von Erwin Kessler
Aufsichtsbeschwerden des VgT an die Zürcher Regierung und
das Bundesamt für Veterinärwesen wurden wie üblich abgewiesen, auch ein Rechtsgutachten
des bekannten Rechtsprofessors und Ständerates René Rhinow fruchteten nichts: Das
Zürcher Veterinäramt erteilte weiterhin rechtswidrige Sonderbewilligungen an Bauern,
damit diese entgegen den Tierschutzvorschriften ihr Vieh lebenslänglich an der Kette
halten und trotzdem Subventionen beziehen konnten. Jetzt hat eine Strafuntersuchung der
Bezirksanwaltschaft bestätigt: Der VgT hat recht. Diese von Regierung und Bundesamt für
Veterinärwesen gedeckte Praxis des Zürcher Veterinäramtes ist rechtswidrig und erfüllt
objektiv den Tatbestand des Amtsmissbrauchs.
Sensationell ist diese Feststellung nicht. Sie zeigt nur die Spitze des Eisbergers, wie
mit Rechtswillkür und Amtsmissbrauch der Vollzug des Tierschutzgesetzes sabotiert wird.
Sensationell ist aber, dass diese Tatsachen einmal in einer amtlichen Verfügung
festgehalten wird. Wir drucken deshalb diese Verfügung, die von historischer Bedeutung
ist, auf den folgenden Seiten im Wortlaut ab.
Mehr als die Offenlegung dieser Missstände in Regierung und Verwaltung wird dieser Entscheid allerdings leider nicht bewirken: Das Bundesamt für Veterinärwesen, welches dem tierverachtenden Bundesrat Delamuraz untersteht, hat sofort, nachdem diese Strafuntersuchung gegen das Zürcher Veterinäramt bekannt wurde, den nächsten heimtückischen Schachzug gegen den Tierschutzvollzug eingefädelt: In der revidierten Tierschutzverordnung werden nun solche Sonderbewilligungen für Tierquäler ausdrücklich erlaubt!
EINSTELLUNGSVERFÜGUNG
In Sachen gegen
D o1 d e r Kurt, geboren am 12. Oktober 1932, von Büiach/ZH und Beromünster/LU, Dr.med.vet, wohnhaft Unterweg 28, 8180 Bülach
erbeten veiteidigt durch:
RA Dr.iur. Ernst Hirzel, Theaterstr 2, 8001 Zürich
betreffend Amtsmissbrauch etc
wird
aus folgenden Gründen:
Mit Schreiben vorn 17. November 1994 erstattete Rechtsanwalt Dr. Louis Capt namens und auftrags des Vereins gegen Tierfabriken VgT bei der Bezirksanwaltschaft Zürich Strafanzeige gegen das kantonale Veterinäramt des Kantons Zürich, insbesondere gegen Dr. med.vet. Kurt Dolder, stellvertretender Kantonstierarzt des Kantons Zürich, wegen Amtsmissbrauchs, evtl. ungetreuer Amtsführung sowie Verstosses gegen Art. 18 der Eidgenössischen Tierschutzverordnung TSchV vom 27. Mai 1981. Zur Begründung führte er im wesentlichen an, das kantonale Veterinäramt habe unter aktiver Führung von Kurt Dolder mehrfach gegen Art 18 TSchV (Auslaufvorschrift für Rindvieh) verstossen, indem das Veterinäramt bzw. Kurt Dolder in seiner Stellung als stellvertretender Kantonstierarzt mindestens den drei Zürcher Landwirten Wilhelm Kaufmann und Heinrich Demuth, beide Rümlang, sowie Robert Eberle, Gossau, Sonderbewilligungen erteilt habe, welche diese von der Einhaltung der genannten Verordungsbestimmung dispensiert habe. Den Verantwortlichen des Veterinäramtes sei hierbei aus verschiedenen öffentlichen Auseinandersetzungen um diese Sonderbewilligungen bekannt gewesen, dass diese ohne gesetzliche Grundlage und damit gesetzeswidrig erteilt würden. Sodann bestehe eine schriftliche Stellungnahme von Prof. René Rhinow vom 16. März 1993, worin dieser klar festhalte, dass vorliegend das Ausstellen von Sonderbewilligungen durch eine Verwaltungsbehörde mangels einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage rechtswidrig sei. Das Veterinäramt demgegenüber rechtfertige seine Bewilligungspraxis, indem es sich auf das sog. Verhältnismässigkeitsprinzip berufe. Diese Rechtfertigung sei indessen unbehelflich, weil das Verhältnismässigkeitsprinzip lediglich besage, dass ein Gesetz mit dem mindest-möglichen Mittel durchzusetzen sei. Es besage jedoch nicht, dass es im Ermessen der Verwaltung liege, ob und inwieweit ein Gesetz schlechthin durchzusetzen sei. Das lebenslängliche Anbinden von Rindvieh stelle eine schwerwiegende Misshandlung der Tiere dar, die durch rein wirtschaftliche Vorteile für den Tierhalter nicht aufgewogen werden könnten. Eine Betriebsaufgabe bzw. ein Berufswechsel müsse in solch schwerwiegenden Fällen wie hier, wo eine grundlegende Forderung des Tierschutzgesetzes (Art. 3 Abs. 2 TSchG und Art. 18 TSchV) seit Inkrafttreten des Tierschutzgesetzes 1981 verletzt werde, zumutbar sein, solle das Tierschutzgesetz nicht toter Buchstabe bleiben.
