20. September 2012

Verfehltes Strafverfahren gegen den Thurgauer Kantonstierarzt

Stellungnahme des VgT zum Bericht im St Galler Tagblatt (Gesamtausgabe inklusive Thurgauer Zeitung)

Versteckte Kamera:
Der VgT praktiziert seit langem Beweisbeschaffung mit versteckten Kameras, besonders wenn es um die mit anderen Mitteln schwer beweisbare Verletzung der Auslaufvorschrift für angekettete Kühe geht. Dabei werden Weiden, Stalltüren oder Stallvorplätze beobachtet, was alles nicht zur geschützten Privatsphäre gehört. Es ist deshalb wiederholt zu Verurteilungen von fehlbaren Landwirten gekommen gestützt auf solche Aufnahmen, was nicht möglich wäre, wenn diese Beweismittel illegal beschafft worden wären. In einem Gutachen für den VgT hat der rennomierte Rechtsprofessor Dr Franz Riklin sogar Aufnahmen innerhalb eines Stalles als rechtmässig beurteilt, solange keine Menschen oder Privates (in Schweinefabriken selten), sondern nur Tiere und ihre Stallbedingungen aufgenommen werden. Diese gutachterliche Beurteilung ist in die Gerichtspraxis übernommen worden. Der VgT hat dieses Gutachten unter www.vgt.ch/news2007/070613-heimliche-aufnahmen.htm allgemein zugänglich gemacht.

Amtsgeheimnis:
Das Amtsgeheimnis gilt nicht unbeschränkt. Der Gesetzgeber wollte mit dem Amtsgeheimnis davor schützen, dass Informationen aus der Privatsphäre von Bürgern ungerechtfertigt weitergegeben werden. Nach geltendem Recht liegt keine Amtsgeheimnisverletzung vor, wenn es sachlich geboten bzw dienstlich gerechtfertigt ist, von einer anderen amtlichen Stelle Unterstützung zur Erfüllung der Amtspflicht anzufordern (Donatsch/Flachsmann/Hug/Weder: Kommentar StGB, Artikel 320 Rz 13; Niklaus Oberholzer im Basler Kommentar Strafrecht II, Artikel 320, Rz 9 und 15). Genau das hat Kantonstierarzt Witzig getan, indem er nach der unverständlichen Blockierung von Aufnahmen mit versteckter Kamera durch die inzwischen glücklicherweise abgeschaffte Thurgauer Anklagekammer die Gemeinde ersuchte, die vermutete Verletzung des Tierschutzgesetzes durch den Bauern zu beobachten. Um diesen Beobachtungsauftrag optimal wahrzunehmen war es geboten, die Gemeinde über Anlass, Sinn und Zweck des Auftrages zu informieren. Der Kantonstierarzt hat in Wahrnehmung seiner Amtspflicht gehandelt und aus dem Bericht in der TZ ist nichts zu erkennen, das auf eine Amtsgeheimnisverletzung hindeuten würde.

Ungleichgewicht im Beschwerderecht.
Kantonstierarzt Witzig weist darauf hin, dass sich Tierhalter immer häufiger auf dem Rechtsweg mit Beschwerden gegen den Tierschutzvollzug wehren. Das macht ein für den Tierschutzvollzug fatales Ungleichgewicht im Bechwerderecht sichtbar: Einerseits haben Tierschutzorganisationen unverständlicherweise immer noch kein Klage- und Beschwerderecht in Tierschutzfragen, andererseits stehen fehlbaren Tierhaltern sämtliche Rechtsmittel zur Verfügung, um mit Hilfe von Rechtsanwälten Druck gegen Veterinärämter zu machen, welche ihre Amtspflicht ernst nehmen. Darüberhinaus werden die Tierschutzorganisationen durch das Amtsgeheimnis und die damit verbundene Vorenthaltung von Informationen auch daran gehindert, politisch und medial fundierte Kritik zu üben, wo der Tierschutzvollzug nicht funktioniert, wo Vollzugsschlendrian herrscht und Anzeigen gegen fehlbare Tierhalter im Sand verlaufen. Das führt dazu, dass Veterinär- und Tierschutzbeamte ein ruhiges Leben führen können, wenn sie nichts tun, jedoch massiv unter einseitigen Druck geraten, wenn sie ihre Amtspflicht ernst nehmen und gegen Verletzungen von Tierschutzvorschriften vorgehen. Dieser rechtspolitische Missstand ist schon lange bekannt. Dass daran nichts geändert wird ist Ausdruck des fehlenden politischen Willens der massgeblichen Parteien, dem Tierschutz endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Das Tierschutzgesetz muss immer wieder dazu herhalten und ist wohl überhaupt nur zu diesem Zweck geschaffen worden, mit angeblich strengen Tierschutzvorschriften Propaganda für Schweizer Fleisch zu machen, während gleichzeitig dafür gesorgt wird, dass diese Vorschriften toter Buchstabe bleiben. Tierschutzorganisationen haben keine demokratischen oder rechtlichen Möglichkeiten, daran etwas zu ändern. Der VgT sieht die einzige Chance für die tagtäglich im Verborgenen ( "Zutritt verboten") leidenden Nutztiere in der zunehmenden Verbreitung der veganen Ernährung (ohne tierische Lebensmittel) - der Gesundheit und den Tieren zuliebe.

Erwin Kessler, Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT.ch