15.  September 2000

Rinder-Wahnsinn der menschlichen Art:
Graub�nden: Wie Steuermillionen in Viehm�rkte und lange Schlachttier-Transporte fliessen.

(Quelle: www.reports.ch/Schlachtviehmarkt.htm)

VON MATTHIAS BRUNNER

Wer mit Schlachtvieh �kologisch umgeht, schaut finanziell in den
Mond. Wer es aber auf qu�lend langen Transporten auf seinen letzten
Weg schickt, sahnt ab. Diese umweltpolitisch und finanziell bizarre
Agrarpolitik des Kantons Graub�nden kostet Millionen an
Steuergeldern. Jetzt fordert die "kagfreiland" gleiche Entsch�digungen
f�r alle.

F�r das Jungrind "Gazelle" hat an diesem strahlenden Tag das letzte St�ndlein
geschlagen. Biobauer Andrea Nold aus Conters im Pr�ttigau tritt den letzten
Weg gemeinsam mit "Gazelle" zum Metzger im nur drei Kilometer entfernten
K�blis an. Auch f�r Nold ist dies ein schwerer Gang. Noch einmal krault er
"Gazelle" die Stirn – dann f�llt der dumpfe Knall des Bolzens. Sofort sackt das
Tier t�dlich getroffen zu Boden. "Ich bin das dem Tier einfach schuldig, dass
ich es bis zuletzt begleite", findet Nold, Pr�sident der
KAG-Bio-Prduzentengenossenschaft im Pr�ttigau, der sieben Bauern
angeh�ren.

Damit erf�llt der Landwirt die Idealvorstellungen der
Nutztierschutz-Organisation "kagfreiland", die m�glichst kurze Transportwege
und wenig Stress f�r die Tiere fordert. "Wenn es meinen Tieren gut geht, geht
es auch mir gut", meint der engagierte Bauer.

Rind ist nicht gleich Rind

H�tte er allerdings sein Jungrind auf einen der vier weiter entfernten, offiziellen
Schlachtviehm�rkte in Ilanz, Schiers, Zernez oder Cazis gebracht, h�tte er f�r
das selbe Jungrind einen sogenannten Auffuhrbeitrag von bis zu 250 Franken
vom Kanton erhalten.

Aehnlich geht es Gian Michael aus der Schamser Talgemeinde Donath. Wie
sein Berufskollege aus dem Pr�ttigau m�chte auch er seine Tiere am liebsten
in der N�he schlachten lassen. Doch da kein Schlachtlokal mehr in der
Umgebung zur Verf�gung steht, ist er gezwungen, seine Tiere nach dem weiter
entfernten Cazis zu transportieren. Dabei werden beide Bauern als
Direktvermarkter bloss mit einem bescheidenen Pauschalbetrag von je 60
Franken f�r ihre Tiere abgespiesen. "Wir f�nden es gerechter, wenn die
Viehhalter unabh�ngig vom Markt alle gleich entsch�digt w�rden", findet
Hans-Georg Kessler von "kagfreiland".

Im Dschungel der Subventionen

Verantwortlich f�r die geltende Regelung ist die neue, seit rund einem Jahr
betriebene B�ndner Agrarpolitik. Denn seit der Bund mit dem Inkrafttreten des
neuen Landwirtschaftsgesetzes die Schlachtviehbeitr�ge abgeschafft hat, sind
die Kantone f�r die Regelung des Schlachtvieh- und Fleischmarkt
verantwortlich.

Seither herrscht in diesem Bereich ein v�llig un�bersichtlicher
Subventionsdschungel. Selbst die Schweizerische Genossenschaft f�r
Schlachtvieh- und Fleischversorgung (GSF) scheint den Ueberblick verloren zu
haben. Direktor J�rg Schletti gab ONLINE REPORTS auf Anfrage jedenfalls
zur Antwort: "Wir haben keinen �berblick �ber die unterschiedlichen
Schlachtviehbeitr�ge in den einzelnen Kantonen."

