20. Mai 2004
Schächtprozess Nr 2 gegen
VgT-Präsident Dr Erwin Kessler:
Die Verteidiger beanstanden schwere Verfahrensfehler des
Bezirksgerichtes Bülach
Nachdem das Obergericht des Kantons Zürich im
sogenannten
Schächtprozess Nr 2 ein erstes Urteil des Bezirksgerichtes Bülach
wegen schweren Verfahrensmängeln aufhob und das Verfahren zur
Wiederholung an das Bezirksgericht Bülach
zurückwies, hat dieses im zweiten
Anlauf erneut ein mit schweren Menschenrechtsverletzungen behaftetes
Verfahren durchgeführt. Die Verteidiger von Erwin Kessler haben nun am
13. Mai eine zweite Rückweisung beantragt:
Sehr geehrte Frau Präsidentin, Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren Oberrichter
In Sachen
Dr. Erwin Kessler
Angeklagter und Appellant
verteidigt durch ...
gegen
Bezirksanwaltschaft I für den Kanton Zürich u.w., 8039
Zürich
Anklägerin und Appellatin
betreffend
Rassendiskriminierung etc
haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss
und das Urteil des Bezirksgerichts Bülach vom 3. September 2003 innert
Frist Berufung erklärt; die Verfahrensakten sind gemäss Verfügung der
Vorinstanz vom 16. Januar 2004 dem Obergericht bereits zugestellt
worden.
Namens des Angeklagten stelle ich hiermit folgende
Anträge:
- Es sei das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen.
- Eventualiter sei die Berufungsverhandlung bis zum Eingang
des Urteils des EGMR im Verfahren des Angeklagten gegen die
Schweiz betreffend das Urteil des Bundesgerichts vom 10. März
1998 (EGMR-Akten Nr. 65614/01) zu sistieren.
- Subeventuell sei im Fall Wettstein durch das Obergericht
- der Zeuge B... einzuvernehmen
- der Verteidigung Gelegenheit zu geben, dem Geschädigten
Ergänzungsfragen zu stellen
- eine Tatortbesichtigung ... durchzuführen;
unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der
Vorinstanz.
Begründung
1. Rückweisungsantrag
Mit Beschluss vom 20. August 2002 hob die II. Strafkammer des
Obergerichts des Kantons Zürich das damalige Urteil der Vorinstanz auf
und wies das Verfahren i.S. von § 427 StPO zur Wiederholung der
Hauptverhandlung und zu neuer Entscheidung zurück. Das Obergericht hatte
festgestellt, dass die Vorinstanz dem Angeklagten einen anwaltlichen
Beistand in Form eines amtlichen Verteidigers hätte zur Seite stellen
müssen, und der Angeklagte, da dies nicht geschehen sei, im
vorinstanzlichen Verfahren nicht gehörig verteidigt gewesen war (DG
020100).
Auch im zweiten Durchgang erfolgten schwerwiegende Verfahrensfehler,
Fehler, die bewirkten, dass nicht mehr von einem ordnungsgemässen, die
zentralen Verteidigungsrechte des Angeklagten wahrenden, Verfahren
gesprochen werden kann, weil die Mängel des vorinstanzlichen Verfahrens
dergestalt sind, dass sie von der Berufungsinstanz nicht mehr geheilt
werden können und der Angeklagte damit praktisch um eine Instanz
gebracht würde (vgl. Donat/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des
Kantons Zürich, N8 ff. zu § 427 StPO).
Aus prozessökonomischen Gründen, insbesondere um dem Obergericht und
dem Angeklagten den Aufwand zweier Berufungsverhandlungen zu ersparen,
stellt der Angeklagte den vorliegenden Rückweisungsantrag bereits jetzt
und nicht anlässlich der Berufungsverhandlung vom 31. August 2004.
1.1. Übersicht und rechtliche Grundlagen
Wie noch im Einzelnen dargelegt werden wird, war der Angeklagte in
allen Anklagepunkten, in denen er verurteilt wurde, materiell nicht
verteidigt, obwohl ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Es kann
deshalb nicht von einer ordnungsgemässen Hauptverhandlung gesprochen
werden.
Dies ist um so befremdender, als dass erstinstanzliche Verfahren ja
bereits wegen ungenügender Verteidigung des Angeklagten wiederholt
werden musste. Auch bei der Wiederholung des Verfahrens fehlte eine
materielle Verteidigung und stützte die Vorinstanz ihr Urteil - mit
Ausnahme einer kurzen Befragung des Angeklagten - vollständig auf die
Akten des ersten Verfahrens, insbesondere auf die damals in Abwesenheit
der Verteidigung und des Angeklagten durchgeführten Einvernahmen des
Geschädigten Wettstein. Die mehrfach beantragte Zeugeneinvernahme des
Geschädigten Wettstein wurde nicht wiederholt und die ebenfalls mehrfach
beantragte Einvernahme des Augenzeugen B... wurde wiederum ohne jede
Begründung nicht durchgeführt. Über die Beweisanträge der Verteidigung
fasste die Vorinstanz stillschweigend und ohne jede Begründung keinen
Beschluss - nicht einmal zusammen mit dem Urteil. Damit verletzte die
Vorinstanz in krasser Weise die Verteidigungsrechte des Angeklagten und
damit sein rechtliches Gehör.
Auch bezüglich der Anklage wegen Rassendiskriminierung fand keine
materielle Verteidigung statt. Die Vorinstanz stützte ihr zweites Urteil
in Nichtbeachtung des Rückweisungsentscheides ausschliesslich auf die
Akten des ersten Verfahrens.
Damit blieb der Angeklagte gerade in den beiden Hauptanklagepunkten
ohne jede materielle Verteidigung. Dies ist um so gravierender, als
schon im gesamten Untersuchungsverfahren keine Mitwirkung der
Verteidigung stattgefunden hatte.
Die Garantien der EMRK, insbesondere Art. 6, werden verletzt, wenn
die Verteidigung erst im Rechtsmittelverfahren zum Zuge kommt und dies
in einem Prozess, in dem eine unbedingte Gefängnisstrafe droht.
Gemäss Praxis des EGMR zu Art. 6 EMRK haben "die Behörden dafür zu
sorgen, dass die Offizialverteidigung während des gesamten
Strafverfahrens wirksam durchgeführt wird. Stellen sie Mängel in
der Verteidigung fest, obliegt es ihnen, den betreffenden Verteidiger
auf seine Pflichten hinzuweisen, allenfalls auch einen neuen Verteidiger
zu bestellen" (Villiger, Handbuch der EMRK, 2. Aufl., Rz 521).
Art. 6 ERMR garantiert jedem Angeklagten ausdrücklich das Recht auf
eine wirksame Verteidigung (Villiger, a.a.o., Rz 524).
In Fällen der unzureichenden Verteidigung und der Verweigerung des
rechtlichen Gehörs hat zur Wahrung des durch die Bundesverfassung und
die EGMR-Praxis garantierten Anspruchs auf Beurteilung des Falles durch
zwei Instanzen eine Rückweisung an die Vorinstanz zu erfolgen (Schmid,
Strafprozessrecht, 4. Aufl., Rz 1044; Donatsch/Schmid, Kommentar zur
StPO des Kantons Zürich, § 427, Rz 8, 11 und 12).
Im Einzelnen:
1.2. Keine Verteidigung betreffend Körperverletzung und keine
Einvernahme des Zeugen B...
1.2.1.
Anlässlich der Verhandlung vom 28. Mai 2003 erklärte der erbetene
Verteidiger, dass er zu diesem Anklagepunkt vorläufig nicht plädieren
könne, da die Untersuchung nicht abgeschlossen und insbesondere der
mehrfach beantragte wichtige Augenzeuge B... noch nicht einvernommen
worden sei.
Mit Schreiben vom 18. August 2003 teilte der erbetene Verteidiger der
Vorinstanz mit, dass er an der Fortsetzung der Verhandlung vom 3.
