Schwammige Hirne

Auszüge aus einem Artikel von Walter Hess im "Natürlich" Nr 6-1996


 

Rindfleisch, laut Bundesrat "risikolos", kann und soll weitergegessen werden, auch Schaffleisch, Schweinefleisch, Geflügel. Alle Bedenken wurden zu Beginn der Grillsaison amtlich gesundgebetet. Angesichts der Stagnation des Fleischkonsums bei 50,3 kg pro Schweizerkopf und Jahr sollten wir uns vielmehr anstrengen, etwas mehr in Richtung Konsum zu leisten, damit die zukünftigen Statistiken wieder besser aussehen. Der Bundesrat tut alles, um den Fleischkonsum hochzuhalten, bis zur Rindfleischverbilligung aus Steuergeldern (auch der Vegetarier). Zudem müssen wir Schweizer auch noch das Rindfleisch verzehren, das wir früher einmal noch nach Deutschland ausführen durften... Es geht schliesslich auch um Arbeitsplätze - in der Intensivlandwirtschaft und im Krankheitsgewerbe. Wollen wir denn etwa leere Spitalbetten?

Deutschland seinerseits erliess verständlicherweise ein absolutes Importverbot für Rindfleisch aus Grossbritannien und der Schweiz. In die Schweiz darf kein englisches Beef mehr kommen. In der Schweiz gilt das Rindfleisch allerdings (laut BVet und BAG) als "weiterhin sicher". Die allfällig fehlende Logik lässt sich nur für politisch geschulte Gehirne nachvollziehen. Der Gesundheitsschutz ist bei uns nun einmal nicht vorrangig. Andersdenkende machen sich unbeliebt. Ein 29jähriger Schweizer Tierschützer, der vor einer Metzgerei in Winterthur vor den Gefahren des Rinderwahnsinns gewarnt hatte, wurde vom Zürcher Obergericht mit 2000 Fr gebüsst. Der englische Virologe Harash Narang (48), der an einem BSE-Urintest zur Früherkennung der Seuche arbeitete, wurde als Scharlatan verunglimpft und verlor seinen Job bei der staatlichen Gesundheitsbehörde in Newcastle. Die Veterinärmedizinerin Marja Hovi, die bessere Kontrollen verlangte, wurde ebenfalls gefeuert. Bereits 1988 war die Staatssekretärin im englischen Gesundheitsministerium, Edwina Currie, wegen "Panikmache" entlassen worden; sie hatte gewagt, vor Salmonellen-Eiern zu warnen. Und Tierärzte erhielten vom britischen Agrarministerium einen Maulkorb. Jetzt können die EU-Länder das Milliardenloch des Gefahren verdrängenden, verschleiernden Missmanagement stopfen: sie haben 70 % an den Schaden beizutragen. DieEU-Länder sind darin geübt, für die Vernichtung landwirtschaftlicher Überschussprodukte Geld hinauszuwerfen; fast ein Viertel des EU-Etats wird so verschleudert.

Die Bundesbehörden, die wir fürstlich bezahlen und die eigentlich für unser Wohlergehen zuständig wären, haben sich im Rahmen der Rinderwahnsinns-Debatte wie üblich gelassen verhalten, immer nach der Devise: "Lasst euch nicht wahnsinnig machen!". Etwas unglücklich war nur, dass 1994 und 1995 insgesamt 10 junge Briten am menschlichen Pendant zum Rinderwahnsinn, dh an einer veränderten Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD), gestorben sind; zuuvor waren ausschliesslich ältere Personen davon betroffen gewesen (Durchschnittsalter 68). Die Verstorbenen litten an horriblen psychischen Molesten wie Wutausbrüchen, Wahnvorstellungen und paranoiden Schüben, neue Phänomene also. Nach solchen Leiden kam der Tod als Erlöser. Die verdächtige, unheilbare Erkrankung der Bielerin Lydia H. (47), deren Symptome auf die CJD hindeuteten, ist praktisch nicht zur Kenntnis genommen worden (Bieler Tagblatt vom 2.4.1996), obschon es sich um eine meldepflichtige Krankheit handelt. Der Chefarzt der Medizinischen Klinik des Regionalspitals Biel, Andreas Gerber, hat bestätigt, dass es sich um die CJD handelt.

Mit unserer Um- und Vorsicht ist es nicht weit her, nach wie vor. Andere Nutztiere wie Schweine und Geflügel dürfen in der Schweiz nämlich weiterhin mit Fleischabfällen, billigem Fleisch- und Knochenmehl im allgemeinen, gemästet werden. Einen allfälligen Schweinewahnsinn würde man nicht bemerken, da die Tiere lange vor dem Ausbruch der Seuche geschlachtet werden.


[ *** VN-3/97 Inhaltverzeichnis *** ]

STARTSEITE