Dadurch, dass das Veterinäramt seine Amtspflicht, das Tierschutzgesetz durchzusetzen, seit 14 Jahren grob vernachlässige und nun versuche, die landauf landab bestehenden gesetzeswidrigen Missstände mit (illegalen) Sonderbewilligungen zu legalisieren, begehe es eine massive Amtspflichtverletzung. So würden die Verantwortlichen ihre Amtsgewalt miss-brauchen, um einigen Landwirten Sonderrechte und Sondervorteile zu gewähren, wodurch eine Strafverfolgung gegen das Tierschutzgesetz verstossende Tierhalter vereitelt und diese pflicht- und gesetzeswidrig vor Strafe geschützt würden. Mit ihrem Vorgehen habe das Veterinäramt kraft seiner Amtsgewalt mindestens den drei obgenannten Landwirten einen unrechtmässigen Vorteil verschafft, weshalb gegen die hierfür Verantwortlichen wegen Amtsmissbrauchs im Sinne von Art. 312 StGB zu ermitteln sei. Durch das Erteilen von Sonderbewilligungen, welche den Tierhaltern entgegen der Bestimmung von Art. 18 TSchV das ständige Anbinden ihres Rindviehs ausdrücklich gestatte,hätten sich die zuständigen Verantwortlichen des Veterinäramtes - insbesondere Kurt Dolder - sodann der Widerhandlung gegen Art. 18 TSchV schuldig gemacht.
II.
1. Die aufgrund dieser Strafanzeige eingeleiteten polizeilichen Ermittlungen bestätigten die Sachverhaltsdarstellung der Anzeigeerstatterin, wonach das Veterinäramt den drei genannten Landwirten Sonderbewilligungen ausgestellt und diese jeweils mehrmals verlängert habe, welche diese von der Pflicht, ihrem Rindvieh gemäss Art. 18 TSchV zeitweilig ausserhalb der Standplätze Bewegungsmöglichkeiten zu verschaffen, für eine bestimmte Frist befreit. Die entsprechenden Bewilligungen wurden hierbei jeweils vom stellvertretenden Kantonstierarzt Kurt Dolder unterzeichnet.
