22. Februar 2001

Bundesgerichtsentscheid zum Flugblattverbot der Schulpflege Embrach

Das Bundesgericht hat in einem gestern zugestellten Urteil die vom VgT geltend gemachte Verletzung der Meinungs�usserungsfreiheit durch ein von der Schulpfleg Embrach erlassenen totalen Flugblattverbot auf dem Schulhausareal nicht beurteilt und statt dessen die Beschwerdelegitimation des VgT verneint. F�r dieses Willk�rurteil sind folgende Bundesrichter verantwortlich: Aemisegger, Nay, F�raud.

Der VgT hat den Fall postwendend an den Europ�ischen Gerichtshof f�r Menschenrechte weitergezogen.

> Vorgeschichte

Aus der Beschwerde an den Europ�ischen Gerichtshof f�r Menschenrechte wegen Verletzung der Meinungs�usserungsfreiheit:

Mehrere jugendliche Mitglieder des VgT gingen im Embracher Schulhaus "Hungerb�hl" in die Schule. Schulpr�sident Altenburger verbot diesen generell das Verteilen von (tiersch�tzerischen) Flugbl�ttern und Drucksachen auf dem ganzen Areal des Schulhauses.

Ausl�ser der Auseinandersetzung war ein Schulhausfest am 29. April 1999, an welchem die Schulgemeinde den Sch�lern Fleischnahrung spendierte. Zuerst vorgesehen war die t�rkische Spezialit�t Kebab, von der bekannt ist, dass sie von t�rkischen Metzgereien oft unter Umgehung des Sch�chtverbotes tierqu�lerisch hergestellt wird, das heisst dass die Tiere nach t�rkischer Tradition bei vollem Bewusstsein, ohne Bet�ubung, geschlachtet werden. Infolge der tiersch�tzerischen Kritik wurde dann Kebab fallen gelassen und durch Hamburgers ersetzt, wobei nicht etwa geplant war, wenigstens f�r Freilandfleisch zu sorgen. Diese gedankenlose F�rderung des Qu�lfleisch-Konsums mit Steuergeldern an einer �ffentlichen Schule emp�rte die tiersch�tzerisch engagierten Sch�ler; diese - darunter auch jugendliche VgT-Mitglieder - wollten anhand von Flugbl�ttern und VgT-Drucksachen �ber die ethischen und gesundheitlichen Aspekte des Fleischkonsums aufkl�ren. Was genau verteilt werden sollte, war noch nicht festgelegt, weil das Vorhaben von der Schulpflege schon im vornherein verboten wurde: Auf ein schriftliches Gesuch der Sch�ler, Flugbl�tter verteilen zu d�rfen, reagierte Schulpflegepr�sident Altenburger mit einem Total-Verbot: Im Schulhaus H�ngerb�hl in Embrach sei es verboten, Flugbl�tter zu verteilen.

In dieser Situation nahm der Pr�sident des VgT direkten Kontakt mit Altenburger auf und wies darauf hin, dass die durch die Menschenrechtskonvention garantierte Meinungs�usserungsfreiheit auch auf einem �ffentlichen Schulhausareal und auch f�r Jugendliche gelte. In einer schriftlichen Eingabe vom 13. April 1999 ersuchte der VgT-Pr�sident Schulpr�sident Altenburger, die Gr�nde f�r das Flugblattverbot bekannt zu geben. Es kam hierauf zu einem l�ngeren Telefongespr�ch. Altenburger wusste keine Begr�ndung f�r sein Flugblattverbot. Er wolle das einfach nicht. Das Schulhaus Hungerb�hl sei schliesslich ein "ordentliches Schulhaus". Die Frage, ob er es "unordentlich" finde, wenn idealistisch engagierte Sch�ler Flugbl�tter verteilen, bejahte Altenburger. Im �brigen m�sse er sich die Begr�ndung des Flugblattverbotes zuerst noch �berlegen; er werde dar�ber an einer pers�nlichen Aussprache informieren. Diese Aussprache fand dann einige Tage sp�ter zwischen Alternburger und VgT-Pr�sident Dr Erwin Kessler, im Beisein von Lehrer Franz B�lsterli, im Lehrerzimmer des Schulhauses Hungerb�hl statt. Was Altenburger aber nach Tagen angestrengten Nachdenkens herausgefunden hatte, war keine sachliche Begr�ndung, sondern: "Man muss die Sch�ler vor Flugbl�ttern sch�tzen, genauso wie vor Drogen. In einer Kaserne d�rfen Sie auch keine Flugbl�tter verteilen, sonst kommen Sie in die 'Kiste' (Gef�ngnis)."

