5. März 2011


Alles ist gut!
von Sebastian Leugger
(aus tier-im-fokus.ch)

 

Die Bilder im Kopf und die Veganen am Tisch

 

Jean-Claude Wolf schlägt in seinem Artikel Traditioneller Tierschutz, radikaler Tierschutz und der ethische Meliorismus vor, dass wir alles “gut” nennen. Das gefällt mir. In allem auch das Gute zu sehen, macht glücklich. Darum: Wolfs Artikel ist gut.

 

Er findet z.B., wir sollen Laktovegetarier “besser” nennen. Er meint wahrscheinlich nicht nur Laktovegetarier, sondern auch Laktovegetarierinnen. So gefällt mir auch dieser Vorschlag. Viele von uns fühlen sich ja nicht ganz wohl, wenn sie sehen, wie es den Tieren in unserer Gesellschaft geht. Also viele von uns fühlen sich z.B. nicht ganz wohl, wenn sie sehen, wie den Kühen, einer nach der anderen, mit der Bolzenpistole in den Kopf geschossen wird. Und wie sie dann so zusammensacken.

 

Den meisten von uns wird da nur schon vom Zusehen unwohl. Und das ist ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass die meisten von uns das Herz am rechten Fleck haben.

 

Jetzt gibt es verschiedene Arten, dieses gute Zeichen umzudeuten. Wenn du z.B. vegan bist, wissen die Leute um dich herum ja eigentlich warum. Sie haben ja auch schon solche Bilder gesehen wie diese mit den Kühen.

 

Wenn darum du kommst und vegan bist – du brauchst gar nichts zu sagen – dann, weil die Leute ja nicht dumm sind und wissen, warum du vegan bist, werden sie an diese Bilder erinnert, die sie eben auch schon gesehen haben. Also sobald sie dich sehen, haben sie diese Bilder im Kopf. Und schon ist ihnen unwohl. Wegen dir.

 

So deuten viele Leute das Zeichen um. Sie haben ein gutes Herz und fühlen sich darum nicht wohl, wenn sie sehen, wie z.B. Kühe abgeschlachtet werden. Das verdrängen sie aber ganz prima, bis du kommst und vegan bist. Dann geht das mit dem Verdrängen nicht mehr so gut und ihnen wird unwohl. Und als Auslöser bist du natürlich schuld daran.

 

Deine vegane Anwesenheit zeigt ihnen, wo ihr Herz ist. Und ihr Herz ist eben am rechten Fleck, sie selbst stecken aber noch in ihren alten Gewohnheiten fest. Darum fühlen sie sich zerrissen. Und das kann man z.B. in Filmen von Pelzfarmen sehen: wenn man zerrissen wird und noch lebt, dann ist das nicht angenehm.

 

Kurz und gut: deine vegane Anwesenheit zeigt ihnen, wie weit ihre alten Gewohnheiten von ihrem Herz entfernt sind, und das ist unangenehm.

 

Wie wir sie (nicht) los werden

 

Weil sie jetzt meinen, sie werden dich und deinen Veganismus leichter los als ihre alten Gewohnheiten, machen sie blöde Sprüche über dich und deinen Veganismus oder stellen die Sache in die Extremismus-Ecke, bis du findest: wechseln wir das Thema! Aber solange du dabei bist, ist ihnen auch bei anderen Themen unwohl. Und das ist gut.

 

Besser ist aber eben Laktovegetarismus, d.h. kein Fleisch mehr, aber noch Milch. Ist zwar erst halb sinnvoll, aber lassen wir das für den Moment. Menschen mit Laktovegetarismus machen sich daran, alte Gewohnheiten loszuwerden. Sie hören auf mit dem Allesfressen und suchen ihre Befriedigung weit weg von getöteten Tierkörpern.

