2016-04-04
Dieser Bericht wurde uns von einem ehemaligen Insider zugestellt. Der Name ist der Redaktion bekannt, wird aber zum Schutz des Verfassers anonym gehalten.
Dies ist meine Geschichte…
Als ich das erste Mal mit dieser Szene in Berührung kam, war ich wie
viele junge Leute geblendet von dieser schillernden und glitzernden Welt
der Schweizer Viehschauen.
Heute frage ich mich, wie es soweit kommen konnte, dass ich selbst zu
einem Mittäter wurde.
Angefangen hat alles vor fünf oder sechs Jahren. Die Landwirtschaft mit
all ihren Facetten hat mich schon immer begleitet und interessiert. Zu
dieser Zeit war ich in Lausanne im 10. Schuljahr und wie jedes Jahr im
Januar fand die berühmte „Swiss Expo“ statt. Mit einer Schulkollegin
besuchte ich die Ausstellung in der Mittagspause. Zuvor habe ich mich
schon ein wenig mit den Ausstellungen befasst und hatte das Gefühl, dass
eine Kuh im realen Leben genauso aussehen muss, wie die Tiere in den
Heften. Als wir in Beaulieu am Ring standen und die zurechtgemachten
Tiere bestaunten, hat mich eine Art Leidenschaft gepackt. Seit diesem
Zeitpunkt war es mein Traum, irgendeinmal in Lausanne an der Swiss Expo
teilzunehmen.
Ich war dann auch auf Ausstellungen mit Rindern und mit Kühen von
Kollegen und Freunden. Sie alle waren sehr normale und bescheidene
Schauteilnehmer. Das Extreme war zu diesem Zeitpunkt noch weit weg.
Dennoch gab es eine Stimme in mir, welche immer mehr wollte. Wenn man
die Tiere noch länger nicht melken würde, würde man dann einen oder zwei
Plätze weiter vorne stehen? Solche Fragen beschäftigten mich und ich
hatte immer diese Bilder
von den „perfekten“ Kühen in den Zeitschriften
vor Augen.
Dann im 2012 kam die Wende. Diese Wende war für mich sehr schmerzlich
und die Bilder, die Gefühle und die Hilflosigkeit begleiten mich bis
heute.
Accolade Fantaisie erlangte in den Zeitungen traurige
Berühmtheit.
Sie verstarb vier Tage nach der Arc Jurassien
Expo in Saignelégier. An der Ausstellung war sie extrem überladen (das
Euter zu prall gefüllt, Anm d. Red.). Sogar zwei Stunden nach dem Melken
stellte der zuständige Tierarzt noch Schwellungen am Euter fest. Obwohl
ein Verstoss gegen den Ehrenkodex und das Tierschutzgesetz vorlag, wurde
keine Anzeige bezüglich Tierquälerei erstattet. Der
Besitzer von Fantaisie wurde lediglich verwarnt. Welch ein Hohn.
Ich selbst erwachte aus meinem Traum und begriff nun, wie weit einige
tatsächlich gehen um zuvorderst zu stehen um Erfolg zu haben. Ich
verwarf meine bisherigen Ansichten und stellte mir nun andere Fragen. Ab
welchem Zeitpunkt hat ein Tier Schmerzen? Ist es richtig diese Tiere
solange nicht zu melken?
Im Jahre 2015 lernte ich jemanden aus der Szene kennen. Er ist in der
Szene seit einigen Jahren tätig. Am Anfang dachte ich, dass er ganz
normal und vernünftig ist. An der Expo Glâne in Bulle sollte ich dann
eine andere Seite kennenlernen.
Einige Bauern hatten die Zwischenmelkzeiten ihrer Tiere nicht im Griff. Die eine Kuh produzierte „zu wenig“ Milch. Ihr wurde, nach Angaben meines Kollegen, fast stündlich Oxytocin in die Bauchvene gespritzt. Als sie sich wehrte, wurde ihr der Schwanz von drei jungen Mittätern nach oben gedrückt, so dass sie unter Schmerzen die Prozedur über sich ergehen lassen musste. Viele andere Helfer standen da und haben zugeschaut. Keiner hat ihr geholfen – auch ich nicht. Ich ging hilflos nach Hause und versuchte die Bilder zu verdrängen. Sie blieben bis heute. Er kam einige Stunden später stolz nach Hause. Er hat mit seinem Rind den Champion-Titel geholt. Sie tat mir damals schon leid. Ich habe mit ihm die Ereignisse besprochen und meine Zweifel geäussert. Er spielte aller runter und meinte nur, dass es vielleicht besser gewesen wäre, dass ich nach Hause gegangen bin, denn sie hätten dann noch ganz andere Sachen gespritzt.
