5. Juni 2008, letztmals aktualisiert am 10. Juni 2008           

Schlag der Österreichischen GESTAPO
zur Vernichtung mehrerer Tierschutzorganisationen

(Siehe den ersten Bericht dazu in News vom 23. Mai)  

Bericht des Obmanns des VGT Österreich, Dr Martin Balluch, vom 2. Juni aus dem Gefängnis

Vor 12 Tagen wurde ich in der Nacht bei mir zu Hause von einer Gruppe maskierter, bewaffneter Männer überfallen und beraubt. Bis heute will dieser Albtraum nicht enden, ich sitze noch immer in
einer winzigen Zelle, starre tagaus tagein an dieselbe öde Wand und kann keinen Schritt eigenständig setzen, weder Zeitung lesen noch meine Freunde und Familie begrüßen. Ich bin jetzt am 13. Tag meines Hungerstreiks. Da ich überfallen und eingesperrt wurde, ohne auch nur den geringsten Verdacht, dass ich ein strafrechtliches Vergehen begangen hätte, sah ich mich genötigt,
mein letztes bisschen Autonomie für einen Protest zu nutzen: Ich verweigere das Essen. 13 Tage ohne Essen ist sehr schmerzhaft. Das Hungergefühl bohrt sich tief in das Bewusstsein. Mein Körper
zerfällt sichtlich. Ich habe bereits 18 Kilo verloren. Jede Bewegung wird mühsam und anstrengend, ich habe häufig schwere Muskel- und Magenkrämpfe.

Dem ellenlangen Akt zu meinem Fall entnehme ich, dass die Polizei mich seit über einem Jahr ununterbrochen belauscht hat, jedes private intime Gespräch. Und trotzdem hat sie keinen einzigen
konkreten Hinweis gefunden, dass ich das Gesetz übertreten hätte. Der einzige "Verdachtsmoment", der gegen mich ins Treffen geführt wird, ist meine Gesinnung, wie sie aus manchen Privatgesprächen,
Interviews mit Medien oder Medienberichten über mich zu Tage tritt. Ja, mir ist Tierschutz sehr wichtig, ich habe ihm mein Leben gewidmet. Ja, ich betrachte die Misshandlung eines Tieres z.B in
Tierversuchen oder Tierfabriken nicht als eine Nebensache, die mich nichts angeht, sondern als vergleichbar mit Misshandlungen von Menschen. Aber deshalb bin ich kein Verbrecher. Ich bin seit 25
Jahren für den Tierschutz aktiv, und wurde bisher nicht einmal gerichtlich verurteilt. In unserem Land herrscht Meinungs- und Gedankenfreiheit. So dachte ich wenigstens bis vor kurzem. Die von der österreichischen Verfassung garantierten Menschenrechte verbieten es, aus weltanschaulichen Gründen verfolgt, misshandelt und eingesperrt zu werden. Aber genau dem werde ich gerade
ausgesetzt.

In meinen zweieinhalb Jahrzehnten Einsatz für den Tierschutz konnte ich gerade in den letzten Jahren große Erfolge verbuchen. Zum Verbot von Pelzfarmen, Wildtierzirkussen und vor allem Legebatterien trug ich persönlich nicht wenig bei, sodass wir in Österreich heute das beste Tierschutzgesetz der Welt haben. Doch gerade das - insbesondere das Legebatterieverbot - scheint einigen Mächtigen
schwer aufzustoßen. Seit 2004 gibt es immer größere Behördenschikanen, die in einer Falschaussage des derzeitigen Innenministers über den VGT vor dem Parlament gipfelten. Der
entsprechenden Klage auf Widerruf gegenüber war er zwar aufgrund seiner Position immun, aber der Volksanwaltschaft musste er eingestehen, sich "geirrt" zu haben. Auf Zeitungsannoncen, in denen
er vom VGT als Lügner bezichtigt wurde, reagierte er gar nicht.

