24. Juni
2004 Der Wahnsinn der
Agrar-Subventionen
Der BOBACHTER hat in der Ausgabe 13/04 dieses
Tabu-Thema aufgegriffen:
Subventions-Irrsinn
Text: Balz Hosang
Die Stimmungslage im Bundesrat wird sich kurzfristig kaum
verbessern: Bis Ende Juni sollen die Departemente vorschlagen, wie
Bundesbeiträge und Subventionen für das nächste Jahr um 600 Millionen
Franken zusammengestrichen werden können. Für 2007 ist gar ein
Subventionsabbau um 1,4 Milliarden Franken geplant.
Sparen ist populär. Das weiss auch der Bundesrat. Doch wenn er sich bei
seinem Leistungsabbau auf das Volk beruft, sollte er genau hinhören. Seit
Jahren zeigen Meinungsumfragen und Volksabstimmungen, dass Sozialwerke,
Bildungswesen und öffentlicher Verkehr nicht zu den vom Volk anvisierten
Sparobjekten gehören.
Sparübungen werden zuerst in aller Stille ausgebrütet. Doch einmal mehr ist
die Doppeltür zum Bundesratszimmer undicht: Die «Sonntags-Zeitung» hat
Details zum «Entlastungsprogramm 04» veröffentlicht. Deshalb wissen wir:
Zuoberst auf der bundesrätlichen Sparliste stehen Regionalverkehr, Bildung,
Sozialversicherungen. Es wird der Regierung schwer fallen, dies als Vollzug
eines Volksauftrags zu rechtfertigen.
Der Beobachter behauptet nicht, dass sich bei Dutzenden von
Subventions-Milliarden nicht sparen liesse. Im Gegenteil: Er liefert
konkrete Beispiele (siehe Artikel zum Thema «Subventionen: Milliardenteures
Patt»). Mehr noch: Bernhard Raos und Christoph Schilling zeigen, wie im
Geldverschleudern nach wie vor Allianzen möglich sind. Und wie mit neuen
Subventionen die alten Subventionsauswüchse korrigiert werden.
Ein Blick auf die aktuelle Sparübung des Bundesrats macht wenig Hoffnung,
dass dieser Irrsinn gestoppt wird. Im Departement Deiss etwa wird lieber bei
Fachhochschulen als bei den zum Teil grotesken Landwirtschaftssubventionen
gespart. So werden denn die staatlich geförderten Schafe freudig
weiterblöken – und die letzten Alpen kahl fressen. Und was den Bündnern die
Schafe, sind den Wallisern die Trauben oder den Innerschweizern die
Schweine. Bei den Subventionen herrscht über alle Parteigrenzen hinweg
regionalpolitischer Egoismus. Nationalbewusstsein und Solidarität
zelebrieren wir dann wieder am 1. August.
Milliardenteures Patt
Text: Bernhard Raos, Christoph Schilling
Verschenkte Steuergelder: Der Bund zeigt sich bei der Verteilung
von Subventionen immer grosszügiger – selbst bei Anliegen, die sich
gegenseitig lahm legen.
Je steiler die Lage, desto höher die Unterstützung. Und je unsinniger in
der Vergangenheit subventioniert wurde, umso umfangreicher sind die
Umstellungsbeiträge für die Neuorientierung. Das Beispiel der Schweizer
Weinbauförderung ist exemplarisch. Bis zu 5000 Franken pro Hektare und Jahr
erhalten die Schweizer Weinbauern je nach Steilheit und Terrassierung ihres
Weinbergs. 20000 bis 35000 Franken pro Hektare gibts für die Umstellung von
den bis vor wenigen Jahren hoch subventionierten, massenhaft produzierten
und unverkäuflichen Chasselas- und Müller-Thurgau-Weinen.
Der Steuerzahler blutet aber nicht nur für Sortenflop und schwieriges
Gelände. Er kommt auch mit 4,4 Millionen Franken (2002) für die
Weinexportförderung auf und subventioniert so jeden Liter Exportwein mit Fr.
6.70. Der Verkaufspreis liegt im Schnitt bei rund Fr. 8.40. Neu gibt es auch
Geld für Inlandwerbung zwecks besserer Optik.
Gift und Gegengift
Der Weinbauernlobby im Parlament ist das aber immer noch zu wenig staatliche
Zuwendung. Der Walliser CVP-Ständerat Simon Epiney bezeichnete den Weinbau
in seiner Interpellation als «Waisenkind der Schweizer Landwirtschaft, wenn
es um die Verteilung des Bundesmannas geht». Schliesslich sei der Weinbau
laut Epiney «als Musterbeispiel für Innovation und Qualitätssteigerung» zu
sehen. Aus diesem Grund verlangt er billigere Kredite für Winzer sowie eine
Lockerung der Bedingungen für Direktzahlungen.