Ich wollte ihm noch an zwei weiteren Ausstellungen helfen, ging aber noch vor Beginn wieder nach Hause. An der letzten hatte er seine Kuh Queen dabei. In meinen Augen war sie extrem geladen und als sie den Sekundenleim an ihren Zitzen lösten, spritzte die Milch in einem kräftigen Strahl auf den Boden. An diesem Punkt habe ich abgeschlossen, mit ihm und den Ausstellungen.
Schönheit muss leiden
Ein altes Sprichwort, welches leider auch in der Schauszene Anklang findet.
Früher war jeder Bauer stolz auf sein Vieh. Zu
den kleinen Gemeindeschauen, wurden die Kühe gewaschen und evtl.
geschoren. Was zählte war das Zusammensein und das fachsimpeln unter
Gleichgesinnten. Was so schön und fast schon romantisch klingt, hat sich
leider stark verändert. Heute heisst es jeder gegen jeden. Gewinnen um
jeden Preis, koste es was es wolle. Denn für Embryonen und erfolgreiche
Nachkommen, lässt sich in der heutigen Zeit viel Geld machen. Oftmals
sind es nicht einmal mehr „reine Landwirte“, welche die grossen
Nationalschauen gewinnen. Durch den starken finanziellen Hintergrund,
ist es für solche Schaugänger leicht, starke Tiere zu bekommen und diese
stets in bester Kondition zu halten.
Finanzielle Aspekte
Wenn man einen Champion im Stall stehen hat, lässt sich mit diesem
oftmals gutes Geld verdienen. Heutzutage kann man sich von zu Hause aus
Embryonen aus den besten Kuhfamilien der Welt bequem kaufen. Es werden
locker Preise von 1000 US-Dollar und mehr geboten, damit man einen
Embryo sein eigen nennen kann. Weibliche Nachkommen werden oft an
Auktionen für sehr gutes Geld versteigert. In Bulle wurde anlässlich der
Expo Bulle das Rind Addiction O’Kesha für 18‘500.- versteigert. Sie
kommt aus der Familie der Europameisterin Decrausaz Iron O’Kalibra.
Solche finanziellen Interessen erhöhen den Druck auf die Besitzer noch
mehr alles aus ihren Tieren herauszuholen um zu gewinnen und somit wieder
Profit schlagen zu können.
Vorbereitung auf die Schau
Nachdem ein geeignetes Rind oder eine passende Kuh für die Ausstellung
ausgesucht wurde, geht es an die Vorbereitungen. Die Tiere werden
gewaschen und geschoren. Ein volles Beautyprogramm, damit sich das Tier
äusserlich perfekt präsentiert. Doch auch der Gang und die Körperhaltung
muss am grossen Tag stimmen. Also
wird das Tier gefügig gemacht. Wenn man es mit der Geduld und der Zeit
nicht hat, wird oftmals der Traktor zu Hilfe geholt. Der Kopf wird nach
oben gezogen und das Tier wird im schlimmsten Fall einfach
hinterhergezogen. Wenn der Kopf zu hoch ist, sieht das
Rind nur noch den Himmel. So entsteht unnötig Stress und Angst. So wird
aber oftmals nur das Gehen geprobt.
Damit die Kopfhaltung am Ende auch stimmt, wird der Kopf hochgebunden.
Hierzu wird die Kuh oder das Rind eine Zeitlang in einer Position
angebunden, in welcher es den Kopf hochhalten muss. Ich habe auch schon
von einem Täter selbst gehört, dass er seinem Rind den Kopf so hoch
hinaufbindet, dass es sich ziemlich strecken muss und fast nur noch auf
den Klauenspitzen stehen kann. Oftmals einen ganzen
Nachmittag lang. Solche Praktiken sind sehr gängig und absolut normal.
