7. Januar 2000

Stasi-Methoden der Bundespolizei

Der folgende Bericht erschien in der WELTWOCHE vom

B�rger schikanieren, Beh�rden schonen
Wer einen Hinweis liefert, begibt sich in Gefahr:
Eine vertrauliche Eingabe an die Gesch�ftspr�fungsdelegation wurde umgehend der Bundespolizei und von dieser dem Arbeitgeber weitergereich

Von Urs Paul Engeler

Michel de Notredame
Ausser Kontrolle der   Gesch�ftspr�fer (o.):
Bupo-Chef Urs von Daeniken (l.u.)

Die parlamentarische Gesch�ftspr�fungsdelegation (GPDel), jenes obskure, verschwiegene Sextett, das die Geheimbereiche des Bundes zu kontrollieren und die Rechte der B�rger zu sch�tzen h�tte, hat sich in den ersten acht Jahren des Bestehens den Ruf erworben, nichts zu sehen, nichts zu h�ren und bei Bedarf gar nichts zu tun. Alles falsch! Die GPDel unternimmt bei Verdacht auf Missst�nde im Staate durchaus und zielgerichtet etwas – allerdings nicht gegen die beschuldigte Beh�rde, sondern gegen B�rger, die sich vertrauensvoll an sie wenden.
Die Vorgeschichte beginnt 1991. Damals wurde, zur billigen Beruhigung des fichengesch�digten Publikums, die GPDel geschaffen. Und exakt zu dieser Zeit begannen die Bundespolizisten im Auftrage von Justiz- und Polizeiminister Arnold Koller auch bereits wieder in alter Manier zu schn�ffeln. Koller hatte im Januar 1991 aus Anlass des Golfkriegs die umfassende Weisung erlassen, �alle Informationen �ber in- und ausl�ndische Organisationen, Gruppierungen und Personen zu sammeln und auszuwerten, welche die kriegerische Politik von Saddam Hussein unterst�tzen, verherrlichen oder sie in anderer Art personell, finanziell oder ideologisch f�rdern oder propagieren�. W�hrend etwa die Kantonalberner Beh�rden dem eifrigen Bundesrat �ffentlich vorwarfen, damit gegen seine eigenen Staatsschutzweisungen zu verstossen, und dem Bund daher nur minimalste Ausk�nfte erteilten, rafften andere alle erh�ltlichen Daten. So auch die Verwaltungsrechenzentrum St. Gallen AG (VRSG), eine gemeinsame EDV-Firma von mittlerweile �ber 170 Ostschweizer Kommunen.
Zwischen dem 31. Januar und 7. Februar 1991 erstellte die VRSG aus den Einwohnerlisten aller ihr (damals) angeschlossenen 44 Gemeinden aus den Kantonen St. Gallen, Graub�nden und Z�rich Verzeichnisse s�mtlicher Personen, die als ihr Heimatland Irak angaben (Code 512). Solche Order h�tten allein die Kommunen erteilen d�rfen, was unwahrscheinlich ist und dementiert wurde: So schloss etwa der Gemeinderatsschreiber von Berg (SG) auf Anfrage hin aus, �je einen solchen Auftrag erteilt zu haben�.