September 2003 nicht teilnehmen werde, da der Zeuge B... nicht
vorgeladen worden sei und er - wie schon am 28. Mai 2003 dargelegt -
solange nicht zur Anklage betreffend Körperverletzung plädieren könne.
Die amtliche Verteidigerin wies anlässlich der Fortsetzung der
Verhandlung vom 3. September 2003 ebenfalls darauf hin, dass der Zeuge
B... noch einzuvernehmen sei, beantragte dies formell und begründete
dies auch.
Hierauf schloss der Vorsitzende überraschend die Verhandlung, und das
Gericht schritt zur Urteilsberatung. Über die Beweisanträge wurde nicht
Beschluss gefasst, und ohne angekündigt zu haben, dass die von der
Verteidigung beantragte und erwartete Beweisaufnahme nicht stattfinde
und deshalb ohne Beweisabnahme materiell zu plädieren sei, schloss die
Vorinstanz die Verhandlung und erliess das Urteil.
Das Gericht hat somit nicht über den erwähnten Antrag entschieden,
welcher Entscheid bis heute nicht erfolgt ist.
Mit Anträgen wird im Sinne von Erwirkungshandlungen die Durchführung
behördlicher Prozesshandlungen verlangt. Der Grundsatz des rechtlichen
Gehörs verlangt, dass die angesprochene Behörde den Antrag prüft und -
soweit er zulässig ist - einen materiellen Entscheid darüber trifft und
dem Antragsteller mitteilt (Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, Rz
544).
Indem die Vorinstanz nicht über den erwähnten Antrag entschied, hat
sie den Grundsatz des rechtlichen Gehörs zum Nachteil des
Angeklagten verletzt.
1.2.2.
Wäre das Gericht der Ansicht gewesen, über die Beweisanträge nicht
entscheiden zu müssen, hätte es zumindest
die Verteidigung darauf aufmerksam
machen müssen, dass sie trotzdem zur Sache plädieren müsse. Dies hat das
Gericht nicht getan und die Verteidigung im Glauben gelassen, dass über
die beantragte Beweisabnahme vor dem Erlass des Urteils entschieden
würde.
Mit diesem Verhalten hat die Vorinstanz in einer gegen den Grundsatz
von Treu und Glauben (BV 5.3) verstossenden Weise eine materielle
Verteidigung verhindert, obwohl es vom Obergericht angewiesen
worden, die erstinstanzliche Hauptverhandlung mit einer ausreichenden
Verteidigung zu wiederholen.
1.2.3.
Von einer Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens i.S.
des Beschlusses des Obergerichts vom 20. August 2002 kann aufgrund
obiger Ausführungen nicht die Rede sein, da keine materielle
Verteidigung zugelassen wurde und das Gericht sich statt dessen einfach
auf das Ergebnis der ersten Hauptverhandlung stützte.
1.2.4.
Gemäss der Praxis des EGMR genügt es nicht, den materiellen Garantien
der EMRK bloss formell, dem Anschein nach, Rechnung zu tragen. Den
Verteidigungsrechten gemäss Art. 6 EMRK ist durch die blosse Anwesenheit
von Verteidigern noch nicht Genüge getan. Der Staat hat - insbesondere
im Fall einer als notwendig erkannten Verteidigung - dafür zu sorgen,
dass ein Angeklagter effektiv verteidigt wird.
Indem sich die Vorinstanz während der Verhandlung nicht zur
beantragten Zeugeneinvernahme äusserte und die Verteidigung dadurch im
Glauben liess, es werde entweder eine Beweisverhandlung mit den
beantragten Zeugeneinvernahmen sowie eine Tatortbesichtigung erfolgen
oder aber, es werde dieser Antrag abgelehnt, womit die Verteidigung sich
auf diese Situation hätte einstellen können, verhinderte die
Vorinstanz eine gehörige Verteidigung i.S. des
Rückweisungsbeschlusses sowie i.S. von Art. 6 EMRK.
1.2.5.
Um die dargelegten Unterlassung zu rechtfertigen, stellt sich die
Vorinstanz auf den Standpunkt, der Angeklagte habe den Sachverhalt
zugegeben (Erw. S. 90 ff., insbesondere S. 93), was aktenwidrig ist. Im
Plädoyer zur Hauptverhandlung vom 7. November 2001 (d.h. der ersten
Hauptverhandlung) hatte der Angeklagte den Sachverhalt ausführlich
geschildert und seine Notwehr-Situation dargelegt. Darauf ging die
Vorinstanz willkürlich und unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des
Angeklagten nicht ein. Statt dessen behauptet sie aktenwidrig - wie ein
Vergleich der Zeugeneinvernahme des Geschädigten mit dem Plädoyer des
Angeklagten sofort ergibt - die Sachverhaltsschilderungen würden im
Wesentlichen übereinstimmen. Stillschweigend - und ohne den einzigen
Augenzeugen einvernommen zu haben - unterschlägt die Vorinstanz die
Schilderung der Notwehrsituation durch den Angeklagten und stützt sich
einseitig auf die Darstellung des Geschädigten; dies wiederum ohne jede
Begründung. Dadurch hat die Vorinstanz wiederum das rechtliche Gehör
des Angeklagten verletzt.
Die Vorinstanz beurteilt die Darstellung des Angeklagten im erwähnten
Plädoyer als "nicht gesichert" (Erw. S. 93). Diese bleibe deshalb zum
Vorteil des Angeklagten unbeachtet, was sich angeblich zum Vorteil des
Angeklagten auswirken würde. Die Vorinstanz begründet dies damit, der
Angeklagte habe anlässlich der Befragung erklärt, Wettstein sei nicht
tätlich geworden. Dies ist indessen kein Widerspruch, da der
Sprayeinsatz ja zur Abwehr versuchter Tätlichkeiten oder sogar
Körperverletzungen diente. Wenn ein Täter durch eine Notwehrhandlung an
der Ausführung der geplanten Tat verhindert werden kann, heisst dies
nicht, dass er diese Tat gar nicht geplant habe. So zog sich nach einem
ersten kurzen Warneinsatz des Sprays, damit der Geschädigte den Weg
endlich freigebe, der Geschädigte nicht etwa zurück, sondern ging gegen
den Angeklagten vor und versuchte diesen zu packen. Der Angeklagte
konnte dies nur dadurch verhindern, dass er zurückweichend den Spray
erneut einsetzte.
1.2.6.
Dieser scheinbare Widerspruch wäre leicht zu klären gewesen, wenn der
Angeklagte bei der Befragung darauf angesprochen worden wäre oder aber
durch die mehrfach beantragte Einvernahme des Augenzeugen B.... Die
Vorinstanz hat beides pflichtwidrig unterlassen, obwohl sie zu beidem
verpflichtet gewesen wäre. Bei unklaren bzw. mehrdeutigen Äusserungen
des Angeklagten besteht eine richterliche Fragepflicht, die sich aus der
richterlichen Fürsorgepflicht ergibt (Schmid, Strafprozessrecht, 4.
Auflage Rz 245 und Fussnote 291 dazu). Anderseits wäre das Gericht
aufgrund des durch EMRK 6 garantierten Rechts auf den Beweis
verpflichtet gewesen, den Augenzeugen B... durch die Bezirksanwaltschaft
(im Rahmen einer Rückweisung) einvernehmen zu lassen oder selber
einzuvernehmen; dadurch wäre der scheinbare Widerspruch vermutlich auch
geklärt worden. Insgesamt hat die Vorinstanz aufgrund falscher Annahmen,
die ein ordnungsgemässes Verfahren vermieden hätte, geurteilt, und ihre
richterliche Fragepflicht verletzt.
1.2.7.