2. Die Direktion
der Volkswirtschaft des Kantons Zürich, der das Veterinäramt unterstellt ist, liess sich
... vernehmen. Darin entgegnet sie dem Vorwurf der Anzeigeerstatterin, Zürcher
Rindviehhaltern rechtswidrig Sonderbewilligungen zu erteilen, zusammenfassend wie folgt:
Die Nutztierhaltung unterliege nicht der Bewilligungspflicht. Aus diesem Grunde würden
keine «Ausnahmebewilligungen» erteilt, sondern es werde bei Vorliegen bestimmter
Voraussetzungen gegenüber einem Tierhalter vielmehr in Form einer Verfügung eine
Erklärung abgegeben, auf verwaltungsrechtliche Zwangsmassnahmen für die Dauer einer
bestimmten Frist von maximal drei Jahren (Verlängerung nach erneuten Kontrollen möglich)
zu verzichten. Soweit der Grund des fehlenden Auslaufes des Rindviehs nur im fehlenden
Willen des Tierhalter liege, würden zur Durchsetzung von Art. 18 TSchV durchaus
verwaltungsrechtliche Zwangsmassnahmen angeordnet. In Fällen jedoch, wo die
Gewährleistung von Auslauf nur unter grössten Schwierigkeiten oder überhaupt nicht zu
bewerkstelligen sei, sei es unverhältnismässig, den Tierhalter mit einem Tierhalteverbot
zu belegen und dadurch seine bäuerliche Existenz zu gefährden. Aus diesem Grunde werde -
in gesetzeskonformer Auslegung von Art. 18 TSchV - der geforderte Auslauf dann nicht
durchgesetzt, wenn die Tierhaltung im übrigen einwandfrei und auch ohne Auslauf für das
Tier nicht mit Leidensdruck verbunden sei. Das Nicht-Durchsetzen der fraglichen
Verordnungsbestimmung sei hierbei immer nur ein einstweiliges, befristetes. So werde dort
auf eine Intervention verzichtet, wo ein Ende des verordnungswidrigen Zustandes absehbar
sei, beispielsweise wegen vorgerücktem Alter des Betriebsinhabers ohne Nachfolger oder
wegen bevorstehender Aussiedelung in ein neues Betriebszentrum. Man berufe sich also nicht
auf eine Normlücke, sondern auf das akzessorische Prüfungsrecht. Die praktizierte
Vorgehensweise könne schliesslich durchaus als im Einklang mit dem Wortlaut von Art 18
TSchV stehend betrachtet werden, gehe diese Bestimmung ja offenbar ebenfalls davon aus,
dass bei «Altbauten» nicht immer «ausreichend Platz» für den Auslauf zur Verfügung
stehe.
Der Regierungsrat habe in seiner Sitzung vom 30. Januar 1990 vom gemeinsamen Bericht des Landwirtschaftsamtes, des Meliorations- und Vermessungsamtes sowie des Veterinäramtes betreffend den Vollzug der Tierschutzgesetzgebung in den Nutztierbeständen des Kantons Zürich Kenntnis genommen. Dieser Bericht basiere auf der vom Zürcher Landwirtschaftlichen Kantonalverein und dem Veterinäramt 1989 durchgeführten Bestandesaufnahme über die im Kanton Zürich gehaltenen Schweine und das Rindvieh. Hierbei habe der Regierungsrat zur Kenntnis genommen, dass die Volkswirtschaftsdirektion in ca. 300 bis 500 Betrieben, in welchen die vom Tierschutzgesetz geforderten Anpassungen bis Ende 1991 nicht möglich seien, besondere, befristete Regelungen erlassen werde, um diese Betriebe nicht in ihrer Existenz zu gefährden. Mit diesem sinngemässen Hinweis auf das bei Vollzugsmassnahmen zu wahrende Verhältnismässigkeitsprinzip habe der Regierungsrat die Volkswirtschaftsdirektion mit dem Erlass der strittigen Sonderregelungen beauftragt. Regierungsrätin Hedi Lang habe schliesslich am 1. April 1992 die von Kurt Dolder ausgearbeiteten Kriterien, welche alternativ für das Ausstellen einer Sonderregelung erfüllt sein müssen, schriftlich genehmigt und damit Ihre Zustimmung zur Anwendnung des Verhältnismässigkeitsprinzips bei der Durchsetzung von Art. 18 TSchV gegeben. Sodann habe 1993 die Kantonale Tierschutzkomrnission, in welcher nebst der Leitung des Veterinäramtes u.a. auch Vertreter von Tierschutzorganisationen Einsitz hätten, in ihren Sitzungen die Vollzugsprobleme von Art. 18 TSchV mehrmals diskutiert, wobei man die Sonderregelungspraxis und das dabei anzuwendende Verhältnismässigkeitsprinzip ebenfalls unter stützt habe. [Anmerkung der Redaktion: Hier kommt wiedereinmal die feige Feigenblattpolitik der konservativen Tierschutzvereine an den Tag.] Letztlich habe im Rahmen einer vom VgT eingereichten Aufsichtsbeschwerde selbst das Bundesamt für Veterinärwesen die Zürcher Sonderregelungspraxis als zulässig taxiert und die Beschwerde abgewiesen. [Anmerkung der Redaktion: Diese Haltung dieses korrupten Bundesamtes ist schon nicht mehr überraschend.] Nicht zuletzt aufgrund dieser Vorgänge sei man der festen Rechtsüberzeugung, dass Sonderregelungen, welche den Tierhalter für eine befristete Dauer von der in Art. 18 TSchV statuierten Pflicht befreien, offensichtlich rechtmässig seien.
