19. August 2008    

Im September 2008 berät das eidgenössische Parlament über die Begehrlichkeiten des schweizerischen Inland-Geheimdienstes:   

Überwachungsstaat unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung

von Dr Erwin Kessler, Präsident Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT.ch

Wer nichts zu verbergen habe, der habe vom Überwachungssstaat nichts zu befürchten, meinen einfache, naive Gemüter. Sie haben aus der Fichen-Affäre nichts gelernt. Der Lehrer, der damals aus unerklärlichen Gründen keine Stelle mehr fand, erfuhr den Grund erst Jahrzehnte später, als der Fichenskandal aufflog: Er war als Kommunismusverdächtiger fichiert, weil er einmal eine Reise nach Moskau gemacht hatte. Er hatte nichts zu verbergen, aber wurde unschuldig arbeitslos.

Ein Überwachungsstaat mit heimlicher Überwachung der Bürger ohne konkreten Verdacht, wie es der Inlandgeheimdienst mit der Vorlage BWIS II (Bundesgesetz zur Wahrung der Inneren Sicherheit II)möchte, wäre nur dann unbedenklich, wenn wir einen Rechtsstaat hätten, in welchem der Staat streng nach Recht und Gesetz funktionieren täte. Haben wir aber nicht. Darum hat jeder Strafverfolgte menschenrechtlich garantierte Verteidigungsrechte, und Geheimjustiz ist verboten.

Was der Inlandgeheimdienst macht und noch verstärkt machen will, ist Geheimjustiz. Die Opfer erfahren nichts davon, haben keine Chancen gegen falsche Verdächtigungen und missbräuchliche Verwendung von ausspionierten Daten.

Den Nachrichtendiensten soll die präventive Überwachung von Telefongesprächen, Mail- und Postverkehr sowie eine Verwanzung von privaten Räumen erlaubt werden. Damit kann diese Massnahmen auch gegen Personen ergriffen werden, gegen die kein Verdacht auf strafbares Verhalten besteht. Eine gesetzliche Definition von Terrorismus und gewalttätigem Extremismus gibt es nicht. Es ist weitgehend den Schnüffelbeamten überlassen, wo Sie glauben, Terrorismus zu wittern. Eine Ferienreise nach Moskau könnte genügen...

Die Befürworter des Überwachungsstaates heucheln eine angeblich strenge Rechtskontrolle, insbesondere eine richterliche Genehmigung von Überwachungsmassnahmen. Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür bezweifelt, ob das viel taugt. Nach seiner Auffassung darf es nicht ermöglicht werden, dass der Staat ohne ordentliches Strafverfahren in die Privatsphäre, Räume und Computer der Bürger eindringen kann. "Wenn dieses neue Gesetz es nicht mehr verlangen sollte, dass ein hinreichend begründeter strafrechtlicher Tatverdacht vorhanden sein muss, dann wird ein Richter gar nicht anders können, als solche Maßnahmen zu bewilligen, vor allem wenn geltend gemacht wird, es gehe um Aufklärung im Rahmen der Abwehr einer terroristischen Gefährdung", kommentierte Thür. "Was will außerdem ein Richter außerhalb eines strafrechtlichen Verfahrens überhaupt überprüfen, er kann ja eigentlich nur die Informationen der Staatschutzorgane absegnen. Das vorgesehene juristische und polizeiliche Prozedere wird keine große Hemmschwelle darstellen."

Dazu kommt die Tendenz der Justiz - selber staatliche Institutionen mit vom Staat bezahlten Beamten und Richtern -, illegale staatliche Machenschaften zu schützen. Im Dezember 2006 wurde mein Emailverkehr staatlich überwacht - illegal, ohne gesetzliche Grundlage. Die verantwortlichen Beamten wurden vom Zürcher Obergericht und vom Bundesgericht gedeckt, die Sache gar nicht erst untersucht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf in diesem Schein-Rechtsstaat (www.vgt.ch/justizwillkuer/justizwillkuer/schaechtpr-vollstr/index.htm#email). 

Die Schweiz spürt wenig von Terrorismus. Im Staatsschutzbericht 2000 wurde darum der VgT unter "Terrorismus und gewalttätiger Extremismus" aufgeführt, direkt neben einer Abbildung mit Sprengstoff und Hakenkreuzen - rein zufällig natürlich. Das Bundesgericht deckte die von einem Rechtsanwalt weiterverbreitete Zurodnung des VgT-Präsidenten zu den "Terroristen und Extremisten". Nach Auffassung des Bundesgerichtes ist diese Zuordnung erlaubt, weil der VgT nach Auffassung der Bundespolizei eine extreme Tierschutzorganistion sei.

Wer in diesem Staat gewaltfrei eine vom Establishment abweichende Auffassung vertritt, ist demnach extrem und darf - nach höchstrichterlicher Unrechtsprechung, zu den "Terroristen und Extremisten" gezählt werden (www.vgt.ch/justizwillkuer/kugler-prozesse.htm#terroristen) und wird damit zum Freiwild für die Staatsschnüffler. Und wenn bei dieser Ausspionierung auch nichts Verwertbares herauskommt: Die damit verbundene staatliche Abschreckung, bei einem solchen ausspionierten Verein Mitglied zu werden, lohnt doch bereits den grossen Aufwand, den ja sowieso die Steuerzahler bezahlen, nicht die Hintermänner dieses Überwachungsstaates.  

Irgendwie muss der Staatsapparat seinen Machtausbau ja rechtfertigen. Da ist eine unbequeme Tierschutzorganisation mangels wirklichem Terrorismus gerade recht. In Österreich wurden kürzlich mit einer Verhaftungswelle und der Beschlagnahmung der gesamten Vereinsinfrastrukturen mehrere Tierschutzorganisationen vernichtet, angeblich wegen Eindringen in Tierfabriken und Fotografieren von Missständen. Diese Nazi-Methoden stützten die verantwortlichen Staatsanwälte auf das Gesetz gegen kriminelle Organisationen, und alle rechtsstaatlichen Garantien gegen den Missbrauch dieses Gesetzes schützten die Betroffenen nicht; sie werden heute immer noch in politischer Zermürbungshaft gehalten, ohne Anklage und dass sie genau wissen, was ihnen vorgeworfen wird (www.vgt.ch/id/200-029). Praktisch, ein solches Gesetz, und wenn es nur dem Milliardengeschäft der Fleischmafia dient...

Trotz der scharfen Kritik von links bis rechts an BWIS II (www.vgt.ch/justizwillkuer/woz_vom_25.htm; www.vgt.ch\news2005\050818-weltwoche.htm)  wird die Vorlage im Parlament wohl irgendwie doch durchkommen - denn die Politiker der etablierten Parteien haben den Überwachungsstaat am wenigsten zu fürchten, und letztlich ist ihnen ein starker Staat, der unbequeme Minderheiten ausspioniert und kontrolliert, eigentlich gerade recht.

 


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