WOZ vom 16. März 2006Vogelgrippe
Das Virus gedeiht in den Hühnerfabriken
Von Grain
(Die internationale Organisation Grain
mit Sitz in Barcelona setzt sich ein für eine nachhaltige Nutzung
landwirtschaftlicher Ressourcen. Der vollständige, englische Text mit
zahlreichen Quellenangaben findet sich unter
www.grain.org/go/birdflu. Übersetzung und Bearbeitung: WOZ.)
Nicht Zugvögel tragen das H5N1-Virus über die Welt,
sondern die Geflügelindustrie. Statt den armen HühnerhalterInnen das Leben
schwer zu machen, müssten gerade sie gefördert werden. Doch die
internationalen Organisationen fordern eine weitere Industrialisierung der
Geflügelhaltung.
Die typischen Vogelgrippebilder: Männer in weissen
Schutzanzügen und Schutzmasken jagen Hühner ... lebende Hühner auf bunten
Märkten ... Wildvögel. Kaum ein Bild, das eine grosse Geflügelfabrik zeigt, in
der die Vogelgrippe ausgebrochen ist. Die Botschaft der Medienbilder ist
eindeutig: Vogelgrippe ist ein Problem der Zugvögel und der
Freilandgeflügelhaltung.
Die Vogelgrippe ist nichts Neues. Seit Jahrhunderten leben
Wildvögel und LandwirtInnen mit dieser Krankheit. Die neue, hoch ansteckende,
tödliche Virusvariante H5N1, die in den vergangenen zehn Jahren weltweit Vögel
und Menschen tötete, steht jedoch in der Geschichte beispiellos da - genauso
beispiellos wie die moderne internationale Geflügelindustrie.
In Asien wurde die Geflügelindustrie in den vergangenen zehn
Jahren fundamental umgestaltet. Thailand, Indonesien und Vietnam - wo bislang
die meisten Vogelgrippefälle aufgetreten sind - haben ihre Geflügelproduktion
in den vergangenen dreissig Jahren verachtfacht und produzierten 2001 2,4
Millionen Tonnen Pouletfleisch; die chinesische Produktion hat sich in den
1990er Jahren verdreifacht und liefert jährlich über 9 Millionen Tonnen. Das
Hühnerfleisch stammt fast ausschliesslich aus Mastfabriken, die in der Nähe
grosser Städte liegen und Konzernen gehören. Für Viren sind diese Tierfabriken
der ideale Nährboden, um von einem harmlosen Krankheitserreger zu einem
tödlichen Virus zu mutieren - wie dies bei H5N1 geschehen ist.
Doch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die
Uno-Landwirtschaftsorganisation (FAO) und die nationalen Behörden beschäftigen
sich in ihren Strategiepapieren kaum mit der Rolle der industriellen
Geflügelzucht. Stattdessen werden die «Hinterhoffarmen» ins Visier genommen,
da angeblich die freilaufenden Hühner eine grosse Gefahr darstellen.
Gleichzeitig versuchen die Geflügelkonzerne die Krise zu nutzen, um ihre
kleinen KonkurrentInnen los zu werden. «Die Zugvögel können wir nicht
kontrollieren», sagte beispielsweise Margaret Say, Südostasiendirektorin der
US-Organisation Poultry and Egg Export Council, «aber wir können mindestens
versuchen, so viele der Hinterhoffarmen wie möglich zu schliessen.»
Die Hinterhofhühner sind für die Kleinbauern nicht einfach ein
Hobby. Das Geflügel liefert der armen Landbevölkerung das nötige Eiweiss - und
garantiert Millionen ein kleines, aber sicheres Einkommen. In Asien halten
fast alle ländlichen Haushalte Hühner, andere Tiere können sie sich nicht
leisten. Die FAO weiss das: Vor der Vogelgrippekrise betonte sie, wie wichtig
die Geflügelhaltung für die arme Bevölkerung sei, und unterhielt entsprechende
Förderprogramme. Seit H5N1 Westeuropa bedroht, spricht die FAO fast nur noch
von den Risiken der kleinbäuerlichen Geflügelhaltung. Dabei ist diese Form der
Haltung nicht das Problem: Sie wäre die Lösung.
