Robin Hood
Elfte Folge: Mit einigen seiner Freunde durchstreifte Robin die Gegend von York, weit entfernt vom Sherwoodwald. Sie bewegten sich mit besonderer Vorsicht, da sich in dieser Gegend sehr viele Normannen aufhielten. Auch war dort das beliebteste Jagdrevier von Prinz Johann. Es war um die Mittagszeit. Robin und seine Gesellen lagerten an einem kleinen Bach, um eine kleine Mahlzeit zu halten und sich auszuruhen. Ihre Pferde weideten auf einer nahen Lichtung. Weit und breit war die Stille eines heißen Sommertages. Plötzlich klang ein kläglicher Hilfeschrei durch das Holz. Dann noch einmal und noch einmal. Die Geächteten sprangen auf. Stumm bedeutete Robin seinen Genossen, vorsichtig die Pferde an die Zügel zu nehmen und mit ihnen in Richtung der Schreie vorzudringen. Nach kaum einer halben Meile hielten sie an. Vor ihnen dehnte sich eine Lichtung. Am entgegengesetzten Rand standen einige vornehme Normannen um einen ärmlich gekleideten Mann herum, den zwei Knechte festhielten. Ein dritter stand mit einer Peitsche in der Hand daneben. Der Gefangene schien ein sächsischer Bauer zu sein. Er trug nur einen groben Rock, der mit einem Strick zusammengehalten war. Einer der Normannen stand mit seinem Pferd dicht vor dem Bauern und schien ihn etwas zu fragen. Der Bauer sah ihn zwar an, gab ihm aber keine Antwort. Schließlich hob der Normanne seinen Arm, und der Striemen einer Peitsche schlug über das Gesicht des Bauern. Dies schien der Knecht als Aufforderung zu betrachten, gleichfalls auf den Mann einzuprügeln, aus dessen geplatzter Haut das Blut rann. Schließlich krümmte sich der Bauer und ging zu Boden. "Ein Hundsfott, der da zusehen kann", murmelte Robin. Er wandte sich an Little John: "Wartet hier!" Mit seinem Pferd brach Robin durch das Gebüsch und ritt in scharfem Trab auf die Gruppe zu. Eine Meute Hunde eilte ihm wütend kläffend entgegen. Sie ließ erst ab, als Robin einem davon durch einen wohlgezielten Stoß mit dem Fuß das Genick gebrochen hatte. Dann war er auch schon am Ziel. Die Wolfsspieße der Knechte stellten sich ihm entgegen, und der vornehme Normanne rief ihnen Befehle zu. Robin ließ sich nicht beeindrucken. Ganz nahe ritt er an den Reiter heran und sagte: "Ich sehe nicht gern zu, wenn Wehrlose gequält werden." Die Normannen waren sprachlos. Endlich sagte der Vornehmste von ihnen: "Es gibt wenige, die sich in meine Angelegenheiten ungestraft einmischen. Schon gar nicht solche, die ungefragt aus dem Wald herausgeritten kommen, und wenn ich richtig nachdenke, solche, die mir bekannt vorkommen. Nun, falls wir uns bis jetzt zu wenig gesehen haben sollten. Ich bin Johann..." "Ich hatte Euch erkannt", unterbrach Robin die Rede des Normannen und deutete noch einmal eine Verbeugung an. "Besten Dank für die Vorstellung, mein Prinz. Aber jetzt möchte ich zur Sache kommen." "Wir wollen die Form wahren", lächelte spöttisch Johann. "Du siehst einem Mann mit Namen Locksley sehr ähnlich. Vielleicht höre ich jetzt deinen richtigen Namen?" "Gern, mein Prinz", entgegnete Robin. "Man nennt mich Robin Hood!" Die Gesichter der Herren und Knechte wurden um einen Schein blasser, während der Bauer neue Hoffnung schöpfte. "Ich bedanke mich für die Vorstellung", sagte der Prinz, den das plötzliche Auftauchen von Robin ohne jede Rückendeckung doch etwas verwirrt hatte. "Ich sehe sozusagen den berühmtesten aller rechtlosen Sachsen vor mir." Insgeheim machte er sich Sorgen, daß er in eine Falle Robin Hoods gefallen war. Doch dieser machte es dem Prinzen nicht leicht und gab das Kompliment zurück: "Die Ehre habe ich, Euer Gnaden, denn ich spreche hier mit dem derzeitig höchsten Mann von England!" Johanns Gesicht umwölkte sich. "Wieso zur Zeit?" "Nun, mein Prinz", sagte Robin Hood, "ich nehme an, wenn der König, Euer gekrönter Bruder Richard, zurückkommt, dann werdet Ihr nur noch der zweithöchste Mann in England sein. Deshalb sagte ich zur Zeit." Aus Prinz Johanns Begleitung wurde lautes Gemurmel laut, doch Robin ließ sich dadurch nicht beirren. Er war gekommen, um dem sächsischen Bauern zu helfen. Deshalb wandte er sich wieder an den Prinzen und sagte: "Ich muß noch einmal auf den Grund meines Hierseins zurückkommen. Es dürfte unter Eurer Würde sein, einen