Beamtete Schreibtischtäter am Werk:

Nacht für Nacht geht der Tiertransport-Holocaust auf Schweizer Strassen weiter

von Erwin Kessler

Es ist der 8. Februar 1999, tiefer Winter, es schneit bei minus 5 Grad Celsius. Die Landschaft ist still. Die Menschen schlafen in ihren warmen Häusern. Da geht um 0030 Uhr in der Appenzeller-Käserei von Hans Schönenberger in Wolfertswil, Kanton St Gallen, plötzlich das Licht an. Ein doppelstöckiger Lastwagen hält vor der zur Käserei gehörenden Schweinefabrik. Die aus dem Schlaf aufgeschreckten Schweine, die noch nie im Freien waren und zeitlebens von der Welt noch nie etwas anderes gesehen haben, als die enge, verkotete, mit Schicksalsgenossen gefüllte Mastbucht in feucht-schwülem Klima, werden in die Kälte hinaus auf den bereitstehenden Lastwagen getrieben. Dann geht die Fahrt los - mit übersetzter Geschwindigkeit auf den menschenleeren Strassen durch Dörfer und über Land. Beim Bremsen und in den rücksichtslos rasend durchfahrenen Kurven werden die Tiere in Panik hin- und hergeworfen. Stundenlang geht das so, zB aus der Ostschweiz bis zu den Schlachthöfen Lausanne oder Genf.

Am Morgen ruft VgT-Präsident Erwin Kessler im Strassenverkehrsamt St Gallen an und wollte vom zuständigen Sachbearbeiter Koller wissen, warum für solch unsinnig weite Todestransporte Nachtfahrbewilligungen erteilt werden und weshalb die Tiere schon um 00.30 Uhr verladen werden müssen. Koller dazu: "Wenn es in den Schlachthof Bern oder Lausanne geht, muss eben früh verladen werden, damit am frühen Morgen geschlachtet werden kann. Die Konsumenten wollen das so, am Morgen frisches Fleisch." Erwin Kessler: "Frisch geschlachtetes Fleisch lässt man in Kühlräumen tagelang abhangen. Niemand verkauft am Morgen Fleisch von frisch geschlachteten Tieren. Sie erteilen offensichtlich blindlings Ausnahmebewilligungen für Nachtfahrten mit schweren Lastwagen, ohne den geringsten Sachverstand, um die gesetzlichen Voraussetzungen prüfen zu können."

Der Fall ist kein Einzelfall. Nacht für Nacht rasen Tiertransporter mit Ausnahmebewilligungen kreuz und quer durch die Schweiz, aus dubiosen Gründen nicht in den nächsten Schlachthof, sondern unsinnig weit und lang, von der Ostschweiz zB ins Tessin, nach Bern oder Lausanne. Die in jeder Hinsicht untaugliche Alibi-Tierschutzverordnung des Bundesrates und der von der Agro-Mafia gesteuerte kantonale Nichtvollzug setzt dieser tierquälerischen Praxis wie allen anderen gewerbsmässigen Tierquälereien keine Grenzen; die Dauer von Schlachttiertransporten ist in der Schweiz nicht gesetzlich begrenzt.

Dubios sind nicht nur die Gründe, welche die Viehhändler veranlassen, ihre Opfer in weit entfernte Schlachthöfe zu karren. Dubios - um nicht zu sagen korrupt - ist auch die amtliche Bewilligungspraxis. Im August 1995 erhoben wir beim eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement Aufsichtsbeschwerde gegen die Nachtfahrbewilligungspraxis des Kantons Thurgau, die in der üblichen nichtssagend-bürokratischen Weise abgelehnt wurde. In der Beschwerde wurde ausgeführt:
Im Kanton Thurgau werden für Tiertransporte ohne sachliche Notwendigkeit und darum rechtswidrig Nachtfahrbewilligungen erteilt, um der Agro- und Fleischlobby Vorteile zu verschaffen. Am 16. Juli 1994 haben wir dem Bundesamt für Polizeiwesen deswegen eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht, welche "zuständigkeitshalber" dem angeschuldigten Kanton Thurgau zur Bearbeitung weitergeleitet wurde. Dieser hat inzwischen die Aufsichtsbeschwerde abgewiesen und hält an seiner bundesrechtswidrigen Praxis fest. Da das Bundesamt schon damals (telefonisch) signalisiert hat, dass es die Thurgauer Praxis begrüsst und für eine "Liberalisierung" der Nachtfahrten - wie es hiess - eintritt, halten wir es für sinnlos, uns jetzt zuerst nochmals an dieses Amt zu wenden.
Beobachtungen des VgT haben ergeben, dass es jeweils schon kurz nach Mitternacht losgeht mit den Tiertransporten, oft quer durch die ganze Schweiz in weit entfernte Schlachthöfe. Es gibt keine sachliche Rechtfertigung für diese Nachtfahrten, wie sie das Strassenverkehrsgesetz für Bewilligungen voraussetzt, denn es gibt auch keinen zwingenden Grund, warum das Schlachten in den frühen Morgenstunden geschehen muss, es sei denn, dass die Transporteure und Schlächter das Tageslicht und die Öffentlichkeit scheuen. Diese Todestransporte in dunkler Nacht, von der Öffentlichkeit unbemerkt abzuwickeln, ist kein rechtsgenügender Grund für Ausnahmebewilligungen vom Nachtfahrverbot, ebensowenig der Wunsch der Fleischlobby, die nächtlich leeren Strassen ganz allein für sich zu haben und mit regelmässig übersetzter Geschwindigkeit Zeit zu sparen. Die von uns beobachteten Transporter rasen mit 80 bis 100 km/h innerorts durch die schlafenden Dörfer. Diese rücksichtslosen Nachtfahrten sind auch nicht, wie von der Thurgauer Regierung behauptet, im Interesse der Tiere, welche - brutal mit Elektrotreibern aus dem Schlaf gerissen und auf die Fahrzeuge gejagt - in den Kurven hin- und hergeworfen und in Angst und Panik versetzt werden.

