29. Juni 2006

Ausgewählte Referate der 10. Nutztiertagung des STS vom 29. Juni 2006:

Eingriffe an Nutztieren

 

Einleitungsreferat von Dr. H.U. Huber, STS

Gewisse Eingriffe an Nutztieren, etwa das Kastrieren oder das Einsetzen von Nasenringen, haben eine jahrtausendelange Tradition. Andere, wie das Schwanzcoupieren und das Zähneabklemmen bei Ferkeln oder das Coupieren von Hühnerschnäbeln scheinen eher eine Konsequenz der in-tensiven Tierproduktion der Neuzeit zu sein. Die in ihrer einseitigen Aus-richtung all jene Tierbedürfnisse, die nicht offensichtlich die Milch-, Fleisch- oder Eierproduktion gefährdeten, weitestgehend negierte.

Statt die Haltungsbedingungen den Tieren anzupassen, hat man jahr-zehntelang die Tiere, die in der unnatürlichen, restriktiven Umgebung nicht richtig funktionierten, zurechtgestutzt, meist auf schmerzhafte Weise. Das gilt übrigens auch für gewisse Freilandhaltungen. Z.B. das Einsetzen von Nasenringen oder Rüsselklammern zur Vermeidung des Wühlens. Eine tierschützerisch absolut abzulehnende Praxis! Oder das Coupieren von Vogelflügeln (nicht Federcoupieren), z.B. in Tierparks.

Es gibt Eingriffe, die sind nach aktuellem Wissensstand nicht oder kaum schmerzhaft, verletzten aber meines Erachtens die heute gesetzlich vor-geschriebene Würde beim Tier. Beispielsweise das übermässige Trim-men und Toupieren von Tieren für Ausstellungen. Solche Eingriffe sind nicht Gegenstand dieser Tagung. Heute geht es um Eingriffe, die mit erheblichen oder starken Schmerzen und Leiden bei unseren Nutztieren verbunden sind.

Schmerz ist im Leben eines Tieres nicht zu vermeiden. Als überlegene Wesen, welche die Tiere nutzen, wäre es aber unsere Pflicht, Tieren unnötige Schmerzen und Leiden zu ersparen. Schmerzen sollten also aus ethischen Gründen gelindert oder vermieden werden. Aber auch weil anhaltende Schmerzen sich negativ auf die Gesundheit, Überlebensrate und Leistung auswirken.

Allerdings sind Schmerz bei Tieren für den Nichtfachmann oft schwer zu erkennen. Er wird individuell empfunden und ist damit subjektiv. Zwei Menschen oder zwei Tiere der gleichen Art können unter Umständen den gleichen Schmerzreiz unterschiedlich empfinden. Trotzdem sind Schlüsse von einem Menschen auf einen anderen, von einem Tier auf ein anderes aber auch vom Mensch zum Tier sinnvoll. Denn letztendlich ähneln sich die zugrundeliegenden anatomischen und physiologischen Mechanismen stark.

Es gibt in der Veterinärmedizin objektive Klassifizierung-Schematas zur Beurteilung des Schmerzgrades bei Tieren. Wenn also Tierärzte und Wissenschaftler über Schmerzen bei Tieren urteilen, hat das Hand und Fuss, ist überprüfbar und nicht -wie manchmal unterstellt wird- eine sub-jektive, emotionale und damit unbeweisbare Meinung eines Einzelnen.

An dieser Stelle sei auch mit einigen möglicherweise noch vorhandenen Missverständnissen aufgeräumt. Zweifelte man im 19. Jahrhundert noch an der Schmerzfähigkeit von Kleinkindern, so behaupteten gewisse Krei-se bis Ende des 20. Jahrhunderts standhaft und durch keinerlei Fachwis-sen getrübt, dass Jungtiere keine oder weniger Schmerzen empfänden. Diese Ansicht, meine Daen und Herren, ist längst wissenschaftlich wi-derlegt.

