19. Februar 1999

Beschwerde des VgT an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Internet-Zensur

Sachverhalt

Einleitung/Vorbemerkungen

Der VgT, eine der grössten Tier- und Konsumentenschutzorganisationen der Schweiz, befasst sich auf seinen Internet-Seiten (www.vgt.ch) unter anderem auch mit dem Tabu-Thema "Schächten" (religiös motiviertes Schlachten von Nutztieren ohne Betäubung). Es handelt sich hierbei um eine durch Videofilme und Literatur als grauenhafte Tierquälerei ausgewiesene Tradition.

In den Internet-Seiten des VgT ist ein zur Zeit hängiges Strafverfahren gegen den Präsidenten des VgT wegen angeblich antisemitischen Äusserungen im Zusammenhang mit dem Schächten dokumentiert. In diesem Verfahren wurde er bezüglich 48 Äusserungen angeklagt, vor zweiter Instanz bezüglich 41 davon freigesprochen und bezüglich 7 verurteilt. Obwohl er die Verurteilung nicht akzeptiert und deshalb das Urteil angefochten hat - zur Zeit vor dem kantonalen Kassationsgericht hängig - hält er sich vorläufig an das Urteil. Das geht jedoch der von der jüdischen Bundesrätin Dreifuss eingesetzten und entsprechend einseitig zusammengesetzten Antirassismus-Kommission zu wenig weit: Der Präsident dieser Kommission hat öffentlich erklärt, jede Kritik am jüdischen Schächten sei antisemitisch. Offenbar beeinflusst von dieser Haltung sind staatliche Repressionen gegen den VgT im Gange, welche auf eine staatliche Internet-Zensur hinaus laufen. Als menschenrechtswidrig daran ist, dass gegen die angeblich unzulässigen Internet-Veröffentlichungen nicht mit einem ordentlichen Gerichtsverfahren, in dem sich der VgT rechtfertigen kann, vorgegangen wird, sondern mittels Repressionen der Staatsverwaltung und erst noch ohne anfechtbare Verfügungen, wie nun konkret dargelegt wird.

Der konkrete Sachverhalt

Anfangs Dezember 1998 wurden die Internet-Seiten des VgT vom Thurgauer Staatsanwalt Riquet Heller in der Boulevard-Zeitung "Sonntags-Blick" vorbehaltlos als rassistisch im Sinne der Antirassismus-Strafnorm (StGB Art 261bis) qualifiziert (veröffentlicht im Sonntags-Blick vom 6.12.98) - nicht als Verdacht, sondern als feststehendes Urteil, obwohl noch nicht einmal eine Strafuntersuchung eingeleitet war. Davon aufgeschreckt setzte sich der Internet-Provider des VgT - die Firma "echo communication AG" in Aarau - mit diesem Staatsanwalt telefonisch in Verbindung und wurde dahingehend informiert, er müsse mit einem Strafverfahren wegen Beihilfe rechnen, wenn er die Internet-Seiten des VgT nicht sofort lösche. Der Internet-Provider stand damit vor der Wahl, die Seiten "freiwillig" zu zensurieren oder ein Strafverfahren zu riskieren. Selbst bei ernsthaftem Bemühen und mit unzumutbar kostspieligen Rechtsgutachten wäre es dem Provider nicht möglich gewesen, die Rechtslage verbindlich abzuklären, weil der Wortlaut von StGB Art 261bis unbestimmt und die Anwendung ein Spielball momentaner politischer Stimmungen im Land ist, wie sich seit der Inkraftsetzung dieser neuen Strafnorm am 1.1.1995 immer wieder gezeigt hat. Die Beurteilung, was konkret tatbestandsmässig ist, geht unter Juristen weit auseinander. Weder der Wortlaut von Art 261bis, noch die Botschaft des Bundesrates dazu, noch die existierenden Kommentare von Niggli, Rom, Stratenwerth und Trechsel erlauben eine zuverlässige Beurteilung, wieweit die Meinungsäusserungsfreiheit konkret eingeschränkt ist. Im Gegenteil: was nach diesen Quellen nicht tatbestandsmässig ist, hat doch zu Verurteilungen geführt. Keine gegen Juden kritische Meinungsäusserung lässt sich heute mit Sicherheit als nicht tatbestandsrelevant beurteilen, weil Art 261bis offensichtlich politisch-unberechenbar gehandhabt wird.

