Willkür-Urteil des Zürcher Obergerichtes von Bundesgericht aufgehoben
VgT erobert Meinungsäusserungsfreiheit zurück

Fast ein Weltwunder: Der VgT erhält ausnahmsweise vor dem Bundesgericht Recht - es ging nicht anders wegen einem analogen Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Kein Weltwunder, sondern übliche Justiz-Willkür: Der VgT muss hohe Kosten tragen, obwohl er sich zu Recht gewehrt hat

Im Herbst 1994 verbreitete der VgT ein Flugblatt, auf dem Fleischkonsumenten vor dem Rinderwahnsinn gewarnt und aufgefordert wurden, weniger Fleisch zu essen. Ein VgT-Aktivist, der dieses Flugblatt auf öffentlicher Strasse vor der Metzgerei Gubler an der Stadthausstrasse in Winterthur verteilte, wurde von dieser Metzgerei wegen «unlauterem Wettbewerb» eingeklagt und zu 2000 Fr Busse verurteilt.

Der vollständige Text des Flugblattes lautete:

Rinderwahnsinn - die tödliche Gefahr auf dem Teller

Kochen tötet den Erreger nicht.

Lauert er in Ihrer Wust? Im Steak, im Hamburger?

Die Inkubationszeit beträgt 10 bis 15 Jahre. Sind Sie schon infiziert?

Es besteht der dringende Verdacht, dass der Rinderwahnsinn (Bovine Spongiforme Enzephalopathie BSE) durch Verzehr von Fleisch auf den Menschen übertragen werden kann und identisch ist mit der heimtückischen, tödlichen Creutzfeld-Jakob-Krankheit.

Essen Sie weniger Fleisch, zum Vorteil der Tiere, der Umwelt und Ihrer Gesundheit!

Eine Konsumenteninformation des VgT Verein gegen Tierfabriken, 9546 Tuttwil

Auf diesem Flugblatt steht nichts Unwahres. Die Darstellung ist auch nicht übertrieben einseitig. Der deutsche Gesundheitsminister Seehofer zB hatte schon damals öffentlich (sinngemäss) das Gleiche gesagt. Nur die Schweizer Behörden betrieben (und betreiben bis heute) eine unverantwortliche Verharmlosungspolitik. Diese Beamten werden nicht bestraft, ebensowenig Exponenten der Fleisch- und Agro-Lobby, welche die Risiken verharmlosen und mit allerlei Kampagnen und Desorientierungen den Rindfleischkonsum anzukurbeln versuchen. Die menschenrechtswidrige, gegen die Meinungsäusserungsfreiheit verstossende Verurteilung des VgT-Aktivisten ist Teil der systematischen staatlichen Repression gegen den VgT

Typisch für die Willkür des ganzen Verfahrens war, dass jede Instanz eine andere Begründung des angeblich strafbaren Verhaltens erfand, was menschenrechtswidrig ist, weil dem Angschuldigten damit eine wirksame Verteidigung verunmöglicht wird.

In der Anklageschrift - unterzeichnet von der Bezirksanwältin J Meier - wirft die Bezirksanwaltschaft Winterthur dem Angeschuldigten vor: "Dem Inhalt dieses Flugblattes steht klar die offizielle Verlautbarung der für den Gesundheitsschutz zuständigen Bundesbehörden gegenüber..."

Mit anderen Worten: In der Schweiz macht sich strafbar, wer eine andere als die offizielle Meinung vertritt!

Zur Widerlegung der Auffassung, dass die offizielle Darstellung automatisch die richtige und allein gültige sei, habe ich als Verteidiger des Angeschuldigten vor dem Bezirksgericht Winterthur eine grosse Sammlung von Ausschnitten aus renommierten Zeitungen eingereicht, in denen die Auffassung von Wissenschaftern wiedergegeben wird, die den Rinderwahnsinn als für den Menschen gefährlich betrachten. Diese Zeitungsmeldungen warnen nicht weniger, zum Teil sogar noch vorbehaltloser als das Flugblatt des VgT.

Anstatt aber den Angeschuldigten freizusprechen, erfand der Einzelrichter H Isler, Bezirksgericht Winterthur, ein anderes angeblich strafbares Verhalten: der Angeschuldigte habe ein Flugblatt über den Rinderwahnsinn verbreitet, in dem nicht darauf hingewiesen werde, dass es auch Wissenschafter gebe, welche den Rinderwahnsinn für den Menschen als unbedenklich halten.

Da dieses Urteil des Bezirksgerichtes einschneidende, wenn nicht sogar verheerende Wirkungen auf das gesamte Pressewesen hätte, hat das Zürcher Obergericht (Oberrichter Bornatico, Oberrichter Dr Mathys und Oberrichterin Dr Schaffitz) wieder einen anderen Vorhalt erfunden:

In der mündlichen Verhandlung argumentierte das Gericht, das Flugblatt hätte zB auf dem Bahnhofplatz verteilt werden dürfen, nicht aber vor einer Metzgerei. Es komme nicht auf die Anzahl verteilter Flugblätter an: auch nur ein einziges vor der Metzgerei verteilt, verletze das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb.

Nach dieser seltsamen Logik ist also der Inhalt des Flugblattes nicht ansich unzulässig. Die Kunden der Metzgerei dürfen überall, zB durch Verteilen in alle Briefkästen, erreicht werden, nur nicht in der Nähe der Metzgerei selbst.