Allerdings bleibt auch die Gegenseite nicht untätig. Bei so viel
Alkoholförderung muss dem übermässigen Konsum Einhalt geboten werden.
Schliesslich kostet laut Jahresbericht der Eidgenössischen Alkoholverwaltung
(EAV) der Alkoholmissbrauch die Schweiz jährlich 6,5 Milliarden Franken.
Doch kein Problem: Salomonisch subventioniert der Bund auch die
Gesundheitsprävention. Zur staatlichen Beruhigung des schlechten Gewissens
wird ein Zehntel der EAV-Einnahmen an die Kantone weitergeleitet. 2003 waren
dies 24,7 Millionen Franken – zwecks allgemeiner Suchtprävention. Weitere
1,4 Millionen Franken schüttete Bern unter dem Titel Alkoholprävention aus.
Die groteske Situation, dass mit Wein- und Schnapsproduzenten die
Verursacher auf der einen und mit den Präventionsaktivitäten die Bekämpfung
der Folgen auf der anderen Seite subventioniert werden, ist nicht
Einzelfall, sondern hat in der Schweiz System.
Vor allem die Agrarlobby strebt stets den Ausgleich an und betreibt dieses
Subventions-Ying-Yang der gegenseitigen Unterstützung in Perfektion. So
stimmen ihre Vertreter in den Räten meist für die Subventionen der
Strassenbauer und Gewerbler oder bei ökologischen Anliegen häufig mit der
Linken. Damit sichern die Bauernfreunde die Pfründen für einen Berufsstand,
der zwar nur 1,5 Prozent des Bruttosozialprodukts erarbeitet, aber acht
Prozent aller Bundesausgaben kassiert.
«Ich subventioniere, also bin ich»
Innert eines Jahrzehnts haben die Subventionen bei Bund, Kantonen und
Gemeinden – inklusive Sozialversicherungen – um rund 50 Prozent zugenommen,
deutlich stärker als die Gesamtausgaben und das Bruttoinlandprodukt. Seit
1970 haben sich die Subventionen des Bundes gar versiebenfacht.
Nichts scheint dabei schwieriger, als bestehende Subventionen abzuschaffen.
Als der Bundesrat im Rahmen des «Neuen Finanzausgleichs» etwa die
Wohnbauförderung streichen wollte, hagelte es Proteste aus allen politischen
Lagern. Die Folge: Das Füllhorn des Bundes schüttet weiterhin viele
Millionen aus – neu unter dem Titel Wohnraumförderung. «Von Vorteil für die
Subventionsjäger im Parlament sind die mangelnde Transparenz und die
politischen Kartelle», ärgert sich der Basler Wirtschaftsprofessor Silvio
Borner. Ersteres begünstige das Wegsehen der Steuerzahler, und Letzteres
führe dazu, dass «Päckli» für wechselseitige Begünstigungen geschnürt
würden.
Viele Parlamentarier agieren dabei frei nach der Devise: «Ich
subventioniere, also bin ich.» Zum Beispiel Schafhaltung: 450000 Schafe
blöken in der Schweiz – siebenmal mehr als Ziegen und beinahe doppelt so
viel wie noch vor 20 Jahren. Die Schafhaltung gilt von jeher als wenig
rentabel. Warum gibts denn trotzdem so viele Schafe?
Ganz einfach: Die Schafhaltung wurde in den vergangenen Jahren gleich aus
mehreren Töpfen stark subventioniert. So gibt es Direktzahlungen für die
Tierhaltung unter erschwerten Verhältnissen, für die kontrollierte
Freilandhaltung, für Massnahmen zur Förderung der Schafzucht und
Direktzahlungen für die Alpsömmerung von Schafen unter dem unverdächtigen
Sammelbegriff «Raufutter verzehrende Tiere, ohne Bisons und Hirsche» – alles
in allem 36 Millionen Franken pro Jahr. Oder umgerechnet 80 Franken pro Jahr
und Schaf.
Doch damit nicht genug. Weil sich die teure Schafwolle in der Schweiz nicht
verkaufen lässt, subventionierte man im Jahr 2003 auch deren Verwertung noch
mit 600000 Franken. Das Parlament wollte wenigstens diese Subvention
streichen, doch die Alpenlobby im Ständerat, angeführt vom Bündner
Schaffreund und CVP-Ständerat Theo Maissen, intervenierte erfolgreich. Der
Futtertrog blieb, nur das politische Etikett wurde geändert. Seit Januar
2004 ist eine Verordnung über die Nutzung der inländischen Schafwolle in
Kraft, die unter anderem Beiträge für «innovative Projekte zur ökologisch
sinnvollen Verwertung» vorsieht. «Das Anliegen ist aus langfristiger
Perspektive und aus grundsätzlicher Sicht gerechtfertigt», verteidigt
Maissen unverdrossen sein Postulat.
