2. Januar 2006
Scheitert die SVP-Volksinitiative?
Staatliche Behinderung der Volksrechte
Die SVP fürchtet um das Scheitern ihrer
Einbürgerungs-Initiative, weil zahlreiche Gemeinden bei der gesetzlich
vorgeschriebenen Beglaubigung der Unterschriften unsorgfältig arbeiten.
Die gleiche Erfahrung hat der VgT bei der (gescheiterten)
Pelzimport-Verbot-Initiative gemacht. Das Bundesgericht hat das
Begehren des VgT, Fehler von Behörden müssten amtlich behoben werden und
dürften nicht zur Ungültigkeit einer Initiative führen, einstimmig
abgewiesen (BGE
1A.282/2004). Für diesen demokratiefeindlichen Entscheid sind
folgende Bundesrichter verantwortlich: Féraud (FDP), Aemisegger (CVP),
Aeschlimann (FDP), Reeb (Liberale Partei), Fonjallaz (SP).
Die Verwaltungsgreichtsbeschwerde
des VgT, welche vom Bundesgericht abgewiesen wurde:
Das Büro des Initiativkomitees der Volksinitiative gegen Pelzimporte
erhält von den Gemeinden massenhaft mangelhaft beglaubigte
Unterschriftenformulare zurück. Nach Retournierung an die
entsprechenden Gemeinden zur Vervollständigung kommen die Formulare
oft immer noch unvollständig beglaubigt wieder zurück. Das
Initiativbüro ist personell und finanziell nicht in der Lage, für
diese umfangreiche Mängelbehebung bei Gemeinden, die sich nicht an die
Bundesvorschriften über Volksinitiativen halten, zu sorgen.
Die nicht gültige Beglaubigung durch Gemeinden stellt eine nicht
akzeptable staatliche Behinderung der Ausübung politischer Rechte dar.
Am 27. September 2004 hat der VgT deshalb in einer Eingabe an die
Bundeskanzlei beantragt, die Bundeskanzlei solle - anstatt
solche Unterschriftenformulare ungültig zu erklären - bei den
verantwortlichen Gemeinden die Nachbesserung der Beglaubigung
verlangen.
Die Bundeskanzlei hat das Begehren abgewiesen und den VgT auf einen
nicht gangbaren Weg verwiesen, nämlich gegen die betreffenden
Gemeinden einzeln Beschwerde zu führen oder in jedem Einzelfall die
Bundeskanzlei aufsichtsrechtlich einzuschalten. Dieser Weg ist nicht
zielführend, weil allein schon die unzähligen Retournierungen zur
Vervollständigung der Beglaubigungen einen unzumutbaren Arbeitsaufwand
bedeutet. Das Problem kann nicht durch einzelfallbezogene Beschwerden
gelöst werden.
Aufgrund des Gesagten besteht eine gesetzwidrige staatliche
Einschränkung politischer Grundrechte, die nur dadurch beseitigt
werden kann, dass die Bundeskanzlei zur konkreten Wahrnehmung ihrer
Aufsichtspflicht im Sinne des Antrages verpflichtet wird.
Mit Verfügung vom 22. Oktober 2004 hat die Bundeskanzlei dieses
Begehren abgelehnt, im Ergebnis das Initiativkomittee für Fehler der
Gemeinden verantwortlich gemacht und sich mit der Beschwichtigung
begnügt, alles sei nicht so dramatisch, da die Gültigkeit der
Beglaubigungen nicht überspitzt formalistisch, sondern nach Treu und
Glauben geprüft werde, weshalb verschiedene Formmängel nicht die
Ungültigkeit nach sich ziehen würden. Das Problem sei deshalb wohl
nicht so dramatisch. Insofern die Bundeskanzlei behaupten will, das
Ausmass der Beglaubigungsnachbesserungen halte sich in einem
bewältigbaren Rahmen widerspricht sie damit ihrer Behauptung,
sie wäre durch die beantragte amtliche Nachbesserung mangelhafter
Beglaubigungen personell überfordert.
Die Verfügung der Bundeskanzlei ist einseitig darauf ausgerichtet,
Arbeit fernzuhalten. Die abweisende Verfügung beruht im Wesentlichen
auf zweit haltlosen Argumenten:
A. Überforderung der Bundeskanzlei
Die Bundeskanzlei argumentiert, sie sei personell und finanziell nicht
in der Lage, fehlbare Gemeinden zur Behebung von Beglaubigungsmängeln
anzuhalten. Eine solche Überforderung, wenn sie denn bestünde, wäre
indessen rechtlich irrelevant. Da die Bundeskanzlei aufsichtsrechtlich
zum Handeln verpflichtet ist, kommt ihre Weigerung wegen Überforderung
einer formellen Rechtsverweigerung gleich, analog hat dies das
Bundesgericht für (tatsächlich) überlastete Vorinstanzen festgehalten,
vgl. in BGE 103 V 190 ff., 198: "Es ist Aufgabe des Rechtsstaates, das
Recht jedes Bürgers auf staatlichen Rechtsschutz zu gewährleisten.
