Robin Hood
Kämpfer für Gerechtigkeit und Beschützer der Rechtlosen


Im ausgehenden Mittelalter lebte in der englischen Grafschaft Yorkshire ein Mann namens Robin Hood. Von den Machthabenden geächtet, kämpfte er gegen die Unterdrückung der Rechtlosen. Wer realisiert, dass heute die Tiere die ausgebeuteten und unterdrückten Rechtlosen sind, wird eine erschreckende Analogie zur heutigen Zeit erkennen.

Neunte Folge:
Sir Richard in Not

Seit dem Schießen um den Silberpfeil war mehr als eine Woche vergangen, als die Geächteten eines Abends auf der Dunwold-Wiese versammelt waren und auf das Nachtmahl warteten. Eigentlich war es erst später Nachmittag, und sie hatten noch einige Stunden Tageslicht vor sich. Am Tage zuvor waren sie auf der Jagd gewesen und brauchten erst morgen wieder zu jagen; sie hatten es auch nicht nötig, irgendeinen wohlhabenden Reisenden seines Goldes oder seiner Habe wegen zu überfallen; und es war ein schwüler, drückender Tag - Gewitter lag in der Luft -, die Art von Tag, an dem es angenehmer ist, sich ruhig zu verhalten, als sich zu bewegen. So zogen die Reisenden, sofern es welche gab, ungehindert die lange gerade Straße von Nottingham nach Doncaster entlang, während die Geächteten es sich bequem machten und sich auf dem warmen Rasen ausstreckten. Die meisten von ihnen waren nur mit einem groben Kilt bekleidet, der um die Mitte mit einem Streifen aus Rohleder festgehalten wurde.

In der drückenden Luft unter den Bäumen summten zahllose Insekten, und im Gras zirpten unaufhörlich die kleinen grünen und goldenen Grillen. Die Geächteten fühlten sich so wunderbar faul, daß sie nicht einmal denken mochten. Unter einer jungen Birke, die sich im Eingang zur Haupthöhle eingewurzelt hatte, lag Little John flach auf dem Rücken, starrte auf das Muster, welches die Blätter vor den blauen Sommerhimmel zeichneten und pfiff verschlafen vor sich hin. Mitch und Scarlet hatten zwei Grillen gefangen und ließen die Tiere um die Wette springen. Hin und wieder schlug einer der Männer nach einer Pferdefliege oder legte sich noch ein wenig bequemer zurecht als zuvor. Und ganz gelegentlich begab sich einer der Köche zum Feuer, um in dem Wild-Stew zu rühren. Auf der ganzen weiten Lichtung bewegte sich sonst nichts.

Da plötzlich durchschnitt der scharfe Schrei eines jungen Waldkäuzchens die warme Stille. Sofort horchten alle auf. Jenseits des Haseldickichts, das die Lichtung abschloß, war Reynold auf Wache, und was sie hörten, war sein Warnruf. Jemand näherte sich.
Robin hob den Kopf von den Armen und antwortete mit dem Ruf "Kiewitt, kiewitt". Dann setzte er sich auf, sprang rasch auf die Füße und lauschte auf das nächste Signal. Einen Augenblick herrschte Ruhe, dann kam das Klopfen eines Spechtes, der an einem Stamm hämmerte. Zweimal klopfte es, nicht mehr. Das bedeutete: zwei Menschen. Nun stieß Robin einen leisen Pfiff aus, der in einem seltsamen Triller endete, und das bedeutete: "Laß sie passieren."

