Kesslers Prozesse
Der Tierschützer Erwin Kessler kämpft
zurzeit vor dem Obergericht gegen die Behauptung, er betreibe Rassismus
und Antisemitismus
Frauenfeld. Erwin Kessler wehrt sich
gegen ein Buch, das ihn als Antisemiten darstellt. Dabei bekräftigt er
Äusserungen, die das Bundesgericht als Verstoss gegen das
Antirassismusgesetz wertete.
Thomas Wunderlin
Der Tierschützer Erwin Kessler hielt
kürzlich vor dem Thurgauer Obergericht ein knapp dreistündiges Plädoyer.
Der Präsident des Vereins gegen Tierfabriken (VgT) kam ohne Anwalt,
hatte sich aber mit umfangreichen Recherchen vorbereitet, um seine Klage
gegen die juristische Dissertation des heutigen DRS-Redaktors Pascal
Krauthammer zu untermauern.
Das Gericht soll, so Kesslers Forderung,
die Verbreitung der folgenden Behauptungen verbieten: Kessler betreibe
einen krassen Rassismus und Antisemitismus, er habe Kontakte zu
Rechtsextremen, Revisionisten sowie zu Neonazis gehabt, und er habe mit
gefälschten Zitaten ein Zerrbild des Talmud propagiert, wonach dieser
alle Juden verpflichte, Christen zu schädigen oder zu vernichten.
Zwischenerfolg
Kessler hatte seine Klage zunächst am 20.
April 2001 beim Bezirksgericht Münchwilen eingereicht. Dieses verfügte
in einem Zwischenentscheid vom 14. Oktober 2002, Krauthammers Buch dürfe
bis zur Erledigung des Hauptverfahrens nicht weiter verbreitet werden.
Dabei stützte es sich auf ein Nebenverfahren, das Kessler gegen den
«Bund» eingeleitet hatte. Die Berner Tageszeitung hatte Krauthammers
Buch rezensiert und dabei einzelne Aussagen Krauthammers übernommen. In
jenem Verfahren kam das Thurgauer Obergericht am 11. April 2002 zum
Schluss, Kontakte Kesslers zur Revisionistenszene seien nachgewiesen,
nicht aber solche zur Neonaziszene.
Verbreitungsstopp aufgehoben
Am 13. November 2002 urteilte das
Bundesgericht jedoch, dass Kessler «aufgrund seiner nachweislichen
Kontakte zu Revisionisten und Holocaustleugnern im konkreten
Zusammenhang mit der antisemitisch motivierten Polemik um das
Schächtverbot ohne Verletzung seiner Persönlichkeit Kontakte zur
Neonazi- und Revisionistenszene nachgesagt werden durften». In seinem
Urteil vom 17. Juni 2003 hob das Bezirksgericht deshalb das
Verbreitungsverbot wieder auf, wies Kesslers Klage ab und verpflichtete
ihn zu einer Entschädigungszahlung von 12 000 Franken an Krauthammer und
seinen Verlag. Ausserdem muss Kessler 3000 Franken Verfahrensgebühr
übernehmen. Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig, da es Kessler ans
Obergericht weitergezogen hat. Am ersten Verhandlungstermin kam der
Gegenanwalt nicht zu Wort. Das Obergericht wird einen zweiten Termin
ansetzen. In seinem Plädoyer warf Kessler Krauthammer vor, er verstehe
es «meisterhaft, verleumderische Zusammenhänge zu konstruieren, wo
überhaupt kein Zusammenhang besteht». Krauthammer unterstelle ihm
Kontakte zur Revisionistenszene, weil die VgT-Website bei einem
amerikanischen Provider gehostet sei, bei dem auch Revisionisten Kunden
seien. Genauso gut könne man dem Gerichtspräsidenten Kontakte zu
Pädophilen unterstellen. Schliesslich telefoniere er bei einer
Telefongesellschaft, bei der zweifellos auch Pädophile Anschlüsse
hätten. Das Bezirksgericht Münchwilen hatte sich in seinem Urteil auch
auf ein Bundesgerichtsurteil vom 26. September 2000 berufen, das Kessler
des Verstosses gegen das Antirassismusgesetz für schuldig befunden
hatte. Dabei ging es unter anderem um das folgende Zitat aus den
«VgT-Nachrichten»: «Ein Massenverbrechen bleibt ein Verbrechen, auch
wenn es mit Ideologien gerechtfertigt wird. Die Nazis hatten ihre
Ideologie, den Arierwahn. Die Orthodoxen Juden und Moslems haben eine
andere, ebenfalls bestialische Ideologie. Rechtfertigt diese den
Schächtholocaust?»
