"Kassensturz" vom 14. Januar 2006:
Gefährlich: Antibiotikaresistente Keime im
Stall
Noch
immer setzen Bauern bei Euterentzündungen Antibiotika ein. Die Milch der
kranken Kühe verfüttern sie an die Kälber. So werden die Ställe
zunehmend mit antibiotikaresistenten Keimen belastet.
Fachleute schätzen, dass jede vierte Kuh einmal im
Jahr eine Euterentzündung hat. Für das Tier ist dies schmerzhaft, für
den Bauern ein finanzieller Verlust. Darum verschreiben Tierärzte zur
Behandlung von Euterentzündungen Antibiotika. Die meisten spritzen das
Antibiotikum direkt ins Euter. Auf diese Weise werden in der Schweiz
jährlich vier Tonnen Antibiotika eingesetzt.
Doch was geschieht mit den Antibiotika im Euter? Zwei Drittel werden
wieder ausgeschieden, vor allem mit der Milch. Fachleute errechneten für
die Schweiz jedes Jahr die enorme Menge von 87 Millionen Litern
antibiotikahaltiger Milch. Die meisten Bauern verfüttern sie ihren
Kälbern. Die neue Arzneimittelverordnung erlaubt dies ausdrücklich. „Es
gibt welche, die leeren die Milch weg, aber ich habe keine Bedenken und
werde dies weiterhin tun“, sagt der Glarner Bauer Walter Schnyder. In
der Milch seien keine Antibiotika-Rückstände zu befürchten. Seine Milch
werde streng kontrolliert, und auch das Fleisch der Kälber sei
unbedenklich, sagt Schnyder. Walter Schnyder muss das Vertränken der
antibiotikahaltigen Milch wie eine direkte Antibiotikabehandlung
protokollieren. Geschlachtet werden dürfen die Tiere erst nach einer
Sicherheitsfrist.
Doch vom Antibiotika-Einsatz geht eine andere Gefahr aus, nämlich die
Bildung von Resistenzen. Darum ist das Verfüttern von
antibiotikahaltiger Milch bedenklich, sagt Melchior Schällibaum,
Professor für Veterinär-Bakteriologie an der Forschungsanstalt Agroscope
in Bern. In seiner bisher unveröffentlichten Studie warnt er vor der
Verfütterung von Antibiotikamilch. „Die Haupterkenntnis ist klar, dass
es innerhalb von kurzer Zeit zu einer Anreicherung von resistenten
Keimen kommt. Und es besteht das Risiko, dass solche resistenten Keime
den Weg in die Milch finden.“ Grund: Über die Ausscheidung der Kälber
gelangen die resistenten Bakterien in den Stall und von da in die Milch
und in den Käse. Ideale Bedingungen zur Vermehrung haben die Bakterien,
wenn Rohmilch zu Käse verarbeitet wird. In jedem Bissen Rohmilchkäse
sind tausende antibiotikaresistenter Keime. Ihre Resistenzen könnten sie
auf den Menschen übertragen. Die Folge: Bakterielle Infektionen werden
immer schwieriger zu behandeln.
Seit Jahren setzt sich ETH-Professor Michael Teuber für weniger
keimbelastete Nahrungsmittel ein. Doch er muss erkennen: Die
Resistenzlage bei Rohmilchkäse hat sich nicht verbessert. „Die
Landwirtschaft ist eine wichtige Schiene. Etwa die Hälfte der
Antibiotika werden hier eingesetzt. Die Mediziner machen Klimmzüge,
damit sie das Problem der Antibiotikaresistenzen in den Griff kriegen.
Es kann nicht sein, dass nun resistente Keime über die Landwirtschaft
zum Menschen gelangen, sonst sind alle Anstrengungen umsonst. Das
Problem muss auf allen Ebenen angegangen werden.“
Das heisst: Bei Menschen und Tieren auf Antibiotika verzichten, wo immer
es nur geht. In der Schweiz sind Antibiotika für die Aufzucht von Tieren
seit sechs Jahren verboten. Wo sie aber medizinisch notwenig sind,
kontrolliert der Staat seit zwei Jahren detailliert. Eine Ideallösung
für die Antibiotikamilch gebe es nicht, sagt Josef Schmid vom Bundesamt
für Veterinärwesen. Verfüttern sei das kleinste Übel: "Ich sehe das
Risiko als sehr gering an, dass resistente Keime zum Konsumenten
gelangen. Aber ich kann das nicht 100-prozentig ausschliessen." Die
Antibiotikamilch in die Gülle zu schütten, würde das Problem nur
verlagern. Sie als Sondermüll zu verbrennen, wäre zu teuer. Für einen
effektiven Schutz vor resistenten Bakterien ist eine bessere Lösung als
die Verfütterung nötig. "Man könnte die Milch anders verwerten, zum
Beispiel das Kasein herausnehmen für Schmierstoffe. Aber man sollte die
Milch auf keinen Fall in die Fütterung geben", sagt ETH-Professor
Teuber.
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