Das Ende der Kleinen
Die artgerechte Freilandhaltung ist unter Beschuss geraten. Es
wird argumentiert: Diese Hühner wandern herum, kommen in Kontakt mit
Wildvögeln, die das Vogelgrippevirus tragen könnten - dadurch steigt das
Risiko, dass die Tiere und über sie die Menschen angesteckt werden. Die
Freilandhühner wirkten wie ein Labor für das Virus, wo dieses mutieren kann,
bis es irgendwann so weit ist, nicht nur Menschen zu befallen, sondern von
Mensch zu Mensch zu überspringen. Damit könnte die Pandemie ausbrechen. Fast
alle Massnahmen gegen die Vogelgrippe - auch in der Schweiz - zielen deshalb
darauf ab, den Kontakt von Geflügel und Wildvögeln (namentlich Zugvögeln)
vollständig zu vermeiden.
Für die kleinen GeflügelhalterInnen in armen Ländern sind die
geforderten Schutzmassnahmen kaum praktikabel, da sie zu teuer sind. In
Südostasien sollten die BäuerInnen ihre Tiere unter engmaschigen Netzen oder
Bambus einsperren. Das kostet zwischen fünfzig und siebzig Dollar. BäuerInnen,
die pro Tag weniger als einen Dollar verdienen, können dieses Geld niemals
aufbringen. In Thailand führte die Einsperrpflicht dazu, dass zwischen 1000
und 2000 BäuerInnen inzwischen kein Geflügel mehr halten. Selbst in der
Schweiz haben bereits einige BiobäuerInnen die Hühnerhaltung aufgegeben, weil
ihnen der Aufwand und die Kosten zu hoch waren. Zudem droht den BiobäuerInnen,
dass sie künftig ihre Poulets oder Eier nicht mehr unter dem Label «Freiland»
verkaufen dürfen, was spürbare Einkommenseinbussen mit sich bringen wird.
«Die Zugvögel haben in verschiedenen Ländern und Regionen
gleichzeitig Vogelgrippeausbrüche ausgelöst», schrieb die FAO im November
2005. Doch: Es gibt kaum Beweise, die belegen, dass wirklich Zugvögel das
H5N1-Virus transportiert haben. Selbst die FAO musste im November einräumen:
«Trotz umfangreicher Tests konnte in den betroffenen Ländern unter den
klinisch normalen Zugvögeln kein H5N1 nachgewiesen werden.» Alle weltweit
positiv getesteten Wildvögel wurden tot und - in den allermeisten Fällen - in
der Nähe von Geflügelfarmen gefunden. Die jüngsten Fälle von H5N1-infizierten
Wildvögeln, die man in Europa diagnostizierte, haben sich vermutlich in der
Schwarzmeerregion angesteckt, wo das Virus unter dem Geflügel bereits weit
verbreitet ist. Die Wildvögel flüchteten wahrscheinlich vor der
aussergewöhnlichen Kältewelle nach Westen und starben dann.
Das bekannteste Beispiel für ein Massensterben unter
Wildvögeln ist der H5N1-Ausbruch am nordchinesischen Qinghai-See, wo
zahlreiche Gänse verendeten. Eine oft gehörte Theorie besagt, die Wildvögel
hätten danach das Virus nach Kasachstan, Russland und sogar in die Türkei
getragen. Die internationale Vogelschutzorganisation BirdLife weist jedoch
darauf hin, dass es rund um den Qinghai-See viele Geflügelfarmen gibt. Nach
Angaben von BirdLife hat die FAO geholfen, eine Fischfarm aufzubauen, wobei es
üblich sei, den Hühnerkot aus den Geflügelfarmen als Fischfutter zu nutzen.
Die Gänse könnten also - via Hühnerkot - von den Farmen angesteckt worden
sein.
Im Übrigen verläuft, so BirdLife, keine Vogelzugroute vom
Qinghai-See nach Osteuropa. Dafür führen zahlreiche Strassen und
Eisenbahnlinien vom See weg in Gebiete, in denen die Tierseuche inzwischen
auch ausgebrochen ist. Daraus folgert Richard Thomas von BirdLife: «Die
Ausbreitung der Vogelgrippe folgt also vielmehr den wichtigsten
Verkehrsverbindungen und nicht den Zugvogelrouten. Wenn es wirklich die
Zugvögel gewesen wären, lässt sich auch nicht erklären, weshalb es weder in
Afrika noch in Südasien oder Australien im grossen Stil zu Ausbrüchen gekommen
ist.» Und warum gibt es bislang praktisch keine H5N1-Fälle auf den
Philippinen, in Burma oder in Laos, obwohl diese Länder von Vogelgrippeländern
umgeben sind? In Nigeria, wo das Virus im Februar 2006 nachgewiesen wurde,
befand sich der Herd nicht in der Nähe von Feuchtgebieten, die von Zugvögeln
aufgesucht werden, sondern in einer Grossfarm. Nigerianische Geflügelfarmen
importieren Bruteier aus dem Ausland, unter anderem aus der
vogelgrippebefallenen Türkei.
