Post-Zensur-Prozess

Pl�doyer von VgT-Pr�sident Erwin Kesller am 3. April 2000 vor Bezirksgericht Frauenfeld

 

Herr Pr�sident, sehr geehrte Damen und Herren,

Die Ausf�hrungen der Gegenpartei bestreite ich, soweit sich diese nicht mit meinen Ausf�hrungen decken. Die Klageantwort ist ein Schulbeispiel f�r den Begriff "Schaumschl�gerei" zur Ablenkung vom wahren Kern der Sache.

Der deutsche Dichter Kurt Tucholsky schrieb:

In der Schweiz gibt es keine Zensur, aber sie funktioniert.

Man muss kein Dichter sein, um diese Einsicht zu haben. In zahlreichen Leserbriefen zur Post-Zensur stand �hnliches, so etwa:

In der Schweiz darf jeder frei sagen, was er denkt - er muss nur das Richtige denken.

oder

In der Schweiz gilt die Meinungs�usserungs- und Pressefreiheit - aber nur solange, bis man davon Gebrauch macht.

Die Informations-, Meinungs�usserungs- und Pressefreiheit sind wichtige St�tzpfeilder einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Der Europ�ische Gerichtshof f�r Menschenrechte l�sst in konstanter Praxis Eingriffe in diese Grundfreiheiten nur unter strengen Bedingungen zu, denn ohne freie Meinungs�usserung k�nnen andere Grundrechte nicht verteidigt werden. In einem Grundsatzurteil hat der Gerichtshof festgehalten: " Die Meinungs�usserungsfreiheit stellt ein wesentliches Fundament einer demokratischen Gesellschaft und eine grundlegende Bedingung f�r ihren Fortschritt und f�r die Entwicklung ihrer B�rger dar." Weiter hat der Gerichtshof festgehalten, dass die Meinungs�usserungsfreiheit auch unangenehme Inhalte, die provozieren, schockieren und st�ren, umfasse, weil es keine demokratische Gesellschaft gebe ohne Pluralismus, Toleranz und offenem Geist. Der kleinkr�merische Umgang mit der Meinungs�usserungsfreiheit in der Schweiz - ganz im Sinne von Tucholsky - f�hrt denn auch immer wieder zu Verurteilungen der Schweiz wegen Verletzung der Meinungs�usserungsfreiheit.

Dieser Hinweis auf die umfassende Bedeutung der Meinungs�usserungsfreiheit w�re in diesem Verfahren eigentlich gar nicht n�tig. Was die Post als Grund der Zensur angibt, sind keine schlimmen �usserungen, �ber deren Zul�ssigkeit man geteilter Meinung sein k�nnte, oder gar rechtswidrige Ver�ffentlichungen. Die Begr�ndung, die in allen Zeitungen zu lesen war (Beilage 3), war ganz einfach die, in den VgT-Nachrichten w�rden zuviele Tierhalter namentlich kritisiert.

Eine solche Zensurbegr�ndung durch die staatliche Post in einem Land, das sich freiheitlich-demokratisch nennt, ist paradox und vermag niemanden zu �berzeugen, wie die zahlreichen Presseberichte und Leserbriefe gezeigt haben.

Mangels einer vern�nftigen inhaltlichen Begr�ndung der Zensur beruft sich unsere Staats-Post auf ihr angebliches Recht, nach rein privatwirtschaftlichen und gesch�ftspolitischen �berlegungen nach Belieben unadressierte Massensendungen ablehnen zu k�nnen. Dass diese Rechtsauffassung im Postgesetz keine St�tze findet, habe ich in der Klageschrift ausf�hrlich dargelegt. Vielmehr ist die Post ganz klar verpflichtet, Sendungen aller Art, insbesondere Zeitungen und Zeitschriften, zur Bef�rderung anzunehmen. Gem�ss Artikel 2 des Postgesetzes umfasst der Universaldienst "die Annahme ... und die Zustellung von Sendungen in der Regel an allen Werktagen, mindestens aber an f�nf Tagen pro Woche."

Das Postgesetz schr�nkt die Pflicht zur Annahme und Bef�rderung von Sendungen nicht auf adressierte Sendungen ein.

In der Klageantwort behauptet die Post, die Journale des VgT fielen nicht unter die vom Bundesrat in Artikel 4 der Postverordnung festgelegten Kategorien. Das Gegenteil ist der Fall: Zeitungen und Zeitschriften werden ausdr�cklich dem (nicht reservierten) Universaldienst zugerechnet. Dass die VgT-Nachrichten keine Zeitung oder Zeitschrift sei, ist offensichtlich unwahr und eine Erfindung des Rechtsverdreh-Dienstes der Post.