Ja, es gibt mittlerweile starke Anzeichen dafür, dass nicht nur Säugetiere und Vögel sondern auch sogenannt "niedrige" Tiere Schmerzempfinden besitzen. Ob es sich um Hummer handelt, die in Edelrestaurants auf Eis gelagert und dann ins kochende Wasser getaucht oder um Tintenfische, die qualvoll getötet werden. Sie alle dürften auf ihre Art Schmerzen empfinden.

Es ist hier wie im übrigen Leben: Sucht man nicht oder an der falschen Stelle, findet man auch nichts. Das ist in der Forschung so und beim Dällenbach-Kari, der nachts seinen Hausschlüssel nicht da sucht, wo er ihn verloren hat, sondern da, wo es hell ist.

Mittlerweile haben Gesetzgeber und Behörden in der Schweiz die meis-ten schmerzhaften Eingriffe auch an Nutztieren verboten oder lassen sie nur mehr unter Schmerzausschaltung zu. Das ist ein grosser Fortschritt im Mensch-Tierverhältnis. Umso mehr als selbst in der EU ein Grossteil der bei uns verbotenen Eingriffe noch immer zulässig ist. Es liegt nun an den CH-Bauern dieses Argument in der Kommunikation mit den Steuer-zahlern und Konsumenten auszuloben.

Für diese restriktive Handhabung von Eingriffen an Tieren haben wir Tierschützer lange gekämpft. Unser Dank gilt jetzt all jenen Tierhaltern und Tierärzten, Wissenschaftlern, Politikern und Behördenvertreter, die ihren Beitrag zu diesen tierschützerischen Verbesserungen leisteten. Und noch leisten müssen. Denn jetzt steht vieles erst auf dem Papier, es gibt Anfangsschwierigkeiten aber auch Ungereimtes.

Ob und wieweit die Tiere heute schon profitieren von den neuen Vor-schriften, wollen wir heute erfahren. Der Umsetzungsprozess hat erst eingesetzt. Mit Problemen ist also zu rechnen. So sind uns beispiels-weise Fälle zugetragen worden von tödlich geendeten Gitzi-und anderen Kastrationen unter Schmerzausschaltung. Offenbar nicht nur von Laien sondern auch von Tierärzten verursacht.

Sind die empfohlenen resp. vorgeschriebenen Methoden zur Schmerz-ausschaltung wirksam und durchführbar? Werden sie korrekt durch-geführt? Wie schmerz- und leidvoll sind die Begleitmassnahmen der Eingriffe samt Schmerzausschaltung, z.B. die Fixation von Lämmern zur Kastration? Werden Tieren vor dem Eingriff geängstigt und gestresst, dürften sie bei einem schmerzhaften Eingriff stärkeren Schmerz em-pfinden, als Tiere ohne Angst.

Wie steht es mit der Schmerzlinderung nach dem Eingriff? So dürfen z.B. Hühnerschnäbel nicht mehr ohne Schmerzausschaltung coupiert werden (touchiert schon). Aber: Die Wissenschaft hat gezeigt, dass coupierte Schnäbel Hühnern auch im späteren Leben z.B. beim Picken noch Schmerzen zufügen können,. Selbst das Phänomen der sogenann-ten Phantomschmerzen wurde in den 80er Jahren an schnabelcoupier-ten Hühnern von der ETH/Z nachgewiesen.

Wie stark schlagen Mehrarbeit und Mehrkosten für die Tierhalter zu Buche? Z.B. Das Kastrieren von Lämmern mit Schmerzausschaltung durch einen Tierarzt erhöht die Direktkosten um rund 10%. Lassen sich diese am Markt abgelten? Um beim Beispiel Schafe zu bleiben: M.E. unter der Annahme, dass kommunikationsmässig derart wenig für CH-Schaffleisch gemacht wird, eher Nein.

Wie und wer kontrolliert, ob bei Eingriffen tatsächlich die Schmerzen ausgeschaltet wurden oder ob ein leeres "Gütterli" im Medischrank und sauber geführte Inventar- und Behandlungslisten den Behörden und QM-CH-Fleisch schon reichen als Beleg für die Schmerzausschaltung?