 

Das ist wirklich besser, als blöde Sprüche zu klopfen. Aber wie gesagt: alles ist gut, also sind auch blöde Sprüche gut. Wer über den Veganismus Sprüche klopft, hat ein gutes Herz und weiss dort: blöde Sprüche allein helfen nicht gegen das Unwohlsein.

 

Manche Leute spüren das recht schnell. Bei mir ging es eher lange. Macht nichts. Schneller ist zwar besser, aber langsam ist auch gut. Solange wir am Ende merken, dass das Unwohlsein erst weg geht, wenn wir unseren Umgang mit Tieren ändern.

 

Seht doch das Gute!

 

Das Gute sehen geht eben nur so weit, wie es das Gute in der Welt wirklich gibt. Und wo dann das Gute in der Welt aufhört und das Schlechte anfängt, da können wir noch so gut hinsehen: wir sehen trotzdem nichts, was uns glücklich macht.Es geht ja nicht um Hirnwäsche, wenn uns jemand ehrlich sagt: “Seht doch das Gute!” Hirnwäsche, das wäre, wenn uns jemand etwas Gutes zeigt, das es gar nicht gibt, und uns glauben macht, dass es Wirklichkeit ist.Also z.B. die Werbung der Migros mit dem Huhn: das ist Hirnwäsche. Da sagt uns jemand “Seht doch das Gute!”, und zeigt uns dann etwas, das es gar nicht gibt. Das nenne ich “Das Gute halluzinieren“. “Das Gute sehen” ist ganz etwas anderes.Vorstellung und WirklichkeitAber selbstverständlich ist auch die Werbung der Migros mit dem Huhn gut. Sie zeigt zwar nicht, wie es ist, aber wie es sein könnte: ein freies Huhn, das tut, was es will.Ein echtes freies Huhn würde sein Ei natürlich ausbrüten, anstatt es uns zu überlassen, damit wir es kochen und essen, aber echte freie Hühner gibt es ja kaum noch, also woher sollte das die Migros wissen? – Sparen wir uns dieses Thema für ein andermal.Zurück zur Vorstellung des freien Huhns, das tut, was es will. Das ist eine schöne Vorstellung. Das ist eine Vorstellung, bei der uns wohl ist. Und wenn wir dann sehen, wie weit die Realität von dieser schönen Vorstellung entfernt ist, dann kann es passieren, dass wir die Realität der Vorstellung anpassen wollen.Bei der Migros würden sie dann vielleicht sagen: “Dieser Schuss ging nach hinten los!” Weil wenn wir die Realität dieser schönen Vorstellung anpassen, dann gibt es keine Eier mehr im Regal. Freie Hühner brüten ihre Eier eben aus. Und sie legen auch nicht jeden Tag ein Ei, und sonntags auch mal zwei, wie es im Lied heisst.Freie Hühner legen etwa so viele Eier, wie sie Küken aufziehen können. Macht ja auch Sinn. Und nein, ein Huhn kann nicht 300 Küken pro Jahr aufziehen. Eher so 10-20 pro Jahr. Darum: keine Eier mehr im Regal. Und auch keine frisch ab Hof.Bei der Migros und auf dem Hof würden sie dann vielleicht sagen: “Wie gut, dass dieser Schuss nach hinten los ging! Hühnereier braucht ja eh kein Mensch.” – So könnte es sein.Wegschauen ist auch eine LösungAber das sind Träumereien. Das können wir uns vorstellen. Sehen können wir es noch nicht.Ein anderes Problem mit dem Sehen ist ja, dass wir oft nicht wählen können, was wir sehen. Dann funktionieren unsere Sinne und zeigen uns einfach das, was wirklich da ist, auch wenn es uns nicht gefällt.Bei Dingen, die wir nicht ändern können, also z.B. bei der Vergangenheit, finde ich: wenn wir da etwas sehen, das uns nicht gefällt, ist wegschauen eine gute Wahl.Bei Dingen aber, die wir ändern können, bei der Gegenwart