Andere Kantone schafften Beitr�ge ab

Nach einer Umfrage des St. Gallischen Bauernverbandes bei benachbarten
Organisationen hat der Kanton Thurgau die Auffuhrbeitr�ge mangels Interesse
an den �ffentlichen Viehm�rkten bereits gestrichen. Auch die Innerschweizer
Kantone Obwalden und Schwyz werden diese Beitr�ge bis im Jahr 2001
abschaffen.

Nicht so Graub�nden. Kein anderer Kanton pumpt so viel Geld in die
verschlungenen Kan�le des Schlachtviehmarkts. Nur der Kanton Bern kann
noch einigermassen mithalten. So bezahlt er f�r Mastk�lber aus dem
Berggebiet einen maximalen Beitrag (inklusive Distanzzuschlag) von 170
Franken pro Tier. Peter Kreuter, Leiter der Fachstelle Tierproduktion des
Kantons Bern begr�ndet diese Auffuhrbeitr�ge mit dem Ausgleich zwischen
dem Berggebiet und dem Flachland: "Es geht uns nicht darum, Beitr�ge zum
Einkommen zu leisten, sondern durch diese Massnahmen mehr Markt zu
schaffen."

L�ngere Schlachttiertransporte und teure B�ndner Arena

Der Kanton Graub�nden geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er neben
den Auffuhrbeitr�gen zus�tzlich sogenannte "Qualit�tsbeitr�ge" entrichtet und
sich auch an Infrastrukturkosten der Vermarktungsstrukturen beteiligt.
Insgesamt l�sst sich Graub�nden dieses Konzept j�hrlich happige 2,3
Millionen Franken Steuergelder kosten. Am Schlachtviehmarkt ist scheinbar
die Agrarreform "Agrarpolitik 2002", die mehr Markt und mehr �kologie
propagiert, spurlos vorbeigegangen.

Alexander D�nz, Chef des B�ndner Landwirtschaftsamtes, verteidigt die
planwirtschaftlichen Methoden so: "Wir wollen damit die Marktbedingungen
verbessern." Grotesk: Von je weiter her das Nutzvieh zum Viehmarkt
transportiert wird, umso h�her ist der Auffuhrbeitrag. Begr�ndet wird diese
Abstufung mit den Transportkosten. Offensichtlich will hier der Kanton bewusst
einen Anreiz schaffen, damit die Tiere selbst aus dem entlegensten Tal auf
einen der vier offiziellen Viehm�rkte gekarrt werden.

Neues Viehvermarktungs-Zentrum in Mittelb�nden

Die Indizien sind unverkennbar. F�r stolze 6,5 Millionen Franken wurde in
Cazis in Mittelb�nden ein neues, grosses Viehvermarktungs-Zentrum aus dem
Boden gestampft. Es ist Teil des neuen B�ndner
Schlachtviehmarkt-Konzeptes, welches sich auf vier M�rkte f�r den ganzen
Kanton konzentriert. Der Staat hat insgesamt 2,1 Millionen Franken an den
Neubau gezahlt. Neben Hypotheken und Krediten wurde das Projekt mit Geld
aus den verschiedensten Kassen und K�sseli finanziert, welche die B�ndner
Viehvermittlungs-AG als Anh�ngsel des B�ndner Bauernverbandes angeh�uft
hat.

Zus�tzlich leistet der Kanton einen j�hrlichen Zustupf von 600’000 Franken an
die Infrastrukturkosten, mit welchem auch die �brigen drei
Vermarktungszentren aufger�stet werden. Leer gehen dagegen die vielen
kleinen Schlachtlokale in den D�rfern aus, die zum Teil nicht mehr rentieren,
weil sie veraltet sind. Doch den D�rfern und Genossenschaften fehlt zumeist
das n�tige Kapital, um diese Schlachtlokale nach den heutigen Anforderungen
und den versch�rften Hygienevorschriften umzubauen.

