Aus
33/05
Die Spitzel der
Gesellschaft
Von Urs Paul Engeler
Seit der Schnüffelaffäre 1989/1990 fühlen sich die Bundespolizisten in
ihrer Arbeit beengt. Nach den jüngsten Terrorattacken sehen sie ihre zweite
Chance: Aus einem vertraulichen Bericht geht hervor, wie sie die totale
Überwachung planen. Es droht eine unkontrollierbare Kontrolle.
Geht es nach dem Willen der Bundespolizei, darf sie demnächst ein
elektronisches «Informations- und Dokumentationssystem über Bedrohungen» in
Betrieb nehmen. Wobei bereits der Titel täuscht. Es geht nicht um
Ereignisse; es soll eine neue Kartei über alle jene Menschen angelegt
werden, die nach Meinung der Bundesbeamten allenfalls jemandem «gefährlich»
werden könnten. Der Apparat wird «besonders schützenswerte Daten und
Persönlichkeitsprofile» enthalten, nahezu alles, was den Polizisten
«erforderlich erscheint». Sie dürfen bald aus privaten, heimlich bezahlten
und aus allen anderen Quellen sammeln, ordnen, bearbeiten und weiterleiten:
«a - Personalien;
b - religiöse, weltanschauliche, politische oder gewerkschaftliche Ansichten
und Tätigkeiten;
c - Gesundheitszustand, geistiger Zustand der gefährdenden Person;
d - Beurteilung wesentlicher Aspekte der Persönlichkeit der gefährdenden
Person;
e - Mitgliedschaften in Parteien, Gesellschaften, Vereinen, Organisationen
und Institutionen sowie Angaben über deren leitende Organe;
f - Ton- und Bildaufzeichnungen;
g - Vorkommnisse, die für die Beurteilung der Gefährlichkeit oder der
Gefährdung von Personen von Bedeutung sind, namentlich Angaben über
Verurteilungen oder hängige Verfahren.»
Zehn Jahre sollen diese sensiblen Personendaten gespeichert werden und den
sieben eidgenössischen Departementen, (nicht näher definierten) zivilen und
militärischen Amtsstellen, auch in- und ausländischen Missionen, in- und
ausländischen Polizeiorganen sowie «Verantwortlichen von Anlässen und
Privaten» zur Verfügung stehen. Ein Einsichtsrecht in die geheime Datei
besteht selbstredend nicht. Bürger, die sich über eine vermutete
Bespitzelung und einen allfälligen Datentransfer Sorgen machen, können sich
zwar an den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten wenden. Eine Aussicht
auf eine substanzielle Antwort gibt es nicht. Denn dieser «teilt der
gesuchstellenden Person in einer stets gleich bleibenden Antwort mit, dass
entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet werden oder dass er bei
Fehlern bei der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu Behebung» abgefasst
habe. Kein Wort mehr.
So weit eine von vielen alarmierenden Passagen aus dem vertraulichen
internen Dokument mit dem harmlosen Titel «Bundesgesetz zur Stärkung der
inneren Sicherheit. Entwurf», das seit Anfang Juli auf dem Pult von
SVP-Bundesrat Christoph Blocher liegt. Derzeit heisst das Gesetz noch
«Wahrung der inneren Sicherheit»; neu zielt es auf den raschen Ausbau der
Polizeikräfte. «Stärkung der inneren Sicherheit» begründet eine ganz neue
Politik, geänderte Ziele, einen Quantensprung in der dauernden Beobachtung
und Erfassung der Privatsphäre. Die achtzig hochbrisanten Seiten sind die
komplette Sammlung der Wünsche der Bundespolizisten. Sie fordern massiv
erweiterte Abhör-, Registrier-, Überwachungs, Tarn- und andere neue
Kompetenzen, alle bereits auf Deutsch und Französisch in Gesetzesartikel
gefasst und ausführlich, wenn auch ungenügend begründet.
Was nun, Herr Blocher?
