Robin Hood
Kämpfer für Gerechtigkeit und Beschützer der Rechtlosen


Im ausgehenden Mittelalter lebte in der englischen Grafschaft Yorkshire ein Mann namens Robin Hood. Von den Machthabenden geächtet, kämpfte er gegen die Unterdrückung der Rechtlosen. Wer realisiert, dass heute die Tiere die ausgebeuteten und unterdrückten Rechtlosen sind, wird eine erschreckende Analogie zur heutigen Zeit erkennen.

Zehnte Folge:
Sir Richards Befreiung

Was bisher geschah: Robin Hood erfährt, dass sein Freund Sir Richard gefangen genommen
wurde und gehenkt werden soll. Sofort bricht er mit seinen Männern auf

In größter Eile marschierten die Geächteten, einer hinter dem anderen, nach Süden. Die Hitze des Tages hatte nachgelassen und die wilden Geschöpfe des Waldes, die die langen heißen Stunden verschlafen hatten, waren erwacht. In den Lichtungen stand friedlich äsendes Wild; bei der Annäherung von Menschen sprang es davon, um gleich darauf zrückzukehren und weiter zu äsen, so friedlich wie zuvor. In den Wipfeln der Bäume flatterten unaufhörlich Schwärme von kleinen Vögeln; und nah und fern, im ganzen großen Sherwood, sangen die Amseln und Drosseln ihr Abendlied, hoch oben in den letzten Strahlen der Sonne, während sich im kühlen Schatten zwischen den Stämmen die Eichhörnchen von Ast zu Ast schwangen und im Gras die Kaninchen herumtollten und herumhopsten.

Durch dieses ganze geschäftige Leben und Treiben im Walde zog Robin Hood mit seiner Schar zur Nottingham-Straße, südlich von Worksop. Noch war es hell auf den Lichtungen, als sie von den Kastanienbäumen des südlichen Sherwood hinüberwechselten unter die großen Eichen vom Clumber-Wald. Dort war es schon dämmrig auf den schmalen Pfaden; nie drang das Tageslicht dort hinein, nicht einmal um die Mittagszeit: So dicht standen da die hohen Eichen beieinander - Eichen, die schon alt waren, als die Römer ihre lange Straße durch den Wald schlugen und sie Irming Street nannten -‚ so dicht war das Geflecht der Äste und Zweige, daß das Licht der Sonne den Waldboden nie erreichte, außer hier und da in einzelnen Strahlen und Tupfern aus schierem Gold. Und bis auf das Summen der Insekten war kein Geräusch zuhören, denn in jenem Teil des Clumber-Waldes bauten nur wenige Vögel ihre Nester.

Die Geächteten näherten sich nun dem Ende ihres Weges und bewegten sich mit der größten Vorsicht, da sie sich am Rande des Waldes befanden. Lautlos schritten sie über die dicken Moospolster, die den Boden bedeckten; es hätten vierundzwanzig Gespenster sein können, die in vollkommener Stille zwischen den dicht stehenden Stämmen hindurchglitten. So eilten sie schnell und lautlos die dunklen Waldpfade entlang, bis sie schließlich die Nottingham-Straße erreichten. Hier hielten sie an und warteten, inmitten des dichten Gestrüpps von Haselbüschen, Kornelkirschen und Schlingbäumen.

Robin schlüpfte durch das Gesträuch hinunter zum freliegenden Straßenrand und blickte nach Norden, wo sich die staubige Landstraße wie ein weißes Band durch den Wald nach Worksop zog. Die Sonne war hinter die Bäume gesunken, und die Straße lag im Schatten; doch hier und da drangen Strahlen der untergehenden Sonne zwischen den Zweigen hindurch und malten goldene Bänder in den Staub der Straße.