Nun regten sich die Männer über die ganze Lichtung hin, sprangen auf die Füße und griffen nach ihren Bogen. Vorbei war es mit dem schläfrigen Abendfrieden, jeder war hellwach und in Alarmbereitschaft. Zwischen den dicken Stämmen der Eichen schimmerte es blau und weiß, ein blaues Frauenkleid und die weiße Mähne eines Zelters; gleich darauf ritt Lady Elisabeth, die Gemahlin Sir Richards, auf die Lichtung heraus mit Diccon, dem Bogner, der, sich an ihrem Steigbügel festhaltend, nebenher lief. Schnell glitten ihre Augen über die grüngekleideten Gestalten der Geächteten, und als sie Robin erblickte, trieb sie ihren Zelter in rasender Eile auf ihn zu. Rasch lief er ihr entgegen, um ihr beim Absitzen zu helfen, doch sie wartete nicht auf seine stützende Hand, glitt aus dem Sattel und wandte sich mit einer flehenden Gebärde zu ihm. "Oh, Dank sei der Heiligen Jungfrau, daß Ihr noch nicht gen Norden gezogen seid!" rief sie. "Robin Hood, wenn Ihr ein wahrer Freund meines Gemahls seid, so errettet ihn vor dem Galgen!" "Dem Galgen?" rief Robin aus. "Das klingt furchtbar, Madam. Was ist geschehen?" "Nachdem Ihr uns verließet, ritten wir zu unserer Jagdhütte bei Woodstock, mein Gemahl und ich", berichtete sie leise und hastig. "Der Sheriff muß uns gefolgt sein und den rechten Augenblick abgepaßt haben. Möge er in der Hölle schmoren dafür, obgleich er auch nur das Geschöpf der verfluchten Mönche und räuberischen Barone ist, die des Königs Bruder im Lande frei schalten und walten läßt! Heute abend, mein Gemahl und Simon D'Aubernoun waren auf Falkenjagd beim Fluß, kamen der Sheriff und seine Leute aus dem Wald und forderten ihn auf, sich zu ergeben. Ich konnte es von meinem Erkerfenster aus beobachten; es war alles sofort vorbei, obwohl Simon noch zwei Männer niederschlug, ehe man ihm die Hände fesselte. Er und mein Gemahl wurden gefangengenommen und nach Nottingham geschleppt. Gleich nachdem sie fort waren, kam ich zu Euch - Diccon kannte den Weg -, um Euch zu bitten, meinen Gemahl zu retten. In der Gewalt jener Teufel hat er keine Gnade zu erwarten, er würde auch keine erbitten!" "Wie lange ist das her?" wollte er wissen. Sein Gesicht war sehr grimmig geworden, und während er noch sprach, zog er seinen Gürtel fest. "Kaum zwei Stunden. Sie können nur fünf oder sechs Meilen Vorsprung haben."

Robin nickte und sprach zu seinen Männern, die sich inzwischen um ihn versammelt hatten. "Bewaffnet euch, Freunde: Bogen, Schwerter und Schilde. Mitch, du gibst die Pfeile aus. Wir brechen sofort zum Clumber Forest auf!"

Rasch und in guter Ordnung eilten die Männer hin und her, holten ihre Waffen und streiften ihre Kittel wieder über. Alan verweilte noch einen Augenblick, drückte seiner Mutter die Hand und lief dann, um seinen Vorrat an Pfeilen zu holen.

Little John unter seiner Birke hatte sich bolzengerade aufgesetzt und starrte düster vor sich hin. Er liebte den Kampf, und es kam ihn schwer an, zurückbleiben zu müssen. Robin warf ihm einen verständnisvollen Blick zu und wandte sich dann wieder an Lady Elisabeth, die mit fest ineinander verschlungenen Händen dastand und mit gespanntem Eifer die Vorbereitungen verfolgte. "Madam", fragte Robin, "wollt Ihr wieder nach Hause reiten, oder wollt Ihr hierbleiben, bis wir zurückkommen? In Dunwold Scar seid Ihr vollkommen sicher - und sollte es notwendig werden, könnt Ihr in den Höhlen Schutz suchen. Vielleicht seid Ihr hier sicherer als in Woodstock." "Ich will hier warten», antwortete sie rasch. "Ehe ich nicht weiß, daß mein Gemahl in Sicherheit ist, könnte ich es nicht ertragen, nach Hause zu reiten." "Dann macht es Euch auf dem weichen Rasen und im kühlen Schatten bequem; auch habt Ihr Little John, der Euch Gesellschaft leisten kann." Er reichte ihr die Hand und führte sie über die Wiese zu dem Verwundeten, der, da er sich wegen seiner Verletzung nicht erheben konnte und keine Kappe zum Abnehmen hatte, höflich seinen blonden Kopf neigte.

Robin verneigte sich höflich vor Sir Richards Lady. "Seid guten Mutes", sagte er freundlich. "Wir werden Euch Euren Gemahl wiederbringen." Damit wandte er sich ab und ging zu seinen Männern.

Will-the-Bowman hatte noch Zeit gefunden, den Zelter im Stall unterzubringen, und alle waren nun bereit. Wenige Augenblicke später lag die große Lichtung leer und verlassen; vierundzwanzig Männer waren in die grüne Dämmerung des Waldes eingetaucht, als ob es sie nie gegeben hätte.

Eine Weile noch stand die Lady ganz still, ihren Blick auf das Dickicht gerichtet, hinter dem die Männer verschwunden waren; dann seufzte sie tief auf, raffte die Falten ihres blauen Rockes eng um sich und ließ sich auf der Grasböschung nieder. "Werden sie meinen Gemahl wohl erretten?" fragte sie verzweifelt.

Fortsetzung im nächsten Heft


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