Robin Hood
Achte Folge: Was bisher geschah: Die Geächteten, Robin und seine Männer, nehmen verkleidet an
einem festlichen Wettschiessen teil. Robin schiesst am besten. Als er den Preis
übernimmt, wird er erkannt. Eine wilde Verfolgungsjagd setzt ein. Robin und
seine Männer finden Zuflucht auf der Burg von Sir Richard. "Dich nicht erkennen?" rief sie aus. "Du bist gewachsen, seit ich dich zuletzt sah, mein kleiner Sohn. Aber ich erkannte dich. Ja, und auch Diccon erkannte dich. Er sah dich heute morgen bei den Schiessständen, kam zurück und erzählte uns, dass du dort seiest." "Ja." Sir Richard wandte sich an Robin, der bei seinem verwundeten Kameraden kniete. "Er erzählte uns, dass Alan mit einer Gruppe von Bogenschützen dort sei, und das übrige habe ich erraten. So stellte ich eine Wache auf und liess die Zugbrücke bemannen, für den Fall, dass ihr, jung und töricht, in Schwierigkeiten geraten würdet und eine Zuflucht brauchtet." "Und dass ihr das tatet, war unsere Rettung", sagte Robin, der Little Johns Wunde untersuchte. Er blickte auf: "Denn jung und töricht sind wir in Schwierigkeiten geraten, wie Ihr seht." Die Zugbrücke war eingerastet und wieder gesichert worden; und in der Stille hörte man deutlich das wütende Geschrei der Verfolger, die um ihre Beute gebracht waren. Doch keiner achtete auf sie. Diggery sass auf einer Bank bei der Tür der Wachstube, ein grauhaariger Krieger beugte sich über ihn und untersuchte die Wunde in seinem Arm; der kleine verhutzelte Bogenschütze vom Vormittag war zu Alan getreten, schüttelte ihm die Hand, lachte über sein ganzes verwittertes Gesicht und rief immer wieder: "Ach, Master Alan, bin ich aber froh, Euch wieder zu Hause zu sehen." Little John hatte man in die grosse Halle getragen und auf eine niedrige Bank vor dem Feuer gelegt. Allmählich kam er wieder zu sich, bewegte sich und versuchte sich aufzurichten; aber Robin beugte sich über ihn, drückte ihn sanft wieder auf die Bank nieder und sagte: "Bleib still liegen, alter Junge." Sir Richard, der am Fussende der Bank stand, fragte: "Wollt Ihr den Pfeil herausschneiden, oder soll ich es tun?" "Ich will es tun", antwortete Robin, "wenn Eure Lady mir warmes Wasser und frisches Leinen bringt." Lady Elisabeth, Sir Richards Gemahlin, war ihnen in die Halle gefolgt und stand nun neben ihm. "Ich werde euch alles bringen", sagte sie, wandte sich um und verschwand in den Schatten der Halle, während Robin sein Messer herauszog und das blutgetränkte Tuch von Little Johns Beinkleid rund um den im Knie steckenden Pfeilschaft wegschnitt. Gleich darauf kehrte die Burgherrin zurück, trug eine Schale und einen Krug in den Händen und über dem Arm saubere weisse Leinenstreifen zum Verbinden. Dann machte Robin sich an die Arbeit. Little John lag steif und unbeweglich, Sir Richard hielt sein Knie fest und beobachtete, mit welch sicheren Bewegungen seiner Hände Robin die quälenden Widerhaken herausschnitt. Noch war die Operation nicht beendet, als Jung Alan, der mit den übrigen Geächteten in der Wachstube geblieben war, hereinkam und zu seinem Vater trat. "Der Sheriff ist gekommen, Sir", sagte er, "jenseits des Burggrabens steht er und stampft und brüllt vor Wut. Er verlangt, dass Ihr die Geächteten ausliefert, denen Ihr widerrechtlich Schutz gewährt." "Sagt er das?" erwiderte Sir Richard. "Dann werde ich besser hinaus auf die Brustwehr gehen und mit dem Kerl reden, ehe er sich in einen Schlaganfall hineinbrüllt. Komm, Alan, nimm meinen Platz ein. Halt das Knie fest, - so." Alan kam um die Bank herum, tat ihm wie geheissen, und Sir Richard verliess die Halle. Jenseits des Burggrabens stand der Sheriff, schüttelte seine beiden Fäuste und verlangte mit lauter Stimme, dass Sir Richard herauskommen solle. Guy von Gisborne stand neben ihm, ebenso schweigsam wie der Sheriff lautstark. Da erschienen Kopf und Schultern von Sir Richard über der Mauer der Brustwehr, dicht neben der Wachstube, und der Sheriff verdoppelte die Lautstärke seines Gebrülls. "Verräter! Schurke!" bellte er. "Ihr habt ein Dutzend oder mehr übelster Räuber in Euren Mauern - alles Banditen und Mörder! Ich befehle Euch, sie mir innerhalb einer Stunde auszuliefern, wenn Ihr nicht auch gehenkt werden wollt!" "Ich bin kein Verräter, sondern ein dem König treu ergebener Ritter, wie ihr wohl wisst!" rief Sir Richard zurück. "Und krank vor Kummer würde der König werden, wenn er wüsste, wie ungerecht sein Bruder während seiner Abwesenheit regiert. Ich werde keinen einzigen der Männer ausliefern, die jetzt in meinen Mauern Schutz suchen." Während der Sheriff über diese Antwort noch vor Zorn geiferte, warf Guy von Gisborne glattzüngig ein: "Vielleicht ist Euch nicht bekannt, dass der Anführer dieser Männer der berüchtigte Robin Hood ist?" "Das ist mir wohlbekannt", erwiderte Sir Richard, "habt Ihr sonst noch etwas