1. März 2005, aktualisiert am 10. März 2006

Verbotene Anbindehaltung von Pferden:
Aargauer Regierung Verdreht das Gutachten Niggli

Der VgT hat  am 25. Februar 2005 dem Gesundheitsdepartement des Kantons Aargau folgende Disziplinarbeschwerde gegen Nicole Peyer, Dr med vet, zuständig für den Bereich Tierschutz im kantonalen Veterinäramt eingereicht.

Begründung:

Frau Peyer hat am 24. Februar 2005 als Zeugin vor dem Bezirksgericht Laufenburg behauptet, die Richtlinie des Bundesamtes für Veterinärwesen zur Pferdehaltung sei ohne gesetzliche Grundlage, weshalb ihr bezüglich Pferdeschutz "die Hände gebunden" seien, namentlich sei die Anbindehaltung von Pferden "nicht verboten".

Das eidgenössische Gesetz gilt gemäss Artikel 1 ausdrücklich für alle Wirbeltiere. Tierärztin Peyer muss bekannt sein, dass darunter auch die Pferde fallen.

Die erwähnte Richtlinie des Bundesamtes für Veterinärwesen ("Haltung von Pferden, Ponys, Eseln, Maultieren und Mauleseln") stellt unter Ziffer I klar, dass diese Richtlinie aufzeige, "wie die allgemein gültigen tierschutzrechtlichen Bestimmungen für Pferdeartige auszulegen sind". Unter Ziffer II sind die Rechtsgrundlagen einzeln aufgeführt. Die Behauptung von Frau Peyer, diese Pferderichtlinie habe keine gesetzliche Grundlage, ist eindeutig falsch.

Unter Ziffer 22, Absatz 1, hält die Richtlinie fest, dass die Anbindehaltung von Pferden abzulehnen sei. Die gesetzlichen Grundlagen hierfür sind angegeben.

In Absatz zwei wird festgehalten, dass eine kurzfristige Anbindung von Pferden, "z.B. während der Futteraufnahme bei Gruppenhaltung, während Ausstellungen oder zur Übernachtung auf Wanderritten" vertretbar sei.

Absatz 3 lautet sodann: "Bei Neu- und Umbauten ist auf Stände zu verzichten."

Offenbar soll damit die Durchsetzbarkeit des Anbindehalteverbotes verbessert und die Baubehörden dazu angehalten werden, Baugesuche mit (Anbinde-)Ständen nicht zu bewilligen, so dass die Tierschutzbehörden bei der Durchsetzung des Anbindehalteverbotes nicht vor vollendete bauliche Tatsachen gestellt werden und erst nachträglich einschreiten können.

Schleierhaft ist, warum dann aber trotzdem noch "Mindestabmessungen für Stände" angegeben werden. Mindestvorschriften für eine gar nicht erlaubte Haltungsform machen keinen Sinn und widerspiegeln lediglich die bekannte Tatsache, dass das Bundesamt für Veterinärwesen einen "Mittelweg" zwischen Gesetz und Politik (Landwirtschaftslobby) versucht. Das Gesetz verletzende politische Zugeständnisse haben indessen keine rechtliche Bedeutung für die mit dem Vollzug betrauten Kantone. Da dies aber zu einer Rechtsunsicherheit bei einzelnen Veterinärämtern geführt hat, hat der VgT im Juli 2003 Dr M A Niggli, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Freiburg, mit einem Gutachten beauftragt, das im September des gleichen Jahres abgeliefert wurde und sogleich im Internet veröffentlicht wurde (www.vgt.ch/vn/0303/Gutachten-Niggli.pdf). Das Gutachten kommt zum eindeutigen Schluss, dass die Anbindehaltung von Pferden aufgrund der heutigen Tierschutzgesetzgebung verboten ist.