Das totale Flugblattverbot ohne sachliche Notwendigkeit stellt nach Auffassung dese Beschwerdef�hrers (BF) einen unzul�ssigen Eingriff in die Meinungs�usserungsfreiheit dar.

Der Vergleich von Flugbl�ttern mit Drogen und der Vergleich eines Schulhauses mit einer Kaserne sind typisch f�r die Geisteshaltung, welche hinter diesem Flugblattverbot steht: Diktatorisches Machtgehabe gegen�ber wehrlosen Jugendlichen anstelle eines menschlich und p�dagogisch vern�nftigen Umgangs mit Jugendlichen. Die Freiheitsrechte stehen auch Jugendlichen zu.

Anstelle von Flugbl�ttern sollten die Sch�ler das offizielle Anschlagbrett benutzen, verlangte Altenburger. Ein kaum beachtetes, weil stets langweiliges, zensuriertes Anschlagbrett ist aber eine zu schwache Alternative zum aktiven Verteilen von Flugbl�ttern. Das Wesen der Meinungs�usserungsfreiheit gem�ss Artikel 10 der Europ�ischen Menschenrechtskonvention besteht gerade darin, dass es die Freiheit jedes Menschen ist, im Rahmen der Rechtsordnung selbst dar�ber zu bestimmen, wie und wo er seine Meinung kundtut.

Die Ben�tzung des Anschlagbrettes war zudem an die Bedingung gekn�pft, dass die Drucksachen zuerst zur Pr�fung eingereicht w�rden. Eine solche Vorzensur - von der Schulpflege verharmlosend als "Visualisierung" bezeichnet - verletzt die Meinungs�usserungsfreiheit und war deshalb nicht akzeptabel; vorallem aber h�lt es die Sch�ler ab, von diesem Anschlagbrett frei, unbefangen und Spontan Gebrauch zu machen. Das Anschlagbrett ist dementsprechend langweilig und unbeachtet und schon aus diesem Grund keine taugliche Alternative zu Flugbl�ttern, mit denen Sch�ler auf andere zugehen und Diskussionen entfachen k�nnen.

Ein anfangs in Aussicht gestellter Informationsstand lehnte Altenburger dann an der Aussprache mit dem VgT-Pr�sidenten ab. Die einzige Alternative war das Anschlagbrett. Dieser Umstand wurde im Beschluss des Bezirksrates, der sich einseitig und ohne Beweisverfahren nur auf die Behauptungen der Gegenpartei (Schulpflege) abst�tzt, nicht beachtet. Dies stellt eine willk�rliche Tatsachenbeurteilung dar, die von den folgenden nationalen Instanzen nicht korrigiert wurde.

Wie bereits erw�hnt, geh�rt zur Meinungs�usserungsfreiheit nicht nur das Recht, sich zu �ussern, sondern auch die Freiheit selbst zu bestimmen, wann, wie und wo dies getan wird. Es steht nicht im Belieben der Beh�rden, die Wahrnehmung der Meinungs�usserungsfreiheit mit Verboten an Orte zu verweisen, wo niemand zuh�rt. Die Grenzen der Meinungs�usserungsfreiheit d�rfen nur dort gezogen werden, wo Grundrechte Dritter verletzt werden oder �berwiegende �ffentliche Interessen des Staates eine Einschr�nkung zwingend erfordern. Beides ist vorliegend nicht der Fall.

Der Bezirksrat ist auf alle diese Vorbringungen nicht eingegangen. Dadurch wurde das rechtliche Geh�r bzw die daraus fliessende Begr�ndungspflicht verletzt. Dies wurde von den nachfolgenden Instanzen nicht korrigiert.

Anstatt sich mit der Rekursbegr�ndung ernsthaft und korrekt auseinanderzusetzen, behauptete der Bezirksrat einfach ohne jede Begr�ndung, das totale Flugblattverbot sei "im �ffentlichen Interesse, f�r einen ordnungsgem�ssen Gang in der Schule" notwendig. Inwiefern das Verteilen von Flugbl�ttern durch tiersch�tzerisch engagierte Sch�ler auf dem Schulareal die Ordnung gef�hrden k�nnte, wurde mit keinem Wort begr�ndet. Ebensowenig ging der Bezirksrat auf die Unverh�ltnism�ssigkeit eines totalen Flugblattverbotes anstelle von weniger einschneidenden Auflagen, wie zB Beschr�nkung auf den Pausenplatz, ein, wobei zur Auflage gemacht werden k�nnte, dass am Boden liegende Bl�tter einzusammeln seien. Zu behaupten, solche Flugblattaktionen gef�hrdeten den ordnungsgem�ssen Schulbetrieb, entbehrt jeder Grundlage.