In seinem schriftlichen Plädoyer vom 7. November 2001 schilderte der
Angeklagte die Situation sorgfältig und in allen Details, währenddem die
Befragung anlässlich der zweiten Hauptverhandlung vom 3. September 2003
- vier Jahre nach dem Vorfall - sich kurz auf ein paar pauschale Fragen
beschränkte. Das Resultat dieser Befragung benutzte die Vorinstanz als
Vorwand, um den Zeugen B... nicht einzuvernehmen mit der Begründung, es
werde statt dessen zugunsten des Angeklagten angenommen, er habe nur
einmal kurz vom Spray Gebrauch gemacht und nicht mehrmals, um den
Geschädigten abzuwehren. Doch diese Frage stellte sich nicht. Thema war
die Frage einer Notwehrsituation und damit der Berechtigung des
Angeklagten, den Spray in Notwehr einzusetzen.
Das Gericht hätte den scheinbaren Widerspruch zwischen dem
schriftlichen Plädoyer des Angeklagten und seiner kurzen Befragung
(Jahre später!) nicht ohne einen Versuch zur Klärung dazu missbrauchen
dürfen, den Sachverhalt stillschweigend anders zu deuten als vom
Angeklagten in seinem schriftlichen Plädoyer ausführlich geschildert.
Dieses Vorgehen gehört zu den durch die Menschenrechtsgarantie auf
ein faires Verfahren verpönten Praktiken (Schmid, Strafprozessrecht,
4. Auflage, Rz 242a).
1.2.8.
Im weiteren hält die Vorinstanz an der Behauptung einer angeblich
schweren Augenentzündung fest, ohne dass sich eine solche dem ärztlichen
Zeugnis oder anderen Unterlagen entnehmen liesse; zum Widerspruch mit
dem angenommenen einmaligen kurzen Spray-Einsatz (Ziff. 1.2.8.) äussert
sich die Vorinstanz nicht. Die Urteilsbegründung ist somit
widersprüchlich.
Die Vorinstanz hat nicht nur den Hauptzeugen Peter B... nicht
einvernommen, sondern der Verteidigung auch keine Möglichkeit gegeben,
dem als Zeugen einvernommenen Geschädigten Wettstein
Ergänzungsfragen zu stellen. Damit hätte dieser Widerspruch allenfalls
geklärt werden können (vgl. unten Ziff. 1.3.).
1.2.9.
Anstelle der Einvernahme des Augenzeugen B... sowie von möglichen
Ergänzungsfragen an den Zeugen Wettstein begnügte sich die Vorinstanz
mit einer widersprüchlichen Beweiswürdigung und glaubt aus
unerfindlichen Gründen der Darstellung des Geschädigten, es habe bloss
ein verbaler Disput stattgefunden, nicht jedoch die vom Geschädigten
geschilderte Nötigung durch Versperren des Weges. Aus unerfindlichen
Gründen und unter Missachtung des rechtlichen Gehörs und des
Rechts auf Beweis hat die Vorinstanz die vom Angeklagten
glaubwürdig geltend gemachte Blockade seines Fahrzeuges durch den
Geschädigten beim Eindunkeln im unwegsamen Waldgelände kurzerhand
unterschlagen.
Die dargelegt willkürliche Beweiswürdigung kann niemals die
Einvernahme eines Kronzeugen überflüssig machen. Die Vorinstanz ist sich
dessen offensichtlich bewusst und hat wohl deshalb schon gar nicht erst
zu begründen versucht, weshalb sie den wiederholten Beweisantrag, den
Zeugen B... einzuvernehmen, ignoriert hat.
Damit aber verletzt das vorinstanzliche Urteil auch die
Begründungspflicht in einem zentralen Punkt. Über die beantragte
Zeugeneinvernahme ist bis heute nicht entschieden worden, was eine klare
Rechtsverweigerung darstellt. Die Vorinstanz hat geurteilt, ohne über
die wichtigen Beweisanträge der Verteidigung zu entscheiden und sogar
ohne dies zu begründen. Die aus menschenrechtlicher Sicht grundsätzlich
problematische antizipierte Beweiswürdigung in einem Strafverfahren, in
welchem 12 Monate Gefängnis unbedingt beantragt sind, bedürfte zumindest
einer sehr sorgfältigen Begründung.
Auf S. 109 der Erwägungen behauptet die Vorinstanz - ohne den
Augenzeugen B... angehört zu haben - der Angeklagte sei bloss wegen
eines Disputes über artgerechte Tierhaltung mit dem Spray gegen den
wehrlosen Geschädigten vorgegangen. Diese Darstellung ist in jeder
Hinsicht tatsachenwidrig und willkürlich. Erstens ging es nicht um
artgerechte Tierhaltung, sondern um eine massive Provokation durch den
Geschädigten, der dem Angeklagten einzig zu diesem Zweck in den Wald
nachgefahren war! Weil sich der Angeklagte auf diese Provokation nicht
einlassen und statt dessen wegfahren wollte, versperrte der Geschädigte
dem Angeklagten mit seinem Auto den Weg und gab ihm grinsend zu
erkennen, dass er den Angeklagten solange in die Nacht hinein im Wald
festhalten werde, wie es dem Geschädigten beliebe. Nach der vergeblichen
Warnung, den Weg freizugeben, setzte der Angeklagte, immer noch i.S.
einer Warnung, den Pfefferspray einmal kurz ein. Anstatt nun den Weg
freizugeben, ging der Geschädigte auf den Angeklagten los und versuchte
diesen zu packen und ihm den Pfefferspray zu entreissen. Dies erst
machte einen massiveren Spray-Einsatz notwendig. Der Geschädigte hätte
sich jederzeit zurückziehen und den Weg freigeben können.
Es ist willkürlich, wenn die Vorinstanz nun behauptete, der
Angeklagte sie bloss wegen einer Diskussion über artgerechte Tierhaltung
auf den wehrlosen Geschädigten losgegangen. Wer aktiv Streit sucht und
sich jederzeit zurückziehen kann, ist nicht wehrlos. Die Vorinstanz
übertrifft ihre Willkür alsdann noch damit, dass sie völlig aus der Luft
gegriffen behauptet, der Angeklagte habe den Pfefferspray
"offensichtlich" bewusst zu dem Zweck mit sich geführt, um damit auf
verbale Provokationen zu reagieren (Erw. S. 95).
Typisch für willkürliche Begründungen ist es, Unwahres und nicht
Bewiesenes einfach als "offensichtlich" zu bezeichnen. Dies unter
gezielter Nichtbeachtung von Tatsachen, z.B., dass der Angeklagte nicht
wegen Gewaltanwendung vorbestraft ist. Der Angeklagte wurde nie gefragt,
weshalb er einen Selbstverteidigungsspray auf sich trug. Die Vorinstanz
wollte dies offensichtlich gar nicht wissen, um dann in der
Urteilsbegründung um so unbeschwerter "Offensichtliches" behaupten zu
können - offensichtlich Unwahres. Wenn sich der Angeklagte aufgrund
bloss verbaler Provokationen zu Tätlichkeiten hinreissen liesse, käme er
fast täglich mit dem Gesetz in Konflikt. Tatsache ist, dass ihm das
Mitführen eines Pfeffersprays von der Kantonspolizei aufgrund ständiger
Mord- und Gewaltdrohungen empfohlen wurde. Der Spray wurde als
Alternative zum Mitführen einer Schusswaffe empfohlen (BO: ... als
Zeuge). Tatsache ist weiter, dass vier Aktivistinnen des VGT - zwei
davon Jugendliche - die nichts anderes taten, als auf einer Brücke ein
Spruchband "Essen sie heute vegetarisch - Ihrer Gesundheit und den
Tieren zuliebe" aufzuhalten, von
sechs Metzgern und Mästern 10 Minuten lang brutal zusammengeschlagen
wurden, wobei versucht wurde, aus den Frauen herauszupressen, wo sich
(vermeintlich) der Kessler versteckt halte. Die Frauen gaben
anschliessend zu Protokoll, der vorliegend Angeklagte Erwin Kessler
hätte es nicht überlebt, wenn er dieser Gruppe in die Hände gefallen
wäre. Die Opfer trugen Hirnerschütterungen, Prellungen (vgl. Beilage 1)
und bleibende Narben am Kopf davon. Die Täter wurden zu kurzen(!)
bedingten Gefängnisstrafen verurteilt (Beilage 2). Dies belegt wie auch
zahlreiche Telefonanrufe (Beilage 3)
die ständige Bedrohung des Angeklagten und den Grund dafür, dass er
einen Selbstverteidigungsspray auf sich trägt.