Das Gutachten wurde auch in der Fachpresse erwähnt und es muss davon ausgegangen werden, dass die Verantwortliche für den Bereich Tierschutz im Veterinäramt des Kantons Aargau, Nicole Peyer, über dieses Gutachten informiert ist. Dass sich diese Tierärztin anmasst, das Tierschutzrecht kompetenter auslegen zu können als ein anerkannter Rechtsprofessor, der dazu ein ausführliches, fundiertes Gutachten verfasst hat, ist eine Arroganz und Amtspflichtverletzung sondergleichen.

Wir erachten es als einen unhaltbaren Zustand, dass eine solche ignorante Person im Kanton Aargau weiterhin für den Tierschutzvollzug verantwortlich ist.

Dr Erwin Kessler, Präsident VgT

 

Mit Entscheid vom 1. März 2006 wies der Regierungsrat die Beschwerde auf Antrag von Regierungsrat Ernst Hasler, Vorsteher des Gesundheitsdeparementes, ab. Die Begründung basiert auf einer gezielten Verdrehung des Gutachtens von Professor Niggli.

Auf Seite 12 des Gutachtens hält Niggli fest:

"Weiter steht es dem Bundesrat gemäss Art. 4 Abs. 1 TSchG frei, bestimmte Haltungsarten
ganz zu verbieten. Diese Kompetenz hat der Bundesrat in Art. 1 Abs. 3 TSchV wahrgenommen. Die dauernde Anbindehaltung ist gemäss dieser Bestimmung ganz allgemein unzulässig. Als "dauernd" hat dabei jede Anbindehaltung zu gelten, bei der für das Pferd kein anderes Haltungssystem vorhanden ist oder ein solches überhaupt nicht oder jeweils nur für kurze Zeit benutzt wird."

Daraus ergibt sich klar: Nur kurzfristiges Anbinden - zB zur Hufpflege oder zum Putzen des Pferdes - ist nicht als dauernde Anbindehaltung gemeint.

Seite 14 f im Gutachten:

"Pferde sind – das darf als allgemein bekannt und anerkannt gelten – Tiere mit einem ausgeprägten Bewegungsdrang. Als unbestritten darf daher – ungeachtet der konkreten Umstände – gelten, dass das dauernde Anbinden von Pferden per se als nicht artgerecht erscheint und also Leiden verursacht. Gleiches muss aber sicher auch dann gelten, wenn das Pferd während der ganz überwiegenden
Zeit des Tages angebunden bleibt und sich nur für kurze Phasen fortbewegen kann. Angeführt seien nur die folgenden Expertenmeinungen:

"Diese Haltungsform [die Anbindehaltung] muss nach dem heutigen Stand der Kenntnisse klar abgelehnt werden. Pferde sollten höchstens vorübergehend und nur mit täglichem Weidegang in Ständen gehalten werden" (RIEDER, Pferdezucht,).
"Eine permanente Anbindehaltung ist nicht tiergerecht. Sie ist abzulehnen, weil dadurch die Bewegungsfreiheit und das Gesichtsfeld der Pferde, sowie das "Diese Haltungsform [die Anbindehaltung] muss nach dem heutigen Stand der Kenntnisse klar abgelehnt werden. Pferde sollten höchstens vorübergehend und nur mit täglichem Weidegang in Ständen gehalten werden" (RIEDER, Pferdezucht).
"Eine permanente Anbindehaltung ist nicht tiergerecht. Sie ist abzulehnen, weil dadurch die Bewegungsfreiheit und das Gesichtsfeld der Pferde, sowie das Komfort-, Liege- und Sozialverhalten zu stark eingeschränkt werden" (BA FÜR VETERINÄRWESEN, Pferdehaltung, 4).
"Die dauernde Anbindehaltung ist abzulehnen, weil sie die Bewegungsfreiheit
und das Gesichtsfeld eines Pferdes sehr stark einschränkt" (BA FÜR VETERINÄRWESEN, Kontrollhandbuch, 4).
"Das Anbinden von Pferden in Ständen oder in Boxen […] schränkt deren Bewegungsfreiheit und Gesichtsfeld sehr stark ein, weshalb die permanente Anbindehaltung abzulehnen ist […]" (BA FÜR VETERINÄRWESEN, Richtlinie 8000.106.06, 5).
"Bekanntermassen ist bei Pferden ein Mangel an Bewegung häufig die Ursache
schwerwiegender Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens
und selbst von Schädigungen" (LORZ, D-Kommentar, § 2 N 24).
"Eine 23-stündige Anbindehaltung im Stand ohne Kontakt mit Artgenossen und Aussenwelt, bei einer Stunde Arbeit in der Reithalle, ist nach heutiger Kenntnis […] nicht artgerecht und erfüllt den Tatbestand der Tierquälerei" (ISENBÜGEL, SAfT 2002, 328).
"Bei Pferden ist Mangel an Bewegung die häufigste Ursache für seelische Quälerei
und körperliche Schädigung" (FEINEIS, Handbuch, 19).
"Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit wird als eine der wichtigsten Ursachen für stereotype Verhaltensweisen bei Pferden betrachtet […]" (REBSAMENALBISSER,
Tierschutzrecht, 302, Fussnote 63).
Es "ist von der Regel auszugehen, dass jegliche Anbindung eines Tieres auf engem
Raum eine ständige Fixation entgegen seinem natürlichen Bedürfnis nach Gemeinschaft, Sozialkontakt und Rückzugsmöglichkeiten darstellt und daher anhaltende Leiden verursacht" (LOEPER, D-Kommentar, § 2a N 12). Dabei ist zu beachten, dass Pferde ein "ausgeprägte[s] Bewegungsbedürfnis" haben (LOEPER, D-Kommentar, § 2 N 38)."