Robin blickte zum Himmel empor, um den Sonnenstand zu schätzen. Es würde noch eine Weile dauern, bis der Sheriff und seine Leute den Hinterhalt erreichten, der sie erwartete, und er überlegte, ob es zum Schießen, falls es dazu käme, noch hell genug sein würde. Zum Kampf mit Schwertern braüchte man weniger Licht. Doch eine Stunde noch, schätzte er, würde es hell genug zum Schießen sein; das sollte genügen. Er drehte. sich um und kletterte wieder die Böschung hinauf.

Unter den Haselsträuchern erwarteten ihn die Geächteten und Diccon. “Zwanzig Schritte die Straße hinunter, Männer“, sagte Robin. “Dort bietet das Gesträuch bessere Deckung, und soweit ich gesehen habe, scheint das auch eine bessere Stelle für den Angriff zu sein.“

Schweigend folgten sie ihm zu dem günstig gelegenen Angriffspunkt, den sein geübtes Auge so schnell herausgefunden hatte. Die Straße machte hier eine leichte Biegung, die Männer in ihrem Versteck hatten freie Sicht nach Norden, so daß sie die Straße besser beobachten konnten, auf der der Sheriff und seine Männer bald kommen mußten. Auch wuchs hier, wie Robin gesagt hatte, das Gestrüpp bis zur Straße hinunter wie eine Mauer; die sie vor den Augen eines jeden, der die Straße entlangkam, verbarg, während sie selbst gute Sicht hatten.

Es war ein Platz, der für ihre Zwecke wie geschaffen war. Sie ließen sich bequem nieder, und alle hatten ihre Bogen schußbereit neben sich für den Fall, daß sie gebraucht würden. Doch wenn alles nach Plan ging, würde nur Robin seinen Bogen benützen, und die anderen würden das, was nötig war, mit dem Schwert tun. So hatte jeder Mann die blanke Klinge über seine Knie gelegt. Robin kauerte zwischen ihnen, nahm den Bogen von der Schulter, spannte ihn und befestigte die Sehne.

So warteten sie nun. Diccon rutschte unruhig von einem Knie auf das andere, aber sonst bewegte sich niemand, während die Minuten langsam verstrichen; lange genug hatten sie im Greenwood gelebt, um von den wilden Tieren Geduld gelernt zu haben.

Endlich unterbrach ein leises Geräusch die abendliche Stille. Mitch der Müllerssohn hörte es als erster. Den Kopf auf die Seite geneigt,
lauschte er, nickte dann und stand leise auf. Bald konnten es alle hören - das Klappern von Pferdehufen und das undeutliche Stampfen vieler Füße. Eine Gruppe von Männern kam aus der Richtung von Worksop.

Das Stampfen näherte sich, Robin bog die Äste des Baumes zu seiner Linken auseinander und sah etwa zwanzig Krieger um die Wegbiegung auf sich zukommen, an ihrer Spitze der Sheriff auf einem grauen~ Pferd. In der ersten Reihe der Krieger ging Sir Richard, die Arme auf den Rücken gebunden, zwischen zwei Männern mit gezückten Schwertern.

Bei diesem Anblick wurde Robins Gesicht hart und grimmig. Ganz vorsichtig ließ er Zweige des Schlingbaums wieder los, nahm einen Pfeil und legte ihn an die Sehne. Er blickte die lange Reihe seiner auf der Lauer liegenden Männer entlang und sah, daß jeder sprungbereit war, scharfäugig, wachsam, das Schwert in der Hand. Zu ihren Füßen lagen die Bogen bereit, und neben jedem Bogen steckte der Pfeil im Gras, mit der Spitze nach unten. Er brauchte keine “letzten Befehle“ zu erteilen; jeder wußte, was er zu tun. hatte, wenn der Augenblick zum Handeln kam.

