3. September 2007

 

Tiere, Bush-Affen und andere Menschen

Vortrag von Erwin Kessler, Präsident VgT, gehalten am 2. September 2007 am Oskarmaus-Openair-Festival am Necker

In einem historischen Buch über die Sklaverei in den USA habe ich folgende Begebenheit gelesen, die mich sehr berührt hat: Eine Negersklavin auf einer Farm hatte ein Kind geboren. Das Baby wurde ihr nach der Geburt weggenommen und einer Amme auf einer anderen Farm zur "Aufzucht" übergeben, damit die junge Mutter sofort wieder zur Arbeit auf den Feldern eingesetzt werden konnte. Die Farm, wo der Säugling nun war, lag mehrere Wegstunden entfernt. Nacht für Nacht machte sich die Mutter heimlich auf den Weg dorthin, um ihr Kind zu besuchen. Sie konnte es nur kurz sehen, denn im Morgengrauen, wenn die harte Feldarbeit begann, musste sie wieder zurück sein, sonst wurde sie ausgepeitscht.

Die weissen Farmer sprachen den Neger-Sklaven menschliche Gefühle ab. Wer behauptete, Schwarze hätten ähnliche Empfindungen wie Weisse und ihre Versklavung sei ein Unrecht, war ein Extremist und Staatsfeind - genau so wie ich heute, wenn ich behaupte, Säugetiere würden Freude, Trauer, Angst und Schmerz ähnlich empfinden wie das Säugetier Mensch, und müssten deshalb vor Misshandlung ähnlich geschützt werden wie wehrlose kleine Kinder.

Wissenschaftliche Forschungen haben ergeben, dass zum Beispiel Schweine und Kaninchen noch weitgehend die angeborenen Verhaltensweisen ihrer wilden Vorfahren bewahrt haben. Wird ein in einer Tierfabrik geborenes Hausschwein, das noch nie im Freien war, in ein naturnahes Freigehege gelassen, so beginnt es sich in wenigen Tagen wie ein Wildschwein zu verhalten. Genauso ist es auch bei Kaninchen. Es ist völlig falsch zu sagen, diese in engen, dunklen Käfigen eingesperrten Tiere würden nichts anderes kennen und darum nicht vermissen.

Ich habe einmal ein Mutterschwein gesehen, und das hat mich sehr berührt, die kurz vor dem Gebären in ihrem engen Stahlrohrkäfig auf dem einstreulosen Zementboden mit den Vorderbeinen Bewegungen machte, als würde sie ein Geburtsnest bauen. Das Nestbauverhalten ist ein starker angeborener Trieb. Die Tierschutzvorschriften schreiben deshalb vor, dass Mutterschweine zur Zeit der Geburt Stroh erhalten müssen. Diese Vorschrift wird landauf landab systematisch nicht beachtet und auch auf Anzeige hin nicht durchgesetzt. Tierschutzorganisationen haben in diesem Schein-Rechtsstaat weder rechtliche noch demokratische Mittel, um gegen korrupte Beamte welche das Tierschutzgesetz missachten vorgehen zu können.

Tierschutzorganisationen haben kein Klage- und Beschwerderecht. Niemand, der sich für den Schutz der Tiere einsetzen möchte, hat ein Recht, gegen tierquälerische Gesetzwidrigkeiten die Gerichte anzurufen. Der Vollzug des Tierschutzgesetzes fällt in die alleinige Kompetenz der Veterinär- und Landwirtschaftsämter, wo Beamte sitzen, die ihr Amt der Agrolobby verdanken. Der Agrofilz hat die Veterinär- und Landwirtschaftsämter und damit den (Nicht-)Vollzug des vom Volk mit grosser Mehrheit gutgeheissenen Tierschutzgesetzes fest im Griff.

Die Farmer in den Südstaaten der USA behaupteten, ohne die Negersklaven könnten sie wirtschaftlich nicht überleben. Heute behaupten unsere Bauern ähnliches: mit strengeren Tierschutzvorschriften wären sie nicht mehr konkurrenzfähig, dh ohne die rücksichtslose, unmenschliche Ausbeutung der Nutztiere könnten sie wirtschaftlich nicht überleben.

Die Landwirtschaftslobby indoktriniert die Öffentlichkeit systematisch mit der Behauptung, wir hätten ein gutes Tierschutzgesetz und die Tiere würden nur bei guter Haltung und Pflege eine optimale Leistung erbringen. Das sind nichts als Propaganda-Lügen.