Justiz- und Polizeiminister Blocher steht ohne Zweifel vor dem bisher
heikelsten Entscheid in seiner Amtszeit. Schützt er das noch einigermassen
liberale Klima des Landes vor dem Zugriff unkontrollierbarer
«Staatsschützer»? Oder gibt er den alten Schnüffelbeamten nach, die nichts
anderes wollen als eine erneuerte Lizenz zur polizeilichen Willkür?
Dem Vernehmen nach zögert Blocher. Er will keine weitgehenden polizeilichen
Eingriffe, die sich nicht mit «der Freiheit des Einzelnen vereinbaren
lassen», erklärte er kürzlich in der Sonntagszeitung. Und «schwer wiegende
Mängel» im Schweizer Sicherheitsdispositiv sind ihm bisher auch «nicht
aufgefallen». Doch seine Beamten drängen. Sie wollen die Gunst grauenhafter
Stunden nutzen («Der Terror zielt auf Europa») und nach den vereinzelten
Anschlägen im Ausland, die islamistischen Extremisten zugeschrieben werden,
«Schwachstellen in der Bekämpfung terroristischer und extremistischer
Gefahren schliessen». Dies heisst gemäss den Erläuterungen zum Gesetz vor
allem «Informationsbeschaffungen aus der Privatsphäre».
Verfasst hat den Antrag ein Mann mit viel Vergangenheit. Urs von Däniken war
1989, als die Fichenaffäre platzte und der illegitime und undemokratische
Überwachungsstaat entlarvt wurde, erster Stellvertreter Peter Hubers, des
Chefs der Bundespolizei und Stellvertreters des Bundesanwalts. Huber,
oberster inländischer Nachrichtendienstler und erster politischer Polizist
des Landes, musste 1990 seinen Posten räumen. Der fuchsartige und wendige
von Däniken indes überlebte jeden Machtwechsel und alle Wirren und trägt
heute als Chef der diskreten Hauptabteilung Dienst für Analyse und
Prävention (DAP) im Bundesamt für Polizei (Fedpol) in geheimdienstlicher
Manier weiterhin Informationen aller Art zusammen. Mit einem nicht
unwesentlichen Unterschied: Statt handschriftlich auf papierenen Fichen zu
erfassen, vernetzt und bearbeitet die alte Politpolizei-Crew die
Personendaten nun elektronisch.
Doch das heute geltende Gesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS), so
klagt der fanatische Polizist Urs von Däniken im Bericht, sei leider geprägt
von «der Begrenzung des Staatsschutzes», einer politischen Reaktion auf die
Fichenaffäre, und lege zu wenig Gewicht auf dessen «Schutzfunktion zu
Gunsten der Öffentlichkeit». Sein Motto für eine umfassende Polizeiarbeit
trägt bereits neurotische Züge: «Gefahren für die innere Sicherheit sind
häufig kaum als solche erkennbar.» Also müsse der Staatsschützer, so die
Logik der Kontrolleure, vor allem dort aktiv werden, wo er wenig vermutet
und nichts weiss. Und weil jede kleine Information nur auf weitere
Wissenslücken verweist, erfordert diese nochmals erhöhte Anstrengungen:
«Mangelt es an einer ausreichenden Verdachtslage, ist es Aufgabe des DAP, im
Rahmen seiner Möglichkeiten die weitere Entwicklung der Situation (und der
damit in Zusammenhang stehenden Gruppierungen und Personen) im Auge zu
behalten.»
Perversion des Vertrauens
Der präventiv und im abgedunkelten Raum agierende Schützer kann (und muss)
demnach – ohne jede Begründung und ohne konkrete Anhaltspunkte – überall und
jederzeit und mit allen Mitteln eingreifen. Dies stellt das System der
Polizeiarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat völlig auf den Kopf. Der
neue Staatsschutz handelt nicht dann, wenn er einen begründeten Verdacht
hegt; er agiert umso verbissener, je weniger Greifbares vorliegt. Die
Hysterie der Sicherheitsbeamten ist letztlich die Perversion der Grundlage
des sicheren menschlichen Zusammenlebens: des Vertrauens.
