Robin Hood
Kämpfer für Gerechtigkeit und Beschützer der Rechtlosen


Im ausgehenden Mittelalter lebte in der englischen Grafschaft Yorkshire ein Mann namens Robin Hood. Von den Machthabenden geächtet, kämpfte er gegen die Unterdrückung der Rechtlosen. Wer realisiert, dass heute die Tiere die ausgebeuteten und unterdrückten Rechtlosen sind, wird eine erschreckende Analogie zur heutigen Zeit erkennen.

 

Erste Folge:
Falsche Anklage – Robin Hood wird geächtet


Der Abend dämmerte schon, als er die Straße nach Pomfret überquerte und durch die letzten Ausläufer des Waldes nach Birkencar hinunterstieg. Die letzten schrägen Strahlen der untergehenden Sonne schienen zwischen die Stämme, und in ihr warmes goldenes Licht mischten sich die dunklen Schatten des Waldes.

Als er diese letzte Strecke seiner langen Wanderung vor sich sah, beschleunigte Robin seine Schritte. Doch plötzlich blieb er nahe am Waldrand stehen, als er einer kleinen, braungekleideten Gestalt ansichtig wurde, die sich unten bei der Böschung aus dem Schatten eines Baumes löste, ihm entgegeneilte und ihm bedeutete, in die Tiefe des Waldes zurückzuweichen.

"Was ist denn los, Mitch, mein Freund?" fragte Robin, als der kleine Mann näher herankam.

Atemlos rief dieser ihm zu: "Zurück, Master Robin, geht wieder zurück in den Wald, solange Ihr noch könnt."
"Und warum, Freund Mitch?"

"Ihr wart zu lange fort, Master Robin. Guy von Gisborne hat falsche Anklage gegen Euch erhoben. Er hat unter Eid ausgesagt, daß Ihr des Königs Wild gejagt habt. Gestern haben sie Euch in Acht getan und einen Preis auf Euren Kopf gesetzt, – am Kreuz auf dem Marktplatz zu Pomfret! Und heute morgen kamen die Meuchelmörder des Abtes, angeführt von Guy von Gisborne selbst, um Goddethorne in Besitz zu nehmen. Dort sind sie jetzt und warten auf Eure Rückkehr."

"Und du kamst, um mich zu warnen?" fragte Robin. "Mein guter kleiner Mitch!" Sanft legte er seine Hand auf die Schulter von Mitch, dem Müllerssohn; und er schaute über ihn hinweg in das letzte Aufleuchten der untergehenden Sonne, das im Schatten des Waldes erlosch. Er wußte, daß ihn der Abt von St. Mary haßte; denn er hatte immer deutlich und klar gesagt, was er von dem dickwanstigen Kirchenfürsten und dessen Tun und Treiben hielt. Auch wußte er, daß es den Abt schon lange nach seinem kleinen Gehöft mit den reichen Feldern und Weiden gelüstete, die er seinen Kirchengütern einverleiben wollte. Aber das konnte er nicht, solange Robin seinen Pachtzins bezahlte, denn es war gegen das Gesetz, einem freien Bauern das gepachtete Land wegzunehmen, solange er den Zins regelmäßig bezahlte. Als Freier konnte er es bebauen und sogar seinem Sohn vererben, gerade so, wie wenn es ihm gehörte. Aber ein Geächteter war rechtlos. Und er, Robin von Locksley, war wahrhaftig nicht der erste brave Mann, den Guy von Gisborne, des Abtes Rentmeister, um Haus und Hof betrogen hatte mit seinen falschen Eiden – nur um seinen Herrn zu bereichern.

"Wie töricht war es von mir, so lange fortzubleiben", sagte er voller Bitternis. "Wahrscheinlich haben sie erklärt, daß ich versucht habe, vor den Richtern zu fliehen. Letztes Jahr haben sie das gleiche dem armen John Kierslake angetan, das weiß ich noch wohl." Er ließ Mitchs Schulter wieder los und wollte wissen: "Was haben sie mit meinen Knechten gemacht?"

"Ausgepeitscht hat man sie, jetzt liegen sie an Händen und Füßen gefesselt in der Scheune und werden morgen nach Doncaster vor den Richter gebracht. Die rechte Hand soll ihnen abgehackt werden, weil sie versucht haben, Euer Eigentum mit Steinen und Stöcken zu verteidigen."