z.B. oder bei der Zukunft, wenn wir da etwas sehen, das uns nicht gefällt, ist wegschauen auch eine gute Wahl. Warum sonst würden so viele Leute wegschauen? Die sind ja nicht blöd. Wegschauen funktioniert gut. Und noch besser funktioniert: die Dinge ändern.Wenn wir die Dinge ändern, können wir sie zum Besseren ändern. Und wenn wir sie zum Besseren ändern, können wir hinschauen, ohne dass uns unwohl wird. Und, auch gut: wer die positive Veränderung partout nicht sehen will, kann weiterhin wegschauen und muss deswegen überhaupt kein schlechtes Gewissen haben.Es ist ja für viele von uns so: Wenn wir vor dem Schlechten die Augen verschliessen, verdirbt uns nachher das schlechte Gewissen den Appetit. Wenn wir umgekehrt vor dem Guten die Augen verschliessen, verderben wir uns den Spass selbst. Und das ist gut. Weil daraus können wir lernen, wie blöd es ist, vor dem Guten die Augen zu verschliessen.Also, Wolf hat recht. Alles ist gut. Und Laktovegetarismus ist besser als Sprücheklopfen.Zuerst die Kreide, dann die sieben Geisslein?Gut, besser, am besten? © tier-im-fokus.ch (tif)Wolf sagt auch, Veganismus sei “am besten”. Das ist natürlich nett gemeint. Darum Merci. Aber weil es falsch ist, muss ich halt doch widersprechen.Veganismus ist einfach eine gute Idee, die noch dazu in der Wirklichkeit funktioniert. Zusätzlich ist Veganismus hier und jetzt und für uns wahrscheinlich eine bessere Idee als z.B. “Fressen und gefressen werden”.Aber auch diese Idee funktioniert, keine Frage. Fressen und gefressen werden funktioniert sehr gut. Ich finde es einfach in der Praxis nicht so sympathisch; weder das Fressen, noch das Gefressenwerden. Da gefällt mir persönlich Veganismus besser.Mir persönlich gefällt Veganismus hier und jetzt und für uns auch besser als Laktovegetarismus. Mich dünkt drum, Veganismus ist hier und jetzt und für uns etwa gleich gut wie die Idee “Wer A sagt, kann auch B sagen (wenigstens probehalber), tut ja nicht weh”.Und wenn einmal genügend Leute B sagen, dann tut es auch vielen Tieren nicht mehr weh. Und schon wenn nur ein paar wenige Leute B sagen, tut es nicht mehr so vielen Tieren weh. Weil ein paar von den Tieren werden dann z.B. unsere Patentiere.Das Beste ist das sicher nicht. You get the rest up in the sky, singt Johnny Cash. Das Beste kommt erst noch. Bis es soweit ist: schauen wir doch, ob es noch besseres gibt als Veganismus!Veganismus ist nur eine Phase, das geht vorbei!Was ist z.B. mit Fruganismus? Oder wie wär’s mit Lichtnahrung? Ich meine: Wenn uns “die Mehrheit” schon in die Spinner-Ecke stellt, können wir uns da ja auch ein wenig austoben. Tut ja nicht weh. Und wenn es dann doch weh tut, ist das gut, weil daran merken wir, was nicht geht. Veganismus geht schon mal. Das haben wir ausprobiert. Da könnten jetzt eigentlich die ersten Normalos und Normalas nachrücken.Null Risiko, voller Profit. Wer jetzt einsteigt, kann seinen Grosskindern gerade noch erzählen, bei den ersten dabei gewesen zu sein, bei den Spinnern und Revoluzern. In zehn Jahren ist Veganismus nur noch so provokativ wie Laktovegetarismus heute. Gähn! Und überhaupt: die Veganen von heute sind die reaktionären Säcke von morgen. Jedenfalls werden sie das sein, wenn sie sich von Wolfs Schmeicheleien einlullen lassen.Veganismus