30. Oktober 2009 Zur Abstimmung über einen kantonalen Tieranwalt Von Claudia Zeier Kopp, Vizepräsidentin VgT Im Juni 2008 berichtete die Sonntags Zeitung, dass es noch nie so viele Fälle von Tierquälerei gab – und gemäss dem Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) seien vor allem Heimtiere weitaus häufiger betroffen als Nutztiere. Dass Anzeigen gegen Tierquälerei bei Heimtieren viel häufiger sind, als bei Nutztieren, ist kein Zufall, denn mit den Nutztieren wird ein Geschäft gemacht, was bei den Heimtieren nicht der Fall ist. Deshalb wird beim Tierschutz in der Nutztierhaltung, aus wirtschaftlichen Interessen, gerne ein Auge zugedrückt. Niemand will der Fleischlobby auf die Füsse treten (dies gilt auch für viele Tierschutzorganisationen), stattdessen wird lieber der Tierschutz im Nutztierbereich mit den Füssen getreten. Zudem wird offensichtlich das Ausmass des Leidens, je nach Tierart, anders gewertet und mit unterschiedlichen Ellen gemessen. Wenn z.B. ein Hundehalter sein Tier einsperrt, vernachlässigt, im eigenen Kot und Urin liegen lässt und es ein Leben ohne Bewegung und Beschäftigung fristen muss, wird dies sofort als Tierquälerei eingestuft. Und dem Hundehalter wird das Tier – bei wiederholtem Vergehen gegen das Tierschutzgesetz – weggenommen. Neuerdings müssen Hundehalter sogar obligatorische Kurse absolvieren, um den Umgang mit ihren Tieren zu erlernen. Nicht so, wenn es um Schweine geht. Jeder kann Schweine halten, auch wenn er von deren Wesen und Bedürfnissen nichts versteht. Jeder kann – vom Gesetz abgesegnet und dazu noch mit Steuergelder subventioniert – Schweine auf engstem Raum in Tierfabriken halten, ohne jegliche Beschäftigung, ohne Bewegung und oftmals im eigenen Kot liegend was eine Qual ist, da Schweine von Natur aus saubere Tiere sind. Der Bundesrat, unter Federführung der zuständigen Bundesrätin Doris Leuthard, subventioniert solche Massentierhaltung als angeblich „Besonders Tierfreundliche Stallhaltung“.
Obwohl Schweine intelligente, empfindsame Tiere und genauso leidensfähige Lebewesen sind wie Hunde, wird ihnen dieses eintönige, triste Leben tag ein, tag aus zugemutet, was eine Tierquälerei ist. Der Unterschied, der zwischen Nutztieren und Heimtieren gemacht wird, ist absolut diskriminierend.
Seit 1992 beschäftigt der Kanton Zürich den weltweit einzigen Tieranwalt. Dieser wird in Strafverfahren gegen Tierquälerei aktiv, um während der Untersuchung und vor Gericht die Rechte der Tiere wahrzunehmen. Nachdem das Parlament bereits beim Tierschutzgesetz sowie bei der neuen Strafprozessordnung die Einführung eines Tieranwaltes abgelehnt hatte, empfiehlt es auch die Volksinitiative des Schweizer Tierschutzes zur Einführung eines Tieranwalt-Obligatoriums für die Kantone dem Volk zur Ablehnung. Über diese Initiative hat nun das Volk zu entscheiden. Während die Tieranwalts-Initiative von der SP und Grünen unterstützt wurde, erachteten die Bürgerlichen das Anliegen des Schweizer Tierschutzes als unnötig bis gefährlich. Fragt sich nur, gefährlich für wen? Hauptsächlich für die Fleischindustrie natürlich, die ungehindert ihre täglichen Tierquälereien in den Schweizer Tierfabriken ungestört fortsetzen will - da will man doch keine Tieranwälte, die die Rechte der Tiere vertreten könnten. Das würde nämlich das Geschäft und die weitere Ausbeutung der Nutztiere nur unnötig behindern. Die Tieranwalts-Initiative würde übrigens nebst BDP, FDP und SVP, auch von der CVP abgelehnt, was wieder einmal bezeichnend ist für diese Partei. Bei der Christlichen Volkspartei hört die christliche Nächstenliebe bekanntlich meistens bei den Tieren auf. Und Brigitta Gadient ( bdp., Graubünden) meint, dass die besondere Rechtsstellung der Tiere in der Verfassung doch schon verankert sei und Tierquälerei mit dem erst im letzten Herbst in Kraft getretenen neuen Tierschutzgesetz von Amtes wegen verfolgt wird. Wozu braucht es denn da Tieranwälte? – Eine zynische Argumentation vor dem Hintergrund der realen Verhältnissen, unter denen Nutztiere weiterhin leben müssen. Ausgerechnet im Kanton Graubünden, der von dieser Politikerin vertreten wird, war der VgT im März 2009 bei schönstem Wetter mehrere Tagen unterwegs und deckte auf, dass die meisten Milchkühe nicht einmal den vom Gesetz vorgeschrieben minimalistischen Winterauslauf erhalten, sondern den Winter in dunklen Ställen ohne Bewegung und in trister Eintönigkeit an der