Eine optimale Pflege und Haltung könnte sich darin zeigen, dass die Tiere gesund alt würden. Unsere Nutztiere werden aber nicht alt, im Gegenteil werden sie schon in jungen Jahren geschlachtet. Legehennen zum Beispiel können bei artgerechter Haltung 10 und mehr Jahre alt werden. In unseren Hühnerfabriken werden sie im jungen Alter von nur 15 Monaten brutal abgeschlachtet und "entsorgt". In diesem jungen Alter sind sie physisch und psychisch bereits erledigt, erschöpft, ausgebeutet, in einem grässlichen Zustand.

Masthühner werden nicht einmal zwei Monate alt. Mit Qualzüchtung und speziellem Industriefutter werden sie in wenigen Wochen vom kleinen Eintagsküken zum schlachtreifen Riesenbaby gemästet, die kaum mehr richtig gehen können, weil das Skelettwachstum dem extremen Muskelwachstum nicht nachkommt. Das Endprodukt sind billige Grillpoulets - Fastfood für eine rücksichtslose, gestresste Menschheit.

Mastschweine werden nur ein knappes halbes Jahr alt. Auch Mutterschweine und Milchkühe werden in der Regel schon in jugendlichem Alter getötet und ersetzt, da ihre Leistung unter den ausbeuterischen Verhältnissen nachlässt.

Ich hoffe, niemand wagt zu behaupten, den Negersklaven sei ein glückliches Leben gegönnt gewesen, weil sie angeblich nur so eine optimale Leistung erbracht hätten. Und es wird hoffentlich niemand behaupten wollen, KZ-Häftlinge hätten unter optimalen Verhältnissen glücklich leben können, damit sie optimale Leitstungen erbrachten. - Im Gegenteil: Sobald sie verbraucht waren, wurden sie einfach ersetzt - so wie heute Schweine und Hühner in den Tier-KZs.

Die neuste Revision der Tierschutzvorschriften war einmal mehr nur Kosmetik zur Beruhigung der Konsumenten. Netto sind wir im Tierschutz nur wenig weiter als vor 20 Jahren, als das Schweizervolk mit grosser Mehrheit dem Tierschutzgesetz zustimmte, das seither weitgehend toter Buchstabe geblieben ist. Die im Parlament übervertretene Agro-Lobby hat jetzt wieder erreicht, dass zB Schweine weiterhin lebenslänglich auf einem halben Quadratmeter pro Tier ohne Einstreu, im eigenen Kot liegend, und ohne Auslauf ins Freie, gehalten werden dürfen, und dass Mastrinder weiterhin lebenslänglich in dichtem Gedränge, Tier an Tier, auf einem Betonboden ohne Stroh gehalten werden dürfen Hier verbringen sie ihr trauriges Leben im eigenen Kot liegend, ohne jemals Auslauf ins Freie. Und die angeblich glücklichen Schweizer Hühner in sogenannter Bodenhaltung sind in einem ähnlich katastrophalen Zustand wie Käfighühner.

Kühe dürfen weiterhin mit Elektroschocks, dem sog elektrischen Kuhtrainer, zum Strammstehen an der Kette gezwungen werden. Tierärzte haben festgestellt, dass diese Elektroschockvorrichtung die Kühe derart verkrampft, dass gehäuft Fruchtbarkeitsstörungen auftreten.

Nicht einmal die elementare Forderung, dass Tiere nicht so gehalten werden dürfen, dass sie gezwungen sind, im eigenen Kot zu liegen, hat eine Chance in dem von der Agro-Mafia beherrschten Parlament.

Von den wenigen, schwachen Tierschutzvorschriften, welche bei der Verwässerung des Tierschutzgesestzes übriggeblieben sind, merken insbesondere die Schweine kaum etwas, da der Tierschutzvollzug in den meisten Kantonen nur zum Schein stattfindet.

Und wenn mal ein Kantonstierarzt seine Aufgabe ernst nimmt, wird er unter Druck gesetzt: Als der St Galler Kantonstierarzt in einer Arena-Sendung des Schweizer Fernsehens darauf hinwies, dass Tierschutzmissstände nicht nur bei ein paar schwarzen Schafen vorkommen - wie die Bauernvertreter stets behaupten -, sondern weit verbreitet sind, fiel ihm der Präsident des Bauernverbandes ins Wort und drohte mit Konsequenzen. Hier wurde einmal öffentlich sichtbar, was sonst hinter den Kulissen abläuft, wie die Agrolobby den Vollzug sogar der minimalen, verwässerten Tierschutzvorschriften mit Druck und Drohungen verhindert.