3. Der aufgrund der Ausstellung der strittigen Sonderregelungen als Angeschuldigter in das vorliegende Strafverfahren involvierte stellvertretende Kantonstierarzt Kurt Dolder führte darüber hinaus in schriftlichen Eingaben sowie anlässlich seiner untersuchungsrichterlichen Einvernahme aus, dass er zu keinem Zeitpunkt an der Rechtmässigkeit seiner Vorgehensweise gezweifelt habe, zumal diese nicht nur von den Rechtsgelehrten der Volkswirtschaftsdirektion, sondern auch von seiner damaligen politischen Vorgesetzten, Regierungsrätin Lang, als recht-mässig gebilligt worden und er in der Folge mit der Prüfling der eingehenden Gesuche, dem Ausstellen und dem allfälligen Verlängern der Sonderregelungen beauftragt worden sei. Darüber hinaus sei er immer von der Ueberzeugung geleitet worden, dass es über den nackten Gesetzesbuchstaben hinaus noch das Kriterium der Verhältnismässigkeit der Gesetzesanwendung gebe, durch die ein vernünftiger Vollzug erst möglich werde. So habe er imrner nur aus bestem Wissen und Gewissen unter Berücksichtigung der Gesamtsituation eines Betriebes[Anmerkung der Redaktion: ... und kaltblütig über das Tierleid hinwegsehend...] gehandelt und seine Entscheidungen getroffen, wobei er nach der Maxime gehandelt habe, dass ein ausschliesslich auf die fehlenden Bewegungsmöglichkeiten nach Art. 18 TSchV gestütztes Tierhalteverbot für den Tierhalter einen unverhältnismässig schweren Eingriff bedeutet hätte [Anm.d.R.: Für das Tier ist das offenbar kein schwerer Eingriff. Diesen mit Steuergeldern hochbezahlten Bürokrat sollte man lebenslänglich in Ketten legen und ihn dann fragen, für wie schwer er diesen Eingriff hält, den er den Tieren so leichtfertig zumutet.], weshalb wegen diesem Mangel alleine nie Tierhalteverbote ausgesprochen worden seien. Vielmehr habe ein Tierhalter selbst dann eine Sonderregelung erhalten, wenn Weideland zur Verfügung gestanden habe, die baldige Aufgabe des Betriebes aber absehbar gewesen sei.
III.
1. Aufgrund der konträren Rechtsansichten der Anzeigeerstatterin und der beanzeigten Volkswirtschaftsdirektion musste zur Eruierung der tatsächlichen Rechtslage ein verlässliches, objektiv messbares Gutachten in Auftrag gegeben werden, welches am 30. Januar 1996 vorlag. Darin führt der Gutachter Prof. Dr.iur., LL.M. Heribert Rausch aus, dass Art. 18 TSchV eine Verhaltensvorschrift darstelle, die als solche nicht der Umsetzung durch eine behördliche Verfügung bedürfe, sondern vielmehr unmittelbar anwendbar sei, indem der Tierhalter seinen Tieren genügend Bewegungsfreiheit zu geben habe. Im Gegensatz zu anderen Tierschutzbestimmungen habe es der Gesetzgeber in bezug auf Art 18 TSchV bewusst unterlassen, dem Tierhalter eine Uebergangsbestimmung gemäss Art. 73 Abs. 1 TSchV zuzugestehen. Folglich müsse Art. 18 TSchV seit Inkrafttreten des Tierschutzgesetzes und der dazugehörigen Vollzugsverordnung, mithin seit 1. Juli 1981, eingehalten werden. Vorliegend erlaube die kantonale Behörde einzelnen Tierhaltern in Form einer «Ausnahmebewilligung», ihre Tiere in Abweichung von Art. 18 TSchV dauern angebunden zu halten. Entgegen diversen andern Gesetzen, in welchen sich eine Ausnahmeregel finde, die die rechtsanwendenen Behörden ermächtige, im Einzelfall (unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb bestimmter Schranken) eine von der Norm abweichende Sonderlösung zu treffen, kenne weder das Tierschutzgesetz noch die Tierschutzverordnung eine derartige Ausnahme-Ermächtigung. Im Lichte des für das rechtsstaatliche Denken fundamentalen Grundsatzes der Gesetzmässigkeit der Verwaltung werde die Erteilung von Ausnahmebewilligungen ohne gesetzliche Grundlage allgemein als unzulässig angesehen. So dürfe eine Ausnahmebewilligung nur erteilt werden, wenn ein