Dabei stellen laut Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) die
blökenden Wolllieferanten ein ernsthaftes Problem für die Alpenökologie dar.
Was sich da nämlich unter den Gipfeln tausendfach tummelt, frisst Gräser und
Kräuter ratzeputz bis auf die Wurzeln. Zudem steigen Schafe in Heumatten
hoch, die zum Beispiel für Alprinder unzugänglich sind. Artenreiche
Alpweiden verarmen so in «wenigen Jahren zu eintönigen Grünlandflächen»,
kritisierte das Buwal schon vor Jahren. Die Erosion nimmt dadurch zu.
Zusätzlich verdrängt das Schaf die Gämsen in die Wälder, was zu starkem
Verbiss der Jungbäume führt. Laut Buwal ertragen Alpen über 2000 Meter
lediglich eine einmalige kurze Beweidung im Spätsommer. Wie kam es aber,
dass trotz allen ökologischen Bedenken seit letztem Jahr zusätzliche
finanzielle Hilfe in die Schafhaltung auf Alpweiden fliesst? Um die Umwelt
zu schonen!
Subventionen gegen Subventionen
Was für Aussenstehende unverständlich scheint, ist aus Subventions-«Logik»
für die Parlamentarier leicht nachvollziehbar. Statt die mit Steuergeldern
geförderte Zerstörung von Alpweiden zu bestrafen, setzt der Bund seit Anfang
2003 auf ein angenehmes Gegenmittel: Man subventioniert jetzt Hirten und
Zäune extra.
Laut Bundesamt für Landwirtschaft soll der «Älpler so keinen Anreiz mehr
haben, zu viele Tiere zu sömmern». Neu fliessen mehr Subventionen an
Alpbetriebe, die ihre Schafe ständig «behirten» lassen, und für so genannte
Umtriebsweiden – Alpen, wo die Tiere auf eingezäunten Weiden gehalten und
von Koppel zu Koppel getrieben werden.
Behirtung und Umweidung rentieren nun dreimal respektive doppelt so stark
wie der Normalbetrieb. Nur wer nach den Richtwerten des Bundes um mehr als
15 Prozent überweidet, soll keine Sömmerungsbeiträge mehr erhalten. Die
Konsequenz: 2003 wurden 4,3 Millionen Franken für Schafalpen ausbezahlt, 1,3
Millionen mehr als im Jahr zuvor.
Der Bündner SP-Nationalrat Andrea Hämmerle, der seinen Biobauernhof seinem
Sohn übertragen hat, unterstützt die neue Regelung. Allerdings mit einer
wichtigen Einschränkung: «Subventionen ohne entsprechende Leistungen sind
fragwürdig. Wo Schafe ohne Behirtung und ohne nachhaltige Beweidung
gesömmert werden, sollte es keine Direktzahlungen mehr geben.» Eine
Streichung der Sömmerungsbeiträge – auch Hämmerles halten ihre Schafe im
Sommer auf der Alp – lehnt er hingegen ab. Weil dann viele Alpen gar nicht
mehr bestückt würden.
«Die Empfänger freuts, die Steuerzahler reuts», kommentiert
Wirtschaftsprofessor Silvio Borner die verbreitete Subventionitis: «Wir
beklagen in der Schweiz zu Recht die mangelnde Innovationskraft und
Risikobereitschaft. Nur an Subventionsjägern mangelt es hierzulande nicht»,
sagt er. Borner ortet «viele verschenkte Millionen, die zuerst von jemandem
erwirtschaftet werden müssen».
Die laufenden Transfers von Bund, Kantonen und Gemeinden – so bezeichnet das
Bundesamt für Statistik die öffentlichen Beiträge – betrugen im Jahr 2002
rund 99 Milliarden Franken. Klammert man den Bereich Sozialversicherungen
aus, sind es fast 55 Milliarden Franken oder rund 7500 Franken pro Kopf der
Bevölkerung. Dabei sind Steuererleichterungen als spezielle Form von
Subventionen gar nicht mal eingerechnet.
Wirtschaftsprofessor Borner ist mit seiner grundsätzlichen Subventionskritik
nicht allein. Auch Frederic Methlow, leitender Ökonom in Diensten der Credit
Suisse Group, spricht vom «süssen Gift» der staatlichen Hilfen. Er warnt vor
ausufernden Subventionen: «Nationen, die zu oft auf Subventionen
zurückgreifen, verlieren an Terrain.» Er sieht die Konsequenzen nüchtern:
«Letztlich werden diese Nationen dann gezwungen, Abschied von ihrer
Subventionskultur zu nehmen, weil mangelndes Wirtschaftswachstum ihnen die
Mittel für die Subventionen entzieht.»