Andere Ausbreitungspfade
Selbst wenn Zugvögel das Virus transportieren können: Es gibt
andere, wichtigere Ausbreitungspfade, die man überwachen sollte. Auf jeden
Fall ist die Zugvogeltheorie zu wacklig, als dass sich damit die
Einstallungspflicht rechfertigen liesse.
Die Vogelschutzorganisationen gehen davon aus, dass es genau
anders herum ist: Nicht die Wildvögel verbreiten H5N1, sie sind vielmehr sein
Opfer. Wildvögel können - das ist hinlänglich bekannt - Träger eines milderen
Grippevirustyps sein. Kommt das Geflügel in den überfüllten, riesigen Anlagen
mit diesem Virus in Kontakt, mutiert es vermutlich zur gefährlichen, hoch
ansteckenden Form H5N1 - das auf andere Spezies überspringt. Es kehrt danach
zu den Wildvögeln zurück, die dann ebenfalls daran sterben, weil ihr
Immunsys-tem dagegen nicht gerüstet ist. H5N1 ist ein Geflügelvirus, das auch
Wildvögel tötet - und nicht umgekehrt.
Dasselbe gilt auch für das kleinbäuerliche Geflügel. Wenn
diese Tiere strikt getrennt von industriellen Betrieben gehalten werden,
scheint das Virus auszusterben oder an Gefährlichkeit zu verlieren.
Problematisch sind demnach nicht die kleinen Betriebe, sondern
die Beziehungen der Kleinbetriebe zur Geflügelindustrie. Diese Beziehungen
sind oft eng: KleinbäuerInnen kaufen Futter und eintägige Küken bei den
Geflügelkonzernen, teilen mit diesen die Märkte und oft auch die
tierärztlichen Dienste. So kann das Virus von der Grossfarm zu den Kleinen
verschleppt werden und umgekehrt.
In Laos, wo es im Gegensatz zu den Nachbarländern Thailand
oder Vietnam bislang nur wenige Vogelgrippefälle gegeben hat, sind die
industriellen und kleinbäuerlichen Betriebe weitgehend voneinander getrennt.
Weniger als zehn Prozent der laotischen Geflügelproduktion stammt aus
Industriebetrieben; KleinbäuerInnen verwenden Küken, die sie selbst gezüchtet
haben. Mit Ausnahme der Hauptstadt wird Geflügel lokal produziert und
konsumiert. Wären frei herumlaufende Hühner wirklich das Problem, müsste Laos
stark vogelgrippeverseucht sein. Es wurden jedoch - gemäss einem Bericht des
US-Departements für Landwirtschaft - bis März 2005 nur 45 Fälle festgestellt,
42 davon in grossen Betrieben.
Das Beispiel Laos zeigt, dass die richtige Massnahme gegen die
Vogelgrippe eine strikte Abgrenzung zwischen Klein- und Massenbetrieben wäre.
In Ländern wie Thailand oder China ist eine solche Trennung aber kaum
praktikabel, sind doch die beiden Bereiche zu eng miteinander verflochten. Man
müsste Aufzucht wie Versorgung der Kleinbetriebe völlig neu organisieren - der
Trend läuft jedoch genau in entgegengesetzter Richtung (vgl. unten «Die FAO
und das Geflügel»).
Das globalisierte Geflügel
Im September 2004 meldeten die kambodschanischen Behörden
einen weiteren Vogelgrippefall. Die Quelle konnte eruiert werden: Das Virus
wurde über Küken aus einer Farm des thailändischen Unternehmens Charoen
Pokphand (CP) - des grössten asiatischen Geflügel- und
Geflügelfutterherstellers - eingeschleppt . CP stritt den kambodschanischen Befund ab, doch auch in Laos
und Burma konnte belegt werden, dass die Vogelgrippe ausbrach, nachdem Küken
aus Thailand importiert worden waren.
In vielen Fällen, in denen die Vogelgrippe in Asien auftrat,
war CP involviert. Doch es kann nicht darum gehen, CP als alleinige
Verantwortliche der H5N1-Krise darzustellen. Das Problem liegt vielmehr im
System. Die internationale Geflügelproduktion entzieht sich jeder Kontrolle.
