Aus der Weltwoche vom 30. November 2000:
Wann setzen unsere Politiker voll auf
Bionahrung? Die Verbraucher w�ren bereit
Von Matthias Meili
In einer kleinen Stadt in der Schweiz findet jeden Samstag
ein Gem�semarkt statt. Er ist sehr beliebt. Doch
Merkw�rdiges spielt sich dort ab: Ein einziger der vielen
Bauern aus der Umgebung wird regelrecht belagert; die
Leute stehen Schlange. Es ist der Stand des Biobauers.
Aber keiner der anderen will sein offen daliegendes
Erfolgsrezept nachahmen. Und das seit Jahren.
Der Konsument weiss, was er will. Die BSE-Angst breitet
sich nun in ganz Europa aus, kaum ist der Dioxin-Skandal
mit den belgischen H�hnern verdaut. Was uns von der
Nahrungsmittelindustrie t�glich aufgetischt wird, sieht zwar
appetitlich aus, ist es aber nicht. Wir sind im Zeitalter der
�k�nstlichen Nat�rlichkeit�, ein Begriff, den der
Nahrungsmittelmulti Nestl� bereits 1986 in einer Studie
pr�gte. Zu Deutsch: Alles, was wir essen, wird industriell
hergestellt, selbst wenn es nachher nat�rlich ausschaut.
Zuerst war da das Ei. Ein blasser Dotter wurde in den
siebziger Jahren von Tierschutzorganisationen als Beweis
f�r unnat�rliche K�fighaltung gebrandmarkt. Prompt
t�ftelten gewiefte Produzenten Futtermischungen aus, die
den Dottern ihre nat�rliche, kr�ftige Farbe zur�ckgaben.
Die K�fighaltung der H�hner wurde einstweilen
beibehalten. (In der Schweiz ist sie heute verboten.) Nach
dem Ei folgten Fertigsuppen. Die Erbsen in der Suppe
sehen zwar sch�n gr�n aus und sind schneller gar als ein
Dreiminutenei. Dazu braucht es aber k�nstliche Zus�tze.
Heute tischt uns die Nahrungsmittelindustrie die Illusion
eines ganzen Fr�hst�cks auf: gesunde Jogurts,
angereichert mit F�kalbakterien; Sulfitlaugen aus den
Papierfabriken zur Gewinnung von Vanillin; �berreste aus
der Rauchgasreinigung f�r die R�ucherwurst;
Menschenhaare, aus denen der Cystein-Zusatz f�r den
frischen Br�tchenduft gewonnen wird.
Rohstoffe aus der M�llhalde
Die Nahrungsmittelforschung gr�bt sich immer tiefer in die
�berquellende M�llhalde ein. Die Entsorgungsgeb�hren
sind schlicht zu hoch. Schlachtabf�lle liefern Proteine f�r
Gelatine, Kaffeerahm und Babynahrung. Abf�lle aus
Weinkellern, Ketchup-Fabriken und Margarinewerken
werden f�r allerlei Vitalpillen verwendet. Von der den
BSE-Skandal ausl�senden Tiermehlverf�tterung ganz zu
schweigen. Das Essen in Zeiten der industriellen
Produktion und k�nstlichen Nat�rlichkeit wird zur reinen
Rohstoffverwertung.
Functional Food, Vitaminpillen und Light-Produkte runden
das Angebot ab. Die Gentechnik wird neue, bessere
Produkte in die Superm�rkte bringen, auch wenn ihre
Vorg�nger keineswegs das gebracht haben, was man sich
versprochen hat. Trotz reissenden Absatzes von
Light-Produkten versch�rft sich das �bergewichtsproblem
in den Industriel�ndern. Risiken und Nebenwirkungen
werden ohnehin ausgeblendet. Nahrungsmittel werden ja
nicht in der Apotheke verkauft. Und der Konsument isst,
was man ihm vorsetzt.
Bio-Konsument zahlt doppelt
Ausser man setzt ihm daneben auch Gutes vor. Die
Nachfrage nach Bioprodukten erreicht Zuwachsraten, die
nicht einmal die New Economy aufweisen kann: seit 1990
eine j�hrliche Zunahme um 25 Prozent. Das schreibt die
Weltern�hrungsorganisation FAO. Der Trend h�lt an.
Bio-Produkte erobern den Supermarkt: Bei Coop weisen
Bio-Karotten und Bio-Pastmilch bereits einen Marktanteil
von 35 Prozent aus. Gem�se und Biofleisch m�ssen
importiert werden, was freilich das Label in Frage stellt.
Bioprodukte sind heute auch frei von ideologischem
Brimborium. Wer Bio konsumiert, w�rde in Amerika
�smart� genannt.
V�llig unverst�ndlich, wieso in einer sich frei nennenden
Marktwirtschaft nicht bereits mehr Bioprodukte angepriesen
werden, und das zu vern�nftigen Preisen. Das Gegenteil ist
der Fall, Politiker und Beh�rden reden uns ein, dass der
Biolandbau eine teure Nischenproduktion f�r die Reichen
und Satten sei. Das ist nicht wahr. Verschiedene Studien
zeigen, dass die Ertr�ge auf einem Bioacker genauso hoch
sein k�nnen wie in der konventionellen Landwirtschaft.
Doch der Verbraucher kann es sich ja leisten: Vor f�nfzig
Jahren gab der Durchschnittskonsument noch die H�lfte
seines Einkommens f�r Nahrungsmittel aus, auch wenn
Fleisch nicht jeden Tag auf den Tisch kam. Heute sind es
bei stark gestiegenem Einkommen sechzehn Prozent. Der
Bio-Konsument gibt gern ein bisschen mehr aus. Mit
h�heren Preisen erkauft er sich aber nicht nur
unbedenkliches Essen, er bezahlt auch die Landwirte f�r
die Erhaltung einer gesunden Umwelt. Mit den Steuern
bestreitet er zudem die Milliardensubventionen in eine
Landwirtschaft, die er nicht will und bezahlt nun
m�glicherweise auch noch f�r die S�nden einer
Futtermittelbranche oder zumindest einzelner schwarzer
Schafe, die aus Kostengr�nden die Temperatur bei der
Sterilisierung heruntergeschraubt haben.
Der Anteil der biologisch genutzten Landwirtschaftsfl�che
in der Schweiz liegt erst bei 7,8 Prozent. Es f�hrt kein Weg
daran vorbei, die Bio-Landwirtschaft zu f�rdern, die vor
allem auf kleinen Strukturen basiert. Offenbar haben das
neben wenigen Bauern vor allem die Konsumenten
begriffen. Sicher nicht die Politiker, die sich gegen jeden
kleinen Fortschritt wehren, anstatt die Bioproduktion von
Anfang an voll zu unterst�tzen.
PS: Der Biobauer auf dem samst�glichen Markt in dem
Schweizer Kleinst�dtchen ist noch immer der Einzige, der
Bioprodukte verkauft.
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