Rechtssatz dies ausdrücklich vorsehe. Gemäss Praxis des Bundesgerichtes dürfe die Verwaltung insbesondere nicht aus Gründen der Praktikabilität vom Erfordernis der Gesetzmässigkeit abweichen. Ausser mit dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung wäre die gegenteilige Auffassung auch mit dem Gewaltenteilungsprinzip unvereinbar. So sei es Sache des Gesetzgebers, den Geltungsbereich der Rechtsnormen in jeder Hinsicht (sachlich, persönlich, örtlich und zeitlich) zu bestimmen; eine auch nur zeitlich befristete Ausnahmebewilligung ohne gesetzliche Grundlage würde im Ergebnis auf eine Beschränkung des Geltungsbereiches einer Rechtsnorm durch eine rechtsanwendende Behörde (Verwaltung oder Gericht) hinauslaufen. Eine Ausnahme ohne gesetzliche Grundlage sei denn auch nur dann denkbar, wenn die Einhaltung der Rechtsnorm objektiv unmöglich sei, wovon bei der vorliegenden Problematik indessen nicht die Rede sein könne. Hinsichtlich der subjektiven Unmöglichkeit sei festzuhalten, dass die Bestimmungen der Tierschutzgesetzgebung dem «Schutz und dem Wohlbefinden» des Tieres dienen und diese als Minimalanforderungen zu verstehen seien, denen jedermann, der mit Tieren umgehe, genügen müsse. Ein Spielraum, um mittels Einzelfallentscheidungen gegenläufigen Interessen eines Tierhalters den Vorzug zu geben, sei insbesondere in der Vorschrift von Art. 18 TSchV nicht auszumachen. Demzufolge gehe es nicht an, von der Durchsetzung dieser Vorschrift unter Berufung auf die Unzumutbarkeit zufolge des hohen Alters oder einer andern persönlichen Eigenschaft des Tierhalters Abstand zu nehmen. Hievon abgesehen sei daran zu erinnern, dass der Tierhalter Hilfspersonen beiziehen könne, was das Argument der subjektiven Unmöglichkeit vollends unbehelflich mache.
2. Das Verhältnismässigkeitsprinzip, dem nach allgemein anerkannter Auffassung Verfassungsrang zukomme, verlange, dass staatliche Anordnungen ein geeignetes und notwendiges Mittel darstellen, um das zu verwirklichende Ziel zu erreichen, und dass sie in einem vernünftigen Verhältnis zu ihrer freiheitsbeschränkenden Auswirkung auf die Betroffenen stehen. In erster Linie binde dieses Prinzip die Organe der Rechtsetzung. Die rechtsanwendenden Behörden hätten sich demgegenüber die Frage nach der Verhältnismässigkeit nur da und nur insoweit zu stellen, als der Gesetzgeber ihnen einen Ermessensspielraum für eigene Anordnungen eingeräumt habe. Vorliegend gehe es nicht um die Auslegung von Art. 18 TSchV, sondern um dessen Anwendung bzw. Nicht-Anwendung, bestehe die Sonderregelung ja eben im Dispens von dieser Vorschrift zugunsten bestimmter Personen. Die strittige Praxis der Volkswirtschaftsdirektion laufe damit auf eine klarerweise unzulässige Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidung durch eine rechtsanwendende Behörde hinaus. Nachdem der Gesetzgeber aber entschieden habe, die Anbindehaltung generell (ohne Ansehen der Person) zu beschränken, dürften die Vollzugsorgane diese Beschränkung nicht im Verhältnis zu einzelnen Tierhaltern für unverhältnismässig bzw. unzumutbar erklären. Es gehöre nicht zur Funktion des Verhältnismässigkeitsprinzips, Härtefälle, die der Gesetzgeber dadurch in Kauf genommen habe, dass er keine Ausnahmeermächtigung geschaffen habe, zu vermeiden.
3. Schliesslich sei der fraglichen Sonderregelungspraxis auch das Rechtsgleichheits-prinzip gemäss Art. 4 BV entgegenzuhalten, welches besage, dass generell-abstrakte Rechtsnormen auf alle gleichliegenden Fälle in gleicher Weise anzuwenden seien. Die ungleiche Behandlung hochbetagter und anderer Landwirte hielte vor dem Rechtsgleichheitsgebot denn auch nur stand, wenn diese Differenzierung mit dem Zwecke von Art. 18 TSchV in Einklang stünde, was eindeutig zu verneinen sei.
