Robin Hood
Zwölfte Folge: Was bisher geschah: Auch die Ritter hatten ihre Schwerter gezogen und suchten Robin Hood in dem Getümmel. Aber einer hinderte den anderen, während Robin eine Kette der Gestürzten hinter sich ließ. Schließlich erreichte er eine schmale Pforte und ließ den davorstehenden Wächter in eine Parade laufen, so daß dieser nach vorn stürzte und Robin die rettende Öffnung erreichte. Behend schlug er den Nachdrängenden die eisenbeschlagene Tür vor der Nase zu und schob hastig den Riegel vor. Doch schon wenige Augenblicke später wuchteten schwere Eichenbänke gegen die Scharniere, daß es krachte und splitterte. Die kleine Atempause galt es zu nutzen. Robin erreichte eine Treppe, die in vielen Windungen nach oben führte. Er saß in der Falle. Doch nach dreißig Stufen führte eine Tür in einen Spitzbogengang mit ebenso spitzen Fenstern, hinter denen die Dunkelheit der Nacht lag. Hinter ihm wurden viele stampfende Schritte laut. Das Geklirr der Waffen kam immer näher. Gleich mußten die Verfolger ihn wieder erreicht haben. Schaudernd sah Robin in die Tiefe. Doch dann merkte er auf. Um die Pfeiler der Fenster rankte armdickes Efeugewächs. Ohne zu zögern sprang Robin auf das Gesims und vertraute sich den Zweigen der Kletterpflanze an. Nach etwa zwölf Manneslängen hatte er wieder Boden unter den Füßen. Oben auf den Wehrgängen rief man nach Fackeln. Anscheinend hatte man Spuren seiner waghalsigen Flucht entdeckt. Ohne weiter zu zögern, glitt deshalb Robin in das Wasser des Burggrabens und schwamm so leise wie möglich ans andere Ufer. Erst als er die schützenden Blätter der Weiden über sich sah, fühlte er sich sicher. Vorsichtig drang er in das Ufergebüsch ein und bemühte sich, so schnell wie möglich die Umgebung der Burg zu verlassen. Noch immer konnte er streifenden Wachen in die Hände fallen. Sicher würde Johann auch Suchtrupps ausschicken, trotz der angebrochenen Nacht. Der Gedanke an die Schlappe, die der Prinz erlitten hatte, machte Robin warm, obwohl ihn in seinen nassen Kleidern jämmerlich fror. Nicht lange, nachdem er die Ufergebüsche hinter sich gelassen hatte, erklang das Rasseln der Zugbrücke durch die Nacht. Gleich darauf donnerten Hufe über das Holz. Robin lief über die Wiese wie ein leichtfüßiger Hase, obwohl ihm die Beine immer schwerer und schwerer wurden. Doch endlich erreichte er den schützenden Wald. Ohne Rast lief er nach Osten, bis die ersten Lichtstreifen des Morgens am Horizont auftauchten. Schließlich erreichte er ein kleines Tal, über dem leichter Dunst hing. Es war nicht der Nebel des Morgens, sondern der Rauch einer Hütte, deren Gebälk von gierigen Flammen gefressen wurde. Düstere Ahnungen beschlichen Robin. Er dachte an den Bauern und seine Familie. Doch zunächst mußte er an sich selbst denken. Gerade als die Sonne über den Horizont kroch, hörte er die Hufe zweier Pferde. Schnell wich er in ein Gebüsch aus, um nicht gesehen zu werden. Doch die beiden kamen näher, und Robin erkannte sie. Es waren Allin und Little John! Da der Weg fast an seinem Versteck vorbeiführte, verzichtete er darauf, ihnen ein Zeichen zu geben. Unvermittelt trat er aus dem Gebüsch, die Pferde ebenso erschreckend wie die Reiter. Der Fluch auf den Lippen der beiden verwandelte sich in Freude. "Heiliger Georg,
es ist Robin!" rief der Minstrel. "Wir beiden wollten gerade die Burg von Johann
stürmen", sagte Little John lachend. "Aber wie ich sehe, hast du unsere Hilfe
gar nicht gebraucht. Ich hoffe, du hast noch einige von den Normannen
übriggelassen." Doch dann umdüsterte sich sein Gesicht. "Du hast sicher diese
Hütte brennen sehen, Robin." "Ich sah es." "Soviel ich weiß, ist der Bauer noch
dort - und sein Weib und seine Kinder auch." "Die Schande der Normannen stinkt
zum Himmel", sagte Robin, "und es ist so, daß der Gestank bald nicht mehr zu
