VgT-Nachrichten VN04-1, Mai 2004

Editorial von VgT-Präsident Dr Erwin Kessler:
Hass und Liebe

Sehr geehrter Herr Kessler
Ich bewundere Ihren mutigen Einsatz gegen die Tierquälerei. Bitte erlauben Sie mir einige Worte zu diesem Thema zu schreiben. Ich bin sicher, dass Sie von Gandhi schon mal was gehört haben und über seinen gewaltlosen Kampf für die Freiheit. Laut Gandhi ist der einzige Kampf, welcher auch langfristige Resultate hervorbringt, ein friedlicher Kampf ohne jeglichen Hass...
Man muss den unwissenden Menschen auf eine friedliche Art mit viel Ausdauer, Respekt und Liebe immer wieder die Tatsachen des Lebens vor Augen führen. Gewalt erzeugt Gegengewalt, Hass erzeugt Gegenhass ohne Ende... Liebe ist mächtiger als Hass...
Sobald wir einen Menschen "Jude" nennen, werden wir zum Rassisten, dieser Mensch wird diese Bezeichnung als Angriff auffassen, weil die vergangenen Ereignisse in diesem Menschen einen Komplex auslösen. Als Reaktion lösen wir einen Gegenangriff aus, dies wird leider nicht den Tieren helfen, sondern nur den weiteren Hass schüren...
Herr Kessler, dieses Schreiben ist als ein positiver Denkanstoss gedacht. Ich hoffe, dass Sie diese Notiz nicht einfach löschen, sondern davon Gebrauch machen werden. Ich stehe Ihnen und der Tierwelt gerne zur Verfügung.
Freundliche Grüsse
J M L, Zürich


Sehr geehrter Herr L.

Das ist nett von Ihnen, dass Sie der Tierwelt zur Verfügung stehen. Und wie tun Sie das? Indem Sie mir Ratschläge schicken, wie ich das, was Sie nicht tun, besser machen soll. Davon hat die Tierwelt nichts.

Da Sie offenbar ein Freund ungefragter guter Ratschläge sind, erlaube ich mir, Ihnen auch ein paar zu schenken: Bringen Sie unseren Bundesrat mit viel Liebe und Respekt dazu, mit dem Tierschutzgesetz Ernst zu machen und die schrecklichen Tierfabriken endlich zu verbieten. Und bringen Sie mit viel Liebe und Respekt die Schächtjuden dazu, die Tiere vor dem Schlachten zu betäuben. Wenn Sie das getan haben, höre ich gerne wieder von Ihnen - dann mit wesentlich grösserem Interesse. Aber solange Sie nur Weisheiten aus Büchern abschreiben, die andere in anderen Büchern abgeschrieben haben, verschwenden Sie mit Ihren Ratschlägen meine Zeit. Bücher lesen kann ich selber.

In Meyers Enzyklopädischem Lexikon finden wir folgende Definition von Hass: “extrem starkes Abneigungsgefühl (auch Antipathie)” . Was ist schlecht daran, wenn ich Tierquäler hasse? Ich finde es schlecht, Tierquäler zu lieben, ihnen mit Respekt zu begegnen und ihnen damit das Gefühl zu geben, sie seien akzeptiert. “Ich liebe und respektiere euch, aber was ihr den Tieren tut, finde ich nicht gut.”, ist nach meiner Auffassung keine genügend starke Missbilligung, wenn es um schwere Tierquälerei geht. Auch Gandhi und Jesus hatten Zornausbrüche. Und überhaupt: War Gandhi wirklich so gewaltfrei, wie das übliche Cliché ihn darstellt? Nein, Gandhi war eine sehr kämpferische Persönlichkeit, kein uneingeschränkter Pazifist, der nur mit unendlicher Geduld wirkungslos schöne Sprüche wiederholte. (1940 erklärte er sich unter der Bedingung, dass Indien die Unabhängigkeit gewährt würde, bereit, auf der Seite der Engländer in den Krieg zu ziehen.) Wie Gandhi führe ich einen gewaltfreien Kampf. Gandhis Grossdemonstrationen stellten für die Regierung eine gewaltige Provokation dar, keinen lieben Dialog. Mein unbeschönigtes Aufdecken des Massentierelendes in der Schweiz provoziert das Establishment derart, dass ich mit politischer Willkürjustiz verfolgt und ins Gefängnis geworfen werde - ganz ähnlich wie das Gandhi widerfuhr; er war auch wiederholt im Gefängnis.

