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ETH-Erfolg in der BSE-Forschung erhärtet:
Rinderwahnsinn auf den Mensch übertragbar
Die Fakten, dass der Rinderwahnsinn auf den Menschen übertragen werden kann, erhärten sich. Dies ergeben neuste Erkenntnisse von Wissenschaftlern der ETH Zürich. Sie haben erstmals gesunde körpereigene Eiweisse, sogenannte Prionproteine, entschlüsselt. Diese Proteine von Mensch und Rind sind demnach praktisch identisch.
Eine Zürcher Arbeitsgruppe präsentiert neue Ergebnisse, "die auf eine
mögliche Übertragung des Rinderwahnsinns BSE auf den Menschen hindeuten", sagt der
Gruppenleiter Kurt Wüthrich. Das Team vom Institut für Molekularbiologie und Biophysik
der ETH Zürich entschlüsselte im Januar dieses Jahres die dreidimensionale Struktur des
menschlichen Prionproteins. Jetzt präsentiert die
Arbeitsgruppe auch die Struktur des Rinderprions und zieht erste Schlüsse aus einem
Vergleich. Zu den so genannten Prionenkrankheiten gehören die Rinderseuche BSE, die
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) des Menschen und die Traberkrankheit (Scrapie) bei
Schafen. All den Krankheiten gemeinsam ist, dass sich ein falsch gefaltetes oder
"verdrehtes" Prionprotein im Gehirn ablagert und zu einem massiven Nervensterben
führt. Das Gehirn wird dadurch löchrig wie ein Schwamm.
Der Name "Prion" ist von der Bezeichnung "proteinartige infektiöse
Partikel" abgeleitet. Tiere oder Menschen, die an den Erregern erkranken können,
tragen in ihren Körperzellen auch eine "gesunde" Form dieser Prionproteine.
Deren normale Funktion in der Zelle ist jedoch ebenso unbekannt wie die Frage, warum sich
die gesunde in eine krankhafte Form umlagert.
Wüthrich hat die gesunden Prionproteine von Mensch und vom Rind mit Hilfe der
kernmagnetischen Resonanzspektroskopie
untersucht. Die Strukturen von Prionproteinen verschiedener Labortiere wie Maus oder
Hamster sind bereits seit längerer Zeit bekannt. Ein Vergleich all dieser jetzt zur
Verfügung stehenden räumlichen Strukturen zeigt, dass das menschliche Prionprotein und
das vom Rind nahezu identisch sind. Wohingegen sich das Rinderprion von dem der Maus oder
des Hamsters jeweils sehr viel
stärker unterscheidet. [Anmerkung der Redaktion: Wiedereinmal sind
die Forscher "dank" Tierversuchen an Mäusen jahrelang irregführt worde.
Aufgrund von Versuchen an Mäusen und Ratten wurde die Übertragbarkeit von BSE jahrelang
unterschätzt. Und da gibt es immer noch Forscher, welche Tierversuch als unerlässlich
bezeichnen.] Wüthrich vermutet, dass sich seine Ergebnisse auch auf die
krankhaften Formen übertragen lassen, und meint einen Hinweis gefunden zu haben, der
erklärt, warum es zu einer Übertragung der Infektion zwischen verschiedenen Arten kommen
kann. So wie die Rinderseuche vermutlich von infizierten Schafen stammt, scheint für eine
neue Variante der CJK beim Menschen das Rinderprion der Erreger zu sein. Bisher gibt es
jedoch noch keine entsprechenden Untersuchungen über die Struktur der krankhaften
Prionen, denn die sind im Labor nur äusserst schwer zu handhaben und zudem
hochinfektiös. Dennoch hofft Wüthrich, dass seine Ergebnisse zur Struktur der gesunden
Prionen am Anfang von pharmakologischen Untersuchungen stehen könnten.
"Die grösste Frage, die Prionenforscher und Politiker seit Jahren beschäftigt, ist,
ob die Rinderseuche BSE auch den Menschen als
Epidemie befallen wird", meint Adriano Aguzzi, Direktor des Instituts für
Neuropathologie in Zürich und des Schweizerischen Referendums für Prionenkrankheiten.
Bisher gebe es etwa 75 Fälle von Erkrankten oder an der neuen Variante der CJK
Gestorbenen. Die Wissenschaftler sind sich uneinig, ob diese niedrigen Zahlen bedeuten,
dass es überhaupt nicht zu einer Epidemie kommen kann. Aguzzi selbst kann sich nicht
festlegen: "Die genauen Prognosen kennt niemand. Wenn es jedoch wirklich in zehn
Jahren zu
einer Epidemie kommt, dann müssen wir jetzt etwas dagegen unternehmen."
Vor fünf Jahren hätte Aguzzi eine Therapie für Prionenkrankheiten noch als
"Sciencefiction" abgetan, doch jetzt gebe es zumindest einige interessante
Ansätze, die an Tieren getestet, schon sehr erfolgreich waren. Beispielsweise konnte
erstmals das Prionprotein mit bestimmten Chemikalien zerstört werden. Das war bisher ein
Problem, da Prionen weder durch grosse Hitze noch durch sterilisierende Agenzien
vernichtet werden können. Ein Ansatz greift direkt an der Prionenstruktur an. Da gesunde
Prionen von Erregern in die krankhafte Struktur gezwungen werden, versucht man diesen
Vorgang zu verhindern oder umzukehren. Dabei soll
ein so genannter "Beta-sheet-Blocker", das ist eine kurze Kette aus
Proteinbausteinen, diese krankhafte Form blockieren. Einen anderen Therapieansatz verfolgt
Aguzzi, der Mäuse untersucht, die mit dem Scrapie-Erreger infiziert waren. Bekannt war,
dass Prionen auf dem Weg vom Darm ins Gehirn spezielle Zellen des Immunsystems, wie sie in
Lymphknoten und Milz vorkommen, befallen. Wenn diese so genannten "follikulären
dendritischen Zellen" der Mäuse durch ein lösliches Toxin zerstört wurden, lebten
die so behandelten Mäuse vier Wochen länger als unbehandelte Kontrollmäuse. Da dieses
Toxin schon für rheumatoide Arthritis eingesetzt wird, würde Aguzzi es selbst auf die
Gefahr hin, sein Immunsystem partiell zu schwächen, einnehmen, "falls ich mich im
Labor infizieren würde".
(Quelle: Tages-Anzeiger vom 11. Juli 2000)
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