VN 1993-4, Oktober 1993

Teilerfolg:
Strickhof-Kühe werden jetzt geweidet
- andere Missstände dauern an

von Erwin Kessler


Nach längerer, wiederholter Kritik des VgT an der Tierhaltung der Zürcher Landwirtschaftsschule Strickhof hat deren Direktor jetzt Verbesserungen angekündigt: Kühe und Kälber sollen während der Vegetationsperiode täglich geweidet werden und im Winter Auslauf in einen Laufhof erhalten. Bis zu einem kritischen "Beobachter"-Artikel und einer Plakat-Kampagne des VgT im ganzen Kanton Zürich im vergangenen Frühjahr war das ganz anders: die Kühe verbrachten praktisch ihr ganzes Leben an der Kette im Stall, wo die Bewegungsfreiheit der Tiere durch Elektro-Bügel, sog Kuhtrainer, zusätzlich extrem eingeschränkt ist, damit das Misten wenig Arbeit gibt.

Nach wie vor einer Landwirtschaftsschule unwürdig ist die Haltung der Schweine, die in einstreuloser Intensivhaltung, zwischen Beton und Stahlrohren, ihr Leben fristen. Die baulich aufwendig gestaltete Schweineweide war bis zur öffentlichen Kritik des VgT nicht benutzt worden und wird es auch jetzt nur ganz ausnahmsweise als Alibi-Massnahme. Den Mastrinder geht es ebenfalls schlecht: Sie kommen nie ins Freie und leben auf Vollspaltenböden, dh auf einem einstreulosen Betonrostboden direkt über dem Güllenloch. Nutztierethologen sind sich international einig, dass dies nicht tiergerecht ist, und alle Tierschutzorganisationen fordern schon lange ein Verbot dieser Haltungsart.

So vegetieren die Schweine der staatlichen Tierfabrik Strickhof dahin: auf Lochblechböden, in kahlen, monotonen Buchten, auf dem einstreulosen, harten Boden - eine Eisenkette als Alibi- Beschäftigung

Es nützt den Tieren wenig, wenn Schuldirektor Müller erklärt, die Lehrerschaft sei sich bewusst, dass es bessere Haltungssysteme gäbe. Seit Jahren haben es die Verantwortlichen versäumt, eine Sanierung der Tierhaltung auf dem Strickhof in die Wege zu leiten, und auch heute noch bestehen unseres Wissens keine konkreten Pläne. Im Gegenteil: Direktor Müller hat ein Gespräch mit dem VgT abgelehnt. Daraufhin erst ist der VgT im vergangenen Frühjahr mit der Kritik an die Oeffentlichkeit getreten. Es wird keine Ruhe geben, bis diese staatlichen Tierfabriken auf dem Strickhof stillgelegt oder saniert sind.

Der Chef des kantonalen Landwirtschaftsamtes, Rolf Gerber, hat die traurigen Zustände auf dem Strickhof öffentlich damit gerechtfertigt, die Tierschutzgesetzgebung garantiere eine artgerechte Tierhaltung. Gegen diese Irreführung der Öffentlichkeit durch einen Chef-Beamten der Verwaltung hat der VgT am 6. September beim Regierungsrat eine Disziplinarbeschwerde eingereicht. Darin heisst es unter anderem:

Diese Beschwerde richten wir an den Gesamtregierungsrat, nicht an die Volkswirtschafts-Direktion, weil die dort zuständige Regierungsrätin, Hedi Lang, die hier gerügten und weitere ähnliche Machenschaften des Landwirtschaftsamtes und des Veterinäramtes immer wieder deckt, ohne Beschwerden ernsthaft zu prüfen. Es ist auch völlig unverständlich, dass sie ausgerechnet diesen Rolf Gerber, ehemaliger Sekretär des als tierschutzfeindlich bekannten Zürcher Bauernverbandes zum Chef des Landwirtschaftsamtes gewählt hat. Gegen mich ist Rolf Gerber im "Zürcher Bauer" mit massiven Ehrverletzungen an die Oeffentlichkeit getreten, mit Worten wie "Psychopath", "Tierschutz-Psycho", "Tierschutz-Amokläufer", "unter Tierschutz-Drogen stehender Süchtling, für den sich ein vorsorglicher Freiheitsentzug bald einmal aufdrängt".

Rolf Gerber hat in seiner Funktion als Chef des Landwirtschaftsamtes öffentlich behauptet, die Tierschutzgesetzgebung garantiere eine artgerechte Tierhaltung (Beweis: "Der Zürcher Oberländer" vom 31. August 1993 zum Thema Strickhof). Das entspricht derart offensichtlich nicht der Wahrheit - was einem Chef eines Landwirtschaftsamtes mit Sicherheit bekannt ist -, dass eine bewusste Irreführung der Oeffentlichkeit im Interesse der Agro-Lobby angenommen werden muss. Die heutige Tierschutzgesetzgebung erlaubt bekanntlich die folgenden wissenschaftlich als Tierquälerei ausgewiesenen Haltungssysteme:
- Kastenstände für Mutterschweine (kürzlich hat ein Gerichtsentscheid im Kanton St Gallen festgestellt, dass es berechtigt ist, die Kastenstandhaltung als Tierquälerei zu bezeichnen)
- Anbindehaltung und Einzelboxen für Kälber
- Einstreulose Haltung von Schweinen, Kälbern und Rindern auf Vollspaltenböden
- Dunkel- und Dämmerlichthaltung von Geflügel
- Abschneiden von Schwänzen, Schnäbeln und Hörner
- Kühe lebenslänglich an der Kette (das Zürcher Landwirtschafts- und das Veterinäramt erteilen hiefür Ausnahmebewilligungen!)
- Käfighaltung (Legebatterien) für Wachteln
- Kaninchenhaltung in Käfig-Batterien auf Gitterrostböden

Wir beantragen unter diesen Umständend Rolf Gerber als Chef des Landwirtschaftsamtes durch eine Persönlichkeit zu ersetzen, welche einer fortschrittlichen, von der breiten Oeffentlichkeit gewünschten artgerechten Haltung der landwirtschaftlichen Nutztiere wohlgesinnt ist und nicht mit der konservativen, reaktionären Agro-Lobby unter einer Decke steckt.


Inhaltsverzeichnis VN 1993-4

Archiv VgT-Nachrichten

Startseite VgT