1.
August 2009
Frau
Bundesrätin Michelin Calmy-Rey
Bundeshaus
3003 Bern
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Sehr
geehrte Frau Bundesrätin,
der
bekannte und angesehene Freiburger Rechtsprofessor Dr Franz Riklin
berichtet in seinem Buch "Von der Aufklärung verschont" über
schlimme Missstände in der Freiburger Justiz und wie
Hauptverantwortliche dieses Justizskandals, die in Freiburg
untragbar geworden waren, als "Belohnung" in die Bundesanwaltschaft
aufgenommen wurden, und wie die damalige Bundesrätin Ruth Metzler
ein Schreiben von Prof Riklin, in dem er auf diese stossende
Situation aufmerksam machte, mit einem nichtssagenden Routinebrief
beantwortet wurde (Buch Riklin Seite 152; Antwortbrief im Anhang
Seite 198 faksimil wiedergegeben).
Der
Grund, weshalb ich mich an Sie wende, ist auch ein schwerwiegender
justizieller Missstand und ich bitte Sie, diese Sache nicht mit
einem nichtssagenden Routinebrief abzutun, wie das leider bei vielen
Bundesräten üblich ist, wie nicht nur Prof Riklin erfahren hat.
Es
ist bekannt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) hoffnungslos überlastet ist und deshalb nur noch ca 3 Prozent
aller Beschwerden beurteilen kann. Der EGMR-Richter Prof Mark E
Villiger sagte mir kürzlich an einer Juristentagung, die
Mitgliedstaaten wollten das so und würden deshalb die Infrastruktur
des EGMR bewusst so knapp halten, dass dies so bleibe.
Allein diese Tatsache ist dem europäischen Menschenrechtsgedanken
unwürdig und zeigt, dass eine Mehrheit der Staaten des Europarates
die Menschenrechte gering achten und lieber die Überprüfung von
Menschenrechtsverletzungen torpedieren, anstatt diese innerstaatlich
durchzusetzen und Menschenrechte im Rahmen ihrer eigenen Justiz
ernst zu nehmen.
Damit
aber nicht genug. Die Formalität, mit welcher der EGMR die
restlichen 97 Prozent der Beschwerden, auf die er nicht eintreten
kann, erledigt, ist zutiefst menschenverachtend und eines
Menschenrechtsgerichtshofes unwürdig. Der EGMR missbraucht dazu das
Vorprüfungsverfahren, das eigentlich dazu da ist, offensichtlich
unzulässige Beschwerden auszusieben. Der EGMR tut nun so, als seien
die 97 Prozent der Beschwerden, die er rein aus Kapazitätsgründen
nicht behandeln kann, in diesem Sinne unzulässig. Auf diese Weise
werden auch ganz offensichtlich zulässige und berechtigte
Beschwerden abgeschossen. Ein Beschwerdeführer, der sich
nervenaufreibend und mit grosser finanzieller Belastung durch die
nationalen Instanzen gekämpft hat mit der Hoffnung auf den EGMR,
wird mit einer dreizeiligen, sachlich nichtssagenden Mitteilung, es
bestehe "kein Anschein einer EMRK-Verletzung", abgeputzt. Prof
Riklin hat diese Praxis des EGMR in privater Korrespondez treffend
als "verlogen" bezeichnet und mich autorisiert, ihn so zu zitieren.
An
der gleichen Juristentagung, an der ich mit Prof Villiger gesprochen
habe, habe ich auch Prof Luzius Wildhaber, der bis letztes Jahr
Präsident des Gerichtshofes war, auf diese Praxis angesprochen und
gefragt, warum nicht einfach ehrlich gesagt werde, der Gerichtshof
könne aus Kapaziätsgründen auf die Beschwerden nicht eintreten, der
verlogene Missbrauch des Zulassungsverfahrens sei nach meiner
Auffassung menschenverachtend. Prof Wildhaber antwortete sinngemäss:
weil das Reglement keine andere Möglichkeit lasse, als die formelle
Nichtzulassung wegen Unzulässigkeit. Ich fragte zurück, ob er denn
dieses Reglement höher stelle als die Menschenrechte und die Achtung
vor justizgeschädigten Menschen. Darauf verlor Prof Wildhaber seine
Contenance, lief rot an und zischte, das müsse er sich von mir nicht
sagen lassen. Den Rest der Tagung war er ständig darum bemüht, mich
zu ignorieren und jeden Blickkontakt mit mir zu vermeiden, obwohl
ich ihm gar nicht mehr nachgelaufen bin.
Aber
es gab auch andere Begegnungen an dieser Juristentagung über die
"EMRK und die Schweiz" im Kursaal Bern. Ein junger Jurist kam
strahlend auf mich zu, es freue ihn, mich mal persönlich zu treffen,
er habe im Studium von den VgT-Fällen gehört, welche
Rechtsgeschichte schreiben. Der VgT hat vor dem EGMR schon dreimal
Recht erhalten und noch nie verloren. 33 Beschwerden wurden in der
beschriebenen Weise als unzulässig erklärt und 17 sind zur Zeit
hängig. Wer als kritischer Bürger die Machthabenden gegen sich hat,
hat in China, pardon: in der Schweiz vor dem Bundesgericht keine
Chance auf eine faire Behandlung.
Diese
Praxis des EGMR vergrössert nicht nur das Unrecht, sondern es werden
Menschen psychisch endgültig fertig gemacht. Die von der Schweizer
Justiz hinterlassenen Justizleichen - psychisch und finanziell
ruinierte Bürger - greifen dann zu unterschiedlichen Mittel. Einige
begehen Suizid; Prof Riklin beschreibt in seinem Buch einen solchen
Fall. Andere, noch wenige, laufen Amok, wie der bekannte Amokläufer
von Zug. Einige schreiben im Selbstverlag ein biografisches Buch,
das niemand liest, über das erfahrene Unrecht und schicken es
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens (mir zum Beispiel), die
ihnen auch nicht helfen können. Sie fühlen sich zu recht allein
gelassen und von einer Mauer des Schweigens zurückgestossen, führen
ein unauffälliges Leben als resignierte Bürger ohne jedes Vertrauen
in den Staat. Nur sehr selten kommt ein solches Schicksal ins
Rampenlicht der Öffentlichkeit, wie etwa der ergreifend verfilmte
Zürcher Fall des Polizisten Meier 19 (http://de.wikipedia.org/wiki/Meier_19).
Ich
bitte Sie, Frau Bundesrätin, sich im Europarat dafür einzusetzen,
dass der EGMR die nötigen Mittel erhält, um alle zulässigen und
begründeten Beschwerden zu beurteilen oder - sollte dies politisch
nicht durchsetzbar sein - den Missbrauch des Zulassungsverfahrens
aufgibt und abgewiesenen Beschwerdeführern wenigstens ehrlich
mitteilt, dass dies wegen Arbeitsüberlastung erfolgt und nicht wegen
angeblicher Haltlosigkeit der Beschwerde. Ein solcher Vorstoss im
Europarat würde wenigstens sichtbar machen, welche Mitgliedstaaten
bestrebt sind, die Durchsetzung der Menschenrechte zu blockieren.
(Gehört die Schweiz auch dazu?) Die Öffentlichkeit hat einen
Anspruch darauf, dies zu wissen.
Ich
danke Ihnen.
Mit freundlichen Grüssen
Dr Erwin Kessler, Präsident Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT