Aus der Weltwoche vom 1. Juli 2004

Muh und Mühe

Von Silvio  Borner

Drei Kühe kosten den Steuerzahler so viel wie ein Schulkind. Die Bauern verteidigen ihre Subventionen mit dem Argument der Landschaftspflege. Eine Milchmädchenrechnung.

Die Schweizer Bevölkerung nimmt langsam wahr, dass unsere Landwirtschaft viel kostet, nämlich zirka sechs Milliarden Franken pro Jahr, gemessen als so genannte Producer-Support Estimates (PSE), oder gut 75000 Franken pro Vollbetrieb. Dieses von der OECD verwendete Mass berücksichtigt sämtliche Eingriffe der Politik, die das Einkommen des Sektors erhöhen. Die sechs Milliarden Franken PSE besagen somit, dass der Wirtschaftszweig diesen Betrag verlieren würde, wenn alle staatlichen Schutz- und Stützmassnahmen wegfielen.

Daraus kann man die schockierende Gleichung ableiten, dass drei Kühe den Steuerzahler mit 12000 Franken pro Jahr etwa gleich viel kosten wie ein Schulkind, von dem erwartet wird, dass sein Humankapital über Jahrzehnte hinaus hohe Erträge für die Rentner von morgen abwerfen wird. Vom gesamten landwirtschaftlichen Einkommen stammt deutlich mehr als die Hälfte aus dem «politischen Portemonnaie» von Steuerzahlern und Konsumenten. Das ist ein etwa doppelt so hoher Anteil wie in der EU, die uns im Falle eines Beitritts denn auch um etwa zwei Milliarden Franken pro Jahr entlasten würde.

Doch halt: Das ist alles nicht nur rechtens, sondern auch richtig so: Die Landwirtschaft ist eben multifunktional, das heisst, sie produziert nicht nur Milch, Käse, Fleisch, Gemüse etc. Nein, sie bringt Versorgungssicherheit und neuerdings ökologische Leistungen der Landschaftspflege. Und das predigen die Ökonomen doch unablässig: Derartige positive Externalitäten müssen durch Subventionen beziehungsweise produktionsunabhängige Direktzahlungen abgegolten werden.

Die teuersten Weiden der Welt

Dagegen ist einiges kritisch einzuwenden: 1. Bevor wir von den positiven Externalitäten sprechen, müssen die negativen auf den Tisch kommen. Und diese sind in der Landwirtschaft beträchtlich. Eines der grössten ökologischen Tabus ist, die Landwirtschaft bei der Gewässer- und Luftverschmutzung zu erwähnen. 7,2 Millionen Einwohner sammeln ihre biologischen Abfälle ein und reinigen ihre Abwässer für teures Geld. Die reichlich anfallenden Verdauungsabfälle der «Rindviecher» werden dagegen mit importiertem Stroh vermischt und auf das teuerste Landwirtschaftsland der Welt verstreut.

Deshalb sind die Alpenweiden so mit Mist oder Gülle übersät, dass der schöne Anblick meistens von üblen Gerüchen begleitet ist. Unsere heiligen Kühe produzieren eben nicht nur beruhigendes Glockengeläut, sondern nebst dem Mist auch schädliches Methangas in rauen Mengen. Industriell produzierte Treibhausgase werden scharf besteuert. Nicht so die aufgeblähten Mägen unseres aufgeblähten Viehbestandes. Zudem hat wohl niemand Freude an den zugeteerten Bergwegen und der Verarmung von Fauna und Flora als Folge einer (Über-)Nutzung der Hochalpen durch trampelnde Weidetiere. In einer Publikation der Rega lese ich, dass im vergangenen Jahr nebst 770 Menschen sage und schreibe 1009 Kälber, Rinder oder Kühe aus sommerlicher Bergnot gerettet und «mit dem Helikopter aus unwegsamem Berggebiet bis zur nächsten gut befahrbaren Strasse geflogen» wurden. Ob das – wie die Rega treuherzig meint – ein «wichtiger Beitrag zur Aufrechterhaltung der schweizerischen Alpbewirtschaftung» sei, darf bezweifelt werden.