Die "class politique" verhindert den Vollzug des Tierschutzgesetzes. Blocher, der den Begriff der classe politique geprägt hat, gehört jetzt selber dazu. In einem seiner ersten Auftritte nach seiner Wahl in den Bundesrat forderte er die Abschaffung der Tierschutzvorschriften in der Landwirtschaft; die Bauern wüssten schon selber, wie sie ihre Tiere am besten zu halten hätten.

Die Grüne Partei der Schweiz ist auch nicht viel besser. Sie hat sich für die Zulassung des grauenhaften, betäubungslosen Schächtens von Kühen, Kälbern und Schafen bei vollem Bewusstsein eingesetzt. Die Tierliebe hört bei der grossen Masse der Bürger und Politiker nach dem eigenen Hündchen oder Kätzchen auf. Diese Diskriminierung ist auch in den politischen Lagern verbreitet, welche ständig lautstark gegen Rassismus und Diskriminierung wettern.

Tiere haben ähnliche Empfindungen von Freude, Freundschaft, Liebe, Wohlbefinden wie wir. Nicht nur Katzen und Hunde lieben es, gestreichelt zu werden. Schweine sind ausgesprochen sinnliche Tiere. Wenn meine Kinder mit einer Bürste die Schweine striegelten, legten sich diese sofort bewegungslos auf die Seite und schlossen geniesserisch die Augen. Und sogar Ratten sind sensible Tierchen, die untereinander eine Art zärtliches Streicheln pflegen.

Tiere kennen auch ästhetischen Genuss. Es ist ein Irrtum zu glauben, Vögel würden ihren Gesang nicht lieben und geniessen, sondern damit nur das Revier verteidigen. Im heutigen Denken besteht die fatale Tendenz, Verhaltensweisen bei Tieren, die Sinnlichkeit, Liebe, Freude, Freundschaft, Angst und Trauer erkennen lassen, als evolutionäre Funktionalität zur Lebenserhaltung und Arterhaltung abzutun. Dass wir Menschen gerne Sex haben, hat auch den biologischen Grund der Arterhaltung. Daran denken wir aber beim Sex in der Regel nicht. Ebenso wenig denken wir beim Geniessen einer Malzeit nicht, wir würden nun eine angeborene Aktivität ausüben, welche vor dem Verhungern bewahrt. Das Individuum erlebt Angenehmes und Widerwärtiges losgelöst von der evolutionär-biologischen Bedeutung rein emotional. Das ist bei höheren Tieren nicht anders als beim Säugetier Mensch. Vögel geniessen das Sonnenbaden genau so wie wir; sie betreiben nicht einfach nur funktionale Körperpflege. Wer das einmal begriffen hat, wird das Massen-Elend in den Tierfabriken, wo den Hühnern Sonnenlicht, Sonnenbaden und das für sie wichtige Sandbaden genommen ist, nicht mehr einfach als Fehlen von Luxus sehen. (Literaturhinweis: Pleasurable kingdom - Animals an the nature of feeling good, von Jonathan Balcombe).

Ich bin zu Gefängnis verurteilt worden, weil ich das rituelle Schlachten von Tieren bei vollem Bewusstsein mit Naziverbrechen verglichen habe. Dieser Vergleich hat in gewissen Kreisen ein empörtes Aufheulen ausgelöst: das sei rassistisch und menschenverachtend.

Wer jedoch den Vergleich von menschlichem Leiden mit tierischem Leiden als menschenverachtend verurteilt, der zeigt damit nur seine tierverachtende menschliche Überheblichkeit nach christlicher Tradition.

Solange die Tatsache, dass andere höhere Säugetiere ähnlich wie Menschen Freude, Glück, Leid und Trauer, Schmerzen und Wohlbefinden erleben, nicht als politische Entscheidungsgrundlage anerkannt wird -, solange ein auf dieser Tatsache beruhender Vergleich von Verbrechen an Menschen und Tieren mit Gefängnis bestraft wird, solange wird der Tierschutz toter Buchstabe bleiben.