Ein weiteres Beispiel von Gift und Gegengift und von parteiübergreifenden
politischen Allianzen sind die Subventionen in die Bahninfrastruktur
einerseits und die gleichzeitige künstliche Verbilligung des Autoverlads.
Bei der Überprüfung der Bundessubventionen im Jahr 1997 fiel das Urteil des
Bundesrats negativ aus: Eine klare Zielsetzung fehle. Die Verbilligung – Fr.
7.50 pro Fahrzeug – verhindere zwar Umwegfahrten, konkurrenziere aber
zugleich die Bahn.
Millionen für die Bahn – und die Autos
Trotzdem wurde der Autoverlad 2003 immer noch mit 3,5 Millionen Franken oder
umgerechnet Fr. 6.20 pro Fahrzeug subventioniert. Gleichzeitig muss der
Regionalverkehr der Privatbahnen und der SBB subventioniert werden, 2002 mit
total 2,1 Milliarden Franken. Wir stopfen also mit enormem Aufwand die
Löcher im Regionalverkehr und lotsen gleichzeitig auf den subventionierten
Schienen die automobile Konkurrenz in die Alpentäler.
Im Parlament macht sich FDP-Nationalrat Duri Bezzola, zu Hause im
Unterengadin, für den subventionierten Autoverlad stark: «Werden die Tarife
erhöht, fahren die Leute über die Pässe. Schon heute liegen die Kosten für
den Verlad am Vereina nahe der Schmerzgrenze.» Dass die Blechlawine in die
Alpen zusätzlich vergrössert wird, bestreitet Bezzola.
Teure Verlagerungspolitik
Der Freisinnige sitzt im gleichen Boot wie seine grüne Ratskollegin
Franziska Teuscher. Die eifrige Lobbyistin für den Schienenverkehr findet
über Treibstoffzölle subventionierten Autoverlad «besser, als neue
Strassentunnels zu bauen». Die Grüne bemüht sich immerhin, die Unterstützung
für billigeres Autofahren im langfristigen Gesamtzusammenhang einzubetten:
«Autoverlad kann als Teil einer Verlagerungspolitik Sinn machen.» Ihr Ziel
sei aber, den Waren- und den Personenverkehr weg von der Strasse auf die
Schienen zu bringen. Der Zweck heiligt allerlei teure Mittel.
Auch den Bahnoberen ists egal, dass einerseits die Autofahrten in die
Ferienecke verbilligt werden und gleichzeitig die Defizite aus dem
Zugverkehr gesponsert werden. Wenn das Geld fliesst, stellen sich keine
Sinnfragen. Silvio Fasciati, Direktor der Rhätischen Bahn (RhB), beurteilt
den subventionierten Autoverlad denn «keinesfalls als widersinnig».
Mit Bundesgeldern auf Wählerfang
Ständerat Maissen bezeichnet die Subventionen als den «Kreislauf im realen
Körper unseres Bundesstaates». Ökonom Borner hingegen warnt vor dem Kollaps:
Staatliche Gelder würden zwar kurzfristig Arbeitsplätze sichern, doch
längerfristig mutierten viele Strukturanpassungen zur Strukturerhaltung.
Etwa die über vier Milliarden, die die Bundespolitiker Jahr für Jahr in eine
schrumpfende Branche wie die Landwirtschaft pumpen. Borner spricht von
«Geiseln organisierter Sonderinteressen». «Anbieter sind die Politiker, die
wiedergewählt werden wollen und deshalb ‹ihren› Verbänden, Regionen und
Wählergruppen etwas aus dem Staatssäckel zukommen lassen möchten.»
Die Verwaltung überprüft im Auftrag des Bundesrats alle sechs Jahre die
Subventionspraxis. Doch vor übertriebenen Erwartungen sei gewarnt. Bei der
letzten Überprüfung zwischen 1997 und 1999 wurden 250 Massnahmen zur
Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit vorgeschlagen. Mit
enttäuschendem Effekt: Nur 100 Millionen von rund 30 Milliarden sollen bis
2004 jedes Jahr eingespart werden, ab 2005 wird mit einem Minus von 210
Millionen gerechnet. Das ist weniger als ein Prozent. Gleichzeitig ist das
Subventionsvolumen beim Bund weiter angewachsen – um rund fünf Milliarden
Franken in den letzten fünf Jahren. – In der Bundesverwaltung kursiert ein
Witz: Wie nennt man den Abbau von Subventionen in der Schweiz? Das Wunder
von Bern.
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