Das Strafmass im geschilderten Fall zeigt im Übrigen auch die völlige
Unverhältnismässigkeit zum Antrag auf drei Monate Gefängnis wegen
Körperverletzung unbedingt, welchem die Vorinstanz offensichtlich aus
politischen Gründen voreingenommen gefolgt ist. Jedes andere Mittel, die
Wegblockade durch den Geschädigten zu brechen, hätte das Risiko
schwererer Verletzungen beinhaltet. Der Angeklagte hat vom mindesten
Mittel, um sein Notwehrrecht durchzusetzen, Gebrauch gemacht. Immerhin
konnte der Geschädigte nach eigenen Angaben eine Viertelstunde nach dem
Zwischenfall mit seinem Auto durch den inzwischen dunkel gewordenen Wald
heimfahren - trotz der angeblich schweren Augenentzündung; eine von der
Vorinstanz ebenfalls unterschlagene Tatsache.
1.2.10.
Der Angeklagte beantragte die Einvernahme des Zeugen B... bereits im
Untersuchungsverfahren (Eingabe an die Bezirksanwaltschaft vom 12. Juli
1999) und dann nochmals mit schriftlicher Eingabe an der
Hauptverhandlung vom 7. November 2001. Schon die Bezirksanwaltschaft
hatte diesen Antrag pflichtwidrig ignoriert und war in Verletzung von §
31 StPO einseitig nur den belastenden Tatsachen nachgegangen. Trotzdem
lehnte die Vorinstanz den Antrag auf Rückweisung des Verfahrens zur
Vervollständigung der Untersuchung an die Bezirksanwaltschaft ab. Als
Begründung gab die Vorinstanz an, das Gericht könne Beweisergänzungen
selber vornehmen (Erw. S. 13), machte das dann aber doch nicht.
Auf S. 13 der Erwägungen führte die Vorinstanz dazu aus, um die Frage
nach der Erforderlichkeit einer Beweisergänzung beantworten zu können,
müsse sich das Gericht zwangsläufig zuerst materiell mit der Sache
befassen. Es gilt indessen auch umgekehrt für die Verteidigung, die den
Angeklagten erst dann wirksam verteidigen kann, wenn bekannt ist, was
der einzige Augenzeuge gesehen hat. Hier zeigt sich der Nachteil
deutlich, der dem Angeklagten daraus erwachsen ist, dass in der
Untersuchung nur einseitig nach Belastendem gesucht wurde. Die
Vorinstanz hat auch nicht begründet, warum der Antrag auf Rückweisung an
die Untersuchungsbehörde abgelehnt wurde. Sie führte lediglich dazu aus,
Beweisergänzungen könnten auch vom Gericht selber durchgeführt werden,
ohne daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Die Vorinstanz beanspruchte für sich, über die beantragten
Beweisergänzungen erst nach den Plädoyers der Verteidigung befinden zu
können, verweigerte damit aber der Verteidigung das Recht, erst in
Kenntnis der Aussagen des rechtzeitig beantragten Augenzeugen materiell
plädieren zu können. Und dies wäre der normale, durch die
Verteidigungsrechte gebotene Ablauf einer Hauptverhandlung, eine
Auffassung, die auch von Hauser/Schweri in "Schweizerisches
Strafprozessrecht" (5. Aufl., § 82.10) klar vertreten wird: "Ist das
Beweisverfahren abgeschlossen, so äussern sich Staatsanwalt,
Geschädigter und Verteidiger zu Anklage...". Und (§ 82.6): "Ob
und inwieweit das Gericht auch Zeugen, Auskunftspersonen oder
Sachverständige anhört und einen Augenschein durchführt, entscheiden das
Kollegium oder der Vorsitzende tunlichst vor der Hauptverhandlung...".
Anstatt die schwerwiegenden Mängel der Untersuchung zu heilen, hat
die Vorinstanz diese durch ihr unverständliches Verhalten zementiert.
Dies stellt eine schwerwiegende Verletzung der Verteidigungsrechte
des Angeklagten dar und damit ein absoluter Nichtigkeitsgrund, der
nur durch eine Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens geheilt
werden kann.
Es kann von der Verteidigung nicht erwartet werden, materiell zu
plädieren in der Ungewissheit darüber, was der einzige Augenzeuge
gesehen hat und aussagen wird. Der Angeklagte hat es nicht zu
verantworten, dass die Bezirksanwaltschaft diesen Zeugen nicht
einvernommen hat; dem Angeklagten darf daraus kein Nachteil erwachsen.
Die im Urteil zum Vorschein gekommene Auffassung des Gerichts, die
Verteidigung müsse vor den Zeugeneinvernahmen materiell plädieren und es
sei dann dem Ermessen des Gerichts überlassen, ob der Zeuge noch
einernommen werde oder nicht, ist mit den Grundsätzen eines fairen
Verfahrens i.S.v. Art. 6 EMRK nicht vereinbar. Mit dem Zeugen B... hat
die Verteidigung kein neues Beweismittel in das Verfahren eingeführt,
sondern vielmehr zu Recht gerügt, dass dieser im Untersuchungsverfahren
nicht angehört wurde. Die Verteidigung hat zu Recht verlangt, dass
dieser wichtige Mangel des Untersuchungsverfahrens beseitigt werde durch
Rückweisung zur Ergänzung der Untersuchung, eventuell durch eine
Beweisergänzung durch das Gericht selber, selbstverständlich so, dass
dem Angeklagten daraus kein Nachteil erwachse. Jedes andere Vorgehen ist
mit den Verteidigungsrechten und mit den Grundsätzen eines fairen
Verfahrens unvereinbar.
Der Zeuge B... könnte zweifellos wichtige Aussagen zu der vom
Angeklagten geltend gemachten Notwehrsituation machen. Deshalb hat die
Verteidigung dessen Einvernahme mehrfach beantragt und bis zuletzt mit
einer Einvernahme gerechnet. Die Vorinstanz verkennt (vgl. Erw. S. 13),
dass das Recht auf den Beweis zu den fundamentalen Verfahrensgarantieren
der EMRK und die Abnahme rechtzeitig beantragter Beweise nicht dem
freien Ermessen des Gerichts überlassen ist.
1.2.11.
Antizipierte Beweiswürdigung ist im Hinblick auf das durch Art. 6
EMRK garantierte Recht auf den Beweis grundsätzlich fragwürdig. "Heikel
ist die Zulässigkeit der antizipierten Beweiswürdigung, also des
Vorgehens, bei dem der Richter einen angerufenen Beweis nicht abnimmt
mit der Begründung, das dieses Beweismittel - was immer es ergebe - an
einem vom Richter mit Blick auf die gegebene Sach- und Beweislage
vorweggenommenen Ergebnis nichts ändern könnte. Sie wird als zulässig
betrachtet, wenn die entsprechende richterliche Überzeugung in
gesetzmässiger Art und Weise gebildet wurde und nicht auf unrechtmässig
eingeflossene Informationen beruht." (Niklaus Schmid, Strafprozessrecht,
4. Auflage, Rz 291). Im vorliegenden Fall wurde die richterliche
Überzeugung nicht in gesetzmässiger Art und Weise gebildet, indem gerade
im entscheidenden Punkt - der Notwehrsituation - die
Sachverhaltsdarstellung, welche vom angerufenen Zeugen bestätigt werden
könnte, nicht zur Kenntnis genommen und nicht berücksichtigt wurde und
die Pflichtverteidigerin nicht zur materiellen Verteidigung zugelassen
wurde. Im gleichen Sinne wie Schmid äussern sich Schweri/Hauser
(Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. Auflage, § 55.10): "Voraussetzung
ist, dass
willkürfrei die Annahme gerechtfertigt ist,
nach richterlicher Überzeugung sei eine Tatsache dermassen erwiesen oder
widerlegt, dass der angebotene Beweis darin nichts mehr zu ändern
vermöge (Annahme der Beweisuntauglichkeit). Die Voraussetzung des
feststehenden Beweisergebnisses darf nicht leichthin angenommen werden
(z.B. wegen Unzuverlässigkeit eines Alibi-Zeugen)".
