St Galler Tagblatt (Gesamtausgabe), 7. Juli 2004
Hintergrund

Kesslers Prozesse

Der Tierschützer Erwin Kessler kämpft zurzeit vor dem Obergericht gegen die Behauptung, er betreibe Rassismus und Antisemitismus

Frauenfeld. Erwin Kessler wehrt sich gegen ein Buch, das ihn als Antisemiten darstellt. Dabei bekräftigt er Äusserungen, die das Bundesgericht als Verstoss gegen das Antirassismusgesetz wertete.

Thomas Wunderlin

Der Tierschützer Erwin Kessler hielt kürzlich vor dem Thurgauer Obergericht ein knapp dreistündiges Plädoyer. Der Präsident des Vereins gegen Tierfabriken (VgT) kam ohne Anwalt, hatte sich aber mit umfangreichen Recherchen vorbereitet, um seine Klage gegen die juristische Dissertation des heutigen DRS-Redaktors Pascal Krauthammer zu untermauern.

Das Gericht soll, so Kesslers Forderung, die Verbreitung der folgenden Behauptungen verbieten: Kessler betreibe einen krassen Rassismus und Antisemitismus, er habe Kontakte zu Rechtsextremen, Revisionisten sowie zu Neonazis gehabt, und er habe mit gefälschten Zitaten ein Zerrbild des Talmud propagiert, wonach dieser alle Juden verpflichte, Christen zu schädigen oder zu vernichten.

Zwischenerfolg

Kessler hatte seine Klage zunächst am 20. April 2001 beim Bezirksgericht Münchwilen eingereicht. Dieses verfügte in einem Zwischenentscheid vom 14. Oktober 2002, Krauthammers Buch dürfe bis zur Erledigung des Hauptverfahrens nicht weiter verbreitet werden. Dabei stützte es sich auf ein Nebenverfahren, das Kessler gegen den «Bund» eingeleitet hatte. Die Berner Tageszeitung hatte Krauthammers Buch rezensiert und dabei einzelne Aussagen Krauthammers übernommen. In jenem Verfahren kam das Thurgauer Obergericht am 11. April 2002 zum Schluss, Kontakte Kesslers zur Revisionistenszene seien nachgewiesen, nicht aber solche zur Neonaziszene.

Verbreitungsstopp aufgehoben

Am 13. November 2002 urteilte das Bundesgericht jedoch, dass Kessler «aufgrund seiner nachweislichen Kontakte zu Revisionisten und Holocaustleugnern im konkreten Zusammenhang mit der antisemitisch motivierten Polemik um das Schächtverbot ohne Verletzung seiner Persönlichkeit Kontakte zur Neonazi- und Revisionistenszene nachgesagt werden durften». In seinem Urteil vom 17. Juni 2003 hob das Bezirksgericht deshalb das Verbreitungsverbot wieder auf, wies Kesslers Klage ab und verpflichtete ihn zu einer Entschädigungszahlung von 12 000 Franken an Krauthammer und seinen Verlag. Ausserdem muss Kessler 3000 Franken Verfahrensgebühr übernehmen. Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig, da es Kessler ans Obergericht weitergezogen hat. Am ersten Verhandlungstermin kam der Gegenanwalt nicht zu Wort. Das Obergericht wird einen zweiten Termin ansetzen. In seinem Plädoyer warf Kessler Krauthammer vor, er verstehe es «meisterhaft, verleumderische Zusammenhänge zu konstruieren, wo überhaupt kein Zusammenhang besteht». Krauthammer unterstelle ihm Kontakte zur Revisionistenszene, weil die VgT-Website bei einem amerikanischen Provider gehostet sei, bei dem auch Revisionisten Kunden seien. Genauso gut könne man dem Gerichtspräsidenten Kontakte zu Pädophilen unterstellen. Schliesslich telefoniere er bei einer Telefongesellschaft, bei der zweifellos auch Pädophile Anschlüsse hätten. Das Bezirksgericht Münchwilen hatte sich in seinem Urteil auch auf ein Bundesgerichtsurteil vom 26. September 2000 berufen, das Kessler des Verstosses gegen das Antirassismusgesetz für schuldig befunden hatte. Dabei ging es unter anderem um das folgende Zitat aus den «VgT-Nachrichten»: «Ein Massenverbrechen bleibt ein Verbrechen, auch wenn es mit Ideologien gerechtfertigt wird. Die Nazis hatten ihre Ideologie, den Arierwahn. Die Orthodoxen Juden und Moslems haben eine andere, ebenfalls bestialische Ideologie. Rechtfertigt diese den Schächtholocaust?»

