22. M�rz 2001

Postzensur-Prozess vor dem Thurgauer Obergericht

> Vorgeschichte

Der Schweizer Schriftsteller Niklaus Meienberg schrieb einmal:

Beinahe scheints
nach der itzigen Verfassung
unm�glich zu sein
eine gute politische Zeitung zu schreiben
Bei jedem k�hnen Gedanken
der dem Journalist' entwischt
muss er einen Seitenblick
auf �ffentliche Ahndungen werfen
Dann wird er furchtsam und kalt.
Daher der schl�frige Ton der meisten Zeitungsverfasser,
der in schw�len Tagen
so manchen Politiker im Grossvaterstuhl
in Schlummer wiegt
schrieb Christian Friedrich Daniel Schubart 1774
bez�glich der Zensur
welche abgeschafft wurde
sp�ter

... und noch sp�ter wieder eingef�hrt - durch die Schweizerische Post.

 

Pl�doyer von VgT-Pr�sident Erwin Kessler an der Hauptverhandlung vom 22. M�rz 2001

 

Herr Pr�sident, meine Damen und Herren,

Der Rechtsverdrehdienst der Post bestreitet die Passivlegitimation des VgT mit der Begr�ndung (in der Berufungsschrift vom 7.12.00) zwischen der Post und dem VgT habe "keine direkte Vertragsbeziehung bestanden". Das ist richtig, denn der Auftrag wurde ja abgewiesen, weshalb gar keine Vertragsbeziehung entstehen konnte. Eine Vertragsbeziehung ist aber gem�ss Postgesetz gar nicht n�tig. Artikel 17 des Postgesetzes besagt schlicht und einfach: "Streitigkeiten zwischen der Post und der Kundschaft werden durch die Zivilgerichte beurteilt." Vorliegend besteht ein Streit zwischen der Post und dem VgT als Postkunde �ber die Rechtsfrage, ob die Post befugt ist, die Spedition von VgT-Zeitschriften zu verweigern, wenn ihr der Inhalt nicht passt. Im Postgesetz ist allgemein von Streitigkeiten, nicht nur von Vertragsstreitigkeiten die Rede, denn damit w�ren ja Streitigkeiten, die das Zustandekommen eines Vertrages verhindern, ausgeschlossen, was der Gesetzgeber vern�nftigerweise nicht wollte.

Es ist deshalb auch unerheblich f�r die Passivlegitimation, dass die Post bez�glich der abgewiesenen Sendung durch einen Beauftragten des VgT - die Prisma Medienservice AG -, nicht direkt durch Organe des VgT selbst kontaktiert wurde. Warum das so war, ist ganz einfach: Die Gesch�ftsf�hrung der Prisma Medienservice AG hatte von uns den Verteilauftrag angenommen und die Journale waren deshalb bereits in ihrem Lager eingelagert, als von h�herer Stelle die Weisung kam, den Auftrag abzulehnen. Hierauf beauftragten wir die Prisma Medienservice AG, die bei ihr lagernde Ware in unserem Auftrag bei der Post aufzugeben. Dazu kam es aber nicht, weil die Post die Annahme der Sendung verweigerte. Der VgT kam deshalb gar nicht dazu, als Auftraggeber in Erscheinung zu treten und ein Aufgabebordero einzureichen, womit erst eine Vertragsbeziehung entstanden w�re. Trotzdem liegt aber offensichtlich eine Streitigkeit zwischen dem VgT als Verleger der zensurierten Zeitschriften und der Post vor. Damit ist die Passivlegitimation gegeben.

Die Post bestreitet, dass die VgT-Journale Zeitungen im Sinne des Postgesetzes seien. Zur Begr�ndung wird angef�hrt, Zeitungen seien nur dann Zeitungen, wenn sie aufgrund eines Abonnements zugestellt w�rden. Diese Auffassung entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Dem Postgesetz und der Postverordnung kann nichts dergleichen entnommen werden. Und wo eine vom �blichen Sprachgebrauch abweichende Legaldefinition fehlt, ist auf den allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen. Gegen jeden gesunden Menschenverstand und gegen den Sprachgebrauch zu behaupten, die VgT-Nachrichten seien keine Zeitung oder Zeitschrift, dazu braucht es offenbar die Juristenhirni des Rechtsverdrehdienstes der Post.

Wie viele andere Zeitungen und Zeitschriften werden auch die VgT-Journale sowohl adressiert an Abonnenten verschickt wie auch unadressiert in alle Haushaltungen bestimmter Regionen verteilt. Das macht zum Beispiel auch die Thurgauer Zeitung. Ist sie deshalb keine Zeitung? Die Argumentation der Post ist so absurd und unglaublich, wie die von ihr vorgenommene Zensur selbst.

Ich w�rde dieses Gericht nicht beneiden, wenn es der �ffentlichkeit erkl�ren m�sste, warum Gratiszeitungen keine Zeitungen sein sollen und warum die Thurgauer Zeitung sowohl eine Zeitung wie auch keine Zeitung ist, je nachdem ob sie Abonnenten oder Nichtabonnenten zugestellt wird. Eine Zeitung ist die Thurgauer Zeitung laut den Juristen-Hirni des Rechtsverdrehdienstes der Post nur, wenn sie an Abonnenten versandt wird. Die gleiche Zeitung ist dann aber keine Zeitung, wenn sie ohne Abonnementsvertrag am Kiosk verkauft wird oder im Rahmen der w�chentlichen Grossauflage gratis in alle Haushaltungen verteilt wird.