Vorliegend hat die Vorinstanz mit keinem Wort dargelegt, warum der
beantragte Augenzeuge untauglich sein soll. Über den entsprechenden
Antrag wurde nicht einmal beschlossen; der Antrag wurde vielmehr einfach
ignoriert. Dies stellt eine klare Verweigerung des rechtlichen Gehörs
dar.
Die Vorinstanz hat sich auch nicht mit der vom Angeklagten
geschilderten Notwehrsituation auseinandergesetzt, womit die Vorinstanz
ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen ist und damit wiederum dem
Angeklagten das ihm zustehende rechtliche Gehör verweigert hat.
Die vom Angeklagten ausführlich geschilderte und mit Fotoaufnahmen
belegte Notwehrsituation wurde nicht widerlegt, sondern ignoriert. Die
Nichteinvernahme des einzigen Augenzeugen lässt sich somit nicht mit
einer korrekten antizipierten Beweiswürdigung rechtfertigen.
1.2.12.
Das Gericht konnte im vorliegenden Fall nicht wissen, was der
Augenzeuge B... alles zu berichten wusste, und die Verteidigung hatte
deshalb keine Veranlassung anzunehmen, dass das Gericht ausgerechnet in
diesem Fall, wo der beantragte Zeuge der einzige Augenzeuge überhaupt
ist, dessen Einvernahme ebenso wie die beantragte Tatortbesichtigung für
unnötig erachten und diese Beweisanträge wortlos, d.h. ohne korrekten
verfahrensleitenden Zwischenentscheid, verweigern würde. Mit einer
solchen Überrumpelung musste die Verteidigung nicht
rechnen. Gemäss Artikel 5 BV haben staatliche Organe nach Treu und
Glaube zu handeln. Die Verteidigung durfte sich darauf verlassen, dass
sich die Vorinstanz an dieses Verfassungs-Gebot und an die
Menschenrechte halte.
"Das Bundesgericht betrachtet das rechtliche Gehör als verletzt, wenn
einem anerbotenen Beweismittel ohne sachliche Gründe im vornherein jede
Erheblichkeit abgesprochen wird" (Jörg Paul Müller, Grundrechte in der
Schweiz, 1999, Seite 524). Dieser Fall liegt hier vor. Die Vorinstanz
hat zu den Beweisanträgen überhaupt nicht Stellung genommen, über diese
nicht entschieden und schon gar nicht sachliche Gründe für deren
stillschweigende Ablehnung geltend gemacht. Damit ist das rechtliche
Gehör massiv verletzt und das erstinstanzliche Verfahren zur blossen
Farce geworden.
1.3. Die Verteidigung konnte an den Zeugen Wettstein keine Fragen
stellen
Art. 6 Abs. 3 d EMRK gewährt das Recht, Fragen an Belastungszeugen zu
stellen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter
denselben Bedingungen wie der Belastungszeugen zu erwirken (vgl.
Villiger, Handbuch der ERMK, 2. Aufl., Rz 526). "Wesentlich ist, dass
der Beschuldigte, sein Verteidiger, ..., bei den Zeugeneinvernahmen
anwesend sein dürfen und dass der Beschuldigte Anspruch darauf hat, mit
den Belastungszeugen konfrontiert zu werden." (Schmid,
Strafprozessrecht, 4. Auflage Rz 653). "Zeugeneinvernahmen, bei denen
die in StPO 14 I, III, IV bzw. VI garantierten Teilnahmerechte des
Angeschuldigten verletzt wurden, sind nicht und unverwertbar, soweit sie
den Angeschuldigten belasten. Solche Einvernahmen, die die Rechte des
Beschuldigten nach StPO 14 verletzen, sind zu wiederholen, wenn dieser
nicht darauf verzichtet." (Schmid, Rz 655).
Unter obiger Ziffer 1.2. wurde dargelegt, dass dieses Recht in Bezug
auf den Entlastungszeugen B... verletzt wurde. Das Recht des Angeklagten
wurde aber auch bezüglich der Einvernahme des Belastungszeugen Wettstein
verletzt. Die Einvernahme des Belastungszeugen Wettsteins, verbunden mit
der Möglichkeit der Verteidigung, dem Zeugen Wettstein Ergänzungsfragen
zu stellen, erfolgte nicht, obwohl
- das Obergericht die Wiederholung der Hauptverhandlung angeordnet
hatte
- der Angeklagte in diesem Anklagepunkt verurteilt wurde
- dieser Anklagepunkt mit drei Monaten Gefängnis am meisten zum
Gesamtstrafmass beitrug
- die Vorinstanz die Verurteilung entscheidend und einseitig auf die
Darstellungen dieses Belastungszeugen stützte.
Die Verteidigung hatte somit keine Gelegenheit, an den
Belastungszeugen Ergänzungsfragen zu stellen, insbesondere nicht zur
entscheidenden Frage der Notwehrsituation und zur angeblich "schweren"
Augenentzündung, die sich dem ärztlichen Zeugnis nicht entnehmen lässt
und die im Widerspruch dazu vom Zeugen selber zugegebenen Tatsache
steht, dass er schon eine Viertelstunde nach dem Zwischenfall mit dem
Auto durch den inzwischen völlig dunkel gewordenen Wald nach Hause
fahren konnte.
Gemäss Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 2.
Aufl., Rz 108 zu Art. 6 EMRK, gilt folgendes: "Kommt es für eine
Verurteilung ausschliesslich auf die Aussage eines Zeugen an, ist dieser
in Gegenwart des Angeklagten vom erkennenden Gericht zu hören. Eine
frühere Aussage eines solchen Zeugen kann, wenn er bei der
Hauptverhandlung nicht verfügbar ist, grundsätzlich nur dann
berücksichtigt werden, wenn seinerzeit Gegenüberstellung mit dem
Angeklagten erfolgte."
Das anderweitige Vorgehen der Vorinstanz bedeutet eine Verletzung
von Art. 6 EMRK.
