Robin Hood
Kämpfer für Gerechtigkeit und Beschützer der Rechtlosen


Im ausgehenden Mittelalter lebte in der englischen Grafschaft Yorkshire ein Mann namens Robin Hood. Von den Machthabenden geächtet, kämpfte er gegen die Unterdrückung der Rechtlosen. Wer realisiert, dass heute die Tiere die ausgebeuteten und unterdrückten Rechtlosen sind, wird eine erschreckende Analogie zur heutigen Zeit erkennen.

Vierte Folge:
Robins Schar wird grösser

Sie waren zu dritt unterwegs: Robin, Allin vom Tal und einer, den sie Mitch nannten. Sie hatten Pferde, denn manche Streifzüge führten bisweilen weit weg vom Sherwood-Wald in das Land hinein. Hier bewegten sich die Ausbeuter und Wucherer sorgloser und waren bisweilen sogar ohne Bedeckung anzutreffen. Also bot sich draussen weitaus besser Gelegenheit, die Kassc der Geächteten ohne große Mühe aufzufüllen.

Doch der Tag war ohne Glück gewesen. Kein Normanne, kein reicher Pächter, kein Wucherer hatte ihren Weg gekreuzt. Da sie müde und hungrig waren, lenkten sie die Hufe ihrer Rosse auf ein Dorf zu, das einige Meilen entfernt lag.

Die Abendschatten lagerten schon zwischen den ärmlichen Gehöften. Die hier wohnenden Bauern mussten die Ärmsten der Armen sein. Eine unnatürliche Ruhe lag auf der Strasse. Nicht einmal das Kläffen eines Hundes war zu hören. Robin und seinen Gefährten wurde es seltsam zumute. Doch dann entdeckte Allin eine alte Frau, die auf der Schwelle ihres Hauses sass und mit gebeugtem Kopf vor sich hin schluchzte. Vorsichtig näherte er sich ihr mit seinem Pferd, hielt an und fragte: «Was ist das für ein seltsames Dorf. Niemand ist zu sehen, nur du sitzt hier und weinst?»

Langsam hob die Alte den Kopf und stierte Allin aus rotgeweinten Augen an. «Ich weiß nicht, wer Ihr seid, Herr, aber für mich und das Dorf ist es ein Unglückstag. Bald werden sie meine Söhne bringen, damit sie gehängt werden.»

«Was haben sie verbrochen?» fragte Allin.

«Von unseren Äckern ernteten wir in diesem Jahr nur die Hälfte, und diese Hälfte mußten wir dem Verpächter abgeben. Um nicht zu verhungern, stachen meine Söhne eine Wildsau. Das ist alles.»

Währenddessen hatte sich ein Zug Berittener genähert. Ängstlich blickte sich die Frau um.
«Reitet weiter, meine Herren», sagte sie. «Sollte euch der Sheriff hier sehen, dann seid auch ihr verdächtig.»

«Der Sheriff?» wunderte sich Robin, der die Unterhaltung verfolgt hatte.
«Ja, der Sheriff, der Sheriff von Whitby», stieß die Frau hervor und wiederholte noch einmal hastig: «Reitet, sie kommen!»

Eine Begegnung mit dem Sheriff in Gegenwart vieler seiner Schergen wäre auch für Robin und seine Gesellen nicht gerade angenehm gewesen. Deshalb wendeten sie ihre Pferde und ritten dem Dorfplatz zu. Dort hielten sie vor einem kleinen Wirtshaus, banden ihre Pferde an und gingen hinein.

Draußen füllte sich inzwischen der kleine Platz. Es waren etwa dreißig Reiter mit Topfhelmen und langen Spießen. Die übrigen waren die Dörfler, die inzwischen aus ihren Hütten gekommen waren. In der Mitte des Dorfplatzes, unter dem Galgen, standen drei arme, zerlumpte Gestalten, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Sie hielten ihre Köpfe gesenkt und starrten in den Sand.