Dafür wurde - wie meinem Akt zu entnehmen ist - eine Sonderkommission gegen den Tierschutz eingesetzt, die mich und viele andere TierschützerInnen und Tierschutzvereine seit etwa April 2007
belauschte. Da aber offensichtlich aus allen in diesem Lauschangriff abgehörten Gesprächen und gelesenen Emails kein konkreter Tatverdacht zu entnehmen war, musste etwas geschehen. Die
Sonderkommission konnte ja nicht ergebnislos aufgelöst werden. Also beschloss man einen Großangriff, Hausdurchsuchungen im großen Stil, in der Hoffnung, so irgendein Indiz zutage fördern zu können.
Laut meinem Akt wurden daher in den frühen Morgenstunden des 21. Mai 2008 insgesamt 23 private Räumlichkeiten von TierschützerInnen durchsucht, darunter 5 Tierschutzvereinsbüros (auch die VGT-Büros in Wien und Graz), sowie das VGT-Materiallager. 24 TierschützerInnen wurden von der Polizei festgehalten und befragt, darunter 8 MitarbeiterInnen des VGT.

Als Begründung für die Aktion musste mangels konkreter Verdachtsmomente eine möglichst vage und unkonkrete Anschuldigung gefunden werden. Man entschied sich für § 278a StGB, Bildung einer
sehr großen kriminellen Vereinigung. Da man von vornherein geplant hatte, 10 Personen in Untersuchungshaft zu nehmen, wählte man die mit wesentlich höherer Straf bedrohte große kriminelle Vereinigung gemäss § 278a, statt der kleinen gemäss § 278. Und das, obwohl aus der Polizeiakte zu
entnehmen ist, dass ich persönlich mit 6 der 9 mit mir verhafteten Personen niemals auch nur irgendeinen Kontakt hatte.

Um diese brachiale Großaktion gegen den Tierschutz vor der Öffentlichkeit zu begründen, ließ die WEGA [das ist das Polizeiorgan der österreichischen GESTAPO, Anmerkung der Schweizer Redaktion] mit gezogenen Schusswaffen die Überfälle durchführen, und verbreiteten dann Verdachtsgerüchte von Brandanschlägen und Gasangriffen. Davon findet sich aber nichts im Akt. Noch nie gab es in Österreich einen Gasangriff mit Tierschutzbezug, und die letzte tierschutzrelevante
Brandlegung ist mindestens 6 Jahre her. De facto sind Sachbeschädigungen im Namen des Tierschutzes in Österreich im internationalen Vergleich ausnehmend selten. Das ist sicherlich
hauptsächlich auf die großen Tierschutzerfolge in den letzten Jahren zurück zu führen. In Österreich konnten wir etwas bewegen. Entsprechend gering ist die Frustration, die
Haupttriebfeder derartiger Aktionen.

Warum werde ich also jetzt nicht freigelassen? Ganz einfach. Die gesamte Aktion war politisch motiviert und wahrscheinlich von ganz oben gesteuert. Würde ich jetzt freigelassen, dann wäre das in den Augen der Öffentlichkeit das Eingeständnis, die ganze Aktion und die gesamte Arbeit der Sonderkommission ohne jedes verwertbares Ergebnis durchgeführt zu haben. Ich muss also weiterhin in einer Zelle sitzen und langsam verhungern, damit der Innenminister sein Gesicht wahren
kann. Es würde mich nicht wundern, wenn man jetzt gerade plant, uns während der entscheidenden Spiele der EM 2008 freizulassen, in der Hoffnung, so das mediale Echo zu vermeiden.

Dieser Skandal darf nicht geduldet werden. Allen, denen Tierschutz oder Menschenrechte ein Anliegen sind, bitte ich, jetzt aktiv zu werden, um dieses Verbrechen zu verhindern. Derartige Polizeiwillkür gegen unbequeme NGOs kennt man vielleicht aus Diktaturen, aber nicht aus einer Demokratie  [naiver Glaube an den Rechtsstaat und entsprechende Sorglosigkeit kann katastrophale Folgen haben, wie man sieht, Anmerkung der Schweizer Redaktion]. Bitte zeigen Sie Rückrat und stehen Sie gemeinsam gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit auf. Mein Leben hängt davon ab.
DDr. Martin Balluch, Obmann des Verein gegen Tierfabriken Österreich. Zelle B3/15, Justizanstalt Wien-Josefstadt, am 2. Juni 2008

*

Dieser Bericht von Martin Balluch wurde veröffentlicht an der  VGT-Pressekonferenz im Café Landtmann, Wien. Die Pressekonferenz war trotz der nahenden Europameisterschaft sehr
gut besucht. Allgemeine Betroffenheit, als der Brief von Martin Balluch vorgelesen wurde. Allgemeines Entsetzen als die Hintergründe des diffusen § 278a verdeutlicht wurden.