Hass und Gewalt - schreiben Sie - erzeuge Gegenhass und Gegengewalt und Liebe sei mächtiger als Hass. Warum wurde dann Gandhi ermordet? Hier war wohl versehentlich die Liebe nicht mächtiger als der Hass. Eine kleine Panne in Ihrer ach so schönen Theorie? In Idealen einer harmonischen Welt schwelgen und sich mit guten Ratschlägen die Hände nicht schmutzig machen, ist eine Sache. Eine andere ist es, in der realen Welt gegen eine Übermacht von brutalem Egoismus und boshafter Verlogenheit und Falschheit für die Schwachen und Wehrlosen unüberhörbar einzustehen, ihr Elend sichtbar zu machen, sich nicht einschüchtern zu lassen und nicht zu resignieren, Gefängnis und Mordddrohungen auf sich zu nehmen.

Nur 20 % der Juden in der Schweiz sind Anhänger der grausamen Schächt-Tradition; diese kritisiere ich nicht, weil sie Juden sind, sondern weil sie Tiere bestialisch zu Tode foltern und ihren Opfern die Gnade der vorherigen Betäubung versagen. Ich bekämpfe sie, wie ich alle anderen Tierquäler bekämpfe. Die Betäubung vor dem Schächten ist das Einzige, was ich verlange. Sonst können Juden in der Schweiz ungestört leben, von niemandem verfolgt oder belästigt. Aber eine winzige Minderheit, die für sich das Recht in Anspruch nimmt, die grosse Mehrheit ihrer andersgläubigen Mitmenschen mit barbarischer Tierfolter zu provozieren, muss sich nicht wundern, wenn sie unbeliebt ist. Und die liberalen Juden, die sich mit den Schächtjuden solidarisieren, sollten sich nicht wundern, wenn das Wort "Jude" in der Öffentlichkeit zunehmend negative Assoziationen hervorruft. Das liegt aber nicht am Wort "Jude", das wäre genauso, wenn sich die Juden ab heute zB "Eduj" nennen würden, ohne die Schächt-Tierquälerei aufzugeben. Dann bekäme eben Eduj mit der Zeit einen negativen Beigeschmack. Die Juden, welche das Schächten ablehnen - solche gibt es tatsächlich -, sollten dies laut und deutlich kundtun; das wäre der bestmögliche Beitrag gegen Antisemitismus. Dass das Schächten, obwohl nur von einer Minderheit praktiziert, antisemitische Gefühle weckt, ist die Folge davon, dass die breite Öffentlichkeit den Eindruck hat, alle Juden würden sich mit der schächtenden Minderheit solidarisieren.

Von Menschen, die die Liebe predigen und ihre Religiosität zur Schau stellen, habe ich handkehrum blinden Hass erlebt. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Religionen immer wieder den schlimmsten Hass erzeugen; aus der jüngsten Geschichte: Nordirland, Serbien/Kosovo, Israel/Palästina,Indien/Pakistan.

Wenn ich schreckliche Missstände fotografiere oder eine neue Ausgabe der VgT-Nachrichten zusammenstelle, die schrecklichen Bilder einfüge, den Layout erstelle, muss ich cool bleiben, ruhig meinen Job tun, ohne mich emotional zu sehr mit der Sache einzulassen, damit ich nicht ausraste und in blindem Hass Amok laufe. Als ich einmal in Grenchen aus einem Versteck heraus das Schächten in einer türkischen Metzgerei filmte und die Metzger, wie sie mit langen Messern herumgingen, war mein Puls aus Angst, Aufregung und Empörung so hoch, dass die Filmaufnahmen im Rhythmus meines Herzschlages zuckten.

Mein ständiges Bemühen, das innere Gleichgewicht nicht zu verlieren, war von Anfang an das Zentralste, Wichtigste und Schwierigste meiner ganzen Tierschutzarbeit. Aber mein Ziel ist es nicht, zu einem angepassten, zahmen “Diplomat” zu werden, der überall beliebt ist und nur ja keine aggressiven Reaktionen hervorruft. Eine aggressive Auseinandersetzung über das Tier-Elend ist besser als gar keine. Zahme Tierschützer gibt es schon mehr als genug; ich sehe keinen Sinn darin, auch so zu werden. Der VgT ist die einzige Organisation in der Schweiz, die hartnäckig immer wieder neue, authentische Aufnahmen aus den Schweizer Tierfabriken veröffentlicht. Deshalb werde ich gehasst, verleumdet und verfolgt. Und so wird es leider bleiben, bis meine Tage gezählt sind. Dann habe ich aber wenigstens getan, was ich konnte, nicht nur schön geredet.

Erwin Kessler, Gründer und Präsident des VgT


Bismark soll gesagt haben, dass viele zwar auf dem Schlachtfeld Tapferkeit beweisen, aber wenige zivile Courage zeigen, wenn es darum geht, im bürgerlichen Leben anderen beizustehen. Nur dem Mutigen dankbar zu sein, ist so gesehen zu wenig: man soll sich an ihm ein Beispiel nehmen.
Rechtsprofessor Frank Höpfel, Universität Wien

(in: Strafjustiz und Rechtsstaat, Symposium zum 60. Geburtstag von Franz Riklin und José Hurtado Pozo, herausgegeben von Niggli/Queloz, 2003)


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