1.4. Keine Verteidigung betreffend der Verurteilung wegen
Rassendiskriminierung
Betreffend der Rassendiskriminierung durch Veröffentlichung des
Gerichtsprotokolls im Verfahren Graf wurde der Angeklagte verteidigt und
freigesprochen. Nicht verteidigt war der Angeklagte betreffend seiner
Äusserungen zum Schächten, für die er von der Vorinstanz verurteilt
wurde. Diesbezüglich wurde eine wirksame Verteidigung dadurch
verunmöglicht, dass die Verteidigung erst aus dem erstinstanzlichen
Urteil erfuhr, weshalb sich der Angeklagte der Rassendiskriminierung
schuldig gemacht haben soll. Der Wahlverteidiger hat der Vorinstanz mit
Schreiben vom 5. September 2001 mitgeteilt, dass er den Angeklagten
diesbezüglich unter den gegebenen Umständen nicht materiell verteidigen
können, ohne selber ein Strafverfahren wegen Rassendiskriminierung zu
riskieren. Die amtliche Verteidigerin äusserte sich in gleichem Sinne
und legte an der Verhandlung vom 28. Mai 2003 dar, dass die
Anklageschrift den Anforderungen von EMRK 6 nicht genüge, indem weder
der Angeklagte noch die beiden Verteidiger daraus entnehmen konnten,
worin die Tatbestandsmässigkeit der inkriminierten Äusserungen zum
Schächten liege, und dass es Pflicht der Anklage sei, dem Angeklagten
"in allen Einzelheiten" mitzuteilen, was man ihm vorwerfe und weshalb
und dass es mit den menschenrechtlich garantierten Verteidigungsrechten
nicht vereinbar sei, wenn der Angeklagte und seine Verteidiger dies erst
aus der Urteilsbegründung erfahren, und dass es auch nicht zumutbar sei,
dass die Verteidigung sich in Mutmassungen über die Gründe der Anklage
ergehe - zumal die Antirassismusstrafnorm derart unbestimmt und die
Praxis dazu derart unberechenbar sei, dass die Verteidiger damit selber
ein Strafverfahren riskieren würden. Aus diesen Gründen beantragte die
amtliche Verteidigerin die Rückweisung der Anklage an die
Untersuchungsbehörde.
Ob zutreffend ist, was die Vorinstanz dazu gestützt einzig auf die
StPO ausführt, kann offen bleiben. Die EMRK-Garantien gehen der
kantonalen StPO vor und letztere ist EMRK-konform auszulegen. Dies hat
die Vorinstanz unterlassen, indem sie sich nur am Buchstaben der StPO
orientierte. Ein Angeklagter hat gemäss Artikel 6 EMRK das Recht,
frühzeitig, spätestens anlässlich der Anklage (Villiger, Handbuch der
EMRK 2. Auflage Rz 506) und "in allen Einzelheiten über die Art und den
Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu
werden" (Villiger Rz 504). Dazu gehört ausdrücklich und im Gegensatz zu
den Behauptungen der Vorinstanz (Seite 17) auch die strafrechtliche
Würdigung (Villiger Rz 507).
Die allgemeine Praxis sehr knapp gehaltener Anklageschriften ist
jedenfalls zumindest dann nicht EMRK-konform, wenn es um eine Anklage
gestützt auf eine unbestimmte Strafnorm geht, die wie StGB Art
261bis in ihrer Unbestimmtheit selbst schon
menschenrechtswidrig das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot verletzt
(Villiger Rz 546; EGMR-Urteil Amann c. Schweiz, Auszug in Beilage 4,
vollständiges Urteil in der Entscheidsammlung des EGMR unter
www.echr.coe.int). Das unerträgliche Übermass an Unbestimmtheit von Art
261bis StGB ist von namhaften Rechtsprofessoren zu Recht
kritisiert worden (Stratenwerth: Strafrecht; Trechsel: Kurzkommentar zum
StGB; insbesondere auch die ausführliche Behandlung durch Karl Ludwig
Kunz in der ZStrR, siehe Beilage 5) und zeigte sich im Frühjahr 1999
auch in der Parlamentsdebatte über die Aufhebung der Immunität von
Nationalrat Keller. Die WELTWOCHE kommentierte wie folgt:
Misstrauen in eigener Sache.
Da haben sie nun die Bescherung, die Damen und Herren
Parlamentarier. Ihr Kollege vom rechten Flügel, der Nationalrat und
Präsident der Schweizer Demokraten Rudolf Keller, hat sich mit
seiner Forderung - 'sämtliche amerikanische und jüdische Waren'
seien zu boykottieren - ins Rampenlicht gesetzt... Eine Mehrheit
beider Räte wäre zwar der Ansicht, dass Keller sich für seine
Aussage verantworten müsste. Doch sie misstraut dem Gesetz, das sie
selbst geschaffen und mit moralischem Druck durch die
Volksabstimmung gebracht hat: der Strafnorm gegen Rassismus. Die
Situation ist paradox: Im Ständerat wandte sich die SP-Politikerin
Christiane Brunner gegen die Aufhebung von Kellers Immunität. Sie
glaubt nicht, dass die gesetzliche Grundlage für einen Schuldspruch
ausreicht. Diese Einschätzung teilt SVP-Ständeherr Maximilian
Reimann, der gerade deshalb für die Aufhebung der Immunität eintrat.
Im Nationalrat das umgekehrte Bild: Die Ratslinke und manche
Bürgerlichen meinen, dass es garantiert zu einer Verurteilung käme,
und stimmten deshalb für eine Aufhebung des parlamentarischen
Schutzes. Eine rechtsbürgerliche Minderheit befürchtete hingegen
eine Verurteilung und stimmte nein. ... Wie viele Keller und Kessler
braucht das Parlament noch, bis es endlich die Mängel des Gesetzes
behebt?
Und der Tages-Anzeiger schrieb in seiner Ausgabe vom 1. März 1999:
Wird das Rassismus-Verbot abgeschwächt?
Nicht harmlos: Die Anti-Rassismus-Strafnorm war noch keine
zweieinhalb Jahre in Kraft, als der Thurgauer Carrossier und
FPS-Nationalrat Wilfried Gusset schon eine Abänderung verlangte: Sie
müsse präzisiert, eingeengt, volksnaher formuliert werden, heisst es
im Motionstext, der auch von Christoph Blocher (SVP), Ernst
Mühlemann (FDP) und 50 weiteren Ratsmitgliedern unterschrieben
wurde. Vor allem müsse die Bestrafung der Rassen- und
Religionsdiskriminierung von "klar definierter böswilliger Absicht"
abhängig gemacht werden....
Trotz diesen Tatsachen verweigerte die Vorinstanz die Rückweisung der
Anklage an die Untersuchungsbehörde zur Ergänzung. Der Vorsitzende
forderte die Verteidigung auf, auch zur Anklage der
Rassendiskriminierung zu plädieren. An der Fortsetzung der Verhandlung
am 3. September 2003 erläuterte die amtliche Verteidigerin nochmals sehr
ausführlich, warum sie sich nicht imstande sehe, den Angeklagten
bezüglich der Anklage wegen Rassendiskriminierung im Zusammenhang mit
der Diskussion um das Schächten materiell zu verteidigen (siehe
Plädoyer-Notizen). Der Angeklagte blieb demzufolge in diesem
Anklagepunkt, in dem er dann erstinstanzlich schuldig gesprochen und zu
Gefängnis unbedingt verurteilt wurde, ohne wirksame Verteidigung. Von
einem ordnungsgemässen Verfahren kann nicht die Rede sein. Indem der
Angeklagte und seine Verteidiger erst in der erstinstanzlichen
Urteilsbegründung erfuhren, warum seine Kritik am Schächten das
Rassendiskriminierungsverbot verletzen sollen, wurde der Angeklagte
faktisch der ersten Instanz beraubt, weshalb der Fall zur Wiederholung
der Verhandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.
1.5. Urteilsbegründung mit Akten, die sich nicht im Verfahren
befinden
Ein weiterer Grund zur Rückweisung ist, dass sich das Urteil des BG
Bülach vom 3. September 2003 auf Akten stützt, die nicht Teil des
vorliegenden Verfahrens sind und sich nicht in den Akten dieses
Verfahrens befinden...
Auf S. 75, b) des Urteils vom 3. September 2003 zitiert die
Vorinstanz
- ein Urteil vom 14. Juli 1997 des ER in Strafsachen des BG Bülach,
Proz. Nr. GG970040, act. 4/44/23 S. 97
- ein Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 10. März 1998,
act. 4/44/25 S. 23 und weiter unten S. 32 (S. 75 oben und ganz unten)
- einen Bundesgerichtsentscheid vom 26. September 2000, von dem
nicht einmal ein Verfahrens- und/oder Aktennummer angegeben ist
Diese Akten befinden sich nicht im Dossier des heutigen Verfahrens
DG020100. Sie sind den Verteidigern nicht bekannt.