Gesprochen haben
- Harald Balluch, Geschäftsführer des VGT, über den gesundheitlichen schon so kritischen Zustand von Martin.
- Mag. Alexander Willer, Vizepräsident Verband der österr. Tierschutzorganisationen, über die Betroffenheit des gesamten Tierschutzes.
- Mag. Stefan Traxler, Anwalt von 4 der Inhaftierten und
- Mag. Eberhart Theuer, Menschenrechtsexperte, über die juristische Seite dieses prekären Falles.


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 Stellungnahme von Amnesty International
zur Festnahme von Tierschützerin in Österreich

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Anmerkung von Dr Erwin Kessler, Präsident VgT-Schweiz
Vom VGT Österreich, den ich gegründet habe, habe ich mich schon vor Jahren enttäuscht zurückgezogen. Ich verfolge die aktuellen Vorgänge in Österreich rein passiv, aus allgemeinem Interesse, ohne Schadenfreude, aber auch ohne zu Hilfe und Unterstützung bereit zu sein. Ich werde mich in Österreich in keiner Weise nochmals engagieren. Ausführlich dazu siehe die Anmerkung zum Bericht vom 23. Mai.

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Inzwischen sind weitere Einzelheiten zu dieser GESTAPO-Aktion bekanntgeworden:

Mitteilung des VGT Österreich vom 9. Juni 2008:

In ganz Österreich kam es am 21. Mai um 6 Uhr morgens zu insgesamt 23 Hausdurchsuchungen in den Privatwohnungen und Büros von Tierschützern. Insgesamt wurden bei dieser nächtlichen Durchsuchung in 7 Tierschutzvereinen 10 Personen in Haft genommen.

Die Polizei hatte schon jahrelang gegen die Tierschützer ermittelt. Offenbar reichten aber die Überwachungen und (Telefon-)Abhörmethoden nicht aus, um illegale Aktivitäten nachweisen zu können, weshalb sie nun zu dieser radikalen Massnahme griff, um an (angebliches) Beweismaterial zu gelangen.

Die Polizei begründet diese Aktion mit dem Verdacht auf die Bildung einer kriminellen Verbindung. Bis heute sind die Behörden aber konkrete Anschuldigungen schuldig geblieben - warum die einzelnen Personen nun eigentlich in Haft sind, ist nach wie vor (und das nach über zwei Wochen
Untersuchungshaft!) unklar. Die Gesundheit der in Hungerstreik getretenen Tierschützer wird von Tag zu Tag kritischer, die Behörden schweigen sich trotz allem weiterhin über konkrete Anschuldigungen aus. VGT-Obmann Martin Balluch ist vom Hungerstreik mittlerweile so stark geschwächt, dass er in die Krankenstation verlegt werden musste.

Am vergangenen Freitag wurde an einer Haftprüfungsverhandlung entschieden, dass alle 10 Personen für mindestens weitere 4 Wochen ohne Anklage in Untersuchungshaft fest gehalten werden.
Die dafür zuständige Richterin wurde (zufällig?) am Tag zuvor krank und musste deshalb vertreten werden. Die 10 Personen hatten nur jeweils 10 Minuten Zeit, um sich zu verteigen. Doch gegen was soll man sich verteidigen, wenn man keine konkrete Anklageschrift hat?

Der Gesetzesparagraph, den man gegen die Tierschützer anwendet, war ursprünglich gegen Terrororganisationen und die Mafia gedacht. Nun wird er gegen Tierschützer angewendet. Es scheint, dass US-Amerikanische Verhältnisse (politisch motivierte Verhaftungen ohne konkrete Begründung und ohne Recht auf echte Verteidigung) auch in Europa einzug gehalten haben.

Obwohl der Sprecher des Innenministeriums behauptet, dass nur gegen einzelne verdächtige Tierschützer vorgegangen worden sei, und die ganze Aktion nicht gegen den Tierschutz an und für sich gerichtet war (keiner der Tierschutzvereine wurde angeklagt oder auch nur beschuldigt!) wurden sämtliche Computer, Daten und Handys von 4 Tierschutzvereinen von der Polizei beschlagnahmt. Da die Vereine nicht einmal eine Kopie ihrer Mitgliederadressen behalten durften, wurde versucht diese 4 einflussreichen, legal operierenden Vereine damit lahm zu legen.


Mehr Hintergrundinformationen zu diesem Thema finden Sie auf der Homepage des
VGT Österreich: www.vgt.at


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