Für die Nachtfahrbewilligungen werden haltlose Begründungen vorgeschoben:

1. Am Tag sei es zu heiss für Tiertransporte.
Nachtfahrbewilligungen werden jedoch ebenso im Winter erteilt. Ferner ist es auch im Hochsommer zwischen 4 und 8 Uhr morgens noch nicht heiss. Weitere und längere Transporte sind ohnehin Unsinn. Schlachttiere gehören in den nächsten Schlachthof und nicht auf der halben Welt herumgekarrt.

2. Die Tiere müssten um 5 Uhr im Schlachthof sein.
Warum? Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund: das Fleisch wird ohnehin nicht am gleichen Tag vermarktet, sondern zuerst tagelang kühl gelagert zum Abhangen. Da macht es keinen Sinn, möglichst früh am Morgen zu schlachten. Das Schlachten findet nur deshalb noch in der Nacht statt, damit die dabei üblichen, von der Öffentlichkeit nicht akzeptierten Brutalitäten besser versteckt werden können.

3. Die Tiere seien nachts ruhiger und könnten leichter verladen werden.
Das stimmt höchstens für Geflügel, für Schweine ganz sicher nicht: in aller Regel werden sie so brutal getrieben und verladen und in Panik versetzt, dass sie laut schreien. Sie werden alles andere als ruhig im Halbschlaf verladen! Ein tiergerechtes Verladen mit ruhiger Führung ist tagsüber einfacher als wenn die Schweine zur Unzeit mit Schlägen und Elektorschocks aus dem Schlaf aufgeschreckt werden.

Rechtliches:
Die Verordnung über die Strassenverkehrsregeln bestimmt in Artikel 92:
Ausnahmen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot (für schwere Motorfahrzeuge) sind nur zulässig, wenn die Fahrt am Sonntag oder zur Nachtzeit dringend ist und weder durch organisatorische Massnahmen ... vermieden werden kann.

Diese Voraussetzungen sind zumindest für Schlachtschweine-Transporte nicht erfüllt. Die Technokraten des Thurgauer Strassenverkehrsamtes - zuständig für die Erteilung von Nachtfahrbewilligungen - haben keine Ahnung von Tieren und Tiertransporten. Sie erteilen die Bewilligungen routinemässig ohne sachliche Prüfung der Voraussetzung. Ein Gespräch mit dem zuständigen Sachbearbeiter deckte auf, dass dieser die fadenscheinigsten Begründungen der Transporteure bereitwillig und unkritisch annimmt. Die Bewilligungspraxis wird offensichtlich derart routinehaft gehandhabt, dass für Schlachttiertransporte das Nachtfahrverbot in gesetzwidriger Weise faktisch generell aufgehoben ist.

Wie schon gesagt: Die Beschwerde wurde wie üblich mit nichtssagenden, bürokratischen Phrasen abgewiesen, ohne auf die Begründung überhaupt einzugehen. Und so geht es bis heute Nacht für Nacht weiter mit dem Tierholocaust, "damit die Konsumenten am Morgen frisches Fleisch haben" - solange Fleisch überhaupt noch konsumieret wird. Darum: Essen Sie heute vegetarisch - Ihrer Gesundheit und den Tieren zuliebe!


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