zu sagen?" "Nur, dass der Tag kommen könnte, an dem Ihr Eure Weigerung bitter bereuen werdet!" Der Sheriff begann von neuem: "Wenn Ihr diese Männer nicht ausliefert, werde ich die Burg belagern lassen und sie mit Gewalt herausholen!" Sir Richard lehnte sich weiter über die Mauerbrüstung, schüttelte den Kopf und lächelte liebenswürdig: "Es ist gegen das Gesetz, dass einer wie Ihr einen Ritter in seiner Burg belagern lässt, und das wisst Ihr wohl!" sagte er. "Fordert bei dem Bruder des Königs die königliche Vollmacht an, wenn Ihr wollt; und inzwischen wünsche ich Euch einen guten Abend!" Er trat zurück und wurde durch die Mauer sogleich ihren Blicken entzogen. Auf der anderen Seite des Burggrabens starrten der Sheriff und seine Leute verblüfft einander an, während Guy von Gisborne sich auf die Unterlippe biss und den Burgmauern finstere Blicke zuwarf. Sie wussten, dass Sir Richards Worte der Wahrheit entsprachen. Es war gegen das Gesetz, wenn jemand ohne die Königliche Vollmacht einen Ritter in seiner Burg belagerte, und sie wagten nicht, sich den Zorn von Johann, dem Bruder des Königs, zuzuziehen, der das Land mit eiserner Faust regierte, während Richard Löwenherz sich auf dem Kreuzzug befand. Sie konnten um die Königliche Vollmacht einkommen, sicher, doch lange ehe sie gewährt werden konnte, würden die Geächteten sich wieder in der Sicherheit ihrer Wälder befinden. Mit einem hässlichen Lachen zuckte Guy von Gisborne die Schulter, legte die Hand auf des Sheriffs Arm und zog ihn mit sich fort. Als sie sich entfernten, gefolgt von den Kriegern und Waldhütern, die enttäuscht hinter ihnen hertrotteten, steckten der Sheriff und Guy von Gisborne die Köpfe zusammen, und es sah aus, als ob sie bereits ein gar böses Komplott schmiedeten. In der grossen Halle der Burg wurde an jenem Abend ein fröhliches Fest gefeiert. In ihren eisernen Haltern flackerten Fackeln an den Wänden, im offenen Kamin brannten knisternde Kiefernkloben, und die rot und gelb züngelnden Flammen loderten bis in das Halbdunkel unter den Dachbalken empor. An langen Tischen sassen die Geächteten zwischen Sir Richards Reisigen, speisten fürstlich und tranken viel nuss-braunes Bier, das in den ledernen Schankkrügen reichlich bereit stand. An der erhöhten Tafel am anderen Ende der Halle sass Robin zwischen Sir Richard und seiner Lady, bei ihnen sassen Alan A'Dale und Sir Richards Schildknappe, ein angenehmer, dunkeläugiger Bursche mit Namen Simon D'Aubernoun. Auch Little John sass an der erhöhten Tafel, da er Robins "Schildknappe" war; er sass seitlich auf der Bank und hatte das verletzte Bein vor sich ausgestreckt. Der Blutverlust hatte ihn geschwächt, so dass sein sonst so braunes Gesicht im Lichte der Fackeln sehr weiss aussah, und obwohl er fröhlich umherblickte und über die Scherze des jungen Knappen lachte, rührte er sein Essen kaum an, weil er sich von den Schmerzen krank und elend fühlte. Robin machte einen ebenso vergnügten Eindruck wie alle anderen in Sir Richards Halle an jenem Abend, doch in seinem Herzen fühlte er sich bedrückt und besorgt; als er sah, dass Lady Elisabeth in ein Gespräch mit ihrem Sohn vertieft war und ihn wohl nicht hören würde, sagte er zu Sir Richard: "Ich wünschte, dass ich und meine Leute heute nacht nicht unter Eurem Dache wären, denn ich fürchte sehr, dass der Schutz, den Ihr uns gewährt, schlimme Folgen für Euch haben wird." "Wenn das der Fall sein sollte", sagte Sir Richard ernst, "ist nichts daran zu ändern. Wer hätte ein grösseres Anrecht darauf, Euch Schutz und Hilfe zu gewähren als ich, der ich Euer Freund bin?" "Das ist wahr. Aber ich will meinen Freund nicht ins Verderben stürzen. Und wenn Little John nicht den Pfeil in sein Knie bekommen hätte, würde ich mein Rudel Wölfe gewiss nicht vor Euer Tor, sondern in den Wald geführt haben, der eine passendere Zufluchtsstätte für unsereins ist." "Mit dem jungen Riesen auf Euren Schultern hättet Ihr den Wald niemals erreichen können", meinte Sir Richard und schaute zu Little John hinüber, der vor seinem unberührten Teller sass. "Ihr tatet das einzig Mögliche. Und wenn Unheil daraus entstehen sollte, werde ich es um Euretwillen gerne ertragen, Freund Robin. Und sollte das Schlimmste eintreten, so kann ich ja Alans Beispiel folgen und zu Euch in den Greenwood kommen." "Und Lady Elisabeth, Eure Gemahlin?" fragte Robin. Sir Richard lächelte. "Ihr habt ja schon zwei Ladies in Eurer Bruderschaft. Wäre da kein Platz für eine dritte?" "Mit Freuden!" antwortete Robin. "Aber auf jeden Fall will ich mit meinen Jungens Eure gastliche Burg morgen verlassen, denn je länger wir hier bleiben, desto grösser wird die Gefahr für Euch." Und bei diesem Entschluss blieb er, trotz allem, was der gute Sir Richard und
seine Lady sagen mochten, um ihn umzustimmen.
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