Und eine tierschützerisch wie fürs Management und die Kosten gleich relevante Frage : Gibt es Möglichkeiten, überhaupt auf gewisse Eingriffe zu verzichten?

Die heutige Tagung soll diesen Fragen nachgehen. Es ist der Wunsch des Schweizer Tierschutz STS, dass diese Tagung einen wenigstens kleinen Beitrag leisten soll bei diesem schwierigen Umsetzungsprozess.

 

Eingriffe an Nutztieren aus ethischer Sicht

Referat von Prof. i. R. Dr. Engelhard Boehncke, Stölzinger Büro für ökologische Agrar-kultur, Stölzingen 3, D-37284 Waldkappel

Es geht um Eingriffe, wie Schwanzcoupieren, Kastrieren, Enthornen usw. Es geht um Nutztiere, Tiere also, die uns einen Nutzen bringen sollen. Sicher aber nicht um jeden Preis, sonst brauchte man diese Tagung nicht. Es geht schließlich um Ethik, jene uralte Wissenschaft, die uns lehrt was wir tun oder besser lassen sollten. Damit keine Irrtümer aufkommen: diese Ethik dient nicht bloß als Verzierung, und schon gar nicht als Recht-fertigung für Dinge, die wir angeblich sowieso nicht ändern können. Nein, sie ist, wie es dem ethisch begründeten Tierschutz entspricht, Ausgangspunkt der Überlegungen.

Zu einer solchen Basis gehört das Verhältnis von uns Menschen zu unseren Nutztieren. Es überspannt einen weiten Bogen. Stellen Sie sich bitte einen artgerechten Laufstall für behornte Kühe mit Auslauf und Weidegang vor. Die Betreuung ist ausgezeichnet. Das System funktioniert, weil die Tiere außerdem die notwendige Zuwendung bekommen. Die ist nicht nur ethisch geboten, sondern lohnt sich auch. In einem umfangreichen Forschungsvorhaben konnten MÜLLEDER und WAIBLINGER (2004) – wieder einmal – eindrucksvoll zeigen, dass die Qualität der Mensch-Tierbeziehung die wichtigste Einflussgröße auf Gesundheit und Wohlbefinden von Milchkühen in Boxenlaufställen ist. Auf der anderen Seite steht die Tötung von Millionen Eintagsküken, weil sie das falsche Geschlecht haben.

Als nächstes entsteht die Frage, was sind diese Nutztiere, an denen wir Eingriffe vor-nehmen oder besser nicht vornehmen für Lebewesen?

  1. Erfahrene, gute Tierwirte und Tierpflegerinnen werden kaum solch theoretische Fragen über das "Sosein" der ihnen anvertrauten Tiere stellen. Sie können gut beobachten und aus den Beobachtungen die richtigen Schlüsse ziehen. Sie kennen ihre Tiere und sie kennen auch die Anzeichen für Gesundheit und Wohlbefinden. Ebenso wie sich an-kündigende Störungen. Das hört sich möglicherweise wie Agrarromantik an. Aber jeder, der in der Praxis mit Nutztieren zu tun hat, begegnet solchen Menschen immer wieder einmal.

  2. Die ganz besondere Eigenart der verschiedenen Spezies erfüllt uns immer wieder mit Staunen. Wiederkäuer z.B. haben eine vollkommene Symbiose mit den Bakterien, Protozoen und Pilzen in den Vormägen verwirklicht. Jeder profitiert davon. Dadurch können Pflanzen, die der Mensch so nicht essen kann, in wertvolle Lebensmittel um-gewandelt werden. Schweine sind hellwache, bewegungsfreudige Feinschmecker mit einem ausgesprochenen Familiensinn.

  3. Die Fähigkeit der Nutztiere zur Eigenregulation ist bewundernswürdig. Wenn wir Menschen nicht allzu gro0e Fehler machen, können sie trotz wechselnder Futter-rationen das Stoffwechselgleichgewicht aufrechterhalten, oder auch bei großer Kälte in Freilandhaltung die Körperinnentemperatur in normaler Höhe stabilisieren.

