18. Februar 2010
Suizidhelfer
Peter Baumann begnadigt
Liebe Freunde, es
ist wahr, ich bin begnadigt, gehe nicht ins Gefängnis, und wir
sind die Dauerbedrohung los.
Ihr könnt dem
Referat im Grossen Rat Basel, Audioprotokoll vom 3.2.10,
zuhören. Dem einstimmigen Antrag der Kommission wurde vom
Ratsplenum Folge geleistet mit 69 ja : 7 nein bei 4
Enthaltungen.
Damit ist endgültig Schluss mit der Rechtsgeschichte, nur
"Strassburg" ist noch offen, wir warten auf die Antwort, ob der
Rekurs bearbeitet wird.
Die Kränze sind meiner Frau zu winden, die das Gnadengesuch
schrieb, und der Präsidentin der Begnadigungskommission, Frau
Doris Gysin, SP, die es richtig aufnahm. Nach dem ersten Telefon
der beiden Frauen wussten wir, dass damit neu die weibliche
Energie die Führung übernommen und die Vernunft in das Verfahren
eingekehrt war. Verrückt, dass die Frauen uns Vernunft lehren?
Ja,
die sog. männliche Denkweise ist eben leider gar nicht so kopfig
oder vernünftig, sondern häufig durch behinderte Gefühle
behindert bis zur tödlichen Gefühlsstaudebilität (ein soeben neu
eingeführter Begriff) des ganzen Systems. Beinahe! Ist eben noch
einmal gut gegangen, die Hoffnung
stirbt zuletzt, sagt Andrea. So viele Male ist eingetreten, was
eigentlich unmöglich war, und jetzt bei der letzten Chance
einmal im umgekehrten, positiven Sinn.
Aber zur Sache, zum Kranzwinden! Frau Gysin hat mitfühlend
mitgedacht, aufmerksam aufgenommen und die Zusammenhänge klar
gesehen, die Kommissionsmitglieder effizient informiert und
vorbereitet, in dem ganzen Aktenwust das Wesentliche präzis
gefunden und zusammengefasst in
sachlich-menschlicher Sprache ein Meisterwerk. Auch viele gute
Engel aus Eurem Kreis haben hineingewinkt. Es gibt wirklich mehr
zwischen Himmel und Erde, als wir zu fassen vermögen. Danke!
Zuerst hatte das verurteilende Appellationsgericht (Obergericht)
zum Gesuch Stellung zu nehmen. Es fand, es sei wegen der
gesetzlichen Minimalstrafen in diesem nicht klassischen
Tötungsfall eine übermässige Härte eingetreten, man solle mich
ein bisschen begnadigen auf nur noch ein Jahr abzusitzende
Gefängnisstrafe. Zwei Mitglieder der Grossratskommission hätten
es bevorzugt, wenn diese Lösung gewählt würde, willigten aber
dann ein zu einem einstimmigen Antrag auf vollumfänglichen
Erlass des (weiteren) Haft-Strafvollzugs und, noch
entscheidender, referierten in ihren Fraktionen so gutwillig
überzeugt zu diesem angeblich so polarisierenden Thema, dass in
der Schlussabstimmung kein Negativ-Feuer aufkam. Ein wunderbares
Beispiel demokratischer Willensbildung. Und eine Referenz zu
meinem Buch, waren doch vier Exemplare vorweg in Zirkulation und
offenbar sehr aufmerksam gelesen.
Und natürlich gerade jetzt ein politisches Ereignis, vielleicht
eine Bombe. Das erste Mal, dass ein Parlament sich zu
Suizidhilfe äussert, 69 : 7. Das ist 10 : 1 gegen eine
paranoid-antiliberale Haltung! Man wird das im Bundesrat und
parlament auch gehört haben.
Wie es uns geht damit? Ich habe den Briefumschlag ohne
besonderes Gefühl aufgemacht. Aha, also doch. Also doch!! Jubel
nicht, oder etwa wie bei Gottfried Kellers "er beschloss, sich
zu verlieben", mehr intellektueller Jubel. Bei Heidi dann kurz
richtiger Jubel, tief durchgehende Erleichterung. Aber dann
merken wir, dass wir vorerst etwas Zeit brauchen, um die
verrückte Welt zurückzuverrücken. Euer Jubel, immer wieder eine
reichliche Portion, ist eine wunderbare Hilfe beim Erwachen aus
der über neun Jahre antrainierten Reserviertheit. All die
negativen Gefühle wollen auch aufleben, Bitterkeit, tiefe
Verachtung, Ironie, Zynismus und nochmal Verachtung. Sie will
ich hinter mir lassen, das habe ich mir für die Gefängniszeit
vorgenommen und das will ich jetzt freiwillig durchziehen.
Wenn das nur so forsch ginge! Soll ich sie noch schriftlich
bearbeiten, um sie hinter mir zu lassen, etwa an einem
zusammenfassenden Bericht über den Prozess an den Basler
Justizdirektor? Oder gleich hinter mir lassen, Garten und Singen
und allerlei Grossvatervergnügen, und Computerkurs und doch noch
auf die Jungfrau? Die alte Integrationsarbeit des Asylbewerbers,
wo immer
möglich Sollen durch Möchten ersetzen. Und Reise und Fest
vorbereiten. Soll ich das vorgesehene Referat "Wissen, Lust und
Glaube im Gefängnis" doch noch machen, nur einfach als
Gedankenspiel? Berufsarbeit voll entfesselter Arbeitslust?
Unvermittelt zur Freiheit verurteilt mit sofortigem Vollzug.
Und wieder und neu lernen, wie ein froher Unschuldiger geht und
schaut auch als staatlich hergestellter Schwerverbrecher. Und
wie lieb oder wie deutlich ich sein muss als Begnadigter. Wie
ich Löwe mit Zugpferd zusammenspanne.
Andrew sagt, begnadigt sei doch schöner als freigesprochen. Die
Volksvertreter aller Parteien haben gesagt "wir wollen nicht,
dass der ins Gefängnis geht." Und keiner hat aufgemuckt oder
aufgeheult!
Als Nächstes steht die zweite Ausgabe meines Buchs an in etwa
einem Monat: was es bedeutet, dass die erste Ausgabe nun durch
Staatsanwalt, Gerichte und Parlamentarier gelesen worden
ist ohne Einwand, und wenn, dann im positiven Sinn zitiert. Und
was das neue Büchlein, Wege zu einem humanen, selbstbestimmten
Sterben, praktisch dazu sagt. Und was es bewirkt, dass der Staat
nicht wissen will. Und wie ein nächster Prozess sicher nicht
ablaufen wird.
Vorerst einmal so viel. Eure wunderbare Unterstützung in jeder
Form hat mich sicher tiefer geprägt als der Aufenthalt im Reich
des Paranoids, des Teufels. Und da ich dazu Sorge tragen will,
wird das und die Dankbarkeit dafür nicht verblassen und der
Wunsch, mich dessen würdig zu erweisen, solange ich bei Sinnen
bin.
Danke!
Peter Baumann
Anmerkung:
Ich kann gut nachempfinden, wie es Peter Baumann ergangen.
Über mir schwebte 15 Jahre lang, vom ersten Urteil bis zur
endgültigen Verjährung, ein Gefängnisvollzug. Dies ist besonders
schwer zu ertragen, wenn man aus politischen Gründen für etwas
verurteilt wird, das nach Recht und Gesetz gar nicht strafbar
ist, sondern von Gerichten willkürlich zu einer Straftat
verbogen wurde - bei Peter Baumann wie auch bei mir (Schächtprozess).
Mehr zum Fall
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Der
Hexenprozess gegen Peter Baumann