Kritische Stellen bestätigt
Vor Obergericht versuchte Kessler das
Bundesgerichtsurteil zu relativieren. Die «paar wenigen kritischen
Textstellen» seien acht Jahre alt. Deshalb könne man ihm nicht
permanenten, krassen Rassismus und Antisemitismus vorwerfen. Das
Bezirksgericht Münchwilen, das von der «Agrolobby» dominiert werde,
nehme jede Gelegenheit wahr, ihn «mit dem Mittel der politischen
Justizwillkür zu terrorisieren». Von den «paar wenigen kritischen
Textstellen» distanzierte er sich allerdings nicht, sondern bezeichnete
sie als «berechtigt».
Antisemiten und Tierschützer
In seiner Dissertation zeichnet Pascal
Krauthammer die Geschichte der Antischächt-Bewegung nach. Ihren Beginn
führt er auf die Tierschutzbewegung des 19. Jahrhunderts zurück. «Die
Wahrnehmung des Tieres als Geschöpf, das zu leiden fähig ist, hatte sich
parallel zu einer veränderten Naturauffassung entwickelt.» Die
«sentimental-romantische Einstellung zur natürlichen Umwelt» habe sich
besonders in der städtischen Bevölkerung verbreitet.
Politische Erwägungen hätten die
Themenwahl der Tierschutzvereine bestimmt. «Das rituelle Schlachten
hatte für Politiker, die der Emanzipation der Juden feindlich
gegenübergestanden hatten, einen besonderen Reiz.»
Thurgau sagt Ja
Aufgrund einer Volksinitiative kam am 20.
August 1893 das bis heute gültige Schächtverbot in die Bundesverfassung.
Das Ständemehr wurde mit 111/2 Ja gegen 101/2 Nein nur knapp erreicht.
«Wo auch immer das Zeitungswesen hinter dem Schächtverbot stand, wo auch
immer die Agitation gegen die Juden einen Drucker fand, schnellten die
befürwortenden Stimmen in die Höhe», kommentiert Krauthammer. «Im Kanton
Thurgau halfen der judenfeindliche ‹Thurgauer Volksfreund› und die
‹Thurgauische Volkszeitung› zu einem überwältigenden Ja-Stimmenanteil
von 77%.» Die Kantone St. Gallen und die beiden Appenzell lehnten die
Initiative ab.
Antisemitisches Material
Die heutige Anti-Schächtbewegung ist laut
Krauthammer durch eine antiislamische Komponente erweitert worden. Wie
bei den Juden 100 Jahre zuvor, falle es der Schweizer Gesellschaft
schwer, die Muslime in ihrer Mitte als Muslime aufzunehmen. Erwin
Kessler habe zu Beginn der 1990er-Jahre die Führung der «militanten
Schweizer Antischächtbewegung» übernommen. «In seinen ‹VgT-Nachrichten›,
die anfangs 2000 in einer Auflage von 500 000 Exemplaren erschienen,
belieferte der hauptberufliche Tierschützer seine Leser mit einer Flut
von rassistischem und antisemitischem Material zur Schächtfrage.» (wu)
Pascal Krauthammer, Das Schächtverbot in
der Schweiz, ZürcherStudien zur Rechtsgeschichte, Schulthess, Zürich
2000, 289 S.
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