Offenbar wurde sich das Gericht nach dem Schuldspruch, bei der Ausarbeitung der schriftlichen Urteilsbegründung, der Unhaltbarkeit dieser Begründung bewusst. Wie immer in solchen Fällen, wird nicht das Urteil revidiert, sondern die Begründung angepasst, und es hiess dann nur noch: "Wie ein Verteilen der Flugblätter an anderen Orten zu beurteilen wäre, kann offen bleiben. Vorgeworfen wird dem Angeklagten nur das Verteilen direkt vor der Metzgerei."

In willkürlicher, aktenwidriger Weise ging ferner das Obergericht davon aus, der Angeschuldigte habe die Flugblätter gezielt nur vor der Metzgerei verteilt. Aus den Akten geht jedoch hervor, dass der Angeschuldigte das inkriminierte Flugblatt in ganz Winterthur verteilt hatte, vornehmlich dort, wo Fleischkonsumenten verkehren, keinesfalls aber gezielt nur direkt vor der Metzgerei Gubler. Andere Aktivisten des VgT haben das Flugblatt auch in anderen Städten verteilt. Es war eine breitangelegte Aktion in der ganzen Deutschschweiz.

Die willkürliche Verurteilung wurde auch vom Zürcher Kassationsgericht gedeckt (Kassationsrichter von Castelberg, Rehberg, Gehrig, Donatsch, Schroeder).

In der Zwischenzeit, im Juni 1997, hatte die Europäische Kommission für Menschenrechte in einem ganz analogen Fall («Mikrowellen-Urteil») einen Entscheid des Bundesgerichtes als menschenrechtswidrige Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit beurteilt. Damit musste nun das Bundesgericht - wollte es eine erneute Verurteilung der Schweiz durch die Europäische Menschenrechtskommission vermeiden - die Beschwerde des VgT-Aktivisten gutheissen.

Wie dieser Rechtsstaat ganz verschieden funktioniert, je nachdem wer der Angschuldigter ist, zeigt sich auch daran, dass ein tätlicher Angriff eines Gubler Metzgers auf VgT-Präsident Erwin Kessler ungesühnt blieb: Am Samstag, den 23. März 1996 verteilte er an der Stadthausstr Winterthur auf öffentlichem Grund in der Nähe der Metzgerei Gubler Konsumenten- und Tierschutzinformationen (nicht das inkriminierte BSE-Flugblatt). Dabei wurde er von einem Unbekannten aus dem Hause Gubler tätlich angegriffen. Die herbeigerufene Stadtpolizei ergriff sofort Partei für die Metzgerei und verhinderte eine Identifikation des Täters. Die zwei Polizisten gingen allein in die Metzgerei hinein und verweigerten Erwin Kessler, zwecks Identifikation des Täters, mitzugehen. Nach kurzer Zeit kamen sie grinsend wieder heraus und sagten nichts. Die Bezirksanwaltschaft tat ein halbes Jahr lang nichts. Als sie schliesslich mit den Einvernahmen begann, stellte sich heraus, dass die Stadtpolizei nicht den Täter, sondern einen unbeteiligten Angestellten der Metzgerei Gubler rapportiert hatte. Der Täter konnte nach dieser langen Zeit nicht mehr ermittelt werden. Eine Verschleppungsbeschwerde wurde von der Zürcher Staatsanwaltschaft abgewiesen - die Bezirksanwaltschaft sei halt überlastet, deshalb hätten die Zeugeneinvernahmen nicht früher stattfinden können. Dem VgT wurden für die angeblich haltlose Verschleppungsbeschwerde Verfahrenskosten auferlegt!


Eine Krähe hakt einer anderen kein Auge aus:
Anwälte haben Sonderrechte

Für die Anfechtung des Obergerichtsurteils in obigem Fall betr. BSE-Flugblätter verrechnete das Anwaltsbüro Butz, Zürich, dem VgT ein Honorar von 17 787.65. Das Bundesgericht sprach eine Entschädigung von nur Fr 2 200.-. Trotz Gutheissung der Beschwerde wird damit der VgT mit rund 15 500 Fr bestraft.
Für die Beschwerde an das Bundesgericht erhielt das Anwaltsbüro Butz einen detaillierten Entwurf vom VgT-Präsidenten. Dieser Entwurf war nur noch kritisch durchzsehen und soweit nötig zu überarbeiten war. Anstatt sich an den Auftrag zu halten, führte das Anwaltsbüro ehrgeizige, aber nutzlose Studien durch und vergass Wichtiges, das im Entwurf enthalten war, in die Beschwerde zu übernehmen. Der VgT weigerten sich wegen Nichterfüllung des Auftrages, das überrissene Honorar zu bezahlen, worauf Butz auf Bezahlung des Honorars klagte. Das Zürcher Bezirksgericht (Vizepräsident E Hürzeler) gab ihm hundertprozentig Recht: Ein Anwalt müsse sich nicht an Vorgaben des Auftraggebers halten, und das Honorar sei nicht überrissen. Fazit: Das Obligationenrecht gilt für jedermann, nur nicht für Anwälte. Weshalb das so sein soll, wissen nur die Krähen, die einander kein Auge aushacken...

Das Bundesgericht hielt dann eine Entschädigung von 2 200 Fr für genügend, obwohl rund 18 000 Fr nach Meinung der Zürcher Justiz ein vernünftiger Anwaltsaufwand war (Bundesrichter Reeb, Weibel, Bianchi)


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