Das bedeutet, dass ein Internet-Provider jede kritische Veröffentlichung zum Thema Schächten zensurieren muss, wenn diese von irgend jemandem als rassistisch beurteilt wird, obwohl die rechtlichen Beurteilungen von Bezirks- und Staatsanwälten und Gerichten weit auseinanderklaffen (wie der sogenannte "Schächtprozess" gegen den Präsidenten des VgT gezeigt hat und wie sich in vorliegender Angelegenheit erneut zeigt, wo die Auffassungen über die Tatbestandsmässigkeit der Internetseiten des VgT zwischen Staatsanwalt Heller und dem zuständigen Untersuchungsrichter des Bezirks Münchwilen, der zur Zeit auf Weisung der Staatsanwaltschaft die Eröffnung einer bereits einmal abgelehnten Strafuntersuchung nochmals prüfen muss - weit auseinanderklaffen.

Aufgrund dieser rechtlich unberechenbaren Situation und der Strafandrohung des Staatsanwaltes hat der Internet-Provider des VgT (die "echo communication AG" in Aarau) den Vertrag Hostin-Vertrag fristlos gekündigt, ohne die vertragliche Kündigungsfrist einzuhalten; am 15. Januar 1999 wurden nach nur 24-stündiger Vorankündigung die Internet-Seiten des BF gelöscht.

Eingeschüchtert wurde der Provider nicht nur durch die Äusserungen von Staatsanwalt Heller. Diese bewirkten für den Provider eine bedrohliche Situation insbesondere im Zusammenhang mit den Internet-Richtlinien des Bundesamtes für Polizeiwesen. Diese Richtlinien, die mit keinem nationalen Rechtsmittel anfechtbar sind, bilden den zentralen Punkt der vorliegenden Beschwerde und werden deshalb im folgenden vorgestellt:

Gemäss einem Bericht der "interdepartementalen Arbeitsgruppe zu strafrechtlichen, datenschutzrechtlichen und urheberrechtlichen Fragen rund um Internet, Bundesamt für Justiz, 30 Mai 1996", im Internet unter der Adresse www.admin.ch/bj/infrecht/internet/inbearbd.htm#III veröffentlicht, macht sich ein Provider der Beihilfe schuldig, sobald er konkret weiss, dass er strafbare Veröffentlichungen seiner Kunden verbreitet. Die einschlägige Stelle im Bericht lautet wie folgt:

b) Zur Strafbarkeit des Providers

Als Beteiligte an den hier diskutierten Straftatbeständen kommen nicht nur Personen in Betracht, welche einschlägige Darstellungen ins Internet einspeisen, sondern namentlich auch solche, welche als Gehilfen i.S. von Artikel 25 StGB bei der Verbreitung oder Zugänglichmachung mitwirken. In objektiver Hinsicht erfordert die Gehilfenschaft einen irgendwie gearteten kausalen Tatbeitrag, ohne den sich die Tat nicht oder anders zugetragen hätte. In subjektiver Hinsicht setzt Gehilfenschaft voraus, dass der Täter weiss oder damit rechnet, eine bestimmt geartete Straftat zu unterstützen, und dass er dies will oder in Kauf nimmt, wobei zum Vorsatz auch die Voraussicht des Geschehensablaufs gehört. Insoweit ist nicht erforderlich, dass der Gehilfe alle Einzelheiten der Tat kennt, es genügt, dass er ihre wesentlichen Merkmale erkennt. Demgegenüber kann ein ganz unbestimmter, allgemein gehaltener Vorsatz dahingehend, dass das eigene Verhalten einem Dritten überhaupt Hilfe zur Deliktsbegehung leiste, nicht ausreichen (vgl. BGE 117 IV 188 m.w.N.).

Das Bundesgericht hat im sog. 156er-Entscheid (BGE 121 IV 109 ff.) erkannt, dass sich der für die Einführung des sog. Telekiosks Verantwortliche der PTT der Gehilfenschaft zur Pornographie i.S. von Artikel 197 Ziffer 1 StGB schuldig macht, wenn er die für den Betrieb des Telekiosks notwendigen Einrichtungen zur Verfügung stellt, im Wissen darum, dass damit pornographische Tonaufnahmen verbreitet werden, die Personen unter 16 Jahren zugänglich sind. Von wesentlicher Bedeutung war dabei der Umstand, dass der Verantwortliche vorgängig von der Staatsanwaltschaft auf den illegalen Gebrauch des Telekiosks aufmerksam gemacht und auf das Risiko eigener Strafbarkeit im Falle der Fortführung hingewiesen worden war.