Kritische Stellen bestätigt

Vor Obergericht versuchte Kessler das Bundesgerichtsurteil zu relativieren. Die «paar wenigen kritischen Textstellen» seien acht Jahre alt. Deshalb könne man ihm nicht permanenten, krassen Rassismus und Antisemitismus vorwerfen. Das Bezirksgericht Münchwilen, das von der «Agrolobby» dominiert werde, nehme jede Gelegenheit wahr, ihn «mit dem Mittel der politischen Justizwillkür zu terrorisieren». Von den «paar wenigen kritischen Textstellen» distanzierte er sich allerdings nicht, sondern bezeichnete sie als «berechtigt».

Antisemiten und Tierschützer

In seiner Dissertation zeichnet Pascal Krauthammer die Geschichte der Antischächt-Bewegung nach. Ihren Beginn führt er auf die Tierschutzbewegung des 19. Jahrhunderts zurück. «Die Wahrnehmung des Tieres als Geschöpf, das zu leiden fähig ist, hatte sich parallel zu einer veränderten Naturauffassung entwickelt.» Die «sentimental-romantische Einstellung zur natürlichen Umwelt» habe sich besonders in der städtischen Bevölkerung verbreitet.

Politische Erwägungen hätten die Themenwahl der Tierschutzvereine bestimmt. «Das rituelle Schlachten hatte für Politiker, die der Emanzipation der Juden feindlich gegenübergestanden hatten, einen besonderen Reiz.»

Thurgau sagt Ja

Aufgrund einer Volksinitiative kam am 20. August 1893 das bis heute gültige Schächtverbot in die Bundesverfassung. Das Ständemehr wurde mit 111/2 Ja gegen 101/2 Nein nur knapp erreicht. «Wo auch immer das Zeitungswesen hinter dem Schächtverbot stand, wo auch immer die Agitation gegen die Juden einen Drucker fand, schnellten die befürwortenden Stimmen in die Höhe», kommentiert Krauthammer. «Im Kanton Thurgau halfen der judenfeindliche ‹Thurgauer Volksfreund› und die ‹Thurgauische Volkszeitung› zu einem überwältigenden Ja-Stimmenanteil von 77%.» Die Kantone St. Gallen und die beiden Appenzell lehnten die Initiative ab.

Antisemitisches Material

Die heutige Anti-Schächtbewegung ist laut Krauthammer durch eine antiislamische Komponente erweitert worden. Wie bei den Juden 100 Jahre zuvor, falle es der Schweizer Gesellschaft schwer, die Muslime in ihrer Mitte als Muslime aufzunehmen. Erwin Kessler habe zu Beginn der 1990er-Jahre die Führung der «militanten Schweizer Antischächtbewegung» übernommen. «In seinen ‹VgT-Nachrichten›, die anfangs 2000 in einer Auflage von 500 000 Exemplaren erschienen, belieferte der hauptberufliche Tierschützer seine Leser mit einer Flut von rassistischem und antisemitischem Material zur Schächtfrage.» (wu)

Pascal Krauthammer, Das Schächtverbot in der Schweiz, ZürcherStudien zur Rechtsgeschichte, Schulthess, Zürich 2000, 289 S.

 


 

 


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