Wenn dieser Rechtsanspruch des Bürgers durch Überlastung und
personelle Unterdotierung einer Gerichtsbehörde beeinträchtigt wird,
ist es Sache des Rechtsstaates, die nötigen und geeigneten Massnahmen
zu treffen, um die Justizgarantie wiederherzustellen. Geschäftslast
und Personalmangel können es nicht rechtfertigen, Verfassungsrecht zu
durchbrechen."
Eine kurzfristig spürbare Mehrarbeit der Bundeskanzlei infolge
Durchsetzung der Pflichten bei
den Gemeinden könnte zwar durchaus eintreten, ansonsten wäre ja die
Beschwerde gegenstandslos. Die Bundeskanzlei könnte die Gemeinden
(direkt oder via Kanton oder Verbände oder wie auch immer)
diesbezüglich anschreiben, ab sofort würden fehlerhafte, mithin
gesetzwidrige Bescheinigungen auf Kosten der fehlbaren Gemeinde
(Verursacherprinzip) zur Korrektur zurückgewiesen. Dann wäre eine
sofortige nachhaltige Besserung der heutigen schludrigen Praxis
garantiert.
Fazit: Von einer Überforderung der Bundeskanzlei kann nicht ernsthaft
die Rede sein und selbst dann könnte sie sich damit nicht ihrer
Pflichten entledigen, sondern müsste auf eine bessere personelle
Ausstattung ihres Betriebs hinwirken, um so mehr als es hier um die
Behinderung fundamentaler politische Bürgerrechte geht.
B. Rechtliche Grundlage
Das Initiativrecht ist ein sehr bedeutendes politisches Grundrecht.
Gegen dessen Behinderung durch kantonale Institutionen einzuschreiten,
ist der Bund aufsichtsrechtlich verpflichtet (kooperativer
Föderalismus); das ergibt sich direkt aus der Verfassung (BV 49.2).
Stellt die Aufsichtsbehörde (Bund) in einem konkreten Fall eine
Verletzung von Bundesrecht fest, dann kann sie dies beanstanden und
eine Berichtigung verlangen (Häfelin/Haller: Schweizerisches
Bundesstaatsrecht, 5. Aufl, Rz 1211). Im vorliegenden Fall kann der
Bund nicht nur, sondern er muss, um die Verletzung politischer Rechte
des Beschwerdeführers zu beseitigen.
C. Falsche und willkürliche Rechtsauslegung
Die Bundeskanzlei rechtfertigt die Abweisung der Verwaltungsbeschwerde
in rechtlicher Hinsicht damit (Seite 3, lit c), der Gesetzgeber habe
die Behebung von Mängeln der Stimmrechtsbescheinigung durch die
Bundeskanzlei bewusst aus dem Gesetz gestrichen. Dies ist eine
qualifziert falsche, willkürliche Behauptung. Alle von der
Bundeskanzlei angeführten Rechtsquellen betreffen nur das Einholen der
Beglaubigung von Unterschriften durch die Bundeskanzlei, nicht die
Behebung von Beglaubigungsmängeln. Das ist ein entscheidender
Unterschied. Dass das Initiativkomitee für die Beschaffung und das
Beglaubigenlassen der Unterschriften zuständig ist, ist eine
unbestrittene gesetzliche Vorgabe, die vom VgT weder
verfassungsrechtlich noch sonstwie angezweifelt oder kritisiert wird.
Die Beschwerde richtet sich indessen ganz klar gegen
bundesrechtswidrige, von staatlichen Organen zu verantwortende,
Beglaubigungsmängel, was auch nichts mit der Nachbescheinigung von
Unterschriften zu tun hat (nachträgliche Beglaubigung nach Ablauf der
Referendumsfrist). Indem die Bundeskanzlei ausführlich diese
Nachbescheinigung abhandelt und so tut, als sei dies gerade das, was
der VgT verlange, ist sie in Willkür verfallen und hat zudem das
rechtliche Gehör dadurch verletzt, dass sich die Verfügungsbegründung
nicht mit dem Begehren des VgT (Behebung von Beglaubigungsmängel),
sondern mit Fragen befasst (nachträgliches Einholen von
Beglaubigungen) , welche nicht das Begehren des VgT betreffen, obwohl
der VgT sein Rechtsbegehren in der Verwaltungsbeschwerde vom 27.
September 2004 (Beilage 1) wie folgt klar formuliert hat:
"Als Mitglied des Initiativkomitées und Verantwortlicher für die
Unterschriftensammlung beantrage ich hiermit, es sei uns durch die
Bundeskanzlei zuzusichern, dass keine Unterschriften für ungültig
erklärt werden wegen Beglaubigungsmängeln, die durch die Gemeinden zu
verantworten sind, und dass die Bundeskanzlei für die Behebung von
Beglaubigungsmängel sorgt, soweit sie dies für notwendig erachtet."
Es geht also ganz klar nur um die Behebung von staatlich verursachten
Beglaubigungsmängeln. Die Bundeskanzlei hat das Begehren des VgT
abgewiesen, ohne sich ernsthaft damit zu befassen, und hat stattdessen
eine Scheinbegründung geliefert, die andere Anliegen beschlägt.
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