Trotzdem verwendet die Vorinstanz diese Akten (S. 76 oben des Urteil
vom 3. September 2003) zur Begründung dafür, dass es "dem Angeklagten
doch offensichtlich einzig um die Bestätigung bzw.
1.6. Ungenügende Anklageschrift
1.6.1.
Art. 261 bis StGB genügt schon selber den Anforderungen, welche an
die Umschreibung eines Straftatbestandes gestellt werden müssen, nicht
(ZStrR Band 109 [1992] S. 154 ff) und Entscheid EGMR vom 16. Februar
2000, S. 17 Ziff. 55 ff., B4.
Die Tatbestandsdarstellung gibt dem Rechtsunterworfenen nicht den
geringsten Anhaltspunkt, welches Verhalten erlaubt und insbesondere,
welche unerlaubt sei. Umso strengere Anforderungen sind bezüglich
Konkretisierung von Sachverhalt und strafrechtlichen Vorwurf an eine
Anklageschrift zu stellen, welche die Bestrafung eines Angeklagten
gestützt auf Art. 261 bis zum Zwecke haben soll. Mehr noch, wenn diese
Person, wie im Falle des Angeklagten, zu einer unbedingten
Gefängnisstrafe verurteilt werden soll.
1.6.2.
Die Nachtragsanklage vom 28. April 2003 (DG020100, act. 15/8)
erfüllt weder die Anforderungen von § 162 StGB noch diejenigen
von EMRK Art. 6 Ziff. 3a. Letzterer fordert, dass der Angeklagte
"...in allen Einzelheiten (Unterstreichung nicht im Original)
über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen in
Kenntnis gesetzt wird". Um eine wirksame Verteidigung aufbauen zu
können, ist eindeutig klar, dass diese Einzelheiten selbstverständlich
vor der ersten Gerichtsverhandlung dem Angeklagten und seinem
Verteidiger bekannt sein müssen.
Die Nachtragsanklage vom 28. April 2003 genügt diesen Anforderungen
nicht: Welche strafrechtlich relevanten Ideologien verbreitet denn der
Angeklagte (act. 15/8 S. 2 ff)? Welchen Inhaltes? Gegen welche (Zitat)
"Rasse, Ethnie oder Religion" soll sich denn die behauptete Ideologie
des Angeklagten richten? Worin sieht die Bezirksanwaltschaft die "gegen
die Menschenwürde verstossende Weise", welche sie dem Angeklagten
vorwirft? Inwieweit handelt es sich denn um Wiederholungen von
Äusserungen (act. 15/8 S. 2 unteres Drittel). Zudem beruft sich die
Anklage fälschlicherweise darauf, der Angeklagte habe bereits eine
"erstinstanzliche Verurteilung durch das Bezirksgericht Bülach vom
5.Dezember 2001" erfahren, ist doch genau dieses Urteil vom Obergericht
des Kantons Zürich mit Beschluss vom 20. August 2002 (act. 1) aufgehoben
worden.
Es ist nicht die Aufgabe der Verteidigung, über die
Gründe der Anklage zu spekulieren.
Die Nachtragsanklage (act. 15/8) bietet mangels Erfüllung der
Anforderungen an § 162 StPO und EMRK Art. 6 Ziff. 3 die Voraussetzungen
für eine effiziente Verteidigung nicht.
1.6.3.
Ebenso wenig genügt die Anklageschrift den Anforderungen,
welche die bundesgerichtliche Praxis an sie stellt:
So BGE 126 I 21, E 2a ausdrücklich: "Die Anklage hat die dem
Angeklagten zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu
umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind" und hält
fest, dass das Anklageprinzip zugleich den Schutz der
Verteidigungsrechte des Angeschuldigten und seinem Anspruch auf
rechtliches Gehör dient.
In beiden Verhandlungen (act. 27 S. 1 ff, Prot. S. 8ff und act. 46 S.
1 ff und Prot. S. 44 ff) erhob die Verteidigung vorgängig der
Verhandlung über die Sache Einwendungen zur Anklage i.S.v. § 182 StPO,
rügte deren Mangelhaftigkeit und verlangte die Rückweisung der
Anklageschrift/en an die Bezirksanwaltschaft/en zur Verbesserung der
Mängel. Leider drang die Verteidigung dannzumal mit diesen Anträgen
nicht durch.
Dass eine Rückweisung an die Untersuchungsbehörde zur Verbesserung
von Mängeln der Anklageschrift zulässig, ja sogar zwingend ist,
entschied das Bundesgericht in 120 IV 348 insbes. Erw. 2 ff: das
Bundesgericht wies eine mangelhafte Anklageschrift an die
(Bundes)Anwaltschaft zurück und führte dazu aus, das
Anklagezulassungsverfahren solle den Angeklagten vor ungerechtfertigter
Anklage und insbesondere vor einer allenfalls unnötigen Prangerwirkung
des öffentlichen Gerichtsverfahren schützen. Gleiches muss für den
Angeklagten gelten, um so mehr, als er immer wieder negativ in den
Medien "herumgeschleikt" wird. Es wäre die Fürsorgepflicht der
Vorinstanz gewesen, die Nachtrags-Anklage – zumindest in dieser Form –
nicht zuzulassen und von Amtes wegen, spätestens aber auf den Antrag der
Verteidigung hin – zur Verbesserung an die Untersuchungsbehörden
zurückzuweisen.
In dieser Form, so wie die Anklagen heute vorliegen, wird keine
genügen, den Angeklagten zu verurteilen
Bereits im Plädoyer vom 28. Mai 2003 wie auch am 3. September 2003
(act. 27 S. 1 ff und act. 46)) wies die amtliche Verteidigung darauf
hin, dass sich jeder Anwalt, der zur Verteidigung seines Klienten
gestützt auf diese schwammige Anklage ausholt, sich selber mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einem Strafverfahren i.S. von
Art. 261 bis StGB aussetzt. Mit Grund blieb der Unterzeichnende der
ersten Verhandlung im Jahre 2001 fern. Niemand, auch nicht ein
Verteidiger, ist verpflichtet, sich in Ausübung seiner Berufspflichten
wissentlich höchstem Risiko einer eigenen Strafverfolgung auszusetzen.
Somit fand keine gültige Verhandlung bezüglich Rassendiskriminierung
statt, weil die Verteidigungsrechte diesbezüglich unmöglich ausgeübt
werden konnten. Auch unter diesem Aspekt ist eine Rückweisung zwingend
(so auch Donatsch/Schmid, Kommentar zur Zürcher Strafprozessordnung, zu
§ 427, N 8).
Im Sinne dieser Erwägungen ist das Urteil vom 3. September 2003
aufzuheben und das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen.
1.7. Verletzung des Verbots der reformatio in peius
Im Urteil der Vorinstanz vom 5. Dezember 2001 wurde der Angeklagte
von der Anklage der versuchten Nötigung (Geschädigte Demuth)
freigesprochen. Auf Berufung des Angeklagten hin hob das Obergericht
dieses Urteil auf und wies die Sache zur Neuverhandlung an die
Vorinstanz zurück. Im neuen, nun hier erneut angefochtenen Urteil vom 3.
September 2003 wurde der Angeklagte in diesem Punkt schuldig gesprochen.
Das verletzt das Verbot der reformatio in peius.
Hauser/Schweri, 5. Auflage 2002, Rz 4 S. 448: "Das Verbot der
reformatio in peius gilt auch, wenn ein Rechtsmittel gutgeheissen und
die Sache zu neuer Entscheidung an die untere Instanz zurückgewiesen
wird."
Desgleichen in Rz 12 auf S. 450 oben: "Das Verbot der reformatio in
peius gilt grundsätzlich nicht nur für das Rechtsmittelgericht, sondern
auch für das Gericht, an das die Sache zur Wiederholung der
Hauptverhandlung zurückgewiesen wird (in diesem Sinne z.B. § 399 StPO
Zürich (...) § 209 Abs. 1 und 4 Thurgau).
