VN96-1

Yehudi Menuhin, der grosse jüdische Musiker, distanziert sich vom Schächten

Am 17. September 1995  schrieb VgT-Präsident Erwin Kessler folgenden Brief an Yehudi Menuhin: 

Sehr geehrter Herr Menuhin,

zu den vielen Greueltaten, welche heute den Nutztieren angetan wird, zählt auch das Schächten, dh das Schlachten ohne Betäubung.

Die von orthodoxen jüdischen Kreisen immer wieder verbreitete Behauptung, die Tiere würden dabei rasch das Bewusstsein verlieren und Schächten sei deshalb eine humane Schlachtmethode, ist nicht wahr. Darüber sind sich sämtliche Tierschutzorganisationen einig. Sobald wir Tierschützer jedoch diese Grausamkeit kritisieren, wird dies von den Betroffenen als antisemitisch verschrien - nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern, konkret bekannt in Deutschland, Österreich und England, wo die Tierschutzorganisationen das Schächten ebenfalls öffentlich als Tierquälerei kritisieren. Der haltlose Antisemitismus-Vorwurf dient dazu, eine offene Auseinandersetzung über diese grausame Tradition zu vermeiden, denn hiefür gibt es nach heutigen Erkenntnissen keinerlei Rechtfertigung. Die Tiere bluten ohne Betäubung nicht besser aus, und vollständiges Ausbluten ist sowieso nicht möglich, da in den Kappilargefässen immer Reste verbleiben. Wer glaubt, aus religiösen Gründen kein Blut einnehmen zu dürfen, der müsste sich vegetarisch ernähren, was ja nicht nur ohne weiteres möglich, sondern sogar sehr gesund ist. Tierquälerei zum Zweck nur eines unnötigen kulinarischen Genusses kann sicher niemals religiös sein!

Es würde unsere Tierschutzarbeit sehr erleichtern, wenn Sie, Herr Menuhin, als grosse und bewunderte Persönlichkeit und, falls wir richtig informiert sind, dem jüdischen Glauben angehörig, sich schriftlich vom rituellen Schlachten ohne Betäubung distanzieren und erklären würden, dass Sie tierschützerische Kritik am Schächten in keiner Art und Weise als antisemitisch empfinden.
Nach meiner Überzeugung kann das Thema Schächten nur dann antisemitischen Tendenzen Vorschub leisten, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, alle Juden würden dies gutheissen.

Das Schächten wird ebenfalls von Moslems praktiziert, wobei allerdings fortschrittliche islamische Kreise dies offen ablehnen und das humane Betäuben vor dem Schlachten in europäischen islamischen Kreisen immer mehr praktiziert wird. In jüdischen Kreisen scheint das Solidaritätsgefühl dagegen derart extrem ausgeprägt zu sein, dass Juden, welche das Schächten persönlich ablehnen, eine grosse Hemmung haben, sich offen davon zu distanzieren. Diese falsche Solidarität halte ich für gefährlich, und ich verstehe nicht, dass jüdische Kreise, die immer wieder antisemitische Tendenzen beklagen, diese so leichtfertig provozieren.

Sie sehen, sehr vereehrter Herr Menhuin, es ist eine durchaus ernste Angelegenheit, in der wir uns an Sie wenden. Einige wenige Zeilen, in denen Sie zum Schächten Stellung nehmen, können uns und ihren Glaubensbrüdern sehr helfen.

Mit freundlichen Grüssen
Erwin Kessle
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Am 2. Oktober 1995 antwortete Yehudi Menuhin (übersetzt):

Sehr geehrter Herr Dr Kessler,

danke für Ihren Brief vom 17. September. Ich stimme Ihnen vollständig zu. Es wäre jedoch noch besser, überhaupt keine Tiere zu töten, aber ich würde die Kritik des Schächtens ganz sicher nicht als antisemitisch empfinden. Ich finde es eigentlich merkwürdig, dass ein uraltes Dogma weiter befolgt wird, das aus einer Zeit kommt, wo es noch kein Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen Menschen und Tieren gab.

Mit den besten Wünschen
Yehudi Menuhin

 

Das Schreiben von Yehudi Menuhin im Original:

yehudi.tif (52398 Byte)


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VN96-1, Januar 1996
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