Das Stampfen war nun ganz nahe herangekommen, aber noch warteten sie; die gespannte Sehne von Robins Bogen vibrierte zwischen seinem Daumen und Zeigefinger. Durch das Laub hindurch flimmerten des Sheriffs graues Pferd und schwarzes Gewand immer näher, bis die Reiter auf der Straße fast auf gleicher Höhe mit ihm war; dann schnellte er den Pfeil los. Laut drohend klang das “tweng“ der zurückschnellenden Sehne, der Pfeil sauste aus dem Gebüsch, bohrte sich mit scharfem Aufschlag in den Staub der Landstraße und blieb unmittelbar vor den Füßen des Pferdes zitternd stecken.

Sofort brach auf der stillen Straße ein heftiger Lärm aus. Mit entsetzten Augen scheute das erschreckte Pferd, bäumte sich auf, schlug aus und wieherte vor Furcht, während der fluchende Sheriff sich an Mähne und Sattelknauf festklammerte. Die Krieger waren stehengeblieben, mit weit aufgerissenen Augen suchten sie in den Schatten des Waldes; und mit heftigem Ruck versuchte der Gefangene, sich dem Griff der beiden Krieger zu entwinden und starrte in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen war.

Aus dem Haseldickicht hinunter auf die Straße sprang nun Robin von Barnesdale, seine Geächteten geschlossen hinter sich. “Herr Sheriff“, rief er, “Ihr habt zwei Gefangene, die ich zu meinen Freunden zähle. Gebt sie heraus, so soll Euch nichts geschehen.“

“Halunke! Mörder! Aus dem Weg!“ schäumte der wütende Sheriff, zog sein schweres Schwert aus der Scheide und rief seinen Leuten zu, sie sollten die Gefangenen in ihre Mitte nehmen. Dann warf er sein immer noch scheuendes Pferd herum und wollte den großen Geächteten, der ihm den Weg verstellte, niederreiten.

Mit grimmigem Lächeln sah Robin ihn kommen, auch er hatte das Schwert gezogen, und die Klinge blitzte in seiner Hand. Im nächsten Augenblick war das graue Pferd fast über ihm, und klirrend und knirschend prallten die beiden Schwerter aufeinander; dann sprang Robin unter die Deckung des anderen, seine Klinge blitzte nach vorn und aufwärts, der Sheriff von Nottingham warf seine Arme in die Höhe,s türzte zu Boden und lag still.

Robin schaute auf den Gefallenen hinunter. Nie würde er den Sheriff getötet haben wegen eines ihm selbst zugefügten Unrechts, doch war es etwas anderes, wenn das Unrecht einem Freund zugefügt worden war. Er trat zu dem zitternden Pferd, schlang die Zügel um einen Ast und lief dann auf das Kampfgetümmel zu, das auf der Straße hin und her wogte.

Sir Richard, die Hände noch immer auf den Rücken gebunden, wankte auf ihn zu, und gleich darauf riß sich eine andere gefesselte Gestalt aus einem verknäulten Haufen von Kämpfenden heraus, taumelte über die Straße und zerrte und zog an den Stricken, die um seine Handgelenke gebunden waren. Es war der junge Schildknappe.

Robin eilte an ihnen vorbei und stürzte sich, das Schwert in der Hand, selbst in das Getümmel. Aber der Kampf war schon fast vorbei. Die Männer des Sheriffs hatten den Mut verloren, nachdem ihr Herr gefallen war, und einige stahlen sich schon davon und verschwanden im Wald. Bald warfen auch die anderen ihre Waffen weg, ergaben sich, und alles war vorüber. Die Geächteten zogen sich zurück, standen keuchend, die Schwerter noch in der Hand, und starrten die Krieger an, die finster zurückstarrten.