Unter Ziffer 20 der Klageantwort behauptet der Rechtsverdrehdienst der Post weiter, die geltend gemachte Verletzung von Artikel 2 des Postgesetzes werde durch Artikel 3 Absatz 2 widerlegt. Dieser Absatz besagt indessen nur, der Bundesrat k�nne "weitere Dienstleistungen von den reservierten Diensten ausnehmen". Ob reserviert oder nicht reserviert - die Bef�rderungspflicht gilt f�r den gesamten Universalbereich. Dieser als Beweis f�r den Rechtsstandpunkt der Post angef�hrte Artikel sagt deshalb nichts zur vorliegenden Streitfrage. Das gleiche gilt f�r den von der Post ebenfalls angef�hrten Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a, der nur besagt, die Post k�nne �ber den Universaldienst hinaus "weitere Dienstleistungen und Produkte im Bereich des Post- und Zahlungsverskehrs sowie den unmittelbar zusammenh�ngenden Dienstleistungen und Produkten anbieten". Davon hat die Post k�rzlich Gebrauch gemacht, indem sie nun anbietet, Briefe nicht nur zu bef�rdern, sondern auch gleich noch selbst zu drucken. Dadurch wird offensichtlich die Pflicht zur Bef�rderung von Sendungen im Sinne von Artikel 2 �berhaupt nicht eingeschr�nk.

*

Die Schweizerische Post ist trotz Teilliberalisierung immer noch ein staatlicher Monopolbetrieb. Infolge des Monopols auf adressierten Briefpostsendungen ist praktisch nur die Post in der Lage, Sendungen fl�chendeckend auch in abgelegenen Gebieten zu verbreiten. Deshalb ist die geltende gesetzliche Regelung (Artikel 2 PG), welche die Post zur Bef�rderung aller Art von Sendungen verpflichtet, sinnvoll. Gem�ss Artikel 4 PV gilt diese Bef�rderungspflicht ausdr�cklich f�r Zeitungen und Zeitschriften. Private Verteilfirmen �bergeben unadressierte Sendungen f�r abgelegene Gebiete regelm�ssig der Post, da es ihnen wegen des Post-Monopols auf adressierte Briefe wirtschaftlich nicht m�glich ist, in abgelegenen Gebieten eine Verteilinfrastruktur zu unterhalten. Deshalb sind entlegene Gebiete nicht �ber private Verteilfirmen erreichbar. Die Behauptung der Post, die Bef�rderung der VgT-Journale fielen in den freien Wettbewerbsbereich, ist deshalb unwahr.

F�r das Folgende ist vorab eine terminologische Kl�rung erforderlich: In der Sprache der Post bedeutet Briefpost nicht nur adressierte Briefe, sondern allgemein alle Sendungen, die keine Packete sind. Diese Terminologie l�sst sich zweifelsfrei der Brosch�re "Briefpost Schweiz" (Beilage 1) entnehmen: Gem�ss dieser Brosch�re umfasst die Briefpost adressierte Briefe, adressierte Massensendungen, besondere Sendungen wie eingeschriebene Briefpost und Nachnahmen, und ausdr�cklich auch Sendungen ohne Adressen. Im Vorwort zu dieser Brosch�re (Seite 2) heisst es:

"Die Briefpost ist eine innovative Partnerin. Wir bef�rdern alles, was die Wirtschaft in Schwung h�lt und private Beziehungen pflegen hilft: adressierte und unadressierte Werbebotschaften, Rechnungen und Mahnungen, Einladungen, Aktenmappen, Ideen, Offerten, Vertr�ge, Gl�ckw�nsche, Feriengr�sse und Liebesbriefe."

Auf Seite 30 heisst es dann: Sendungen ohne Adressen an alle Haushaltungen werden zusammen mit der adressierten Briefpost in den Briefkasten gesteckt.

Nun zur�ck zum faktischen Monopol der Post in entlegenen Gebieten. Dieses Problem war auch dem Bundesrat bewusst, als er in der Botschaft zum Postgesetz (Beilage 2, Seite 13) festhielt:
"Die Zulassung von Wettbewerb im Bereich der Postdienste ist durchaus w�nschenswert. Die privaten Anbieter werden jedoch nicht �berall ihre Dienstleistungen anbieten. Sie werden in Gebieten ausserhalb der Wirtschaftszentren kaum t�tig sein und die unrentablen Dienstleistungen, insbesondere im Bereich der Briefpost, auch in Zukunft der Post �berlassen."