Diese Rechtsprechung kann - mutatis mutandis - auch auf die Anbieter von Internet-Zugängen (access-providers) und auf die Betreiber von anderen on-line Netzen übertragen werden (*6) : Die Bereitstellung der Infrastruktur durch den Provider bildet in gleicher Weise wie die Einrichtung des Telekiosks durch die PTT (vgl. BGE 121 IV 120) ein aktives Tun. Der Umstand, dass der Provider im Unterschied zu den PTT beim Betrieb des Telekiosks über keine Monopolstellung verfügt, ist hinsichtlich der für die Gehilfenschaft konstitutiven Leistung eines kausalen Tatbeitrags nicht von Belang: Ein angeschuldigter Provider könnte sich nicht mit dem Einwand exkulpieren, die inkriminierte Darstellung sei auch über andere Providers zugänglich gewesen.

Entscheidend für die Strafbarkeit wegen Gehilfenschaft ist auch im vorliegenden Zusammenhang die Frage, ob dem Provider eine eventualvorsätzliche Unterstützung der Zugänglichmachung/öffentlichen Verbreitung von bestimmt gearteten, tatbestandsmässigen Inhalten zur Last zu legen ist. Dazu reicht indessen, wie bereits erwähnt, ein Globalvorsatz nicht aus. Für den Provider bedeutet dies konkret, dass das allgemeine Wissen, dass sich in der immensen Datenmasse des Internet auch strafrechtlich relevante Inhalte befinden, auf welche er mit seiner Dienstleistung den Zugriff miteröffnet, noch keine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet.

Den Provider kann auch keine Rechtspflicht treffen, den gesamten Netzinhalt systematisch auf strafrechtlich relevante Inhalte hin zu untersuchen: Soweit der persönliche Individualverkehr zwischen Usern (z.B. via E-Mail) betroffen ist, steht dem schon das Fernmeldegeheimnis entgegen. Demgegenüber ist zwar bei öffentlich zugänglichen Daten eine Inhaltskontrolle durch den Provider durchaus zulässig. Da jedoch allein der Nachrichtenverkehr in den ca. 17'000 Diskussionsgruppen des Internet zu einer täglichen Zirkulation von Texten im Umfang von ein bis zwei Gigabyte führt, was mehreren Tausend Büchern entspricht, erweist sich eine systematische Kontrolle auch hier als schlicht unmöglich.

Auf der anderen Seite können spezifische Informationen über konkrete Netzinhalte, die der Provider aufgrund eigener Erkenntnis erwirbt oder die ihm von Dritten zugetragen werden einen Wissensstand begründen, der zur Bejahung des Gehilfenvorsatzes führt. Der Provider setzt sich diesfalls der Gefahr strafrechtlicher Verantwortlichkeit aus, wenn er nicht umgehend die technisch möglichen Schritte - bspw. Sperrung der entsprechenden Newsgroups - unternimmt, um die Weiterverbreitung der fraglichen Inhalte zu seinen Kunden zu unterbinden. Anlass zu solchem Vorgehen besteht bei Informationen von dritter Seite für den Provider nicht erst dann, wenn ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt (vgl. auch BGE 121 IV 123).

Vielmehr ist - entsprechend dem 156er-Urteil des Bundesgerichts - jedenfalls auch ein klarer Hinweis einer Strafverfolgungsbehörde auf konkrete Netzinhalte geeignet, einen relevanten Vorsatz des Providers zu begründen, bzw. diesen zur Ergreifung von Gegenmassnahmen zu veranlassen. Bei Informationen von privater Seite werden primär die Umstände des Einzelfalles ausschlaggebend sein. Jedenfalls genügt hier nicht jede vage, allgemein gehaltene Beanstandung eines Kunden, um auf Eventualvorsatz des Providers zu schliessen. Sind indessen die Hinweise detailliert und konkret, so muss der Provider zumindest eigene Nachforschungen, gegebenenfalls unter Beizug der Strafverfolgungsbehörde oder von fachlich qualifizierten Dritten, treffen, wenn er ein Strafbarkeitsrisiko ausschliessen will.

Bemerkung zum "Beizug der Strafverfolgungsbehörde" (oben, zweitletzte Linie):

Die für die Veröffentlichungen des VgT zuständige Thurgauer Staatsanwaltschaft hat sich auf schriftliche Anfrage hin geweigert Stellung zu nehmen, ob ein vom VgT zur Veröffentlichung im Internet vorgesehener Bericht über eine Rassismus-Gerichtsverhandlung rassendiskriminierend im Sinne des Gesetzes sei. Nachdem der Bericht im Internet veröffentlicht wurde, hat dann die gleiche Staatsanwaltschaft in dem erwähnten Interview mit der Boulevard-Zeitung diese Internet-Veröffentlichungen des VgT - gestützt lediglich auf eine anonyme Anzeige! - als rassendiskriminierend verurteilt. Der fragliche Bericht, den die Staatsanwaltschaft vorgängig nicht beurteilen wollte, war ebenfalls Gegenstand dieser Anzeige und damit der öffentlichen Vorverurteilung durch den Thurgauer Staatsanwalt Heller. Im gleichen Interview mit dem Sonntags-Blick und in nachfolgenden Radio-Interviews gab Staatsanwalt Heller ferner bekannt, er habe den zuständigen Untersuchungsrichter, der keine Rassendiskriminierung erkennen konnte und deshalb der anonymen Anzeige keine Folge gab, angewiesen, eine Strafuntersuchung an die Hand zu nehmen!