Es haben sich im zweiten keine NEUEN wesentlich erschwerenden
Tatsachen zu Lasten des Angeklagten ergeben und die Vorinstanz macht
auch keine solchen geltend, weshalb dieser umstrittene Fall vorliegend
nicht zu beurteilen ist.
2. Eventualantrag auf Sistierung der
Berufungsverhandlung bis zum Vorliegen des EGMR-Entscheides im 1.
Schächtprozess
Wie die Vorinstanz auf S. 42 ihrer Erwägungen festhält, geht es im
vorliegenden Verfahren teilweise um "identische bzw. gleich gelagerte
Aussagen zum Schächten (rituelles Schlachten von Kühen, Kälbern und
Schafen bei vollem Bewusstsein, ohne vorherige Betäubung), wie im sog.
1. Schächtprozess (Urteil des Obergerichts vom 10. März 1998)". Sowohl
die Urteilsbegründung als auch die Strafzumessung bauen wesentlich auf
jenes Urteil, gegen welches seit dem 18. November 2000 eine Beschwerde
des Angeklagten gegen die Schweiz hängig ist (Beilagen 6 und 7). Die
Beschwerde hat die Zulassungshürde offenbar genommen (dem
Beschwerdeführer wird gemäss Praxis des EGMR nur ein negativer
Zulassungsentscheid mitgeteilt und dies innert Jahresfrist, was
vorliegend nicht geschah), und dürfte in Anbetracht der Dauer der
Hängigkeit demnächst zur materiellen Beurteilung kommen.
Dass diese Beschwerde die Zulassungshürde, an welcher 95% aller
Beschwerden scheitern, genommen hat, zeigt das Interesse, welcher der
EGMR dieser Verurteilung wegen sachlich begründeten Äusserungen in einer
landesweiten öffentlichen Diskussion beimisst. Das Vorhaben des
Bundesrates, das Schächtverbot aufzuheben, hat eine öffentliche
Diskussion ausgelöst, wobei die Informationen und Stellungnahmen des
Angeklagten zu diesem Thema eine hervorragende Rolle gespielt haben.
Schliesslich musste der Bundesrat sein Vorhaben, das grossmehrheitlich
auf Ablehnung stiess, fallen lassen. In einem solchen Umfeld misst der
EGMR der durch das vorinstanzliche Urteil massiv betroffenen
Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit grosse Bedeutung zu. "Zusammen
mit dem Recht auf Leben und dem Verbot der Folter steht das Recht auf
freie Meinungsäusserung hierarchisch an der Spitze des
Grundrechtssystems: Denn ohne freie Meinungsäusserung können andere
Grundrechte nicht verteidigt werden.... Der Gerichtshof unterstrich
diese Bedeutung, als er ausführte: 'Freedom of expression constitutes
one of the essential foundations of a democratic society and one of the
basic conditions for its progress and for the development of every man
and woman.' Entsprechend der zentralen Position von Art 10 EMRK
werden diese Rechte weit gefasst. Geschützt werden nicht nur einzelne
oder bestimmte Informationen. Art. 10 umfasst auch unangenehme Inhalte,
die 'offend, shock or disturb'" (Villiger, Rz 603).
Der vorinstanzlichen Verurteilung wegen angeblicher
Rassendiskriminierung liegen ausschliesslich Äusserungen zum Schächten
zugrunde. Der Angeklagte hat die inkriminierenden Äusserungen gegen das
Schächten und die schächtenden Juden in seinen Publikationen sachlich
begründet. Der Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit durch die
vorinstanzliche Verurteilung ist schwerwiegend, weil damit in die
politische Diskussion über ein Thema von erheblichem öffentlichen
Interesse eingegriffen wird (Tierschutz hat Verfassungsrang).
Dazu kommt, dass unmittelbar auch die Medienfreiheit betroffen ist,
denn der Angeklagte hat sämtliche inkriminierenden Äusserungen als
hauptverantwortlicher Redaktor in den Medien des Vereins gegen
Tierfabriken (Zeitschrift "VgT-Nachrichten" und "VgT-Website
www.vgt.ch")
veröffentlicht, klar ersichtlich als Beitrag zur Schächtdiskussion und
keinesfalls als private Äusserungen "gegen Juden".
Das Urteil des EGMR wird für das vorliegende Verfahren entscheidende
Präjudizwirkung haben. Es ist deshalb angezeigt, die
Berufungsverhandlung bis zum Vorliegen des EGMR-Urteils zu sistieren,
andernfalls mit einem aufwendigen Revisionsverfahren gerechnet werden
muss.
3. Subeventualantrag betreffend Einvernahme der Zeugen
B...und Wettstein sowie Tatortbesichtigung
Sollte das Obergericht die Auffassung des Angeklagten bezüglich
Rückweisung, eventualiter Sistierung des Verfahrens, nicht teilen, wäre
im Rahmen des Berufungsverfahrens zumindest Peter B... als Zeuge
einzuvernehmen, und wäre der Verteidigung Gelegenheit zu geben, dem
Geschädigten Wettstein Ergänzungsfragen zu stellen. Ebenso wäre eine
Tatortbesichtigung an einem 5. Oktober, 19.45 Uhr, möglicherweise an
einem anderen Tag (Bäume im Laub), eine Stunde nach Sonnenuntergang,
durchzuführen, damit der Angeklagte dem Obergericht die damals
bestehende Notwehrsituation aufzeigen könnte.
Mit diesem Vorgehen würde der Angeklagte allerdings um eine Instanz
gebracht.
4. Zusammenfassung und Schlussbemerkung
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte misst in der
demokratischen Gesellschaft dem Recht auf ein faires Gerichtsverfahren
eine zentrale Bedeutung zu, die eine restriktive Auslegung ausschliesst
(Villiger, a.a.o, S. 239). Die Verteidigungsrechte und das rechtliche
Gehör des Angeklagten wurden dadurch krass verletzt, dass der Angeklagte
trotz notwendiger Verteidigung in den Hauptpunkten materiell nicht
verteidigt war, die Verteidigung keine Fragen an den Zeugen Wettstein
stellen konnte, die Vorinstanz sich einseitig auf die
Sachverhaltsdarstellung dieses Zeugen abstützte, die Schilderung der
Notwehrsituation durch den Angeklagten (Blockierung seines Fahrzeuges),
ohne Begründung nicht beachtete, den beantragten Entlastungsbeweis
(Zeugeneinvernahme B...) ohne Begründung nicht abnahm und darüber nicht
einmal entschied.
Unter solchen Umständen kann nicht von einem ordnungsgemässen,
verfassungs- und menschenrechtskonformen Verfahren gesprochen werden.
Gemäss Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, RZ 500, hat das Gericht
"in Fällen notwendiger Verteidigung selbst für eine auch materiell
ausreichende Verteidigung besorgt zu sein. Eine im Berufungsverfahren
festgestellte ungenügende Verteidigung vor der Vorinstanz führt zur
Rückweisung des Falles zur Wiederholung des bezirksgerichtlichen
Verfahrens. Ohne genügende Verteidigung leidet das hernach ergehende
Urteil am Nichtigkeitsgrund von StPO 430 I Ziff 4.".
Den Verteidigern des Angeklagten ist bewusst, dass das vorliegende
Verfahren ein Prozess mit politischem Hintergrund ist. Gerade deswegen
ist es die vornehmste Pflicht des Richters, den einem Angeklagten
zustehenden Rechten besondere Aufmerksamkeit zu widmen und keine
Verfahrensfehler zu schützen, die einem Angeklagten zum Nachteil
gereichen. Nur auf diese Art und Weise kann die Unabhängigkeit der
Justiz gepflegt und kund getan und der ohnehin schon stark überlastete
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entlastet werden.
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