Deshalb muss die Annahmepflicht f�r Sendungen aller Art als sinnvolle Absicht des Postgesetzes verstanden werden. Es bleibt kein Raum, den klaren Wortlaut des Postgesetzes dahingehend umzudeuten, dass unadressierte Sendungen, insbesondere politische, nicht-kommerzielle Zeitungen nicht dem Universaldienst zuzurechnen seien. Dergleiches ist auch der Beratung in den R�ten nicht zu entnehmen. Artikel 2 war v�llig unbestritten und darum kein Thema.

Dass die Post auch im Bereich der unadressierten Sendungen gegen�ber privaten Firmen eine Sonderstellung hat - abgesehen vom schon erw�hnten faktischen Monopol in entlegenen Gebieten-, zeigt sich auch an folgender Tatsache:

Nur die Post kann unadressierte Sendungen zusammen mit den adressierten zustellen, was von werbepsychologischer Bedeutung ist. Diesen Marktvorteil dank des Monopols f�r adressierte Sendungen kann die Post mit Tarifen f�r unadressierte Sendungen aufwiegen, die aktuell 50 % h�her liegen als bei der privaten Konkurrenz.

Zwar ist das Postmonopol mit dem neuen Postgesetz im Bereich unadressierter Massensendungen aufgehoben worden; hier steht die Post in Konkurrenz zu privaten Verteilorganisationen. Da diese aber keine fl�chendeckende Versorung garantieren, ist die Post zu Recht gesetzlich zur fl�chendeckenden Grundversorgung verpflichtet. Diese Pflicht hat die Post mit dem Boykott der "VgT-Nachrichten" verletzt.

Zudem ist es mit dem Grundgedanken der Europ�ischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unvereinbar, dass ein EMRK-Vertragsstaat einen Staatsbetrieb - und die Post ist immer noch ein Staatsbetrieb, dessen Defizit aus Steuergeldern gedeckt wird! - zu politischen Zensur-Zwecken missbraucht. Der Vorwand, die EMRK verpflichte nur hoheitliches Handeln, ist unter solchen Umst�nden missbr�uchlich.

Gem�ss Botschaft des Bundesrates zum Postgesetz ist bei der Erarbeitung des Vernehmlassungsentwurfes vorgeschlagen worden, unadressierte Sendungen dem Wettbewerbsbereich zuzuordnen. In der Vernehmlassung haben dann aber verschiedene Kantone, Konsumentenschutzorganisationen, Zeitungsverlegerverb�nde und Vertreter von Wirtschaftsverb�nden verlangt, dass der Umfang des Universaldienstes im Gesetz geregelt werde (Botschaft Seite 21). Dieser Forderung ist der Bundesrat mit einer �nderung gegen�ber dem Vernehmlassungsentwurf nachgekommen (Botschaft Seite 24), so dass nun diesbez�glich der klare Gesetzestext massgebend ist, ob das der Post passt oder nicht. Die Zuordnung gab weder in der Botschaft noch in den R�ten Anlass zu Diskussionen. Betont wurde jedoch immer wieder die Bedeutung der fl�chendeckenden Grundversorgung. Ebenfalls unbestritten war deren Bedeutung f�r die Gew�hrleistung der Meinungsvielfalt. In der Botschaft heisst es dazu (Seite 35):
"Mit der Zuweisung der Bef�rderung von Zeitungen und Zeitschriften zu den nicht reservierten Diensten" [als Teil der Universaldienste] "soll die landesweite Zustellung vorab der Tagespresse sichergestellt und ein Beitrag zur Gew�hrleistung der Meinungsvielfalt erbracht werden."

Dieser Zweck der Universaldienste war bei der Beratung in den R�ten unbestritten und darum kein Thema.

Laut Botschaft des Bundesrates (Seite 10) ist auch in Deutschland die Post zur Bef�rderung unadressierter Sendungen verpflichtet.