Robin und seine Gesellen blieben von dem Ge-chehen draußen nicht unberührt. Sie konnten nicht im Schankraum sitzenbleiben und stellten sich vor der Wirtschaft auf. In diesem Moment wurde dreimal ins Horn gestoßen. Einer der Berittenen stellte sich in der Mitte des Platzes auf, entrollte ein Pergament und las: «Im Namen des Königs. Laut Untersuchung und Beschluß des Gerichtes zu Whitby sind der verbotenen Jagd die Brüder Hendon überführt und zum Tod am Galgen verurteilt. Das Urteil ist im Heimatdorf der Schuldigen zu vollstrecken!»

Robins Gesicht wurde noch bleicher. Jeder Hammerschlag am Galgen schien ihn selbst zu treffen. Das um den Platz stehende Volk fing an zu murren. Doch dann geschah längere Zeit nichts. Nur eine ständig wachsende Unruhe schien um sich zu greifen.

Mitch hatte es beim Wirtshaus nicht mehr ausgehalten und hatte sich unter die Bauern gemischt. Auf einmal stand er wieder vor Robin. Hart packte er dessen Arm und sagte: «Sie suchen einen Freiwilligen!» Wieder schaute die Stimme des Berittenen von der Mitte des Platzes: «Noch einmal, ich frage nach einem gerechten Mann, der die rechtmäßig verurteilten Angeklagten vom Leben zum Tode bringt... »

Robin stöhnte. «Etwas Grausameres gibt es nicht, die eigenen Dorfgenossen zu Tode zu bringen.» Plötzlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben. Hastig nahm er Mitch und Allin zur Seite und raunte ihnen zu: «Bringt unauffällig die Pferde hinters Haus und wartet dort auf mich.»

Nachdem sie verschwunden waren, ging er nach vorn und blieb vor der Reihe stehen. «Ich bin bereit, ihr Herren, es zu tun.»

Durch die Reihen der Dorfleute ging ein Schrei. Schmähungen der Frauen und Flüche der Männer wurden laut.
«Komm heran», befahl der Berittene. «Wer bist du und wo kommst du her?»

«Ich bin erst heute wieder in mein Dorf zurückgekehrt. Viele Jahre war ich als Fahrender unterwegs und habe an vielen Orten Weisheit und Gerechtigkeit des Königs schätzen gelernt. Deshalb will ich auch hier in meinem Dorf der Gerechtig-keit dienen.» Die Lügen kamen Robin sehr glatt von den Lippen.

«Sprichst du die Wahrheit?» fragte der Beamte.

Das Volk murrte immer lauter. Stimmen klangen auf, die Robin der Lüge bezichtigten. Es schien, als ob der Berittene unsicher werden würde. Doch dann gab er ihm drei Stricke mit Schlingen. Robin nahm sie und fragte: «Wo bleibt der Henkerslohn?»

«Den sollst du haben, aber erst, wenn die drei Vögel hängen.»

Zum Gefolge des Sheriffs gehörte ein Priester. Wie die meisten seiner Brüder war er sehr beleibt und saß gleichfalls auf einem Pferd. Robin wandte sich an ihn und sagte: «Komm herunter, mein Bruder! Ich möchte meine Seele erleichtern, bevor diese drei Gauner ihre Hochzeit mit des Seilers Tochter halten.»

Fragend blickte der Mönch den Sheriff an. Dieser sagte: «Ich sehe keinen Grund, ihm diese Bitte abzuschlagen. Also tut es.» «Du mußt schon herunterkommen, Bruder. Vor soviel Ohren kann ich eine Sünden nicht beichten. Komm mit in das Wirtshaus, da fällt es mir leichter.»

Kaum daß sich die Tür zum Schankhaus geschlossen hatte, faßte Robin den Mönch an der Kutte, zog seinen Dolch und setzte ihn so an den Rücken des Mönches, daß dieser die Spitze spüren mußte. «So, Bruder, ich habe nichts zu beichten. Wir werden jetzt so tun, als ob wir zu flüstern hätten, und dann sprichst du ganz laut deinen Segen, Bruder. Aber ich warne dich, ein einziger Schrei, und es ist um dich geschehen!» Der Mönch zitterte wie Espenlaub. Robin zweifelte nicht daran, daß er jetzt seinen Plan durchführen konnte.