Seite 19:

"Eine Analyse der einschlägigen Bestimmungen ergibt, dass die Anbindehaltung
von Pferden als vorschriftswidrige Tierhaltung (Art. 29 Ziff. 1 lit. a TSchG) zu
betrachten ist, soweit
• die Anbindevorrichtung ungeeignet ist;
• dem Pferd die Bewegungsfreiheit dauernd (d.h.: auf Dauer oder in der ganz überwiegenden Zeit) entzogen wird;
• dem Pferd die Bewegungsfreiheit über längere Zeit hinweg entzogen wird, sofern damit für das Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind.

Als Tierquälerei im Sinne von Art. 27 Abs. 1 lit. a TSchG ist die Anbindehaltung von Pferden nur in extremen Fällen zu werten. Ein solcher ist namentlich anzunehmen,
wenn junge Pferde auf Dauer in dieser Form gehalten werden oder wenn weitere Faktoren hinzukommen, so dass das Wohlbefinden des Pferdes insgesamt als schwer beeinträchtigt erscheinen muss."

Zusammenfassung auf Seite 20:

"Die Anbindehaltung von Pferden erscheint mindestens als vorschriftswidrige
Tierhaltung. Wird Pferden in Anbindehaltung kein Auslauf gewährt, ist zudem
eine Verurteilung wegen Tierquälerei zu prüfen."

Niggli unterscheidet korrekt zwischen Vorschriftswidrigkeit, welche im Tierschutzgesetz eine Übertretung darstellt, und Tierquälerei, welches ein Vergehen darstellt. Als vorschriftswidrig beurteilt Niggli eine Pferdehaltung, wo das Pferd normalerweise, abgesehen von kurzen Aufenthalten ausserhalb des Stalles, grundsätzlich angebunden ist. Erhalten die Pferde darüber hinaus auch keinen Auslauf, so steigert sich die Rechtswidrigkeit in Tierquälerei hinein.

Dies alles ignorierend hat der Regierungsrat nur obige Feststellung auf Seite 19 des Gutachtens gewürdigt und diese - unter gezielter Ignorierung der vorausgehenden und nachfolgenden Feststellungen, insbesondere unter Nichtbeachtung der von Niggli auf Seite 12 gegebenen Definition der "dauernden Anbindehaltung" - dahingehend falsch interpretiert, die Anbindehaltung sei ja nach Niggli nur verboten, wenn ein Pferd ohne jeden Auslauf angebunden gehalten wird, der VgT habe das Gutachten falsch verstanden.


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