Konkret bilden diese Zwangsvorstellungen die Basis für neue
Sicherheitspakete, für die Verschärfung der Prävention, für griffigere
Überwachungsgesetze, für neue Vollmachten, für neue Observationsorgane, für
zusätzliches Personal, für neue Datensammlungen, für neue Computer, Kameras
und Abhöranlagen, für bessere Vernetzungen, für Berufsverbote – und für eine
noch rigorosere Geheimhaltung dieses Tuns.
Im Sinne einer «Mittellösung» verlangt von Däniken allein für seine
Abteilung (DAP), die bereits über 200 Beamte beschäftigt, 50 neue
Vollzeitstellen. Weiterer Personalbedarf werde bei den verdeckten kantonalen
Spezialabteilungen anfallen, die weitere Hundertschaften im Dienst haben.
Investitionen in ungenannter Höhe würden überdies die neuen technischen
Gerätschaften erfordern, wobei dank «Telefonüberwachungen anstelle
aufwändiger und entsprechend teurer Observationen usw.» auch Einsparungen zu
erzielen seien.
Mit den zusätzlichen Polizeikolonnen sollen die Machtbefugnisse des DAP in
die Breite wie in die Höhe entscheidend ausgeweitet werden. Das zentrale
neue Geschäftsfeld, das von Däniken neu mit präventiver Bespitzelung
bearbeiten will, ist die sogenannte organisierte Kriminalität (OK), ein
schwammiges und in der juristischen Theorie wie Praxis höchst umstrittenes
Konstrukt. Die wichtigsten neuen Instrumente der Ausspionierung, die er
einsetzen will, sind Funk- und Telefonüberwachung, Zwangsmassnahmen, um
Informationen zu erhalten, das Engagement von Tarnfiguren, fingierten
Identitäten und fiktiven Firmen sowie Schwarzgeldzahlungen an Zuträger und
Spitzel.
Bewusst beschränkte das Parlament vor elf Jahren, als das BWIS konzipiert
wurde, die Kompetenzen der präventiv schnüffelnden Polizei auf die Felder
Terrorismus, verbotener Nachrichtendienst und gewalttätiger Extremismus. Der
Bereich OK wurde ausgeklammert und ausschliesslich den
Strafverfolgungsbehörden überlassen. In der Zwischenzeit haben – offenbar
zum grossen Leidwesen der Staatsschützer – die wissenschaftlichen Arbeiten
im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 40 «Gewalt im Alltag und
organisierte Kriminalität» (NFP 40) die OK-Hysterie als übertrieben bis
falsch entlarvt. Im Schlussbulletin forderten die Verantwortlichen des
Programms Ende 2002 ausdrücklich mehr Nüchternheit und Realitätssinn: «Die
Forschungsprojekte zum Themenbereich ‹organisierte Kriminalität› haben
ergeben, dass illegale Märkte in der Schweiz zwar eine nicht zu
unterschätzende Rolle spielen. Es liessen sich aber keine Hinweise finden
auf massive Einwirkungen marktdominierender Gruppen. Gewalt und Korruption
spielen eine marginale Rolle und werden nicht systematisch eingesetzt. Das
von den Strafverfolgungsbehörden entworfene Bedrohungsszenario bedarf
deshalb einer gründlichen Revision. Das gilt auch für den Art. 260ter des
Strafgesetzbuches (kriminelle Organisationen), der gemäss den
Forschungsarbeiten nicht nur sein Ziel verfehlt, sondern auch
rechtsstaatliche Grundsätze gefährdet.»
Diese Warnungen müssten im noch höheren Masse für die weitgehend im freien
Raum operierenden Staatsschützer gelten. Zudem hat die Realität die
Einschätzung der NFP-40-Forscher mehr als bestätigt: Die Fälle, die als
«organisierte Kriminalität» bezeichnet werden können, sind – trotz aller
Anstrengungen der Polizeibehörden – gemäss Bundesamt für Statistik an einer
Hand abzuzählen.