*

Die Post hat ihre Zensurmassnahme gegen�ber der �ffentlichkeit damit begr�ndet, in den zensurierten Journalen w�rden Tierhalter namentlich angeprangert; die Bef�rderung der Journale k�nne deshalb dem Image der Post schaden. Diese Begr�ndung ist derart fadenscheinig, dass sie unm�glich die wahren Motive darstellen kann. Es gibt wohl keine Zeitung und keine Zeitschrift von Bedeutung, in welcher nicht Personen namentlich kritisiert werden. Die Post d�rfte also, w�re ihre Begr�ndung nicht nur vorgeschoben, �berhaupt keine Zeitungen und Zeitschriften mehr bef�rdern. Dazu kommt, dass die Post als reiner Bef�rderungsdienst in diesem Land noch nie f�r Inhalte bef�rderter Drucksachen verantwortlich gemacht worden ist, auch nicht zB f�r pornografische. Auch die umstrittenen Brosch�ren von Christoph Blocher werden von der Post verteilt, sogar in Briefk�sten, die Werbung verbieten. Kommt dazu, dass diese Zensur in der �ffentlichkeit auf grosses Unverst�ndnis und heftige Kritik gestossen ist und der Post einen betr�chtlichen Image-Schaden verursacht hat. Entsprechende Zeitungsausschnitte habe ich zu den Akten gegeben (Beilage 3).

Der Katalog "Briefpost Schweiz" mit detaillierten Gesch�ftsbedingungen und Preislisten ist als verbindliche Offerte zu betrachten. Nirgends steht, die Post entscheide von Fall zu Fall, ob sie Sendungen bef�rdere oder nicht. Die auch privatrechtliche Verpflichtung zur Bef�rderung gilt umso mehr, als die Post die Journale des VgT seit Jahren anstandslos angenommen hat. Die Post hat nie inhaltliche Bedenken angemeldet und verlangt, dass der Text vorab zur Pr�fung eingereicht werde. Still und heimlich wurde die Hauptpost St Gallen angewiesen, die n�chste Lieferung von VgT-Journalen abzufangen und zur Zensur nach Bern einzureichen. Dies war arglistig und verletzte den Grundsatz von Treu und Glauben. Dass hinter einem solchen Verhalten nicht die Sorge um das Gesch�ftsimage steht, ist offensichtlich. Keine Firma, die sich Sorgen um ihren Ruf macht, verh�lt sich derart arglistig gegen�ber der Kundschaft. Der durch diese politische Zensur tats�chlich entstandene Image-Schaden nimmt die Post in Kauf. Ist das nicht sehr merkw�rdig? Die Begr�ndung, welche die Post f�r ihre Zensur abgegeben hat, ist offensichtlich nur vorgeschoben und in Anbetracht aller Umst�nde geradezu l�cherlich und absurd. In Tat und Wahrheit l�sst sich die Post f�r politische Zwecke manipulieren. Welche pressure group das Ganze inszeniert hat, h�lt die Post geheim. Es d�rften die gleichen Kreise sein, welche in den letzten Jahren die Schweiz in einem erb�rmlichen Trauerspiel nach ihrer Pfeiffe tanzen liessen und offenbar so einflussreich sind, dass sie nicht nur die Landesregierung, die Gerichte, die Banken und die Medien wie Marionetten f�r ihre Zwecke gef�gig machen konnten, sondern nun auch noch die Staatspost. Um diese Machenschaften zu tarnen, hat die Post k�rzlich im Tessin die Bef�rderung eines Flugblattes verweigert, als Alibi f�r die Behauptung, dies sei �bliche Praxis, was aber offensichtlich nicht zutreffend ist, wenn man bedenkt, was die Post - von dieser einzelnen Ausnahme abgesehen - tagein tagaus massenhaft an anst�ssigen, beleidigenden und rechtswidrigen Presseerzeugnissen anstandslos verteilt. In aller Regel werden presserechtliche Vergehen nicht durch die Post abgefangen, sondern der Verfasser wird auf dem Gerichtsweg zur Verantwortung gezogen. Vorzensur widerspricht den Grundprinzipien eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates. Aber eben, wie schon Tucholsky feststellte: In der Schweiz gibt es keine Zensur - aber sie funktioniert!

Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Bestreitung der �rtlichen Zust�ndigkeit im zweiten Abschnitt der Klageantwort der Post: Gem�ss Postgesetz sind Klagen gegen die Post am Hauport des Wohnsitzes des Kl�gers einzureichen. Es mag ja sein, dass Tuttwil im Laufe der letzten zehn Jahre bekannter geworden ist als Frauenfeld. Das �ndert aber nichts daran, dass immer noch Frauenfeld der Hauptort des Kantons Thurgau ist. Ich empfinde es schon als etwas paradox, dies ausgerechnet der Post sagen zu m�ssen.


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