Die Ukraine, die ebenfalls stark von der Vogelgrippe betroffen ist, hat
beispielsweise 2004 zwölf Millionen Küken importiert. Die türkische Firma
Hastavuk gilt als Europas zweit-grösste Bruteierproduzentin. Jährlich stellt
das Unternehmen hundert Millionen Eier bereit und exportiert einen Grossteil
nach Osteuropa und in den Nahen Osten. Es ist bekannt, dass die Vogelgrippe
oft über Bruteier verschleppt wird. Trotzdem wird weder der Handel mit Hühnern
noch der mit Eiern wirksam kontrolliert.
Auch der Binnenhandel in den einzelnen Ländern wird kaum
überwacht. Als der erste Vogelgrippefall in einem entlegenen Dorf in der
Osttürkei auftrat, schrieben die Medien sofort über die Zugvögel. Später
erzählten die DorfbewohnerInnen ihre Version der Geschichte: Regelmässig
schicke eine Geflügelfarm ganze Lastwagenladungen alter Hühner ins Dorf, um
sie auf dem lokalen Markt zu Discountpreisen zu verkaufen. Das hatte die Farm
auch wenige Wochen vor Bekanntwerden des ersten Vogelgrippefalls getan. Selbst
die FAO schreibt, H5N1 sei in der Türkei über den Geflügelhandel verbreitet
worden; sie weist speziell auf die Praxis der Fabrikfarmen hin, in grossen
Mengen minderwertiges Geflügel an arme Bauern abzusetzen.
Ein anderer gravierender Faktor ist der weltweite Handel mit
Geflügelfutter, der von wenigen Firmen dominiert wird. Das Futter ist oft von
minderer Qualität und enthält so genannten «Hühnerabfall». Oft finden sich
darin Kot, Federn oder Einstreu. Auch Hühnerfleisch wird zu Futter
verarbeitet. Laut WHO kann das H5N1-Virus bis zu 35 Tage in Hühnerkot
überleben. Deshalb vermutet die WHO inzwischen, das Virus könnte über das
Hühnerfutter weiterverbreitet werden. Die russischen Behörden gehen ebenfalls
davon aus, dass das Virus übers Futter in die Provinz Kurgan kam, wo man im
Herbst 2005 nach einem H5N1-Ausbruch in einer Hühnerfabrik 460 000 Tiere töten
musste. Bislang wurde aber nichts unternommen, um die Futterindustrie schärfer
zu überwachen.
Ausbrüche verschwiegen
In Thailand verschwiegen die Geflügelindustrie wie die
Regierung die ersten Vogelgrippeausbrüche und gaben sie erst im Januar 2005
aufgrund öffentlichen Drucks zu. Offensichtlich nutzte die Industrie die Zeit,
um ihre Anlagen zu räumen. Angestellte der Centaco-Farm nahe Bangkok
erzählten, sie seien dazu angehalten worden, Überstunden zu leisten und mehr
Hühner pro Tag zu töten als üblich. Darunter waren viele kranke Tiere. «Wir
wussten nicht, woran die Hühner litten, aber wir begriffen, dass sich das
Management beeilte, einer veterinärmedizinischen Inspektion zuvorzukommen.»
In der Ukraine hat es die Regierung auf Anraten der Industrie
abgelehnt, auf der Krim - wo die ersten Vogelgrippefälle im September 2005
auftraten - Quarantänemassnahmen zu verhängen. Man hatte befürchtet, der
Export würde einbrechen. Als dann aus der Krim immer mehr Berichte über
erkrankte Vögel eintrafen und der Ausbruch nicht länger ignoriert werden
konnte, betonte die Regierung, die Vogelgrippe betreffe nur kleinbäuerliche
Betriebe. Kurz darauf musste sie jedoch zugeben, dass drei Geflügelfabriken
betroffen waren.
2004 trat die Vogelgrippe in mehreren ultramodernen
Geflügelfabriken in Japan auf. Eine der Farmen versucht es zu verheimlichen,
indem sie sofort alle Hühner schlachtete; die Regierung erfuhr nur dank einem
anonymen Hinweis davon.
Die Industrie und die Pandemie
Schon vor der Vogelgrippekrise war die industrielle
Geflügelzucht ein ökologisches und sozioökonomisches Desaster. Es gelang
dieser Industrie, zunehmend in Entwicklungsländer zu expandieren. Die Firmen
externalisieren ihre Kosten und beuten durch ihre Monopolstellung Angestellte
wie KontraktproduzentInnen aus. Die lokale Bevölkerung trägt die Kosten und
das Risiko, die Profite gehen woanders hin; der Grossteil des produzierten
Geflügelfleisches wird in die wohlhabenderen Länder exportiert.