  4. In dem Begriff "Ethologie" steckt das griechische Wort "ethos". Es meint nach ALTNER (2001) die besondere Art von Lebewesen, ihre Gepflogenheiten und Verhaltensabläufe, die angeboren oder durch Übung und Erfahrung erlernt werden. Deshalb kann uns die Kenntnis ihres arteigenen Verhaltens den Nutztieren in besonderer Weise näher bringen. Sie verschafft uns Zugang zum "Sosein" einer Tierart. Bei Untersuchungen über die Folgen schmerzhafter Eingriffe wird neben biochemischen Parametern häufig auch das Verhalten mit berücksichtigt.

  5. Schließlich und endlich sind Vergleiche und Analogien zwischen Menschen und Tieren in gewissem Umfang möglich. Das ist nicht zu verwechseln mit einer Vermenschlichung von Tieren, was man nicht wollen kann. Menschen und Säugetiere haben vergleichbare biologische Systeme. Etwa das Stresssystem, das Harnausscheidungssystem oder die Grundprinzipien der Stoffwechselregulation. Die Ähnlichkeiten können noch weiter gehen. Manche Hormone, Enzyme und Botenstoffe sind bei Menschen und Tieren identisch. Überhaupt kann man sagen, dass die Grenzen zwischen Tieren und Menschen heute nicht mehr so scharf und deutlich gesehen werden, wie früher noch. Dazu bemerkt DE WAAL (2006): "wenn es um Geben und Nehmen geht, zeigen Menschen und Tiere die gleichen Verhaltensweisen. Sie kooperieren, revanchieren sich für Gefälligkeiten und begehren auf gegen Ungerechtigkeiten." Das gilt nicht nur für Primaten, sondern z.B. auch für Putzerfische, die größere Fische von Parasiten be-freien. Die Strategien bei der Bedienung ihrer "Kundschaft" könnten einem Handbuch für Kleinunternehmer entstammen.

Die Beispiele illustrieren verschiedene Aspekte der Mensch-Tierbeziehung. Staunen, Bewunderung, Nähe und gute Kenntnisse gehören zu den Grundlagen einer ethischen Sichtweise. Sie veranschaulichen aber auch, dass wir mit unseren Nutztieren eine Gemeinschaft bilden – eine Nutzungsgemeinschaft – und mit ihnen in unterschiedlichen biologischen Verwandtschaftsverhältnissen stehen. Unsere Mit-Lebewesen haben sich im Laufe der Evolution zu ihrem "Sosein" entwickelt. Ihr Trachten und Streben richtet sich auf den eigenen Selbsterhalt und den ihrer Art. Sie haben einen bestimmten Bedarf, nicht nur an Futter und Wasser, sondern auch an sozialen Kontakten und Zuwendung, um ihr indivi-duelles Wohl zu erreichen. Gelingt das, dann ist es für sie gut. Wird es verhindert, dann ist es eine Frage für den Tierschutz (SCHNEIDER, 2001). Aus der Sicht der Ethik darf man bei Mit-Lebewesen, mit denen man in einer Gemeinschaft lebt, nicht einfach irgendwelche Eingriffe vornehmen, etwas abschneiden, nur weil es die Produktion stört. Wenn wir als Menschen unsere Interessen so einseitig durchsetzen dürften, weil das einen Nutzen bringt, dann könnten wir aufhören, uns über das heutige Thema Gedanken zu machen. Aber so geht es bekanntlich nicht.