4. Aufgrund der oben rezidierten Erwägungen kam der Gutachter zum klaren Befund, dass sich die Praxis, Art. 18 TSchV gegenüber denjenigen Tierhaltern, welche durch diese Vorschrift persönlich überfordert sind, nicht durchzusetzen, als nicht rechtmässig zu taxieren ist.
IV.
1. Aufgrund der klaren Rechtslage steht fest, dass das kantonale Veterinäramt unter der massgeblichen Verantwortnng des stellvertretenden Kantonstierarztes Kurt Dolder nicht befugt war und ist, Rindviehhalter mittels einer Sonderbewilligung von der Einhaltung von Art. 18 TSchV zu entbinden. Es stellt sich somit die Frage, ob sich Kurt Dolder und allfällige weitere Beamte des Veterinäramtes und der Volkswirtschaftsdirektion durch diese Bewilligungspraxis objektiv und subjektiv eines strafbaren Verhaltens schuldig gemacht haben, wobei sich die Prüfung auf den Tatbestand des Amtsmissbrauchs beschränkt. Eine Widerhandlung gegen Art. 18 TSchV kommt demgegenüber entgegen der Ansicht der Anzeigeerstatterin nicht in Frage, kommt hier als Täter doch nur der Tierhalter bzw. allenfalls eine in seinem Auftrag für ihn handelnde Drittpersonen in Betracht. Inwieweit Organe der kantonalen Vollzugsbehörde durch Tolerierung eines verordnungswidrigen Zustandes die Anbindevorschrift verletzen sollen, ist denn auch unersichtlich. Ebenfalls sind die Voraussetzungen für das Erkennen des Tatbestandes der ungetreuen Geschäftsführung im Sinne von Art. 314 StGB nicht weiter zu prüfen, handelt es sich vorliegend doch unbestrittenermassen nicht um vom Täter abgeschlossene Rechtsgeschäfte, weshalb bereits mangels Vorliegens dieses objektiven Tatbestandselementes eine ungetreue Geschäftsführung auszuschliessen ist.
2. Des Amtsmissbrauchs im Sinne von Art. 312 StGB macht sich schuldig, wer als Mitglied einer Behörde oder als Beamter seine Amtsgewalt missbraucht, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen. Missbrauch der Amtspflicht liegt hierbei nur vor, wenn der Täter in der Absicht der Erlangung eines unrechtmässigen Vorteils oder der Zufügung eines widerrechtlichen Nachteils Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig anwendet, d.h. kraft seines Amtes verfügt oder Zwang ausübt, wo dies nicht geschehen dürfte. Art. 312 StGB erfüllt auch der Beamte, der zwar legitime Ziele verfolgt, aber zur Erlangung derselben unzulässige oder unverhältnismässige Mittel anwendet. Der angestrebte Vorteil bzw. Nachteil braucht hierbei nicht vermögensrechtlicher Natur zu sein. In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, muss der Täter also seine Amtsgewalt bewusst missbrauchen. Daran fehlt es, wenn er glaubt, pflichtgemäss zu handeln. Sodann muss kumulativ eine Art. 251 StGB entsprechende Vorteils- oder Benachteiligungsabsicht vorliegen.
3. Durch das Ausstellen von Sonderbewilligungen ohne gesetzliche Grundlage hat der angeschuldigte Kurt Dolder in objektiver Hinsicht Amtsmissbrauch begangen, war doch - wie unter Ziffer III dieser Verfügung einlässlich dargelegt - weder er noch das Veterinärt noch ein anderes kantonales Amt befugt, Tierhalter von der Einhaltung von Art. 18 TSchV auch nur für eine befristete Dauer zu entbinden. In subjektiver Hinsicht ist dem Angeschuldigten der Beweis eines dolosen, mithin strafrechtlich relevanten Verhaltens indessen nicht zu erbringen. Vielmehr ist auf seine durchaus glaubhaften Aussagen abzustellen, wonach er die Sonderbewilligungen in der ihm durch das Einverständnis des Regierungsrates und des Bundesamtes für Veterinärwesen sowie der vorgesetzten Stellen bekräftigten Ueberzeugung nach bestem Wissen und Gewissen im Hinblick auf die Vermeidung von Härtefällen bei Tierhaltern ausgestellt hat. Aufgrund seiner Aussagen sowie der entsprechend klaren Aktenlage ist denn auch ohne weiteres davon auszugehen, dass sein Handeln nicht geleitet wurde vom Bestreben, sich oder jemandem unrechtmässige Vorteile zu verschaffen oder unrechtmässige Nachteile zuzufügen, sondern sich dieses vielmehr im Bemühen erschöpfte, eine allseits zufriedenstellende und den existenziellen Sorgen der betroffenen Tierhaltern soweit möglich Rechnung tragende vorläufige Lösung zu suchen, im Hinblick auf die in absehbarer Zukunft anzustrebende gänzliche Ausmerzung von Art. 18 TSchV-widrigen Zuständen bei Zürcher Rindviehhaltern.