Die Vogelgrippe ist - wie seinerzeit BSE - nur ein weiterer
Skandal der transnationalen Lebensmittelindustrie. Dass die Geflügelindustrie
nun versucht, die Vogelgrippe als Mittel zu nutzen, um die KleinbäuerInnen
auszuschalten, ist beschämend. Adirek Sripratak, ein Topkader des
thailändischen Geflügelkonzerns CP, sagt: «Die thailändische Geflügelindustrie
wird von der Krise längerfristig profitieren, und die Massnahmen werden
helfen, ihre gegenwärtigen Probleme zu lösen.»
Er könnte Recht behalten. Die FAO, die genau weiss, wie
wichtig das Geflügel für die arme Landbevölkerung ist, ist zur Komplizin der
Geflügelindustrie geworden. Sie hat wenig getan, um die kleinbäuerliche Zucht
vor Anschuldigungen zu schützen, die jeglicher Grundlage entbehren. Schlimmer
noch: Sie hat mit schwachen Beweisen die Vorstellung gefördert, die
unkontrollierbaren Hinterhoffarmen seien das Problem.
Es geht nicht um Kleinigkeiten. H5N1 ist real, und die Furcht
vor einer Pandemie, die laut WHO bis zu 150 Millionen Menschen töten könnte,
ebenfalls. Doch wenn man die Rolle der Geflügelindustrie weiterhin ausblendet
und an der offiziellen Theorie festhält - wonach Wildvögel und
Hinterhofgeflügelhalter die Grippe weiter verbreiten -, öffnet man der
Pandemie erst die Türen.
Immerhin hat sich die FAO in den vergangenen Monaten ein wenig
bewegt und signalisiert, auch die Rolle der Geflügelindustrie in ihre Analysen
einzubeziehen. «Es ist sehr einfach, die wilden Zugvögel zu bezichtigen, denn
für die ist niemand verantwortlich. Es ist möglich, dass Wildvögel das Virus
übertragen, doch es waren menschliche Aktivitäten, die die Krankheit
verbreitet haben», konstatierte FAO-Vertreter Juan Lubroth im Januar an einer
Pressekonferenz. Dennoch wird bei Weitem nicht genug getan, um diese
«menschlichen Aktivitäten» genauer zu untersuchen oder auch nur zu benennen.
*
Die FAO und das Geflügel
Grain/Susan Boos
Bevor die Vogelgrippe ausbrach, förderte die
Welternährungsorganisation die kleinbäuerliche Geflügelhaltung, da sie vor
allem der armen Landbevölkerung das Überleben sichert. Das hat sich inzwischen
geändert. Auf der ersten Seite des Berichts «Globale Strategie für eine
fortschrittliche Kontrolle der Vogelgrippe», den die FAO zusammen mit der
Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) herausgegeben hat, steht: «Es wird
immer klarer, dass sich viele Infektionsherde in den Entwicklungsländern
befinden, insbesondere unter der armen Landbevölkerung. Sie stellen für den
Tiersektor eine ernsthafte Gefahr dar. Dieser Sektor sieht sich einem schnell
wachsenden Bedarf nach tierischen Proteinen gegenüber, da die Urbanisierung
steigt, die Bevölkerung über ein höheres Einkommen verfügt und von einer
stärke- auf proteinbasierte Ernährung umstellt. Diese Entwicklung bietet eine
gute Gelegenheit, um vor allem in den ländlichen Gebieten das
Wirtschaftswachstum zu fördern.» Unter Restrukturierung versteht die FAO
konkret: konzentrierte Märkte mit weniger, aber grösseren ProduzentInnen;
Geflügelproduktionszonen mit moderner Infrastruktur; Geflügelhaltung nur noch
in geschlossenen Anlagen; weniger KleinproduzentInnen et cetera. Für die
kleinen Geflügelfarmen in den Entwicklungsländern wäre dies das Ende. Allein
in Vietnam würde, wie die FAO zugibt, die Errichtung von «Produktionszonen»
das Einkommen von einer Million KleinbäuerInnen vernichten. Dennoch scheinen
die meisten Regierungen diese Restrukturierungsmassnahmen zu begrüssen.
Frühere FAO-Stellungnahmen wiesen in eine andere Richtung.