ertragen ist. Bevor die Endabrechnung mit Johann und seinen Schergen kommt,
müssen wir sehen, was wir tun können." "Wir haben schon damit angefangen",
meinte Little John. "Mitch ist unterwegs, um den Bauern und seine Familie zu
holen, damit ihn die Schergen nicht noch einmal erwischen. Ich hatte keine Zeit
mitzureiten, weil ich zwei von den Söldlingen, die das Feuer gelegt haben, ins
Jenseits befördern mußte. Leider ist mir einer entwischt; er wird sicher bald
mit den anderen hier sein." "Dann müssen wir schnellstens weg von hier", sagte
Robin. " Bald werden sie hier herumschnüffeln wie die Hunde, die ein neues Opfer
suchen. Ein zweites Mal möchte ich nicht in die Hände Johanns fallen." Die Sonne stand schon zwei Handbreit über dem Horizont, da wurden sie gerufen. Hinter einem Gebüsch saßen zwei ihrer Leute und wiesen ihnen den Weg zum Lager. Es brannten einige Feuer mehr als sonst. Fragend blickte Robin auf Little John, der ihn in seiner Abwesenheit vertrat. "Gestern sind dreißig Neue angekommen«, erklärte dieser. "Darunter auch einige mit Pferden. Es sind meist Freisassen aus der Gegend von York, aber auch Bauern und Handwerker. Auf alle wartet der Strick oder die Ketten." Alles in allem waren es über hundert Geächtete, die, über die weite Lichtung verstreut, um die Feuer herumlagen. Niemals zuvor hatte eine so große Anzahl Geächteter den Sherwoodwald verlassen. Einige der Männer waren aufmerksam geworden, als Robin - gefolgt von Allin und Little John - in das Lager einritt. Vollends wach wurden sie, als Mitch, der Müller, mit einem Fremden in das Lager galoppiert kam. Vor Robin hielt er an. "Ich komme mit ihm allein", sagte er. "Frau und Kinder liegen unter der glühenden Asche." "Eine Frau und zwei Kinder gegen einen Bock aus Prinz Johanns Wald!" fügte Allin hinzu. Immer mehr Männer kamen heran und umstanden die Führer der Geächteten. "Es kann keinen größeren Blutsauger geben als diesen Johann", sagte Tuck, der Mönch. "Er verpraßt mit seinem Hof zu York was Landsassen gebaut und Handwerker erarbeitet haben. Nicht genug damit, er plündert auch die Klöster der sächsischen Mönche. Er zerstört die Burgen der Ritter, die König Löwenherz treu blieben, und überhäuft seine Höflinge mit Geschenken und Gold, damit sie ihm treu bleiben. Er bereitet alles darauf vor, selbst König zu werden. Es wurde heute berichtet, daß König Richard gefangen in einer deutschen Burg liegt." Nicht nur Robin erbleichte bei dieser Nachricht. Für alle andern entschwand die
Aussicht, jemals wieder an Heim und Herd zurückkehren zu können. Niemand, der
ihnen Schutz bot! Und jetzt war auch die Hoffnung auf die Rückkehr von König
Richard dahin. Noch immer sagte keiner der Geächteten ein Wort. Ein kalter, grauer Morgen war aufgezogen. Die Sonne hinter milchigen Schleiern schien ohne Kraft. Ab und zu fuhr der Wind in das Feuer, an dem Robin mit seinem nassen Wams stand. "Jeder, der König Löwenherz verrät, ist unser Feind", sagte Robin, "der größte ist Prinz Johann, der unrechtmäßig nach der Krone trachtet. Mit ihm regieren Unterdrückung und Mord. Wir wollen uns selber helfen!" Zum erstenmal kam Bewegung in die Männer. Karger, aber gewichtiger Beifall. Nur
einige schwiegen. Sie schwiegen nicht, weil sie mit Robin Hood nicht
einverstanden waren. Nein! Sie dachten an Vater, Mutter, Schwestern und Brüder
und Kinder, die von den Normannen getötet, in Ketten gelegt oder verbrannt
worden waren - wie die Familie des Bauern, der schweigend in ein Feuer starrte. Kein Schwert blieb in der Scheide. Alle Geächteten schwuren ebenso wie Robin Hood. Wort für Wort. Dann rief Robin Hood: "Laßt uns reiten, Freunde! Auf in den Sherwoodwald! Wir werden so stark werden, daß die Normannen vor uns zittern!"
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