Dem VgT ist in dieser Situation der Zugang zum Internet in der Schweiz nur noch solange möglich, als sich ein Provider finden lässt, welcher das unkalkulierbare und deshalb unzumutbare strafrechtliche Risiko zu tragen bereit ist. Aber auch solange der VgT noch über einen Provider verfügt, haben die staatlichen Einschüchterungen weitere Einschränkungen der Meinungsäusserungsfreiheit zur Folge:

Am 4. Februar 1999 hat das Thurgauer Internet-Magazin "TGinfonet", beeinflusst durch diese Vorverurteilung durch die Thurgauer Staatsanwaltschaft, seinen Zugang zu den Internet-Seiten des VgT gesperrt.

Ein nationales Rechtsmittel gegen diese staatliche Einflussnahme steht nicht zur Verfügung.


Verletzung der EMRK:

Der Beschwerdeführer fühlt sich im Sinne von EMRK 34 beschwert dadurch, dass er zufolge staatlicher Einflussnahme seinen Internetprovider "echo communication AG" verloren hat, vom Internet-Magazin "TGinfonet" gesperrt wurde, weitere solche Zwangs-Zensur-Massnahmen erwartet werden müssen und dem VgT dadurch insgesamt der Zugang zum Internet und damit die freie Meinungsäusserung via Internet massiv erschwert wird.

Der VgT ist der Auffassung, dass die Meinungsäusserungsfreiheit (EMRK 10) verletzt ist, indem Private durch staatliche Einflussnahme faktisch gezwungen werden, Zensur-Massnahmen gegen den VgT zu treffen.

Indem diese staatliche Einflussnahme nur auf Tatverdacht hin, ohne rechtsgültige Verurteilung, stattfindet, wird die Unschuldsvermutung verletzt (EMRK 6.2).

Nach Auffassung des VgT müsste gegen verbotene Inhalte im Internet allenfalls mit von Gerichten erlassenen Massnahmen vorgegangen werden, nicht mittels Einschüchterungen und Repressionen durch die Verwaltung, die zudem ohne anfechtbare Verfügungen betrieben werden. Indem allgemeine Verwaltungs-Richtlinien im Zusammenwirken mit telefonischen Meinungsäusserungen eines Staatsanwaltes eine Wirkung entfalten, die vorsorglichen Massnahmen gleichkommt, jedoch mit keinem nationalen Rechtsmittel angefochten werden können, wird das Recht auf eine wirksame Beschwerde (EMRK 13) verletzt.

Indem weiter die Unbestimmtheit von StGB Art 261bis eine staatliche Zwangstabuisierung des Themas Schächten bewirkt, ist auch das Bestimmtheitsgebot verletzt. Nach Frowein/Peukert, 2. Aufl, Seite 329-332, müssen gesetzliche Einschränkungen der Grundrechte (hier: Meinungsäusserungsfreiheit) bestimmt genug sein, so dass sich der Bürger danach richten kann. Die Unbestimmtheit von StGB Art 261bis wird von nahmhaften Strafrechtlern kritisiert (Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch Kurzkommentar 2. Auflage): "Gerade auch unter dem grundrechtlichen Bestimmtheitsgebot (dazu EGMR, Urteil Sunday Times, Nr 38, EuGRZ 6 [1979] 387 § 49) vermag die unpräzise Fassung nicht zu befriedigen, ebenfalls krit. Hänni 66ff, Jositsch 245 f, Kunz aaO, Stratenwerth BT II § 39 N 23; anders Aubert 1081, ähnlich Niggli N 560."

Insgesamt ist es nach Auffassung des VgT mit den Garantien der EMKR unvereinbar, wenn bestimmte, die Gesellschaft stark interessierende Themen von der öffentlichen Diskussion pauschal ausgeschlossen werden zufolge der juristischen Unberechenbarkeit strafrechtlicher Normen, welche im Zusammenwirken mit Verwaltungsrichtlinien unter Umgehung der Gerichte und anfechtbarer Verfügungen vorsorglichen Massnahmen gleichkommen.

 

Der EGMR trat nicht auf die Beschwerde ein, sondern erklärte diese ohne Begründung für unzulässig - entsprechend der üblichen illegalen Zulassungspraxis des EGMR.


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