19. Juli
2004
Feindbilder
Ein schöner, heisser Sonntag im Juli. Ich stehe neben
dem geparkten Auto. Ein Bauer mit einem Heuwender rattert vorbei, schaut
zweimal zurück.
Etwas später spaziere ich auf einem Feldweg. Plötzlich rast ein dunkler PW
von der Hauptsrasse her quer über die Wiese auf mich zu. Ich bleibe
beobachtend stehen. Der Bauer mit dem Heuwender springt aus dem Auto und vom
Beifahrersitz aus ein etwa 25-jähriger Mann, vermutlich sein Sohn, mit
grimmig-aggressivem Gesichtsausdruck. Der Alte schreit ein scharfes "Halt!",
wie ein Wachtposten im Krieg, zwei Sekunden bevor geschossen wird. Die
beiden kommen auf mich zu. Äusserlich und innerlich ruhig bewege ich mich
nicht, bleibe locker aber konzentriert und denke: "Jetzt wird sich
zeigen, was mein jahrelanges Kampftraining im Ernstfall wert ist." Kurz
taucht das Bild einer Intensivstation auf, in der ich langsam wieder zu
Bewusstsein komme. "Ich habe Sie schon erkannt", ruft der Alte, schon ganz
nahe, mit wilden Augen. Ich antworte energisch und leicht gereizt: "Ich darf
wohl schon noch hier spazieren." Der Alte bleibt zwei Meter vor mir stehen,
sein Sohn schräg hinter ihm, und schreit mit erregt stammelnder Stimme etwas
Unverständliches von Kühen und Fotografieren. Ich sage, ich hätte ja gar
keinen Fotoapparat bei mir. Er wird unsicher. "Kühe?" frage ich verwundert.
Ja, sagt er, er habe die Kühe den ganzen Sommer jeden Tag draussen auf der
Weide, aber sie hätten Schatten. Aus seinem erregten Gestotter kombiniere
ich, dass er offenbar denkt, ich schleiche mich an, um seine Kühe, die bei
dieser Wärme an der Sonne seien, zu fotografieren und eine Skandalgeschichte
zu inszenieren. Die zuvor bedrohliche Situation ist einem ruhiger werdenden
Gespräch gewichen. Ob mein T-Shirt mit dem Karate-Aufdruck auch dazu
beigetragen hat, weiss ich nicht. Jedenfalls kann ich dem Bauer erklären,
dass mich das sehr freut, dass er jeden Tag weide. Er reagiert mit einem
ungläubigen, leisen "Wirklich?". Ein erstes, unsicheres Lächeln. "Ich gehe
gegen jene vor, welche die Kühe nie aus dem Stall lassen", sage ich. Leise
murmelt er: "Gibt es noch solche?" "Ja, allerdings, leider. Vorallem im
Flachland, wo bis an die Stalltüre heran geackert wird. Ihre Kühe würde ich
höchstens als Vorbild fotografieren." Wir fachsimpeln noch ein wenig über
die Möglichkeit der Nachtweide bei heissem Wetter und fehlendem Schatten.
Dann gehen wir wieder unsere Wege, wobei ich ihm noch den Ratschlag mitgab,
er solle lernen, sich zu beherrschen. Auch wenn es anders gewesen wäre,
hätte eine Schlägerei auf offenem Feld nichts genützt..
Was mir an diesem Zwischenfall hauptsächlich zu denken
gab, war weniger die mir schon lange bekannte rasche Gewaltbereitschaft
vieler Bauern, sondern das merkwürdige Feinbild gegen mich. Da wird
offensichtlich am Stammtisch über mich geflucht und ein Feindbild
konstruiert, ohne die geringste Auseinandersetzung mit meinem
tierschützerischen Anliegen. Ich glaube nicht, dass so die verfahrene und
schwierige Situation der Landwirtschaft verbessert wird. Im Gegenteil.
Erwin Kessler, Präsident Verein gegen Tierfabriken VgT
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