23. April 2008

Bürokratischer Nichtvollzug der Auslaufvorschrift für angebundene Kühe im Kanton Thurgau

Der VgT hat am 21. April 207 beim Bundesamt für Veterinärwesen folgende Aufsichtsbeschwerde gegen den Kanton Thurgau eingereicht:


Aufsichtsbeschwerde gegen Kanton Thurgau
betreffend Artikel 18 TSchV (Auslaufvorschrift)


Vor Jahren sind wir durch eine Meldung aus der Nachbarschaft von Landwirt
Meinrad Erni, Weiernstr 7, 8355 Aadorf, darauf aufmerksam gemacht worden, dass dessen angebundene Kühe nie Auslauf erhalten. Eine Anzeige hat hierauf bewirkt, dass Erni einen kleinen Alibi-Laufhof erstellt hat. Er ist zu faul, die direkt an den Stall angrenzende, eingezäunte Wiese als Weide zu benützen. Seine rund 20 angebundenen Kühe werden nie geweidet, sondern erhalten nur hie und da kurz Zugang zum Alibi-Laufhof - "Alibi"-Laufhof, weil dieser Sinn und Zweck der Auslaufvorschrift gemäss Artikel 18 der Tierschutzverordnung nicht genügt und offensichtlich nur dazu da ist, für den Tierschutz blinde, bürokratische Beamte zufrieden zu stellen.

Landwirt Erni in Aadorf ist zu faul, seine Kühe auf der grossen, eingezäunten Wiese direkt beim Stall zu weidern.

Nur in diesen winzigen Laufhof lässt Erni seine 20 Kühe ab und zu für eine halbe Stunde:

Seit März 2006 haben wir den Laufhof mit Hilfe versteckter Aufnahmegeräte beobachtet. Dabei hat sich folgendes ergeben:

Der mit Holzschnitzel eingestreute Alibi-Laufhof ist derart klein, dass Erni seine Kühe nur in kleinen Gruppen von 4-5 Kühen hinauslässt, für durchschnittlich nur eine halbe Stunde.

Zwar schreibt die Tierschutzverordnung nicht explizit eine minimale Zeitdauer für den Auslauf vor. Das heisst aber nicht, dass der Auslauf beliebig kurz sein darf. Wie immer bei Gesetzesauslegungen kommt es auf den Zweck der Vorschrift an. Eine sinnwidrige Auslegung nach dem Buchstaben ist nicht zulässig.

Wenn Kühe in den Lauhof gelassen werden, müssen sie sich darin zuerst einmal orientieren und eine Gruppenordnung finden, da sie im Stall nicht in Gruppen, sondern nebeneinander angebunden gehalten werden. Der vorgeschriebene Auslauf hat nicht einfach nur den Zweck, die Kühe kurz frische Luft schnuppern zu lassen. Wichtig ist auch Sonnenlicht und das Ausleben wichtiger angeborener Verhaltensweisen. Dazu gehört die Möglichkeit zum freien, unbehinderten Bewegen und insbesondere auch das Körperpflegeverhalten, was den sonst ständig angebundenen Kühen sonst nicht bzw nur stark eingeschränkt möglich ist. Ferner gehört dazu auch entspanntes Liegen, was in der Enge eines Anbindestalles ebenfalls nur beschränkt möglich ist.

Nach allgemeiner Auffassung soll ein Auslauf mindestens eine Stunde dauern, damit von einem Auslauf im Sinne von Artikel 18 der Tierschutzverordnung gesprochen werden kann. Der Kanton Aargau verlangt seit Jahren, dass der Auslauf mindestens zwei Stunden dauert, sonst wird er nicht als Auslauf im Sinne der Tierschutzverordnung anerkannt. Gestützt auf diese Praxis sind durch die Aargauer Strafbehörden rechtskräftige Bussen ausgesprochen worden.

Wenn man will, kann man also die Tierschutzvorschriften durchaus sachgerecht auslegen und anwenden. Der Thurgauer Kantonstierarzt Paul Witzig will nicht. Er beugt sich dem Druck der Agro-Lobby, anstatt seiner Amtspflicht nachzukommen. Solche Beamten sind gefragt, denn im Kanton Thurgau fehlt ganz klar der politische Wille, das Tierschutzgesetz durchzusetzen. Das haben wir mit Regierungsrat Kaspar Schläpfer schon in früheren, ähnlichen Fällen erlebt, zB als Kantonstierarzt Witzig die fehlende vorgeschriebene Einstreu bei Mutterschweinen duldete und behauptet, diese Vorschrift sei nicht durchsetzbar; siehe unten.

Ernis Alibi-Laufhof bietet den Kühen nichts, es sind nicht einmal Kratzbürsten vorhanden. Die Enge des Laufhofes erlaubt auch kein freies Bewegen. Die rangniederen Kühe sind in der Rangordnung gefangen und mangels Ausweichmöglichkeit gezwungen, in einer Ecke stehend zu verharren. Der durch die räumliche Enge verursachte Stress verhindert ein Abliegen.