«Sprich nun laut deinen Segen, Bruder», befahl er ihm dann. «Wenn du fertig bist, gehe zur Tür und rufe die Brüder herein.»
Der Mönch tat, wie ihm befohlen. Die drei Verurteilten wurden von einem Waffenknecht hereingestoßen, und die Tür wurde wieder geschlossen. Einer der drei Brüder, es war anscheinend der älteste, sagte: «Wir haben in dieser verfluchten Welt nichts mehr zu beichten..»

«Jetzt bist du still und tust das, was ich dir sage», fuhr ihn Robin an. «Aber zunächst komm her mit deinen Fesseln, damit du dich wieder bewegen kannst. Dann schneide schnell deine Brüder los.» Nun wandte er sich wieder an den Priester: «Bete, Bruder! Lauter, daß man es draußen hört. Wehe, wenn man etwas merken sollte, dann hat dein letztes Stündchen geschlagen.» Dem Priester war sein Leben viel zu lieb. Die lateinischen Verse kamen ihm so klar wie selten aus dem Mund, unterstützt durch einen guten, sächsischen Dolch.

«So», wandte sich Robin wieder an die Brüder, «jetzt verknüpft die Stricke miteinander, und dann durch den Rauchfang. Aber leise und schnell und laßt das Ende baumeln. Draußen wartet Hilfe hinter dem Haus.»

Während der Priester betete, wurde das Murren der Leute draußen immer lauter. Schläge und Schreie wurden hörbar. Anscheinend versuchten einige aus dem Dorf, die Knechte des Sheriffs zu bedrängen. Aufmerksam horchte Robin in den Kamin. Schließlich wurde es still, und von oben rief es: «Wir sind fertig!»

«Bete weiter, mein Bruder.» Robin drückte seine Dolchspitze noch etwas fester in das Fleisch des Priesters. Der konnte vor Angst nicht mehr unterscheiden, ob der Dolch noch da war oder nicht. Seine Gebete aber erschallten um so lauter und glaubwürdiger. Robin war jedoch unterdessen längst im Kamin und nach wenigen Augenblicken oben auf dem Dach. Es war die dem Dorfplatz abgewandte Seite des Daches. Schnell ließ er die verknüpften Stricke herunter. Sie reichten nicht ganz, doch es war keine Zeit mehr. Ohne Zeit zu verlie-ren, ließen sich alle vier herunter und sprangen von der Kante des Daches auf den Boden.

Die Flucht war im letzten Augenblick gelungen, denn auf der anderen Seite des Hauses deuteten laute Schreie an, daß man den Betrug Robins entdeckt hatte. Robin, Allin und Mitch nahmen jeder einen der Brüder aufs Pferd, und im Nu verklangen die Hufschläge ihrer Pferde in der Nacht. Schnell verebbte hinter ihnen Lärm und Schreien der Knechte.

Ohne sich irgendeine Pause zu gönnen, hielten sie in Richtung Nottingham. Erst als der Morgen graute, rasteten sie in einem dichten Gehölz. Bis zum späten Nachmittag gönnten sie sich und den Pferden eine Verschnaufpause.

Es dämmerte schon, als sie weiterritten. Einige Meilen ostwärts der Stadt gerieten sie dann drei Schergen des Sheriffs in die Hände. Es war ein kurzer Kampf. Sechs gegen drei. Nach wenigen Augenblicken lagen die Knechte im Gras, und die Brüder Hendon schwangen sich auf die Beutepferde. Ohne weiteren Aufenthalt erreichten sie den Sherwoodwald. Zwar hatte dieser Streifzug keine Beute eingebracht, aber die Gemeinschaft der Verschworenen war wieder größer ge-worden.

Fortsetzung im nächsten Heft


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