«Die hauptsächlichen Profiteure des steigenden Fleischkonsums in Asien sind
grosse, städtische, kapitalstarke ProduzentInnen sowie städtische Mittel- und
OberschichtkonsumentInnen. Die überwiegende Mehrheit der Armen hat nichts
davon», schrieb FAO-Vertreter Hans Wagner noch vor vier Jahren. Aber die
Interessen der Armen scheinen inzwischen keine Rolle mehr zu spielen.
Die Hühnerrevolution Susan Boos
Vergleichbar mit der Grünen Revolution in der Landwirtschaft der 1960er
Jahre fand in den letzten zehn, zwanzig Jahren eine «livestock revolution» -
eine Zuchtviehrevolution - statt. Das Geflügel ist besonders davon
betroffen, da Legehennen wie Masthühner unglaubliche Leistungen erbringen
müssen. Eine Legehenne sollte in einem Jahr 320 Eier legen; alte
Hühnerrassen schaffen etwa die Hälfte. Masthühner sollten innert vierzig
Tagen schlachtreif sein. Dies ist nur möglich, weil vier Konzerne sich
darauf spezialisiert haben, Hochleistungstiere zu züchten. Diese Konzerne
beliefern sämtliche Hühnerfabriken der Welt mit ihren Tieren. Gleichzeitig verdrängen vertikal integrierte Grossunternehmen
sukzessive die lokalen Produktionssysteme: Sie beliefern die BäuerInnen mit
Hühnerfutter, mit Küken - und nehmen ihnen auch die Endprodukte wieder ab.
Womit die GeflügelhalterInnen vollständig von diesen Konzernen abhängig
werden. Zudem sind inzwischen viele lokale Hühnerrassen vom Aussterben
bedroht. Diese Rassen wären besonders in armen Regionen einfacher zu halten,
sind sie doch klimatisch angepasst und weniger krankheitsanfällig. Wenn nun
wegen der Vogelgrippe letzte lokale Bestände getötet werden, droht ihr
genetisches Erbe für immer verloren zu gehen. Am Ende werden alle Hühner der
Welt praktisch dasselbe Erbgut haben.
Der asiatische Poulet-Tycoon Susan Boos
Der Thailänder Dhanin Chearavanont ist der Geflügel-Tycoon Asiens. Sein
Unternehmen Charoen Pokphand (CP) gilt inzwischen als mächtigster Konzern
Thailands, er hat Niederlassungen in über zwanzig Ländern und dominiert
neben dem Saatgutsektor die Telekommunikationsbranche, die Petrochemie sowie
den Grosshandel und gilt als viertgrösster Geflügelexporteur der Welt. Die
Firma wurde in den 1970er Jahren gross, weil Chearavanont schon damals auf
die intensive Tierhaltung setzte.
CP ist ein typisches vertikal integriertes Unternehmen: Es hat allein in
Thailand 10 000 Geflügelhalter-Innen unter Vertrag, beliefert sie mit
Jungtieren und Futter und verkauft am Ende das Hühnerfleisch. In China ist
CP der grösste Lieferant für Zuchtküken. In Vietnam kontrolliert das
Unternehmen die Hälfte des industriellen Geflügelsektors. In vielen Fällen,
wo die Vogelgrippe in Asien auftrat, war CP involviert. So in Kambodscha
(vgl. obenstehenden Text), aber auch in Vietnam, wo im Februar 2004 sogar
die Armee aufgeboten wurde, um in einer CP-Farm 117 000 infizierte Tiere zu
töten. Inzwischen ist CP auch in der Türkei präsent und kontrolliert zwölf
Prozent der dortigen Geflügelproduktion. CP erhofft sich, via die Türkei den
europäischen Markt zu erschliessen.
Die Tierindustrie in Zahlen
Hühnerfleisch: Die USA produzieren weltweit am meisten Pouletfleisch
(15,6 Millionen Tonnen), gefolgt von China (8,8), Brasilien (8,6), Mexiko
und Indien.
Eier: China ist der grösste Eierproduzent (24 Millionen Tonnen),
gefolgt von den USA (5,2), Japan (2,5), Russland und Mexiko.
Rindfleisch: Weltleader sind die USA (11 Millionen Tonnen), vor
Brasilien (7,8), China (6,2), Argentinien und Australien.
Schweinefleisch: China steht mit Abstand an der Spitze (46,9
Millionen Tonnen), dahinter folgen die USA (8,9), Deutschland (4,2), Spanien
und Brasilien.
Quelle: FAO-Statistiken, 2004
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