solch armen Bauern zu schlagen. Es wäre deshalb recht und billig, ihn laufen zu lassen!" "Das ist kein armer sächsischer Bauer, sondern ein Wilderer", entgegnete Johann. "Er hat sich gegen Recht und Gesetz gestellt und in meinen Wäldern gejagt. Er wird es gestehen, und dann wird er hängen." Sicher haben ihm Eure Beamten alles genommen, und er wußte nicht mehr, wie er sein Weib und seine Kinder ernähren sollte", entgegnete Robin, der sich nicht aus der Ruhe bringen ließ. "Meine Beamten lassen niemanden verhungern. Und bevor dieser Bauer in meine Wälder kam, hat er noch gelebt. Also wird er hängen, und zwar sofort! Ein sächsischer Gesetzesbrecher weniger im Land!" "Ich bin auch ein Sachse", spottete Robin. "Deshalb wirst du neben ihm hängen", schrie Johann und befahl seinen Knechten, sich Robins zu bemächtigen. Doch bevor sein Befehl ausgeführt wurde, wurde er wachsbleich. Plötzlich hatte Robin seinen Bogen in der Hand, und der aufgelegte Pfeil zeigte direkt auf Johanns Brust. "Nun, befehlt doch weiter, hoher Herr", sagte Robin. "Befehlt, daß sie mich ergreifen, aber sofort seid Ihr ein toter Mann. Das schwöre ich Euch! Und jetzt befehlt, daß dieser Mann freigelassen wird. Sofort, und ohne Verzug!" Johann zögerte. Doch Robin spannte die Sehne so weit, daß der Pfeil jeden Moment losschnellen konnte. "Ich warne Euch, mein Prinz, solltet Ihr noch nicht genug von Robin Hood gehört haben? Ihr könnt wählen. Der sächsische Bauer oder Ihr. Und zwar auf der Stelle!" Johann spürte, daß ihn Robin in der Hand hatte. Schnell erteilte er einen Befehl, und die Knechte gaben den Gefangenen frei. Robin wandte sich an den Bauern: "Nimm deinen Bogen und lauf dorthin!" Er zeigte auf das Gebüsch, wo Little John mit seinen Gefährten wartete. "Lauf schnell!" Der Bogen blieb gespannt, bis der Bauer verschwunden war. Immer noch reglos verharrten die Normannen. Endlich entspannte Robin den Bogen, ließ seinen Pfeil in den Köcher zurückgleiten und sprang dann zum Erstaunen der Normannen vom Pferd. Dann gab er seinem Pferd einen Schlag mit der flachen Hand. Als ob dieses ihn verstanden hätte, trabte es gleichfalls auf das Gebüsch zu, wo Little John wartete. Dann wandte sich Robin wieder an Prinz Johann: "Gewährt mir die Gunst, Prinz, daß ich diesen geschossenen Bock auf meinen Schultern auf Euer Schloß trage." Johann war unschlüssig. Er wußte nicht, was er im Moment sagen sollte. "Es ist nicht zuviel, was man über dich erzählt", sagte er dann, "doch was du hier tust, dürfte das Kühnste sein, was du je gewagt hast. Es sei, komm mit in meine Burg." Erleichtert wandte er sein Pferd und gab seinen Rittern und den Knechten das Zeichen zum Aufbruch. Robin nahm den geschossenen Bock auf die Schultern, und der Zug setzte sich in Bewegung. Doch so schnell der Schrecken die Normannen in Schach gehalten hatte, so achteten sie bald darauf, Robin Hood so in die Mitte zu nehmen, daß er ihnen nicht mehr entfliehen konnte. Es war eine eigenartige Stimmung im Schloß von York, als Robin Hood im Gefolge des Prinzen die Burg betrat. Doch Johann wollte seinen Spaß haben. Er glaubte, Robin in seine Gewalt bekommen zu haben, und ordnete ein üppiges Festmahl an. Auf dem Tische standen silberne Platten mit den erlesensten Speisen, und es gab den besten Wein, den das Schloß York in den Kellern hatte. Als ob nichts geschehen sei, tafelten die beiden Widersacher an einem gemeinsamen Tisch. Robin ließ es sich gut schmecken. Mit dem Prinzen und Robin tafelten die vornehmsten Ritter aus des Prinzen Gefolge. Alle ahnten, wie dieses Festmahl enden würde. Auch Robin Hood wußte es. Und doch wollte er versuchen, das Spiel so lange wie möglich zu spielen. Auch der Prinz kostete die Situation aus und sagte mit leisem Spott: "Eine wahrhaft historische Stunde, um die mich alle Normannen Englands beneiden. Robin Hood als Gast an meiner Tafel." "Nur für die Zeit des Mahls, mein Prinz", entgegnete, ebenfalls spottend, Robin. "Sobald ich Eure erlesenen Speisen gegessen und den köstlichen Wein genügend gewürdigt habe, seid Ihr wieder allein mit Euren Herren." Dabei nickte er dem Prinzen und seinen Rittern zu. "Und auch mit den edlen Damen, die jetzt gerade auf die Galerie steigen. Ich freue mich, daß wir bald