2. Die meisten positiven Externalitäten sind pekuniärer Natur und werden vom Markt automatisch abgegolten. Eine schöne Landschaft erhöht den Bodenpreis, den Wert der Hotels und Chalets. Bequeme Zufahrtsstrassen zu schönen Aussichtspunkten bringen mehr Ausflügler in die Bergrestaurants. Schmucke Bauernhäuser verbessern die Lebensqualität derjenigen, die darin wohnen. Aber weshalb soll die in einem grauen Wohnblock in Oerlikon oder Kleinhüningen lebende Arbeiterfamilie mit einer happigen «Nahrungsmittelsteuer» für all diese Dinge aufkom- men? Mit solcher Logik könnten schöne Frauen, die am Strand Blicke auf sich ziehen, einen Beitrag zum Kaufpreis für den Bikini einfordern.

3. Im Minimum wäre politisch sicherzustellen, dass die ökologischen Nebenleistungen genau definiert und bewertet werden. Es darf nicht sein, dass mit der einen Hand Millionen für die Überdüngung der Wiesen und Äcker und mit der anderen Millionen für die Belassung von ein paar Magerwiesen bezahlt werden. Also zuerst eine Extensivierung der Landwirtschaft, bevor wir ihre ökologischen Wunderleistungen prämieren. Die gegenwärtigen flächengebundenen Direktzahlungen sind ein ökologisches Feigenblatt. Sie treiben primär die Boden- und Pachtpreise in die Höhe, verzögern den Strukturwandel durch Beibehaltung der Landwirtschaft als Nebenerwerb und verschleiern die mit der Intensivlandwirtschaft einhergehenden negativen Externalitäten.

PS: Dass der Einfalt und Vielfalt der Subventionen kaum Grenzen gesetzt sind, kann man auf folgender Webseite selber überprüfen: www.efv.admin.ch/d/finanzen/subven/index.php

Silvio Borner ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Basel.

*

Anmerkungen von VgT-Präsident Erwin Kessler:

Die Abhängigkeit der von vom Nazi-Imperium vollständig eingeschlossenen Schweiz von der landwirtschaftlichen Selbstversorgung hat der Landwirtschaft für mehr als ein halbes Jahrhundert einen Sonderstatus beschert. Die horrende staatliche Subventionierung hielt auch noch an, als die Landwirtschaft längst zu einer umweltschädigenden, tierquälerischen Industrie mit massiver Überproduktion geworden war, die sich nicht an den Marktbedürfnissen, sondern an den staatlichen Subventionen orientierte. Die mafiosen Subventionsstrukturen sind auf die finanziellen Interessen einer im Nationalrat und in der Bundesverwaltung übervertretenen Klientel ausgerichtet und laufen den öffentlichen Interessen in geradezu grotesker Weise. Dies illustrieren deutlich die verschiedenen, sich in der Wirkung völlig widersprechenden Direktzahlungen, zB für den Tabakanbau bei gleichzeitig andernorts eingesetzten Bundesmillionen gegen den Tabakkonsum, oder die massive Förderung der Fleischproduktion und damit der ungesunden Fehlernährung mit zuviel tierischem Fett und Eiweiss, bei gleichzeitig explodierenden Gesundheitskostent. Zu alldem kommt dazu - und darüber haben die Medien noch nie berichtet -, dass die vor Jahren grossspurig als Neuausrichtung der Landwirtschaft propagierten "ökologischen Direktzahlungen" mittlerweile wieder in die alten Kanäle der konventionellen Tierquäler und Umweltzerstörer fliessen. Da die Ökologie nur als Verkaufsargument und Tarnkappe für die Agrosubventionen herhalten muss, aber nicht wirklich gemeint ist, überrascht es nicht, dass die ökologischen Auflagen sehr, sehr large kontrolliert werden, so large, dass effektiv auch übelste Tierfabriken - die nicht einmal die Mindestvorschriften der Tierschutzverordnung einhalten - wieder in den Genuss der Direktzahlungen kommen. Der VgT hat kürzlich erneut einen solchen Fall im Kanton Zürich aufgedeckt und die Machenschaften von korrupten Veterinär- und Landwirtschaftsbeamten, gleichgültigen Bezirksanwälten und sogar des kantonalen Alibi-Tierschutzanwaltes aufgezeigt (www.vgt.ch/vn/0401/ZH.htm#Vögeli). Das Interesse der Medien - einschliesslich Kassensturz, Rundschau, 10vor10, Tagesschau, K-Tipp, Beobachter - war gleich null.
Es ist erfreulich, dass die Weltwoche jetzt am Tabu der Landwirtschaftssubventionen zu kratzen beginnt.


News-Verzeichnis

Startseite VgT