Showtime
An den Ausstellungen und vor allem am Schautag muss alles perfekt sein.
Es gibt folgende Methoden an den Schauen für Rinder und Kühe
Lange Zwischenmelkzeiten zum Teil über 24 Stunden
Die Zitzen werden mit Sekundenleim oder Collodium versiegelt um ein Tropfen und somit einen Milchverlust zu vermeiden
Kürzen der Striche (= Zitzen, Anm d Red) mittels Sekundenleim
Manipulieren der Strichstellung mit z.B. Pfeiffenputzer
Einführen von Reiskörnern in den Strichkanal um ein Abstehen der Zitzen bei hohem Euterdruck zu vermeiden
Vaginales Einführen von Gegenständen, um die Haltung der Kuh zu beeinflussen z.B. Kondome gefüllt mit Eiswürfeln, Salzwasserlösung in der Gebärmutter und andere Reizungen
Kühlen des Euters mit Eis oder kaltem Wasser, um ein Anschwellen zu verhindern und das Zentralband hervorzuheben.
Drenchen der Tiere um eine optimale Breite der Tiere zu erreichen
Rinder nur alle 12 oder 24 Stunden tränken,
damit sie am Schautag vor ihrem
Auftritt viel trinken und somit „Breit“ erscheinen
Einsatz von Schmerzmittel und Beruhigungsmitteln. Oxytocin um die Beaderung des Euters hervorzuheben oder die Milchproduktion anzuregen.
Aus
Reihen von gewissen Schauverbindungen weiss ich, dass den Tieren an der
Swiss Expo in Lausanne im Stundentakt Schmerzmittel verabreicht wurde.
An der Expo Glâne in Bulle im Jahr
2015 habe ich miterlebt, wie Oxytocin gespritzt wurde, damit die
Milchproduktion gesteigert werden konnte. Des Weiteren wurde
Schmerzmittel eingesetzt. Verabreicht wurde es nicht vom Tierarzt,
sondern vom Besitzer des Tieres.
An der Arc Jurassien Expo 2015 wurde der Reserve Grand Championne Oxytocin gespritzt, um die Beaderung des Euters hervorzuheben. Hauptverantwortlich für diese «Behandlung» war nicht der Besitzer, sondern der Verantwortliche Styler der Kuh. Ich stelle es in diesem Fall sogar in Frage, ob der Besitzer etwas von dem Vorfall mit dem Oxytocin wusste.
Schmerzmittel
finden an den Schauen regen Gebrauch. Denn ohne könnten sich die Tiere
oftmals nicht mehr richtig „präsentieren“.
Laut Ehrenkodex sind das Verabreichen von solchen Mitteln und das
Anwenden solcher Praktiken NICHT zulässig. Lediglich ein Tierarzt darf
Mittel spritzen.
Fazit
Obwohl nun Fairplay Regeln in Bezug auf den Euterdruck an Schauen
erarbeitet werden soll, stehe ich dieser Idee sehr kritisch gegenüber.
Denn wie soll das Ergebnis durchgeführt werden, wenn selbst der
Ehrenkodex nicht eingehalten wird?
In meinen Augen besitzt diese Szene mafiaähnliche Strukturen und wird
von finanziellen Interessen und Macht dominiert. Jeder Richter ist
selbst Züchter und kennt den anderen. Das kann nicht funktionieren und
solche „Versuche“ wie Fairplay Regeln sind nur dazu da den Ruf zu
wahren. Steckt wirklich so viel Tierliebe hinter den Ausstellungen wie
immer erzählt wird, bräuchte es weder Schmerzmittel noch einen
Ehrenkodex. Denn wer sein Tier liebt verheizt es nicht für eine Schleife
oder für einen Platz. Das Tier ist Mittel zum Zweck, Mittel zum Sieg und
Mittel um das eigene Ego zu befriedigen.
Diesen Bericht habe ich verfasst, um
diesen Tieren eine Stimme gegen ihre Peiniger zu geben.
Dieser Bericht beruht auf selbst erlebten Ereignissen und Informationen
aus sehr verlässlichen Quellen. Er ist nicht dazu geschrieben worden,
einzelne Leute anzugreifen oder gegen Beteiligte zu hetzen. Aus diesem
Grund wurden Namen bewusst weggelassen.