Im September 1998 nahm "die B�ndner Arena", wie das Prestigeobjekt von
Cazis genannt wird, den Betrieb unter der Regie der B�ndner
Viehvermittlungs-AG auf. Seitdem gelangen hier sogar Tiere aus dem Tessin
zur Versteigerung. Hier werden die K�lber, Rinder und K�he zuerst
begutachtet und nach der Qualit�t eingesch�tzt, was f�r die Entrichtung des
Qualit�tsbeitrages massgebend ist. Anschliessend werden die Tiere
versteigert und von den H�ndlern gekauft. Damit ist die Reise f�r das Rindvieh
allerdings noch nicht zu Ende. Denn der Schlachthof befindet sich nicht etwa
auf dem selben Gel�nde, sondern etwas einen Kilometer entfernt in der
Industriezone. Wegen dieses planerischen Unsinns m�ssen die dem Tode
geweihten Tiere deshalb nochmals in den Transporter bugsiert werden.
Jedoch nur rund ein Drittel von ihnen werden im Schlachthaus von Cazis selber
geschlachtet. Die meisten werden ins Unterland verfrachtet und gelangen erst
nach langer Fracht in die fabrikm�ssigen Schlachth�user von Z�rich, Basel und
Bern oder anderswo.

Transport-Stress vermindert Fleisch-Qualit�t

Wie sich diese verfehlte Politik auf die "Qualit�t" der Fleischlieferanten
auswirkt, zeigen wissenschaftliche Untersuchungen an Schlachtk�rpern.
Danach f�hrt vor allem Stress und Fl�ssigkeitsverlust, wie ihn die Tiere
w�hrend des Transportes und auf dem Markt erleiden, zu "DFD-Fleisch" (dark,
firm, dry), welches qualitativ minderwertig ist.

Nach der Ansicht von Simonetta Sommaruga, Gesch�ftsleiterin der Stiftung f�r
Konsumentenschutz (SKS), widerspricht diese Entwicklung den W�nschen der
meisten Konsumentinnen und Konsumenten: "Es ist ganz klar: Gefordert sind
beim Fleisch eindeutig artgerechte Haltung, m�glichst regionale Herkunft und
kurze Transportwege f�r die Tiere." Ausserdem entgeht dem Berggebiet durch
die Schlachtung und Verarbeitung im Unterland der gr�sste Teil der
Wertsch�pfung.

Viehh�ndler und Schlachtviehmarkt profitieren - Bergt�ler verarmen

Diesen Umstand beklagen auch die Bauern aus den 18 Gemeinden der
Bergt�ler Schams, Avers und Rheinwald: "Uns bringt das
Vermarktungszentrum Cazis gar nichts", stellt Gian Michael aus Donath fest.
Zumindest der Verdacht l�sst sich nicht so leicht von der Hand weisen, dass
vor allem die Viehh�ndler und die im Schlachtviehmarkt involvierten Kreise von
der B�ndner Arena profitieren k�nnen.

Simonetta Sommaruga bezweifelt, dass der freie Markt bei diesen
Vermarktungszentren tats�chlich spielt: "Ich glaube, dass so eine
St�tzungsmassnahme nur beschr�nkt mehr Markt zul�sst." Die Schlacht- und
Verarbeitungsgenossenschaft Schams wollte deshalb ein eigenes Projekt f�r
ein Schlachtlokal mit Verarbeitungsraum realisieren. "Damit B�ndner Fleisch
auch tats�chlich aus Graub�nden stammt und nicht aus Argentinien", fordert
Gian Michael.

Der Kanton war jedoch nicht bereit, einen Beitrag an die budgetierten Kosten
von 800’000 Franken zu zahlen. Jetzt will die Genossenschaft mit einem
neuen, bescheideneren Projekt nochmals mit einem Unterst�tzungsgesuch an
den Kanton gelangen.


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