"Das haben sie versucht, die guten Burschen" – Robins Stimme klang sehr sanft –, "die guten, dummen, treuen Kerle." Er begann seinen Bogen zu spannen. "Kommst du mit?" fragte er und wandte sich wieder den freien Feldern zu.

Mitch fuhr herum und eilte hinter ihm her. "Master Robin, Ihr werdet doch nicht dort hinuntergehen in dieses Wespennest? Begreift Ihr denn nicht –?"

"Ich begreife, daß meine armen Knechte Schmerzen leiden und sich in Gefahr befinden, weil sie mir die Treue hielten", antwortete Robin grimmig, "darum werde ich jetzt ihnen die Treue halten." Damit eilte er so schnell den Abhang hinunter, daß Mitch Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Als sie an dem Baum vorbeikamen, unter dem sich Mitch versteckt gehalten hatte, sprang er zur Seite und kehrte gleich darauf mit einem Bogen zurück und vier langen Pfeilen, die er in seinen Gürtel steckte. Als Robin dies sah, runzelte er die Stirn, aber Mitch beeilte sich zu erklären: "Ich dachte, Ihr würdet mich vielleicht mitnehmen in den Greenwood, denn der Leibeigenschaft bin ich überdrüssig. Außerdem – zwei Bogen sind besser als einer, wenn es zum Kampf kommt."

Robin antwortete nicht; er blieb neben einer großen alten Esche stehen, legte eine Hand an den grauen Stamm und blickte in das Tal hinunter. Unbebautes Land zog sich leicht abfallend bis hinunter zu den drei großen Feldern von Goddethorne, in deren Mitte die Gebäude des Gehöfts lagen, und stieg dann wieder sacht an bis zum Dorfe Birkencar, das mit seiner einen langen Straße und der kleinen, halb von Birken und Ebereschen verborgenen Kirche auf dem gegenüberliegenden Hang zu sehen war.

Wie schön sein Gehöft war in seiner Abgeschlossenheit! Die Wirtschaftsgebäude lagen dicht beieinander, umgeben von einem lebendigen Zaun, einer niedrigen Hecke. Sie mußte niedrig gehalten werden; denn es war vom Gesetz vorgeschrieben, daß niemand, der am Rande eines königlichen Forstes Land bebaute, eine hochwachsende Hecke haben dürfe, damit die Rehe mit ihren Jungen ungehinderten Zugang zu den Getreidefeldern hätten. Eines der Felder war abgemäht, auf dem anderen lag frisch geschnittenes Gras in silbrig schimmernden Bündeln. Zu den niedrigen Gebäuden, die im Viereck um einen Hof herum gebaut waren, gab es nur einen Zugang: Ein Tor aus silbrig verwittertem, schwerem Holz, das auf der zum Wald hin gelegenen Seite Einlaß gewährte. Das ganze Anwesen machte den Eindruck, als sei es im Laufe der Jahrhunderte langsam aus dem Boden herausgewachsen, gerade so wie der alte große Maulbeerbaum, in dessen Schatten es lag: Wohnhaus, Ställe, Scheune und Schuppen mit Mauern aus grauem Stein und Dächern aus warmem braunem Stroh. Auch die Hütten der vier Knechte hatten braune Strohdächer. Zwischen Hof und Wald gelegen, kauerten sie behaglich inmitten ihrer kleinen Bohnen- und Kräuterbeete. Rasch überflogen Robins Augen das friedliche Bild, aber sein Herz war schwer, denn er liebte Goddethorne. Doch die Zeit drängte, unnützer Trauer konnte er sich nicht hingeben. Von seiner Stelle am Waldrand konnte er bis hinunter auf den Hof schauen, er sah einige Männer müßig umherschlendern und einen, der sich vor dem Scheunentor herumlümmelte.
"Haben sie sie eingeschlossen?" fragte er, ohne sich umzudrehen.

"Nein", antwortete Mitch. "Sie sind an Händen und Füßen gefesselt und werden von den Leuten des Abtes bewacht. Jedenfalls war das die Lage, als ich vor ein paar Stunden da vorbeiging und diesen teuflischen Kerlen den gaffenden Dorftrottel vorspielte." Leise lachte er in der Erinnerung daran, wie er die großtuerischen Bewaffneten zum Narren gehalten hatte, so daß sie glauben mußten, einen harmlosen Dummkopf vor sich zu haben.