Im gesamten kantonalen Verfahren wurde kein vern�nftiger sachlicher Grund zur Rechtfertigung des generellen Flugblattes vorgebracht. Gem�ss Praxis des europ�ischen Gerichtshofes sind indessen Einschr�nkungen der Grundrechte gem�ss EMRK nur zul�ssig, wenn dies im Einzelfall zwingend notwendig ist.

Unter Missachtung des rechtlichen Geh�rs befasste sich das Verwaltungsgericht nicht mit der vom BF vorgebrachten Problematik des generellen Flugblattverbotes, sondern nur mit der grunds�tzlichen Zul�ssigkeit von Einschr�nkungen von Flugbl�ttern auf Schulhausarealen, was weder bestritten noch Gegenstand der Beschwerde ist. Die Beschwerde richtet sich ausdr�cklich, klar und deutlich gegen das unbegr�ndete, generelle Verbot. Der Beschwerdef�hrer hat diese Umst�nde vor dem Verwaltungsgericht klar dargelegt: Mehrfach ist festgehalten, dass es - was unstrittig ist - um ein totales Flugblattverbot auf dem Areal des Schulhauses Hungerb�hl geht. Das Verwaltungsgericht hat dies offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen und behauptet im Urteil tatsachenwidrig, es gehe nur um ein Flugblattverbot vor und w�hrend dem Schulhausfest vom 29. April 1999. Das stellt eine Verweigerung des rechtlichen Geh�rs und eine Aktenwidrigkeit bzw willk�rliche Tatsachenbeurteilung dar. Das Bundesgericht hat diesen menschenrechtswidrigen Verfahrensmangel nicht korrigiert. Weiter geht das Verwaltungsgericht willk�rlich davon aus, es gehe um die Verteilung von Flugbl�ttern in den "R�umlichkeiten" des Schulhauses, w�hrend das Flugblattvebot tats�chlich das gesamte Schulhausareal betrifft. Der BF hat vor Verwaltungsgericht ausdr�cklich darauf hingewiesen, dass die Schulpflege weniger einschneidende Einschr�nkungen als ein Totalverbot wie etwa eine Einschr�nkungen der Flugblattverteilung auf den Pausenplatz, unter Ausschluss der Klassenzimmer, �berhaupt nicht in Betracht gezogen hat.

Das Verwaltungsgericht h�lt das generelle und totale Flugblattverbot auf dem Areal des Schulhauses "Hungerb�hl" allein schon deshalb als nicht unverh�ltnism�ssig (Seite 10f), weil als Alternative ein (zensuriertes, langweiliges und deshalb von den Sch�lern unbeachtetes) Anschlagbrett zur Verf�gung stehe. Indessen rechtfertigen sogar taugliche Alternativen allein noch keine Einschr�nkung der Meinungs�usserungsfreiheit. Dieses Grundrecht beinhaltet wesentlich die Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen dar�ber, wie und wo er seine Meinung kundtun will, und dieser Freiheit darf der Staat laut EMRK nur insoweit Grenzen setzen, als hief�r eine zwingende Notwendigkeit im �ffentlichen Interesse besteht. Der Staat darf nicht nach Belieben, ohne zwingende Gr�nde vorschreiben, wo und wie Meinungs�usserungen erlaubt sind und wo nicht.

Als einzigen angeblich "sachlichen Grund" f�r das Flugblattverbot bringt das Verwaltungsgericht haltlos folgendes vor, was nicht einmal von der das Verbot erlassenden Schulpflege selbst behauptet wurde:

"... dass aus Gr�nden der Rechtsgleichheit auch die Verteilung von Flugbl�ttern anderer schulfremder Organisationen zugelassen werden m�sste. Auch wenn dies nicht zu einer eigentlichen St�rung des Schulbetriebes f�hren w�rde, liegt es jedenfalls in dessen Interesse, propagandistische Texte schulfremder Organisationen nur im abgesteckten �rtlichen Rahmen (Pr�sentation an einem zentralen Ort) zuzulassen."