Als habe es diese vom Bund bezahlten Analysen gar nie gegeben und
existierten die offiziellen Statistiken nicht, behauptet die Bundespolizei,
ohne nur ein einziges Beispiel zu nennen oder einen winzigen Beleg
vorzuweisen, pauschal: «Die Unterwanderung der Bürgergesellschaft und die
Destabilisierung ganzer Staaten durch die organisierte Kriminalität [...]
ist eine Tatsache. In der Schweiz aktiv sind unter anderem schweizerische
kriminelle Gruppierungen, mafiöse Gruppierungen aus Italien, kriminelle
Gruppen aus Südosteuropa, aus Mittel- und Südamerika, aus dem Nahen Osten
und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) sowie westafrikanische
Netzwerke und organisierte Verbrecherstrukturen im Terrorismusbereich.»
Vertreter krimineller Organisationen aus der GUS träten häufig als
Geschäftsleute auf; ihr Ziel sei es, «nicht in den Radar der
Sicherheitsbehörden zu gelangen». So seien in der Schweiz «gegen 150 Firmen
bekannt, die von Bürgern der GUS kontrolliert werden oder in denen diese
Einsitz im Verwaltungsrat haben».
Die Lizenz zu allem
Sie alle müssten vorsorglich ausspioniert werden können, fordern die
DAP-Leute – auch wenn kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege und
selbst dann, wenn «auf den ersten Blick» keine konkrete Gefahr sichtbar sei.
Schliesslich könne jeder «Kauf von Aktienanteilen oder Liegenschaften durch
eine Aktiengesellschaft» oder jeder «Besuch von ausländischen
Geschäftsleuten bei Schweizer Maschinenbaufirmen» auch dunkle Ziele
verfolgen: «Im Falle der Maschinenbaufirma kann je nach den involvierten
Personen und Unternehmen die Möglichkeit bestehen, dass das interessierende
Objekt nicht für den ausdrücklich genannten, sondern für ganz andere Zwecke
– zum Beispiel zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen oder von deren
Bestandteilen wie Gaszentrifugen – verwendet werden soll.»
Die Lizenz zur flächendeckenden Bespitzelung von Firmen und deren
Angestellten und Besuchern, Schweizern wie Ausländern, soll mit einem neuen
Instrumentarium der Kontrolle kombiniert werden, das die heutigen
Möglichkeiten um ein Vielfaches übersteigt. In der Aufregung nach dem
Anschlag vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center hatte
der Bundesrat in einer Art Notrecht die befristete Weisung erlassen, wonach
Behörden und Amtsstellen bei vermuteten Gefahren dem Staatsschutz Auskunft
erteilen können, auch wenn sie ans Amtsgeheimnis gebunden wären. Diese
(bereits damals sehr umstrittene) Verordnung wurde vorläufig bis Ende 2005
verlängert. Laut DAP-Antrag soll diese Weisung zu einer generellen
Auskunftspflicht öffentlicher Aufgabenträger umgebaut und dauerhaftes Gesetz
werden: «Grundsätzlich werden sämtliche Behörden und Amtsstellen des Bundes
und der Kantone sowie Organisationen und Anstalten, die öffentliche Aufgaben
wahrnehmen, zur Auskunft verpflichtet.»
Die Staatsschutzequipen des Bundes und der Kantone verschaffen sich so nicht
nur einen voraussetzungslosen Zugriff auf alle möglichen Daten, die der
Bund, die Kantone, die Gemeinden und andere Körperschaften gesammelt haben:
auf AHV, Steuerregister, Suva, Gesundheitspässe, Fahrausweise, Anstellungen,
Reisedokumente, Zivilstand, militärische Zeugnisse etc. Sie wollen diese
sensiblen Erkenntnisse auch umgehend ins Ausland liefern: «Um auf nationaler
und internationaler Ebene als glaubwürdiger Partner in der Terrorbekämpfung
zusammenzuarbeiten und akzeptiert zu sein, war und ist die Möglichkeit von
zentraler Bedeutung, bei konkreten Bedürfnissen die zur Erfüllung der
gesetzlichen Aufgaben notwendigen Informationen direkt einholen zu können.»