Das Dementi des Bupo-Chefs

Im Vorfeld der Abstimmung �ber die Volksinitiative �S.o.S. – f�r eine Schweiz ohne Schn�ffelpolizei� von 1998 wird die peinliche Sache publik. Hinter dem politisch und datensch�tzerisch �usserst fragw�rdigen Bl�ttern in den Registern der Gemeinden wird die Bundespolizei vermutet, was deren nerv�s gewordener Chef, Urs von Daeniken, im Schweizer Fernsehen jedoch entr�stet als reine �Erfindung� zur�ckweist. 1991 hatte er in einem internen Rapport zwar noch stolz vermeldet, dass sein �B�ro Golf� 831 Meldungen aus kantonalen, Bundes- und privaten Quellen verarbeitet habe. Nun streitet er ab, in den �Golf�-Akten diese Irakerlisten zu haben.
Mit diesem Dementi beginnt der unappetitliche Folgeskandal. Entr�stet wendet sich ein Informatiker des Rechenzentrums, er sei hier N. genannt, im Juni 1998 an Alexander Tsch�pp�t (SP, BE), den Pr�sidenten der Gesch�ftspr�fungskommission (GPK) des Nationalrats, mit der Bitte, seinem Verdacht nachzugehen, Bupo-Chef von Daeniken habe das Stimmvolk angelogen, und auch andere Datenraffereien der Bundespolizei zu �berpr�fen. Da f�r derart delikate Abkl�rungen im Innern der Berner Geheimbereiche allein die Delegation zust�ndig ist, �bergibt Tsch�pp�t – so weit, so �blich – den Brief dem GPDel-Pr�sidenten, dem Schaffhauser SVP-St�nderat Bernhard Seiler.
Einen Monat sp�ter h�lt der Bupo-Chef den Brief des B�rgers N. samt Namen und Adresse, samt Anschuldigungen und Begr�ndungen in den H�nden. Am 13. August informiert von Daeniken �im Interesse einer fundierten Stellungnahme� die VRSG-Gesch�ftsleitung (und die Polizeikommandos St. Gallen und Z�rich) ebenso direkt und unverschl�sselt. Am 1. September melden die St. Galler Datenverwalter, keinen Auftrag �direkt von irgendeiner Stelle ausserhalb ihres Kundenkreises� entgegengenommen und keine Listen �direkt an Dritte� ausgeliefert zu haben. Was die Bundespolizei umgehend den Kontrolleuren mitteilt, so dass Seiler im Dezember 1998 N. – mit drohendem Unterton – zur�ckschreibt: �Herr von Daeniken kommt zum Schluss, dass sich Ihre Behauptungen als haltlos und nicht fundiert erweisen. Er weist deshalb den Vorwurf der L�ge zur�ck und pr�ft m�gliche Schritte.�
Die GPDel hatte nicht nur keine einzige selbst�ndige Abkl�rung getroffen, hatte nicht nur weder VRSG oder eine der Gemeinden selbst befragt, hatte nicht nur keine Akten des �B�ros Golf� eingesehen, hatte nicht nur den Bupo-Chef die Vorw�rfe gegen ihn gleich selbst erledigen lassen – sie hatte die Anfrage �berdies ungefiltert ausser Haus gegeben und den Schreiber – bewusst oder verantwortungslos – gef�hrdet. Weil �mit diesem Brief schwerwiegende Vorw�rfe an die Adresse der Bundespolizei� gerichtet worden seien, rechtfertigen die Aufseher ihren sorglosen Umgang mit der Eingabe. Und sie schaffen so zum politischen Skandal der Vernachl�ssigung ihrer Amtspflichten einen rechtlich heiklen Fall: �Eine gravierende Verletzung des Datenschutzes�, kommentiert ein Jurist und Nationalrat den Transfer. Bei exakter Auslegung der Datenschutzbestimmungen h�tte die Delegation wohl pr�fen m�ssen, den Brief entweder zu anonymisieren oder wenigstens N. vorg�ngig �ber diesen Schritt zu informieren, meint vorsichtig Carmen Grand, Stellvertreterin des Sekret�rs des Eidgen�ssischen Datenschutzbeauftragten.

Zum Befund, dass Bupo-Chef von Daeniken Arbeitgeber und Polizeistellen kontaktiert und damit wohl Amtsgeheimnisse verletzt hat, f�llt der Delegation in einem Brief an den Betroffenen nur ein, es sei �ihr nicht bekannt, inwieweit Ihr Name dabei erw�hnt wurde�. Und als Pauschalentschuldigung formulierte der famose GPDel-Pr�sident zum Abschluss der eineinhalbj�hrigen Korrespondenz am 30. November 1999 lapidar: �Die Delegation w�rde es sehr bedauern, wenn Sie durch die Bekanntgabe dieses Briefes Nachteile erlitten h�tten. Sie stellt jedoch fest, das(s) Ihr Arbeitsverh�ltnis bereits vor dem 8. Juni 1999 aufgel�st worden ist.�
Tats�chlich hatte die VRSG dem kritischen B�rger N., weil es ihn hinter der Iraker-Indiskretion vermutete, die Stelle aufgek�ndigt – zu Unrecht �brigens, wie das Arbeitsgericht sp�ter befand: Die Firma musste ihrem ehemaligen Mitarbeiter eine Entsch�digung von 20000 Franken zahlen.
Das ist die real existierende Staatsschutz-Kontrolle in der Eidgenossenschaft: Die Sache selbst bleibt v�llig ungekl�rt; der mitdenkende B�rger aber, der die Aufpasser mit Tipps und Beobachtungen versorgt, wird ans Messer geliefert. Von Kontakten mit dieser speziellen Parlamentariergruppe ist somit dringlichst abzuraten.
Will die neue GPDel, die dieser Tage startet, einen Rest von Glaubw�rdigkeit retten, muss sie vorab die Arbeit ihrer Vorg�nger zum Untersuchungsgegenstand machen. �Eines der ersten Gesch�fte wird die genaue Kl�rung dieses problematischen Vorfalls sein�, verspricht der designierte GPDel-Vizepr�sident Alexander Tsch�pp�t. �Leute, die sich an eine Beh�rde wenden, m�ssen absolut sicher sein, keine Nachteile zu erleiden. Sonst fehlt das Vertrauen. Und ohne Vertrauen werden wir keine Informationen erhalten.� Sch�n, nur: Von �Vertrauensaufbau� war schon die Rede, als die alte Crew ruderte.
Bleibt noch die Frage, welche Folgen diese Aff�re f�r den Bupo-Chef Urs von Daeniken haben wird. Der Vorwurf der L�ge ist ebenso wenig erledigt wie die Anschuldigung der Amtsgeheimnisverletzung. Und doch f�hrt der treue Diener jedes Herrn nach einer ersten Evaluation die Liste der Kandidaten f�r den Posten eines Koordinators der neu konzipierten Nachrichtendienste des Bundes an.

