge abzulehnen. Die Bevorzugung der politischen Parteien kommt nicht von ungef�hr: Die Spitzenposten in staatlichen Unternehmen werden parteipolitisch besetzt. Also haben sich die damit Begl�ckten auch wieder parteipolitisch erkenntlich zu zeigen.

Was wollen Postkunden genau, die an ihrem Briefkasten einen Kleber "Stop - keine Reklame" anbringen? Offensichtlich keine Reklame, dh keine kommerzielle Werbung. Ob auch rein informative Drucksachen wie die VgT-Zeitschriften unerw�nscht sind, ist unklar und individuell verschieden. Der Post scheint es zu kompliziert zu sein, weitere Kundenkategorien zu bilden, zB solche, die �berhaupt keine unadressierten Sendungen wollen und solche, die bestimmte Gratiszeitungen wollen, aber keine blosse Reklame etc. Der Postkunde hat nur zwei M�glichkeiten: Alles oder Nichts. Ein Kunde der zB anschreibt, er wolle �berhaupt keine unadressierten Sendungen wird in die gleiche "Keine-Werbung"-Kategorie eingeteilt, wie einer, der an den Briefkasten schreibt, er wolle keine Reklame, jedoch den Gratisanzeiger der Region. Was die "Keine-Werbung"-Kunden erhalten und nicht erhalten - egal was sie genau anschreiben - entscheidet allein die Post - nach willk�rlichen, willk�rlich gehandhabten eigenen Richtlinien. Dies gilt es zu korrigieren. Das vorliegende Feststellungsbegehren ist deshalb von erheblichem �ffentlichen Interesse.

Mit freundlichen Gr�ssen

Dr Erwin Kessler, Pr�sident Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT


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