Mehrere Männer des Sheriffs waren verwundet. Einer, mit einer klaffenden Wunde im Schenkel, wand sich im Staub der Straße; ein anderer saß und stillte, so gut er konnte, das Blut, das aus seiner Schulter quoll; einem dritten war die Wange von der Schläfe bis zum Kinn aufgerissen, er lag bewußtlos in sich zusammengesunken. Andere hatten geringere Verletzungen davongetragen, aber nur wenige waren unversehrt aus dem Kampf hervorgegangen. Außer dem Sheriff hatte es keine Toten gegeben; sie hatten nur noch geringen Widerstand geleistet, und die Geächteten hatten nicht gekämpft, um zu töten, sondern nur, um sie kampfunfähig zu machen.

Robin wies seine Männer an, die geschlagenen Feinde zu bewachen, und schritt hinüber zu Sir Richard und dem Knappen, die noch immer an ihren Fesseln zerrten. Er zog das lange irische Jagdmesser aus dem Gürtel und durchschnitt die Stricke, mit denen ihre Handgelenke gebunden waren. “Habt Dank, Geächteter“, sagte Simon D‘Aubernoun, als seine Fesseln fielen und er die roten Schrammen an seinen Handgelenken zu reiben begann.

Sir Richard legte beide Hände auf Robins Schulter und blickte ihm gerade in die Augen. “Robin, mein Freund“, sagte er, “was kann ich sagen, um Euch für dieses Tages Mühe zu danken?“ “Sagt gar nichts“, erwiderte Robin. .“Aber kommt jetzt mit mir zum Dunwold Scar. Dort wartet Eure Lady auf Euch, und sie wird voller Angst sein.“ “Sie kam also zu Euch?“ fragte Sir Richard und ging an Robins Seite zu dessen Männern zurück. “Ja, das tat sie“, antwortete Robin.

Als Alan seinen Vater erblickte, trat er aus der Gruppe seiner Kameraden heraus auf ihn zu und drückte Ihm voller Freude die Hand. Robin ließ die beiden allein miteinander und wandte sich an die finster dreinblickenden Krieger. Hände hoch! Die Hände bleiben oben! Keiner rührt sich», sagte er hart. Dann zu seinen eigenen Männern: “Scarlet, Gilbert, Goldsbrough, itch, Will - holt eure Bogen.“ Er wartete, bis die fünf Männer von dem Dickicht, hinter dem die Bogen versteckt waren, mit schußbereiten Waffen zurückgerannt kamen “Zielt auf sie, und jeder, der sich rührt, wird erschossen“, sagte Robin rasch. “Und ihr anderen, durchsucht sie und nehmt ihnen alle Waffen ab, Jungens, und laßt ihnen auch nicht soviel wie eine Nadel.“

Mit ingrimmigem Vergnügen schaute er zu, wie die Geächteten die Reihe der niedergeschlagenen Krieger entlanggingen, Schwerter und Schilde aus dem Staub der Straße aufsammelten und Dolche aus den Gürteln ihrer Besitzer zogen. Bald waren die Waffen am Straßenrand aufgestapelt und die Männer des Sheriffs, ob verwundet oder nicht, hatten ausnahmslos keine einzige Waffe mehr. “So“, sagte Robin, “diejenigen unter euch, die unverletzt sind, mögen ihre verwundeten Kameraden tragen, und dann macht, daß ihr nach Nottingham kommt. Nehmt den Sheriff mit, wenn ihr wollt, oder laßt ihn hier liegen, bis der nächste Reisende ihn findet, - mir gilt das gleich.“

Eilig und schweigend hoben die Krieger diejenigen ihrer verwundeten Kameraden auf, die nicht laufen konnten, und ohne einen Blick zurückzuwerfen, zogen sie ab, von dem einzigen Wunsche beseelt, sich wie geprügelte Hunde so schnell wie möglich zu entfernen.

Die Geächteten beobachteten ihren Abzüg und blieben mit schußbereiten Bogen so lange stehen, bis auch die letzten von ihnen um eine Biegung der Straße ihrem Blkkfeld entschwunden waren.

Fortsetzung im nächsten Heft.


Inhaltsverzeichnis VN1996-3

Archiv VgT-Nachrichten

Startseite VgT