26
Grundkurs - Lehrbriefe 23
wird, begegnet uns eine Auffassung, der zufolge
das Gewissen eine objektive Instanz über dem Menschen ist, die ihm
gegenüber die Wahrheit seines Tuns bezeugt, welche jedoch
endgültig erst im Urteil Gottes offenbar wird. Somit sieht Paulus
sehr deutlich,dass Glaubenserkenntnis, Verantwortungsbewusstsein
(vor Gott und Gewissen) auf das engste miteinander verbunden sind.
Das wird bei jener Kontroverse
deutlich, die sich in der Gemeinde von Korinth in Bezug auf das
umstrittene Essen von Götzenopferfleisch entfaltete (vgl. 1 Kor
8,1-13 und 10,14-33). Es handelte sich hierbei um Fleisch von
einem Tier, bei dessen Schlachtung ein heidnischer Opferritus
vollzogen wurde. Solches Fleisch konnte in Markthallen innerhalb
des Tempelbezirks auch käuflich erworben werden.
- Die Antwort des Paulus fiel
eindeutig aus. Aus seiner Sicht sprach nichts dagegen, dass
Christen in ihren Privathäusern und auf öffentlichen Festen
solches Fleisch verzehren; denn für sie, die in der festen
Glaubenserkenntnis leben, gibt es weder Götter noch Dämonen und
folglich auch kein Götzenopferfleisch. Der Glaube an das
Evangelium macht die Christen frei vom Zwang der Werke und allen
rituellen und kultischen Speisevorschriften, die das Leben in der
Antike auf welche Weise auch immer reglementierten.
- Andererseits kann diese Frage im
praktischen Zusammenleben aber doch zum Problem werden. Offenbar
gab es in Korinth eine Gruppe von „Schwachen", die der
Überzeugung war, auch als Christen Einschränkungen im
Fleischgenuss zu unterliegen. Die Gruppe der„Starken" hingegen
hegte solche Zweifel nicht, sondern war überzeugt, dass der Christ
diesbezüglich auf die Freiheit des Evangeliums vertrauen und alles
essen darf.
Zur Lösung dieses Konflikts gibt
Paulus einen Rat, der versucht, die Gewissensüberzeugung beider
Seiten, der„Starken" und der„Schwachen", in gleicher Weise zu
respektieren.
- Die „Starken" sollen mit
Rücksicht auf die„Schwachen" darauf verzichten, an öffentlichen
Mahlfeiern in Götzentempeln teilzunehmen, weil das deren
Gewissensentscheidung nicht ernstnehmen würde und sie in ihrer
noch nicht genügend gefestigten Glaubensüberzeugung verunsichern
könnte.
- Die „Schwachen" aber sollen sich
in kleinen Schritten in die Freiheit des Evangeliums einüben,
indem sie bei privaten Einladungen darauf verzichten,
nachzufragen, woher das Fleisch stammt. So vermeiden sie es, ihr
schwaches, noch von Skrupeln geplagtes Gewissen einem Druck
auszusetzen, dem sie vielleicht noch nicht gewachsen sind. |