Denn bei aller Verwandtschaft unterscheidet sich der Mensch in einer Hinsicht ganz deutlich von den Tieren. Er kann mit Hilfe seiner Vernunft über seine eigene Stellung zu ihnen nachdenken. Er kann ihre Lebensbedingungen und Bedürfnisse kritisch betrachten und erkennen, wie er das Tierwohl beeinträchtigen oder fördern kann. Er kann sich immer wieder fragen, ob das was er mit den Nutztieren tut, deren Interessen hinreichend berück-sichtigt (SITTER-LIVER,2001).Und lassen wir uns nichts vormachen, wir haben in den letzten Jahren auf diesem Gebiet viel dazu gelernt. Die Fortschritte der Tiermedizin, Ethologie, Biologie, Rechtswissenschaften und Ethik zeigen uns wo es hingehen sollte. Wir müssen uns nur entscheiden, wozu wir unser Wissen, Können und unsere Macht ge-brauchen wollen. Wir sollten daraus den Auftrag und die Verpflichtung ableiten, mit den Nutztieren angemessen, umsichtig, sachgerecht und wohlwollend umzugehen (SITTER-LIVER, 2001). Noch deutlicher werden solche ethischen Forderungen, wenn wir in allen Kreaturen einen Eigenwert und eine unveräußerliche Würde anerkennen. Der Autor formuliert das ethische Prinzip der Gerechtigkeit. Den Tieren Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie besteht einmal darin, jedes Gemeinschaftsmitglied – wir sprachen von der Gemeinschaft mit unseren Mit-Lebewesen – in seinem "Sosein" und seine Entfaltungs-möglichkeiten ernst zu nehmen. Schweine sind hellwache Allesfresser mit einem großen Bewegungsdrang. Ist es gerecht, sie auf engem Raum in einer reizlosen Umgebung mit monotonen Rationen zu füttern, damit sie 1000 g am Tag zunehmen? Diese Frage ist leicht mit nein zu beantworten. Schwieriger wird es bei der Kastration von Ferkeln, weil wir zur Zeit noch keine rechten Alternativen haben. Ist es gerecht, Milchkühe mit soviel Kraftfutter zu füttern wie möglich und sie dann nach weniger als 3 Laktationen Nutzungsdauer auszu-merzen ? Ist es gerecht, sie grundsätzlich routinemäßig zu enthornen, ohne die möglichen Alternativen geprüft zu haben ? Gerechtigkeit bedeutet ferner, Nutztiere fair zu behandeln. Von dem Gewinn, den wir mit ihnen erzielen, sollten sie etwas zurück bekommen. Etwa in Form von guter Haltung, Fütterung, Zucht und Betreuung.

Damit ist eigentlich alles gesagt, die Karten liegen auf dem Tisch. Was die Eingriffe an Nutztieren angeht, sind vor allem Fragen zu stellen, die im Laufe der Tagung zu diskutieren sind.

  1. Ist der Eingriff unbedingt notwendig ? Es gibt schwerer und leichter zu beurteilende Beispiele. Als ich 1991 zum ersten Mal nach Neuseeland kam, stellte ich mit ungläubi-gem Staunen fest, dass Milchkühen die Schwänze amputiert wurden. Es blieb nur ein hilflos schlagender Stummel übrig. Begründung, so kann der Schwanz beim Melken nicht mehr stören Offenbar ist hier die Frage nach der Notwendigkeit leichter zu beant-worten. Das Thema soll inzwischen vom Tisch sein.

  2. Entstehen durch den Eingriff Schmerzen und Leiden ? Hierzu ist beim Thema Kastra-tion von Ferkeln beispielsweise viel gearbeitet worden. Als Ergebnis schreiben zwei EG-Richtlinien vor, dass männliche Saugferkel nach dem 7. Lebenstag nur durch einen Tierarzt/eine Tierärztin unter Anaesthesie und anschließender Verwendung schmerz-stillender Mittel kastriert werden dürfen. Diese Richtlinien werden jedoch noch nicht überall befolgt. Aufgrund einer neueren Untersuchung von ZÖLS (2006) zur Schmerz-reduzierung bei der Kastration von Ferkeln wird eine praeoperative, intramuskuläre Injektion des Mittels Meloxicam empfohlen.

  3. Gibt es Alternativen ? Die intensive Suche danach ist ethisch geboten. Bei dem Eingriff "Enthornung von Rindern" erstrecken sich die Untersuchungen auf Verhaltensstudien, Einfluss der Betreuung und Bau von Laufställen, die zur Haltung behornter Rinder ge-eignet sind.