Die Haltlosigkeit dieser Rechtfertigung ergibt sich schon daraus, dass zugegeben wird, dass solche Flugblattaktionen in der Regel wohl kaum zu einer St�rung des Schulbetriebes f�hren (andernfalls Einschr�nkungen im konkreten Fall eben sachlich gerechtfertigt w�ren). Zudem ist es eine unsachliche, masslose �bertreibung, Tierschutz-Informationsschriften, die ein �ffentliches Anliegen, auch vieler Jugendlicher, ber�hren, mit beliebigen Propagandaaktionen schulfremder Organisationen zu vergleichen, welche - das suggeriert die Wortwahl - Sch�ler benutzen und allenfalls sogar bezahlen, um in Schulh�usern irgendwelche Propagandaschriften zu verbreiten. Tierschutz ist ein Thema, das Jugendliche bewegt und interessiert und sehr wohl auch an eine Schule geh�rt, erst recht dann, wenn Sch�ler aus eigener Initiative und aus konkretem Anlass das Thema aufbringen. Die Behinderung und faktische Unterbindung solcher Sch�lerinitiativen ist p�dagogisch verfehlt. Die Befassung mit Tierschutz behindert nicht nur den Schulbetrieb nicht, sondern k�nnte diesen im Gegenteil positiv befruchten, da Tierschutz in der heutigen Zeit ein wichtiges, die Gesellschaft bewegendes Thema ist. Wenn jugendliche VgT-Mitglieder mit Flugbl�ttern ihre Schulkollegen �ber Tierschutz und Fleischkonsum aufkl�ren wollen, dann ist das keine blosse Propagandaaktion einer schulfremden Organisation - ansonsten w�re jeder Schulunterricht ebenfalls eine "Propagandaaktion" zur staatlichen Indoktrinierung.

Das Verwaltungsgericht verneint die Unverh�ltnism�ssigkeit des totalen Flugblattvebotes. Die Begr�ndung l�uft darauf hinaus, es liege im Ermessen der Schulbeh�rden, den Sch�lern vorzuschreiben, wie und wo sie von ihrer Meinungs�usserungsfreiheit Gebrauch machen d�rfen. Diese Ermessensfreiheit rechtfertigt das Verwaltungsgericht mit der "Abw�gung zwischen den Interessen der Schule und den durch die Meinungs�usserungsfreiheit gesch�tzten Anliegen der Sch�ler". Damit �bergeht das Verwaltungsgericht, dass es hier um ein totales Flugblattverbot geht, wo eine solche Abw�gung eben gerade nicht stattgefunden hat und keinerlei sachliche, an den konkreten Umst�nden orientierte Gr�nde f�r das Verbot vorgebracht werden konnten. Die einzige "Begr�ndung" der das Verbot erlassenden Instanz war - im ganzen Verfahren unwidersprochen -, die Sch�ler m�ssten vor Flugbl�tter genauso gesch�tzt werden wie vor Drogen.

 

Das Bundesgericht verneinte die Beschwerdelegitimation des VgT in vorliegender Sache, obwohl diese im gesamten kantonalen Strafverfahren unstrittig war. Der BF hatte keine Gelegenheit, sich zu diesem von der letzten nationalen Instanz vorgebrachten neuen Einwand zu �ussern. Nach seiner Auffassung wurde dadurch das rechtliche Geh�r verletzt.

Ein Verein, eine juristische Person ganz allgemein, kann nur durch seine Organe und Mitglieder handeln. Wird die Verbreitung von Vereins-Druckschriften druch Mitglieder des Vereins durch einen hoheitlichen Akt verhindert, dann ist dadurch der Verein unmittelbar in seinen rechtlichen Interessen ber�hrt. Daraus ergibt sich die Beschwerdelegitimation.

Im vorliegenden Fall wandten sich die im fraglichen Schulhaus zur Schule gehenden VgT-Mitglieder im Hinblick auf das bevorstehende Schulhausfest an den Vereinsvorstand. Gemeinsam wurde hierauf das Verteilen von Tierschutz-Informationsschriften geplant. Der Verein war damit Beteiligter dieser geplanten Flugblatt-Aktion und wurde dabei von seinen dortigen Mitgliedern sowie vom VgT-Pr�sidenten pers�nlich vertreten. Dass sich auch andere Sch�ler daran beteiligten schliesst die Beteiligung des VgT nicht aus. Das Flugblattverbot verletzte damit sowohl die Meinungs�usserungsfreiheit der betroffenen Sch�ler, die sich mit Flugbl�ttern f�r ihr Tierschutzanliegen einsetzen wollen, wie auch die Meinungs�usserungsfreiheit des Vereins, der sich - durch Mitglieder vertreten - an dieser Aktion beteiligte, mitorganisierte, Drucksachen zur Verf�gung stellte und mit der Schulpfleg verhandelte. Da die Parteistellung des BF im ganzen kantonalen Verfahren unbestritten war, bestand kein Anlass, darauf ausf�hrlich einzugehen, umso mehr als diese Umst�nde aus den Akten ersichtlich waren. Indem das Bundesgericht die Beschwerdelegitimation verneinte, ohne den BF dazu anzuh�ren, verletzt es das rechtliche Geh�r gem�ss Artikel 6 EMRK.


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