Hinter dem Massenelend der sogenannten Nutztiere steckt die simple, alles rechtfertigende Einstellung: "Es sind ja nur Tiere!"

Bei früheren, historischen Massenverbrechen gegen die Menschlichkeit wurden diese damit gerechtfertigt, es sind ja nur Neger, Indianer oder Nicht-Arier...

Der heutige Holocaust an den Nutztieren wird analog gerechtfertigt: Es sind ja nur Tiere.

Angesichts immer wiederkehrender Massenverbrechen nach dem gleichen diskriminierenden Muster muss man sich fragen: Macht die Menschheit nur technische Fortschritte, nicht auch ethisch-moralische und humanistische?

Davon ist jedenfalls wenig zu sehen. Ich komme mir oft vor wie im Film "Planet der Affen". Dieser Film zeigt, wie Astronauten nach einer - nach irdischer Zeitrechnung langen - Reise zur Erde zurückkehren und hier die amerikanische Freiheitsstatue in Wüstensand versunken vorfinden und eine Art zivilisierter Affen, welche die Welt beherrschen. Diese betrachteten die Astronauten als eine unbekannte, bisher ausgestorben geglaubte Spezies, nahmen sie gefangen und machten an ihnen "Tierversuche" um herauszufinden, ob diese Geschöpfe denken und fühlen können, was aber die meisten Wissenschaftler dieser Affenkultur verneinten. An wissenschaftlichen Tagungen debattierten sie darüber, ob die merkwürdigen Laute, welche die Astronauten von sich gaben, irgend eine Bedeutung haben könnten.

Der Film ist keine Utopie, sondern  entlarvt die heutige Wirklichkeit. Die Welt wird, wie ich täglich erlebe, tatsächlich von einer Affen-Zivilisation beherrscht: den Bush-Affen!

Es liegt mir fern, mich abschätzig über richtige Affen zu äussern. Menschenaffen sind liebenswerte, intelligente Wesen, die nicht so verlogen und grausam sind wie der Ober-Menschenaff, der sich Mensch nennt und die Welt beherrscht mit seiner Scheinkultur und seinen scheinheiligen, gewalttätigen Religionen.

Ich rede hier von den Bush-Affen, die nicht mit sch sondern mit sh geschrieben werden und die sich zivilisiert und kultiviert wähnen, weil sie die technische Möglichkeit haben, die Welt zu beherrschen, auszubeuten und zu zerstören. Die Bush-Affen hocken überall: in der amerikanischen Regierung genauso wie in der schweizerischen, in Gerichten und Banken, in der UNO, Nato, WTO und wie sie alle heissen, diese scheinkulturellen Macht-Institutionen.

Typisch für Bush-Affen ist ihr grenzenloser Materialismus, ihr unersättliches Streben nach Macht, ihr Grössenwahn und ihre Verachtung ethischer und seelischer Werte, die sie mit scheinheiligen Reden über Solidarität und soziale Verantwortung tarnen, um die Massen der Bush-Affen ohne allzuviel Polizeiaufwand dazu zu bringen, regelmässig zu arbeiten, zu konsumieren und die Steuern zu bezahlen - und im übrigen den Mund zu halten. Eine der ersten Amtshandlungen des jetzigen Präsidenten der amerikanischen Bush-Affen-Zivilisation war es, verschiedene Umweltschutzgesetze aufzuheben. Später torpedierte er die Weltklimakonferenz. "Unterentwickelte Schurkenländer" wie den Irakt will er demokratisieren und zivilisieren - mit barbarischen Folterungen.

Der Gott der Bush-Affen heisst globale Marktwirtschaft. Diesem wird alles andere untergeordnet. Die internationalen Vereinbarungen sind so ausgelegt, dass die Skrupellosesten sich am besten durchsetzen und markt- und weltbeherrschend werden. Geografische wie auch ethische Grenzen aus der Vor-Bush-Affen-Ära werden laufend abgebaut, und aus der Welt wird ein gigantischer Supermarkt gemacht.

Die Klimaerwärmung wird die Seelenkälte der Bush-Affen nicht beseitigen.

Doch die zunehmende Verbreitung der vegetarischen Ernährung zeigt, dass auch Gegenkräfte da sind - Menschen, die zu liebevoller Rücksicht und Mitleid mit wehrlosen, beseelten Wesen fähig sind.


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