In den Richtlinien des Bundesamtes für Veterinärwesen zur Haltung von Rindvieh (Ziffer 2.17) wird der regelmässigen Bewegung ausserhalb des Stalles - ein wichtiger Zweck der Auslaufvorschrift - wie folgt umrissen:

Der regelmässigen Bewegung ausserhalb des Stalls kommt grosse Bedeutung
zu. Der nachhaltige Einfluss der Bewegung auf Gesundheit, Kondition, Fruchtbarkeit und Leistung
der Tiere wirkt sich nur bei regelmässiger Auslaufhaltung aus. Erst der Aufenthalt ausserhalb des Stalls ermöglicht dem Tier wichtige soziale Verhaltensweisen und uneingeschränktes Körperpflegeverhalten.

Ein bloss halbstündiger Auslauf in einem winzigen Laufhof, in dessen Enge sich zumindest die rangniederen Tiere nicht bewegen können, genügt der Auslaufvorschrift aus den dargelegten Gründen nicht. Es handelt sich um einen Alibi-Laufhof, um die Erfüllung der Auslaufvorschrift vorzutäuschen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Tiere und den Sinn und Zweck der Auslaufvorschrift.

Am 17. März 2008 habe ich deshalb dem Veterinäramt des Kantons Thurgau eine Anzeige gegen Erni eingereicht mit den Anträgen:
1. Es sei verwaltungsrechtlich zu verfügen, dass Erni während der Vegetationszeit Weideauslauf gewährt, da der Alibi-Laufhof qualitativ nicht genügt.
2. Im Winter sei der Auslauf in maximaler Gruppengrösse von 3 Tieren zu je mindestens 1 Stunde vorzunehmen.

Der Thurgauer Kantonstierarzt hat hierauf in Absprache mit dem Departements-Chef, Regierungsrat Schläpfer, entschieden, die Auslaufvorschrift sei erfüllt, weil diese keine präzise Anforderungen an die Qualität und Dauer des Auslaufs enthalte - eine stur-bürokratische, sinnwidrige Auslegung dieser Vorschrift.

Während das Veterinäramt des Kantons Thurgau der Qualität des Auslaufs keine Beachtung schenkt, ist dies zB im Kanton Aargau sehr wohl der Fall, der Vollzug also uneinheitlich.
Im Kanton Thurgau werden Tierschutzvorschriften grundsätzlich nicht nach Sinn und Zweck und gemäss Stand der Technik und Wissenschaft ausgelegt, obwohl Artikel 1, Absatz 2, der Tierschutzverordnung dies ausdrücklich vorschreibt. Statt dessen werden Tierschutzvorschriften wortklauberisch zugunsten der Tierhalter und zum Nachteil der Tiere ausgelegt, weil sich letztere nicht wehren können. Dies hat sich schon beim Nichtvollzug der Einstreuvorschrif für Mutterschweine deutlich gezeigt hat (www.vgt.ch/id/200-015).

Es ist zu bedenken, dass die Auslaufvorschrift gemäss Artikel 18 TSchV bloss Auslauf an 90 Tagen pro Jahr vorschreibt; an 275 Tagen pro Jahr dürfen die Tiere 24 Stunden an der Kette gehalten werden. Diese Minimalvorschrift des Bundesrates genügt den objektiv bekannten Bedürfnissen der Tiere nicht und missachtet deshalb Artikel 2 des Tierschutzgesetzes und damit den demokratischen Volkswille; das Tierschutzgesetz ist vom Volk mit einer überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen worden. Der Bundesrat hat die Auslaufvorschrift in seiner Tierschutzverordnung nicht zum Schutz der Tiere, sondern zum Schutz der Tierhalter vor dem Tierschutzgesetz erlassen. Weil Landwirt Erni, gedeckt vom Thurgauer Kantonstierarzt und dem zuständigen Regierungsrat Schläpfer, sogar noch diese Minimalvorschrift nicht richtig einhält, liegt ein Fall von Tierquälerei vor, gegen den das Bundesamt für Veterinärwesen aufsichtsrechtlich einzuschreiten hat.

Nach einer allgemeinen Regel der Rechtslehre sind unbestimmte Vorschriften durch die Praxis zu konkretisieren. Mit vorliegender Aufsichtsbeschwerde wird das Bundesamt für Veterinärwesen, zu dessen Pflichten die Aufsicht über den kantonalen Vollzug des Tierschutzgesetzes gehört, aufgefordert, die Auslaufvorschrift bezogen auf den dargelegten Fall und im dargelegten Sinn zu konkretisieren, um einen gesetzeskonformen, einheitlichen Vollzug durch die Kantone zu gewährleisten.

Mit freundlichen Grüssen
Dr Erwin Kessler, Präsident VgT


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