Per Gesetz, also letztlich per Zwangsvorladung und Strafandrohung, sollen
zudem alle Bahnen, Busbetriebe, Carhalter, Taxifahrer, Reisebüros und
Camionneure usw. künftig genötigt werden, von Däniken und seinen Leuten bei
Bedarf genauen Bericht zu erstatten: Es werden «Personen, die gewerbsmässig
Transporte durchführen oder Transportmittel zur Verfügung stellen oder
vermitteln, zur unentgeltlichen Auskunftserteilung verpflichtet». Das
Gleiche gilt für die gesamte Finanzwirtschaft, die unter dem nach allen
Seiten hin offenen Titel «Erkennen und Abwehr einer konkreten Gefahr»
Geschäftsbeziehungen offen zu legen und Bankunterlagen zu übermitteln hat.
Zusammen mit dem internationalen Austausch, den der DAP noch intensivieren
will, ist diese Bestimmung nach Ansicht namhafter Juristen nichts weniger
als die generelle Aufhebung des Bankkundengeheimnisses, alles unter dem
Titel «Staatsschutz».
Um möglichst viele Nachbarn, Geschäftspartner und Bekannte mit Geld zur
Denunziation anzustiften, richten die staatlichen Horcher und Späher gar
schwarze Kassen ein: «Damit [...] Informanten, welche die Staatsschutzorgane
mehr oder weniger regelmässig mit Informationen versorgen, keine
finanziellen Einbussen erleiden, werden ihre Aufwendungen entschädigt. Zudem
erhalten sie für besonders wichtige Informationen und als Ansporn für
weitere Beschaffungen gelegentlich Prämien bezahlt.» Auch wenn dieser
Petzer-Sold gemäss Beschwichtigungen des DAP die Marke von «wenigen tausend
Franken jährlich» nicht übersteigen soll, so müssen die Zuwendungen doch
streng geheim bleiben. Darum werden die privaten (oder beamteten) Spitzel
und Zuträger nicht in den Personalakten des DAP geführt; ihre Bezüge haben
sie weder der AHV zu melden noch dem Steueramt. Das «Gemeinwesen», beruhigt
die Polizei, erleide durch diese Schwarzgeldzahlungen keinen «spürbaren
Schaden».
Neu sollen auch umfangreiche artifizielle Strukturen aufgebaut werden, und
zwar personelle, das heisst langfristige, das heisst vorsorglich und auf
Jahre angelegte, vorgetäuschte Identitäten (Legenden) für
Staatsschutzmitarbeiter (und «ausnahmsweise» auch für Drittpersonen) wie
auch ökonomische, nämlich Tarnstrukturen wie Scheinfirmen oder andere
fiktive juristische Gebilde. Das «Ausstellen von Dokumenten mit falschem
Inhalt, um eine ordnungsgemäss genehmigte Legendierung zu schaffen» –
gemeint sind falsche Pässe, falsche Grundbuch- und Handelsregistereinträge,
falsche Jahresberichte und falsche Rechnungslegung etc. –, stellt im neuen
Polizeiland Schweiz ausdrücklich «keinen Straftatbestand» dar. Die Organe
des Staates untergraben mit System jene Sicherheit im Lande, die zu schützen
sie vorgeben.
Schliesslich soll die in demokratischen Rechtsstaaten wichtige Trennlinie
zwischen Polizei und Militär weitgehend ausser Kraft gesetzt werden. In den
letzten Jahren hat sich das VBS mit dem geheimen und umstrittenen Projekt
«Onyx» die Möglichkeit geschaffen, den via Satelliten laufenden
Fernmeldeverkehr (Telefone, Fax, Mails etc.) abzuhören und auszuwerten. Der
polizeiliche Dienst für Analyse und Prävention, der selbst nur Anlagen zur
Überwachung des Kurzwellenfunks betreibt, wurde – abgesehen von begründeten
Einzelaufträgen – von der Nutzung dieser gigantischen Horchmaschine
ausgeschlossen. Mit dem neuen Gesetz verschaffen von Dänikens Leute sich nun
den seit langem geforderten ungehinderten Zugang zum internationalen
Überwachungssystem, das ursprünglich ausschliesslich der elektronischen
Kriegsführung vorbehalten war.