ist sicher nicht am besten. Veganismus ist einfach gut. Und Tierbefreiung auch. Und wenn einer viele schwierige Fremdwörter braucht, kann er ausgehend von dieser guten Sache sicher auch beim Terrorismus landen. Und wenn mir jemand diesen Zusammenhang jetzt noch in einfachen Worten erklärt, dann kann ich vielleicht besser darauf eingehen.Tiere besitzen und andere KunststückeNur gut kann ich auch so darauf eingehen. Das Wort “Eigentum” verstehe ich z.B. nicht. Ich verstehe “Besitz”. Meinen Stuhl etwa besitze ich gerade, und später im Tram den Sitz. Einen Hund besitze ich nicht. Ich besitze ganz allgemein keine Tiere. Reizt mich einfach nicht so. Viele Leute besitzen Pferde. Bequem sieht das jedenfalls nicht aus. Aber vielleicht argumentiere ich da am Punkt vorbei.Oder das mit der Analogie zur Sklavenbefreiung. “Analogie” heisst für mich einfach “Ähnlichkeit”. Wolf sagt, die Analogie zwischen Tierbefreiung und Sklavenbefreiung bleibe schwach. Woher nimmt er diese Sicherheit? Klar, viele Sklavinnen und Sklaven sind heute befreit und viele Tiere sind es nicht, aber warum ist Wolf so sicher, dass es so bleibt?Vielleicht führen wir die Sklaverei ja wieder breitflächig ein. Das ginge, scheint’s, ganz leicht, hier in der demokratischen Schweiz, wenn wir das wollten. Aber das wollen wir natürlich nicht. Darum befreien wir vielleicht einmal die Tiere. Dann wäre die Analogie zur Sklavenbefreiung recht stark.Natürlich könnten die Tiere dann immer noch nicht sprechen wie wir. Aber die Sklaven und Sklavinnen konnten ja damals auch nicht Schwizerdütsch. Und z.B. die Botschaftsangestellten können das noch heute nicht. Was machen wir da? – Wir setzen Dolmetscher ein.Artgerechte Menschenhaltung: was ist heute möglich?Dolmetscher sind Leute, die verstehen, was uns die Botschaftsangestellten mitteilen wollen, und es uns dann auf eine Art sagen, die auch wir verstehen.Bei den Tieren gibt es ähnliches. Hunde sind z.B. recht gut darin, Menschen so abzurichten, dass sie ihnen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Derart abgerichtete Menschen könnten wir als Hunde-Dolmetscher einsetzen.Dolmetscher für andere Tierarten lassen sich sicher auch trainieren, oder sonst halt züchten. Ah, nein, züchten wäre ein bisschen unsympathisch. Wir wollen ja niemandem zum Sex zwingen, oder zum Austragen eines Kindes. So liberal sind wir mittlerweile. Also lieber nicht züchten.Aber trainieren könnten wir solche Tier-Dolmetscher sicher. Da gäbe es sogar Freiwillige, wetten? Viele Menschen sind nämlich gerne mit anderen Tieren zusammen, und verstehen sie recht gut. Das geht ja auch ohne Sprache.Jetzt, was geht nicht ohne Sprache? Eben das: aus einer guten Sache wie Tierbefreiung eine schlechte Sache wie Terrorismus machen. Nicht nur Menschen, die lange in Universitäten gehalten wurden, leiden darunter, wenn sie die Welt hinter dem sprachlichen Dickicht nicht mehr erreichen können. Da hilft dann nur eines: Halt die Schnauze und folge deinem Herz nach, du Mensch im Wolfspelz!© 2011 Sebastian LeuggerSebastian Leugger ist ein Tier und isst kein Tier. Er interessiert sich für Logik und Landwirtschaft. Als Aktiv-Mitglied von tier-im-fokus.ch (tif) verkauft er Gebrauchtwaren und Güezi. Der Erlös geht zu 100% an unsere Patentiere.