"Gut!" sagte Robin, "das wird uns unsere Aufgabe erleichtern." Mit diesen Worten glitt er mit raschen, lautlosen Schritten auf ein Dickicht von Haselsträuchern zu, das sich bis hinunter zu der abgemähten Wiese zog. Mitch folgte ihm und staunte wie eh und je, mit welch unheimlicher Lautlosigkeit und Behendigkeit sich dieser große Mann durch das dichte Gestrüpp aus Holunder, Geißbart und Waldreben bewegen konnte, ohne daß ein raschelndes Blatt oder ein knackender Zweig ihn verraten hätten. Dort, wo das Gestrüpp schließlich aufhörte, erhob sich ein alter Weißdornbaum; er bildete den Abschluß der langen Weißdornhecke, die zum Schutz gegen den Wind angepflanzt worden war. Einen Augenblick hielt Robin unter den Haselsträuchern inne, schaute sich rasch um und trat dann auf die offene Wiese hinaus. Mitch folgte ihm wie ein kleiner treuer Schatten, und gleich darauf duckten sich die beiden in den trockenen Graben vor der Dornenhecke. Die dicht belaubte Hecke immer zwischen sich und dem Gehöft, gingen sie tief gebückt den Graben entlang, bis sie zu der Stelle kamen, die einen schmalen Durchlaß zu den dahinter liegenden Bohnenbeeten gewährte. Durch die hochrankenden Bohnen konnten sie sich bewegen, ohne gesehen zu werden, und sie gelangten in ihrem Schutz bis an die Mauer des Schuppens und der daneben liegenden Scheune.

Hoch oben in der Scheunenwand befand sich ein Fenster. Es war nur sehr schmal, weil es ebenso wie die Schießscharten in den Außenmauern der Ställe und des Wohnhauses ursprünglich zu Verteidigungszwecken eingelassen worden war. Dieses Fenster aber hatte man aus irgendeinem längst vergessenen Grund vergrößert, und so war es zwar sehr schmal, aber lang. Als Knabe war Robin oft durch dies Fenster geschlüpft, und er meinte, das auch jetzt noch zu können. Er zeigte es Mitch im schwindenden Licht der Dämmerung, bückte sich und bedeutete ihm, auf seine Schultern zu steigen.

"Ich will dich so weit in die Höhe heben, daß du hineinklettern kannst", flüsterte er. Zweifelnd blickte Mitch hinauf, tat aber, wie Robin ihm geheißen hatte. Sowie er hoch genug war, klammerte er sich an den steinernen Sims und zog sich hinauf. Es gelang ihm, sich durch die Fensteröffnung hindurchzuwinden, und er sprang auf den Heuboden, der den oberen Teil des Schuppens bildete.

Robin reichte ihm die beiden Bogen, sprang selbst in die Höhe und bekam den Sims zu fassen. Mit den Händen hielt er sich an den rauhen Steinen fest; seine Füße, in Schuhen aus ungegerbtem Leder, tasteten lautlos nach dem Halt, den er noch so gut in Erinnerung hatte. Schließlich gelang es auch ihm, sich hinaufzuziehen. Er war aber in den Schultern breiter geworden, als er dachte, seitdem er das letzte Mal durch dieses Fenster gestiegen war, und einen Augenblick lang schien es, als würde er sich nicht mehr durch diese schmale Lücke zwängen können. Aber er schaffte es, sich seitwärts drehend, mit eingezogenem Kopf. Vornüber ließ er sich ins Heu fallen. Als er sich mühsam wieder aufrichtete, war ihm klar, daß er auf diesem Wege auf keinen Fall wieder herauskonnte, was immer auch geschehen mochte. Er sah Mitch an der Mauer knien und bedeutete ihm, dort zu bleiben. Ein lockeres Heubündel zur Tarnung vor den Kopf haltend, schob er sich langsam auf das offene Ende des Heubodens zu, bis er den ganzen Hof unter sich überschauen konnte. Zwischen den alten Mauern war es schon recht dunkel, durch die Fenster des Wohnhauses schimmerte das vertraute warme Licht der Kerzen und des Herdfeuers. Aber durch diese Fenster drang auch der Lärm grober Stimmen, – ein Zechgelage war da im Gange. Sir Guy von Gisborne und die bewaffneten Männer des Abtes taten sich gütlich an den Vorräten von Robins Speisekammer. Als Robin dieses Gebrüll hörte, verfinsterten sich seine Züge.

Fortsetzung im nächsten Heft


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