Zeitungen, welche adressiert an Abonnenten zugestellt werden, fallen in den Bereich der reservierten Dienste, wie die gesamte adressierte Briefpost. Wenn nun also - wie die Post behauptet - nur abonnierte Zeitungen im Sinne der Postverordnung Zeitungen w�ren, w�rde Artikel 4 der Postverordnung, welcher den nicht reservierten Diensten ausdr�cklich auch die Bef�rderung von Zeitungen und Zeitschriften zuweist, gar keinen Sinn machen. Es gibt aber keine vern�nftigen Gr�nde, dem Bundesrat zu unterstellen, er habe diesen Artikel 4 v�llig sinnlos in die Postverordnung hineingenommen. Im Gegenteil ist die Absicht klar: Zeitungen und Zeitschriften sind f�r das Funktionieren einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung. Darum gibt es eine Pressefreiheit und darum werden Zeitungen und Zeitschriften in der Postverordnung nicht der kommerziellen Promopost gleichgestellt. Die Pressefreiheit w�rde zumindest f�r abgelegene Regionen, die nicht von privaten Verteilfirmen bedient werden, illusorisch, wenn die Zustellung von der Staatspost nach Belieben verweigert werden k�nnte. Darum verpflichtet Artikel 4 die Post zur Zustellung von unadressierten, nichtabonnierten Zeitungen im Rahmen des Universaldienstes, und diese Spezialvorschrift geht den allgemeinen Vorschriften vor. Es ist typische Rechtsverdrehung, wenn die Post diesen entscheidenden Spezial-Artikel 4 bei der Auslegung der Postverordnung einfach ignoriert und statt dessen die von der Post herausgegebenen Brosch�ren �ber Promopost als massgebliche Rechtsgrundlage ins Feld f�hrt.

Auch der Europ�ische Gerichtshof f�r Menschenrechte misst der Meinungs�usserungs- und Informationsfreiheit und damit der Medienfreiheit eine grosse Bedeutung bei. Die von der Post vorgenommene Zensur verletzt Artikel 10 der Europ�ischen Menschenrechtskonvention. Dieser Aspekt darf bei der Auslegung des Postgesetzes nicht aus den Augen verloren werden. Die Menschenrechtskonvention steht gem�ss Bundesgerichtspraxis auf Verfassungsstufe und stellt �bergeordnetes, direkt anwendbares Recht dar, welches sogar Vorrang h�tte gegen�ber widersprechenden Regelungen im Postgesetz.

Und sogar wenn die VgT-Nachrichten keine Zeitschrift im Sinne des Postgesetzes w�re, dann w�re sie als unadressierte Briefpost dennoch zu bef�rdern, wie ich vor Bezirksgericht ausf�hrlich dargelegt habe. Zu diesem Schluss ist auch das Bezirksgericht in seinem Urteil (Ziffer 5 und 6) gekommen. Dem habe ich nichts beizuf�gen.

Um mir n�tigenfalls den Weg an den Europ�ischen Gerichtshof f�r Menschenrechte offen zu halten, wiederhole ich jedoch, was ich schon vor der ersten Instanz ausgef�hrt habe, dass n�mlich die Zensur einer Zeitung durch die immer noch mit weitgehenden staatlichen Privilegien ausgestattete Staatspost die Informations-, Meinungs�usserungs- und Pressefreiheit verletzt. Zum Beispiel ist es faktisch nur der Post, nicht aber privaten Verteilfirmen m�glich, abgelegene Gebiete zu bedienen. Diesen Vorteil hat die Post, weil sie infolge des Briefmonopols �ber eine fl�chendeckende Infrastruktur verf�gt.

Das Defizit der Post tr�gt der Steuerzahler. Und da nehmen sich die Postmanager das Recht heraus, Grossauftr�ge abzulehnen, weil ihnen der Inhalt einer Zeitung nicht passt. Was stand denn Anst�ssiges in den zensurierten VgT-Zeitschriften? Hatte es Kinderpornografie darin? Nein! Hatte es Hakenkreuze oder Parolen wie "Juden und Zigeuner in die Gaskammern!"? Nein. Hatte es Beschimpfungen oder sonst Rechtswidriges darin? Nein. Was war es also, das die Post als Rechtfertigung f�r die Zensur angegeben hat? Zuerst wurde jede Begr�ndung der Zensur verweigert; sp�ter gab die Post gegen�ber Journalisten als Begr�ndung an, es w�rden zuviele Tierhalter namentlich kritisiert. Meine Damen und Herren, gibt es lesenswerte Zeitungen, in denen nie jemand namentlich kritisiert wird? Ist es Aufgabe der Staatspost dar�ber zu wachen, dass niemand kritisiert wird? Dann kommt bald keine Post mehr und es heisst nur noch: Trari trara, das Post-Defizit ist da!

Ich schliesse mein Pl�doyer mit einem Zitat von Kurt Tucholsky:

"In der Schweiz gibt es keine Zensur, aber sie funktioniert."

Soll das so bleiben? Die Antwort wird im Urteil zu finden sein. 

*

Das Urteil wurde noch nicht gef�llt. Es werde schriftlich zugestellt, hiess es.


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