ihre Gesellschaft genießen können." Doch nur Johann wußte, daß es Bogenschützen waren, die sich auf der Galerie verteilten. Johann genoß seinen Triumph, und er ließ Robin weiter erzählen. "Es ist schon lange her, mein Prinz, als ich meinem Großvater versprach, eines Tages dem König von England die Hand zu drücken. "Und?" fragte Johann. "Ihr müßt wissen", antwortete Robin, "mein Großvater liegt unter der Asche seiner Burg. Er mußte für seinen Enkel büßen, für dessen leichtfertige Wette mit den Förstern Eurer Hoheit. Nun, die Knechte des Sheriffs von Nottingham haben gründliche Arbeit geleistet. Ich aber habe das Versprechen meines Großvaters erfüllt. Heute sitze ich dem Bruder des Königs gegenüber. Sicher wäre er mit mir sehr zufrieden. Er würde hoffen, daß sein Enkel auch bald Richard Löwenherz gegenübersitzen würde." Solches war im Schloßsaal von York noch von niemandem gesagt worden. Unter den Rittern wurde lautes Gemurmel hörbar, und dem Prinzen stieg der Ärger ins Gesicht. Doch noch beherrschte er sich, denn seine Waffenknechte waren gerade dabei, die Ausgänge des Saales zu besetzen. Gewiß, den Sachsen bald in seiner Gewalt zu haben, sagte er zu ihm: "Ich habe mich in Euch getäuscht, Robin Hood, ich glaubte, Ihr wäret ein Sachse der feinen Art, die einen großzügigen Gastgeber zu schätzen wissen. Ihr vergeßt, daß Ihr unter Edelleuten sitzt!" "Unser Stammbaum ist länger als der Eurige, mein Prinz", entgegnete Robin. "Allerdings blieben wir auf unserem Land als Freisassen. Wir hatten es niemals nötig, unsere Hand nach fremdem Eigentum auszustrecken." Johann kochte vor Wut. Sicher hätte er schon jetzt der Sache ein Ende machen können. Bogenschützen und Waffenknechte warteten nur darauf. Doch er wollte sich im Vorfeld des Triumphes sonnen. "Freisaß! Was ist schon ein Freisaß", meinte er höhnisch. "Seit Jahrhunderten hüten die sächsischen Freisassen Schweine wie ihre Bauern! Und deine Ahnen, Robin Hood, Freisaß auf Locksley", fügte er ironisch hinzu, "haben Recht und Erbe bei Hastings verspielt. Seitdem kenne ich keine sächsischen Edelleute mehr." Beifällig nickten die normannischen Ritter zu Johanns Rede. "Euer Hohn, Prinz, trifft mich nicht", sagte Robin, "ohne die sächsischen Freisassen gäbe es dieses Land nicht. Daran hat auch Hastings nichts geändert. Die Freisassen sind auf einem freien Boden geboren und werden auf einem freien Boden sterben. Und wer uns antastet, wird das zu spüren bekommen. Dabei ist es gleichgültig, ob ein Bauernhaus oder eine Burg verbrannt wird. Es gibt genug Eichenholz in unseren Wäldern und Schwerter in unseren Händen, um die Edelleute ohne Land in ihre Schranken zu weisen." Nach diesen Worten herrschte Stille im Saal. Nur hastige Atemzüge der Ritter verrieten verhaltene Wut. War Johann vorher rot, so war er jetzt weiß vor Ärger, weil er wieder eine Runde an den Sachsen verloren hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seinen Knechten das Stichwort zu geben. Er sprang auf, hob den Becher und rief: "Trotz deiner frechen Rede, Robin Hood, will ich mit dir auf das Wohl der Freisassen trinken." Auch Robin erhob sich. Auch die Ritter der Tafelrunde standen lärmend auf. Robin wußte, warum. Hinter ihm legten jetzt die Bogenschützen ihre Pfeile auf ihn an, und die Knechte machten ihre Wolfsspieße bereit. Doch die Rechnung ging nicht auf. Hart stellte er den Becher auf den Tisch und rief: "Mit Sachsenhenkern trinke ich nicht!" Gleichzeitig bückte er sich blitzschnell hinter seinen Sessel. Keinen Augenblick zu früh. Wie ein Hagel prasselten Pfeile auf die Stelle, wo Robin vorhin noch gestanden hatte. Ein einziger Schrei der Enttäuschung klang auf. Johann trommelte mit seinen Händen auf den Tisch! Die Waffenknechte stürmten auf Robin los. Doch er ließ ihnen keine Zeit heranzukommen, faßte den schweren Sessel, als sei es eine Feder, und warf ihn mitten zwischen die anstürmenden Knechte. Dann zog er sein Schwert und wirbelte zwischen ihre Reihen. Das entstandene Durcheinander nützte er so geschickt aus, daß seine Gegner sich selbst behinderten und aneinanderkamen. Die Bogenschützen auf den Rängen wagten nicht zu schießen, um nicht die eigenen Leute zu treffen.
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