 

Dieser Fall ist symptomatisch f�r die Stasi-Mentalit�t der BuPo wie auch f�r die politische Aufsicht. Wenn letztere funktionieren w�rde, k�me es nicht immer wieder zu solchen Enth�llungen, die zeigen, dass die BuPo offenbar seit der Fichenaff�re keinen Anlass sieht, rechtsstaatliches Verhalten zu lernen.

Im letzten Fr�hjahr wollte die BuPo alle Mobiltelefone in der Umgebung der besetzten griechischen Botschaft fl�chendeckend �berwachen. Dabei h�tte sie in Kauf genommen, dass neben den paar vermuteten Straft�tern hunderte unbescholtener B�rger beschn�ffelt worden w�ren. Die Swisscom weigerte sich jedoch, diese Abh�rung durchzuf�hren.

Selbst erlebt habe ich, dass die Sonntags-Blick-Redaktion einen direkten Draht zur BuPo hat und unter Verletzung des Amtsgeheimnis Informationen erh�lt, die der Betroffene dann erstmals aus der Zeitung erf�hrt:
Gegen Ende des letzten Jahres wurde der Polizeiposten meiner Wohngemeinde von einem Unbekannten angerufen und aufgefordert, gegen nicht konkret bezeichnete angeblich rechtswidrige Inhalte in den Internet-Seiten des VgT vorzugehen. Der Polizeibeamte erkl�rte sich f�r nicht zust�ndig und forderte den Unbekannten auf, schriftlich Anzeige zu erstatten. Dieser erkl�rte, er habe Beziehungen zur Bundespolizei (BuPo) und werde dort eine Anzeige machen. Tats�chlich erhielt die BuPo hierauf eine angeblich anonyme "Anzeige", die allerdings aus nichts anderem als ca 100 Seiten Ausdrucken von VgT-Internet-Seiten bestand - ohne Erl�uterung, was wo und weshalb strafbare Inhalte darstelle. Die BuPo �berwies diese "Anzeige" dem zust�ndigen Thurgauer Untersuchungsrichteramt M�nchwilen. Der Vizestatthalter konnte bei einer ersten Durchsicht nichts Strafbares erkennen und war ver�rgert dar�ber, dass die BuPo eine derart unqualifizierte Anzeige ohne Bezeichnung des angeblich deiktischen Verhaltens �berhaupt weiterleitete, und retournierte die Fotokopien - etwas anderes enthielt die Anzeige nicht - an die BuPo. Am 6.12.98 ver�ffentlichte der Sonntags-Blick diese Vorg�nge, �ber die er dank den "Beziehungen zur BuPo", wie sich der Unbekannte ausdr�ckte, genauestes informiert war. Ich, als Betroffener, erfuhr aus dieser Presse-Ver�ffentlichung erstmals von alle dem und dass �berhaupt eine Strafanzeige gegen mich h�ngig war. Der Zweck dieses Sonntags-Blick-Artikels war es, den Internet-Host des VgT unter Druck zu setzen, was denn auch gelang: Der VgT wurde gesperrt und blieb drei Wochen lang, bis zum Wechsel zu einem nicht erpressbaren Host, ohne Internet-Site. In diesem Zusammenhang ist eine Beschwerde des VgT beim Europ�ischen Gerichtshof f�r Menschenrechte h�ngig (www.vgt.ch/justizwillkuer/index.htm#Internet-Zensur). Da der Gerichtshof von den Staaten des Europarates zuwenig Mittel erh�lt, dauert es jedoch zur Zeit f�nf Jahre bis zur Behandlung von Beschwerden und ein Ende der Stasi-Methoden der BuPo ist nicht in Sicht, daf�r kann dann der Bundesrat bei allen m�glichen Gelegenheiten zu Vertrauen in die Regierung und zu Solidarit�t mit dem Staat aufrufen.

Erwin Kessler, Verein gegen Tierfabriken VgT


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