4. Aus diesen Gründen ist die Untersuchung gegen den Angeschuldigten Kurt Dolder ohne Weiterungen definitiv einzustellen. Da die zu seiner Person angeführten Erwägungen hinsichtlich des fehlenden subjektiven Vorsatzes rnan-gels anderweitiger rechtsgenügender Anhaltspunkte ebenfalls Geltung für allfällige andere Organe des Veterinäramtes (namentlich Dr.med. vet. Regula Vogel und Werner Ramseier, Tierschutzbeauftragter), der Volkswirtschaftsdirektion (namentlich Dr. M. Imperatori und Ernst Danner, stv. Generalsekretär) sowie des Regierungsrates beanspruchen, erübrigt sich bei der gegebenen Sach- und Beweislage sodann eine Ausweitung der Untersuchung auf andere in dieser Sonderregelungspraxis allfällig massgeblich involvierte Personen. So ist auch diesen Personen der Beweis einer vorsätzlichen dolosen Handlungsweise nicht zu erbringen. Vielmehr ist gestützt auf die diesbezüglich klare Aktenlage ohne weiteres davon auszugehen, dass auch diese Personen - in offensichtlicher Verkennung der tatsächlichen Rechtslage - in der irrigen Vorstellung rechtmässig zu handeln, nach bestem Wissen und Gewissen ihre Amtsgewalt ausgeübt haben.
V.
In Anwendung von § 42 StPO sind dem Angeschuldigten die Kosten dieses Verfahrens aufzuerlegen, hat er durch das Ausstellen von Sonderbewilligungen in objektiver Hinsicht doch - wie einlässlich dargelegt - klar rechtswidrig gehandelt und damit berechtigten Anlass zur Anhebung der Untersuchung gegeben. Wenngleich ihm hierbei zugute zu halten ist, dass seine Vorgehensweise sowohl seitens der hauseigenen Juristen der Volkswirtschaftsdirektion als auch vom Regierungsrat und des Bundesamtes für Veterinärwesen als rechtmässig gebilligt worden ist, so entbindet ihn diese juristische Unbedenklichkeitserklärung nicht von seiner Mitverantwortung. Vor dem Hintergrund der anhaltenden und durchaus begründeten Kritik seitens des Vereins gegen Tierfabriken an der Rechtmässigkeit der Sonderregelungspraxis sowie den diesbezüglich wiederholt geäusserten Bedenken einzelner Mitglieder der kantonalen Tierschutzkommission erscheint es als nur schwer verständlich, dass die betroffene Volkswirtschaftsdirektion zur endgültigen Klärung der Rechtsfrage nicht zu einem früheren Zeitpunkt von sich aus ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben hat, wodurch das vorliegende Strafverfahren mit grosser Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Dass ein solches Gutachten nun innerhalb der Strafuntersuchung erstellt werden musste, ist dem Angeschuldigten denn auch nicht vorzuwerfen, weshalb die Gutachterkosten in der Höhe von Fr. 12 034.50 auf die Staatskasse zu nehmen sind.
verfügt:
1. Die Untersuchung wird im Sinne der Erwägungen eingestellt.
2. Die Kosten werden mit Ausnahrne der Gutachterkosten dem Angeschuldigten auferlegt.
Bezirksanwaltschaft Zürich
Abteilung B; Büro 11B-11
BA lic iur A. Beck
Genehmigt:
Zürich, den 22.5.96
Der Staatsanwalt
Dr Hohl
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Tierfabriken Schweiz
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