Kette verbringen müssen (ausführlicher Bericht in den VgT-Nachrichten VN 09-1 vom Juli 2009). Obwohl diese Tierquälerei offensichtlich ist, unternehmen die zuständigen Behörden nichts. Eine grässliche Kaninchen-KZ-Haltung in Zizers wurde vom Veterinäramt und von der Staatsanwalt des Kantons Graubünden nicht als Tierquälerei beurteilt; die grauenvollen Zustände dauern an, in aller Öffentlichkeit. Es sind halt nur Nutztiere. (VgT-Nachrichten VN 09-2 vom April 2009). Dies bestätigt einmal mehr, dass Tierquälereien eben nicht von Amtes wegen verfolgt werden und dass auch das neue Tierschutzgesetz vom letzten Herbst - vor allem in der Nutztierhaltung - toter Buchstabe bleibt. Trotzdem verweist Bundesrätin Leuthard – wie üblich - auf die Behörden hin, welche für den Tierschutz zuständig sind, obwohl gerade deren Untätigkeit und Gleichgültigkeit nach einer von der Verwaltung unabhängigen Aufsicht ruft. Weil Kantonstierärzte kaum ihre Aufgabe wahrnehmen und höchst selten Tierquälereien von Amtes wegen verfolgen, wäre es dringend nötig, dass Tierschutzorganisationen ein Klage- und Beschwerderecht erhalten würden! Ruedi Noser (fdp, Zürich) sieht in der Tieranwalts-Initiative sogar weitreichende Gefahren: Wegen der offenen Formulierung des Initiativtexts könnten womöglich auch Privatpersonen als Kläger im Sinne der Tiere auftreten, was vernünftige Urteile verunmöglichen würde. Hat es denn bis jetzt – ohne dass Privatpersonen als Kläger involviert waren – etwa „vernünftige Urteile“ gegeben? Eben nicht - genau das Gegenteil ist wahr, wie die bisherige Praxis zeigt: Es werden keine vernünftigen Urteile ausgesprochen, sondern in der Regel höchstens lächerliche Bussen verteilt. So wurden laut BVET-Statistik 2007 (nur!) neun Tierquäler ins Gefängnis gesteckt, 147 erhielten eine Busse von mehr als 500 Franken und 363 eine zwischen 100 und 500 Franken. So viel ist das Leiden der Tiere wert… Sogar notorischen Tierquälern, wie zum Beispiel der Thurgauer Pferdequäler Kesselring, dürfen trotz übelsten Verbrechen an ihren Tieren, weiterhin Tiere halten - und somit auch weiter quälen. Die Interessen der Tierquäler werden also eindeutig nach wie vor höher gewichtet, als jene der Tiere. Gegen obligatorische Tieranwälte sind auch viele Landwirte – denn dies wäre (ihrer Ansicht nach) als Misstrauensvotum gegen ihren Berufsstand einzustufen. Gerade diese Ablehnung von obligatorischen Tieranwälten löst aber ein noch grösseres Misstrauen auf tierschützerischer Seite aus, denn Landwirte, die ihre Tiere zumindest gesetzeskonform (leider ist das Gesetz im Nutztierbereich nicht auf die wirklichen Bedürfnissen der Tiere ausgerichtet) halten, hätten nämlich beim Einsatz von Tieranwälten nichts zu befürchten. Es ist einfach haarsträubend, wie das landesweite Tierelend – vor allem in den Schweizer Tierfabriken – laufend bagatellisiert wird, als gäbe es nur wenige Einzelfälle von Tierquälereien. Auf politischer Ebene wird gerne immer nur von tragischen Einzelfällen gesprochen, mit dem Hinweis, dass es eben in allen Berufssparten schwarze Schafe gäbe, so auch bei den Nutztierhaltern. Dass es aber gerade in diesem Bereich nicht nur wenige schwarze Schafe gibt, sondern dass alltägliche Tierquälereien in der Nutztierhaltung zur Tagesordnung gehören, wird verschwiegen. So wurde in einem Kommentar in der NZZ vom 10. Juni von einer "Überidentifikation mit Opfern medial hochgeschaukelter Einzelfälle" gesprochen – was angesichts der weit verbreiteten, vom VgT laufend aufgedeckten Missständen, mehr als zynisch ist! Und mit solchen unwahren, völlig realitätsfremden Sprüchen soll dem Leser und den Konsumenten Sand in die Augen gestreut werden, so dass sie weiterhin an das hoch gelobte Schweizer Tierschutzgesetz glauben, das (vermeintlich) dafür sorge, dass Tierquälereien von Amtes wegen rechtsmässig verfolgt und geahndet werden. Die breite Ablehnung der Tieranwalts-Initiative auf politischer Ebene zeigt deutlich auf, dass die wehrlosen Tiere, die nicht für sich selbst sprechen und nicht für ihre Rechte eintreten können, wieder einmal mehr im Stich gelassen werden. Aber eben, es sind ja nur (Nutz-)Tiere, deren Recht auf ein würdiges Dasein nicht ernst genommen wird und deren Leiden weiterhin als eine Bagatelle behandelt wird, die man zugunsten der Fleischindustrie ruhig in Kauf nehmen kann. Abstimmungsempfehlung des VgT zur Tieranwalt-Initiative:
Ein resigniertes, leises JA. |