Im Inland kann das Bundesamt neu das Abhören von Telefongesprächen der
«Zielperson» (ebenso das Mitlauschen auf Anschlüssen von Bekannten und
«Drittpersonen») anordnen sowie die lückenlose Kontrolle der Post – alles
ohne richterlichen Beschluss. Ein «unabhängig» genanntes Gremium ergrauter
und aus dem Amt geschiedener Richter soll die Begehren der Polizisten –
nachträglich – absegnen. Erlaubt werden weiter alle Arten der «besonderen
Informationsbeschaffung» in privaten Räumen. Gemeint ist damit etwa das
«Beobachten [...] an nicht öffentlichen und nicht allgemein zugänglichen
Orten», verdeckte Durchsuchungen von Personen (unter einem Vorwand), Autos
und Gepäckstücken, die Überwachung von Wohnräumen, Büros und Lokalen durch
«akustische und optische Beobachtungs- und Aufzeichnungsgeräte», mithin
durch Wanzen und Minikameras, sowie das Eindringen selbst in mit
persönlichen Passwörtern «geschützte Bereiche» des Internets, um sich
«Informationen unter Umgehen der Zugangsschranken beschaffen zu können». Der
grosse Bruder, nach der Fichenaffäre kurzzeitig verjagt, ist zurück.
Und er demontiert nicht nur die Privatsphäre der Bürger und die gewachsenen
rechtlichen Strukturen des Landes. Er bestraft auch, wen er will und wie er
will. Neu möchte er, das heisst von Dänikens DAP, «bestimmte Tätigkeiten»
ohne Begründung prophylaktisch verbieten können, zum Beispiel
Geldsammlungen, das Verteilen von Propagandamaterial oder andere
publizistische oder «unterstützende» Aktivitäten. «Es gibt Handlungsweisen»,
schreiben die Bundespolizisten in ihrer Begründung, «die auf den ersten
Blick harmlos oder gar fördernswert erscheinen. So beispielsweise
Geldsammlungen für einen in einem ausländischen Krisengebiet gelegenen
Witwen- oder Waisenfonds.» Oft würden solche Gelder jedoch erpresst und
«einem ganz anderen Zweck zugeführt, wie beispielsweise dem Kauf von
Waffen». Beweisen liessen sich solche Vermutungen, leider, allerdings nie.
Um auch ohne jeden Nachweis eines Fehlverhaltens eingreifen zu können, lässt
sich das Bundesamt die Kompetenz geben, Gruppen oder Firmen von sich aus und
ohne mühsames Rechtsverfahren aus dem Verkehr zu ziehen.
Rekurs- und Korrekturmöglichkeiten gibt es in diesem DAP-System nicht, keine
Auskünfte über die Verwendung von Daten, auch keine Entschädigung bei
erlittenen Nachteilen. Mit einem Zynismus sondergleichen wehren sich die
Staatsschützer, den Betroffenen irgendein Rechtsmittel gegen die staatliche
Spionage zu geben. Im Geheimbereich, erklären sie, seien Rekurs- oder
Einsichtsrechte darum gar nicht nötig, «weil die Massnahme nicht erkennbar
ist».
Alles wie gehabt in den schlechten, alten Fichenzeiten: Gerüchte,
Halbwahrheiten, Lügen, Anschwärzungen, Verleumdungen fliessen zusammen mit
Fakten in geheime Dateien ein, werden geordnet, weitergeleitet und schlagen
auf unkontrollierbare Weise auf die registrierten Menschen zurück. Alles
noch viel schlimmer und viel gefährlicher als in den finsteren Fichenzeiten:
Die Informationen werden elektronisch erfasst und vernetzt und fliessen neu
auch zu ausländischen Geheimdiensten.
Die beantragten neuen Vollmachten führen direkt in den Polizeistaat Schweiz.
Von Däniken und seine politischen Polizisten allerdings wollen ihr Programm
der Aufrüstung gegen den Bürger lediglich als «Mittelweg» verstanden haben.
Ihre Begründung für diese sonderbare Einschätzung: «Sondergerichte, geheime
Festnahmen usw. wurden nicht in die Vorlage aufgenommen.»
Im Verlaufe des Herbstes wird der Justizminister entscheiden, ob er diese
staatliche Willkür zum neuen Recht machen will. Oder ob er das Wuchern des
Staates auch in diesem Bereich bekämpfen wird.
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