Ökojournal Mai 1993

... rutschen die Tiere bei jeder schnellen Bewegung aus oder bleiben in den Spalten hängen. Rinder suchen sich vor dem Niederlegen ihren Liegeplatz sorgfältig aus - wenn sie können. Er soll weich, verformbar und trocken sein wie eine Wiese oder ein Strohbett; harte Böden werden wenn möglich gemieden. In der Intensivhaltung auf Spaltenböden sind sie gezwungen, sich auf den verkoteten und harten, mit Spalten durchsetzten Boden zu legen. Dass der Bundesrat in seiner Tierschutzverordnung eine solch tierquälerische Rinderhaltung erlaubt, verletzt ganz offensichtlich das vom Volk im Jahr 1978 mit über 80 Prozent Ja-Stimmen demokratisch beschlossene Tierschutzgesetz, welches verlangt: "Tiere sind so zu halten, dass ihren Bedürfnissen in bestmöglicher Weise Rechnung getragen wird." Auch ohne Weidehaltung ist eine weit bessere Rinderhaltung auf Stroh möglich, wie viele private Landwirte täglich beweisen. Aber die Agro-Technokraten auf dem Strickhof nutzen die Mängel der Tierschutzverordnung rücksichtslos aus und praktizieren vor den Augen der angehenden Bauern eine regelrechte Tierfabrik-Landwirtschaft.

Während das Schwedische Tierschutzgesetz für Rindvieh im Sommer Weideauslauf verlangt, verbringt der grösste Teil der Mastrinder in der Schweiz ihr Leben in einer solchen Intensivhaltung. Die angeblich strengen Schweizer Tierschutzvorschriften gewähren Mastrindern einen Lebensraum von wenig mehr, als ihr Körper einnimmt, nämlich 1,4 bis 2,0 Quadratmeter. Auf der Fläche eines mittelgrossen Schlafzimmers leben so acht ausgewachsene Mastmunis. Viele Konsumenten glauben, Rindfleisch sei ethisch vertretbar, da ja Rinder auf der Weide lebten. Sie wissen nicht, dass es sich bei Rindern auf der Weide meistens um Nachzucht-Kühe handelt. Von den Mast-Rindern sieht der Durchschnittskonsument meist nur auf dem Teller etwas. Wer gegenüber dem Leiden der Tiere nicht gänzlich abgestumpft ist, kann eigentlich nur seinen Fleischkonsum drastisch einschränken und sich zähneknirschend damit abfinden, dass er auch als Vegetarier noch gezwungen wird, dieses ganze Drama der landwirtschaftlichen Tierhaltung mit seinen Steuern mit zu finanzieren.

Der Leiter der Landwirtschaftsschule Strickhof musste ein bereits abgemachtes Gespräch mit mir auf Weisung des Chefs des Zürcher Landwirtschaftsamtes, Rolf Gerber, absagen. Gerber war noch bis vor kurzem Sekretär des Zürcher Bauernverbandes - so und bezeichnete mich in der Landwirtschaftspresse als "Psychopathen", "Tierschutz-Psycho" und "Tierschutz-Amokläufer", der sein "Unwesen wie ein rasender Roland im ganzen Land" treibe, bäuerliche Existenzen ruiniere und Landwirtschaftsschulen kompromittiere (vgl mein Buch "Tierfabriken in der Schweiz" Seite 113). Ein solcher Agro-Verbandsmensch hat der Zürcher Regierungsrat als Chef des Landwirtschaftsamtes eingesetzt. Diese enge personelle Verflechtung zwischen Agro-Lobby und Landwirtschaftsbehörden, die überall bei Bund und Kantonen anzutreffen ist, stellt eine zentrale Ursache dafür dar, dass das Tierschutzgesetz toter Buchstabe bleibt und gewerbsmässige Tierquäler grosszügig staatliche Subventionen erhalten, während der Oeffentlichkeit das Bild einer bodenständig-natruverbundenen bäuerlichen Landwirtschaft vorgekaukelt wird und die tierfreundlichen Weidebetriebe in den Alpen eingehen.

Erwin Kessler


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