  4. Kann der Eingriff verboten werden ? Bei der Kastration von Ferkeln wird offenbar mit dieser Möglichkeit gerechnet. Jedenfalls will das norwegische Parlament den Eingriff ab 2009 verbieten.

Abschließend wird die Problematik an einem Beispiel, das heute nicht auf dem Programm steht noch einmal verdeutlicht. Es geht um das Schnabelkürzen bei Putenküken. Ich be-ziehe mich auf eine sehr kritische, neue Übersichtsarbeit von FIEDLER (2006).

Derzeit werden in Deutschland jährlich rund 40 Millionen Putenküken erbrütet. Bei fast allen werden Schnabelteile routinemäßig amputiert. Gemacht wird es mit der Begründung, durch den Eingriff den Verhaltensstörungen Federfressen und Kannibalismus vorzu-beugen, die ihrerseits zu tierschutzrelevanten Schäden führen.

  1. Ist der Eingriff unbedingt notwendig ? Wenn die Massenproduktion von billigem Puten-fleisch unter aus Sicht des Tierschutzes nicht hinnehmbaren Haltungsbedingungen bestehen bleiben soll, dann muss man wohl beim Schnabelkürzen bleiben.

  2. Entstehen durch den Eingriff Schmerzen und Leiden ? Das ist ohne Zweifel der Fall. FIEDLER (2006) spricht von schwerwiegenden Schäden und langanhaltenden Schmerzen.

  3. Gibt es Alternativen? Zum einen die Auswahl von Rassen und Linien, die weniger zu Federpicken und Kannibalismus neigen. Hier ist Vorsicht geboten. Es kann nicht sein, dass Tiere gezüchtet werden, denen schlechte Haltungsbedingungen nichts mehr aus-machen. Dann wird sich nie etwas ändern. Die andere Alternative ist eine artgerechte Haltungsumwelt, vor allem kurz nach dem Schlüpfen und in der Aufzuchtphase. Hier wird viel zu wenig getan, obwohl es dringend notwendig wäre. Die beste Alternative wäre ein Käuferboykott.

  4. Könnte der Eingriff verboten werden? Das wäre ethisch unbedingt geboten. Denn Tiere dürfen nicht durch eine Amputation einem allenfalls betriebswirtschaftlich zweck-mäßigen Haltungssystem angepasst werden, sondern die Haltungsbedingungen müssen verbessert werden.

Literatur

ALTNER, G., 2001: Ethik und Ethologie. Über den Stellenwert ethischer Argumente in den Wissenschaften. In: Schneider, M . (Hrsg.): Den Tieren gerecht werden, Tierhaltung Band 27, S. 88 – 103, Universität Kassel, Witzenhausen

DE WAAL, F.B.M., 2006 : Tierische Geschäfte. Spektrum der Wissenschaft, Juni 2006, S. 50 – 58

FIEDLER, H.H., 2006: Schnabelkürzen bei Puten. Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 113, 110 – 112

MÜLLEDER, C. und S. WAIBLINGER, 2004: Einflussfaktoren auf Tiergerechtheit, Tiergesundheit und Leistung von Milchkühen in Boxenlaufställen auf konventionellen und biologischen Betrieben unter besonderer Berücksichtigung der Mensch-Tierbeziehung. Forschungsbericht Vet.-Med.Universität Wien

SCHNEIDER, M., 2001: Über die Würde des Tieres. Zur Ethik der Mensch-Tierbeziehung. In: Schneider, M. (Hrsg.): Den Tieren gerecht werden, Tierhaltung Band 27, S. 227 – 238, Universität Kassel, Witzenhausen

SITTER-LIVER, B., 2001: "Würde der Kreatur" Eine Metapher als Ausdruck anerkannter Verpflichtung. Ebendort, S. 239 – 258

TEUTSCH, G., 2001: Humanität ist unteilbar. Überlegungen zur Mensch-Tierbeziehung. Ebendort, S. 55 – 67

ZÖLS, S., 2006: Möglichkeiten der Schmerzreduzierung bei der Kastration männlicher Saugferkel. Med.-vet. Dissertation, Universität München


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