20. Mai 2004

Schächtprozess Nr 2 gegen VgT-Präsident Dr Erwin Kessler:
Die Verteidiger beanstanden schwere Verfahrensfehler des Bezirksgerichtes Bülach

Nachdem das Obergericht des Kantons Zürich im sogenannten Schächtprozess Nr 2 ein erstes Urteil des Bezirksgerichtes Bülach wegen schweren Verfahrensmängeln aufhob und das Verfahren zur Wiederholung an das Bezirksgericht Bülach zurückwies, hat dieses im zweiten Anlauf erneut ein mit schweren Menschenrechtsverletzungen behaftetes Verfahren durchgeführt. Die Verteidiger von Erwin Kessler haben nun am 13. Mai eine zweite Rückweisung beantragt:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren Oberrichter

In Sachen

Dr. Erwin Kessler                                                                                            Angeklagter und Appellant
verteidigt durch ...

gegen

Bezirksanwaltschaft I für den Kanton Zürich u.w., 8039 Zürich                    Anklägerin und Appellatin

betreffend

Rassendiskriminierung etc

haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss und das Urteil des Bezirksgerichts Bülach vom 3. September 2003 innert Frist Berufung erklärt; die Verfahrensakten sind gemäss Verfügung der Vorinstanz vom 16. Januar 2004 dem Obergericht bereits zugestellt worden.

Namens des Angeklagten stelle ich hiermit folgende

Anträge:

    1. Es sei das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen.
    2. Eventualiter sei die Berufungsverhandlung bis zum Eingang des Urteils des EGMR im Verfahren des Angeklagten gegen die Schweiz betreffend das Urteil des Bundesgerichts vom 10. März 1998 (EGMR-Akten Nr. 65614/01) zu sistieren.
    3. Subeventuell sei im Fall Wettstein durch das Obergericht
      - der Zeuge B... einzuvernehmen
      - der Verteidigung Gelegenheit zu geben, dem Geschädigten
      Ergänzungsfragen zu stellen
      - eine Tatortbesichtigung ... durchzuführen;

unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Vorinstanz.

 

Begründung

1. Rückweisungsantrag

Mit Beschluss vom 20. August 2002 hob die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich das damalige Urteil der Vorinstanz auf und wies das Verfahren i.S. von § 427 StPO zur Wiederholung der Hauptverhandlung und zu neuer Entscheidung zurück. Das Obergericht hatte festgestellt, dass die Vorinstanz dem Angeklagten einen anwaltlichen Beistand in Form eines amtlichen Verteidigers hätte zur Seite stellen müssen, und der Angeklagte, da dies nicht geschehen sei, im vorinstanzlichen Verfahren nicht gehörig verteidigt gewesen war (DG 020100).

Auch im zweiten Durchgang erfolgten schwerwiegende Verfahrensfehler, Fehler, die bewirkten, dass nicht mehr von einem ordnungsgemässen, die zentralen Verteidigungsrechte des Angeklagten wahrenden, Verfahren gesprochen werden kann, weil die Mängel des vorinstanzlichen Verfahrens dergestalt sind, dass sie von der Berufungsinstanz nicht mehr geheilt werden können und der Angeklagte damit praktisch um eine Instanz gebracht würde (vgl. Donat/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, N8 ff. zu § 427 StPO).

Aus prozessökonomischen Gründen, insbesondere um dem Obergericht und dem Angeklagten den Aufwand zweier Berufungsverhandlungen zu ersparen, stellt der Angeklagte den vorliegenden Rückweisungsantrag bereits jetzt und nicht anlässlich der Berufungsverhandlung vom 31. August 2004.

1.1. Übersicht und rechtliche Grundlagen

Wie noch im Einzelnen dargelegt werden wird, war der Angeklagte in allen Anklagepunkten, in denen er verurteilt wurde, materiell nicht verteidigt, obwohl ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Es kann deshalb nicht von einer ordnungsgemässen Hauptverhandlung gesprochen werden.

Dies ist um so befremdender, als dass erstinstanzliche Verfahren ja bereits wegen ungenügender Verteidigung des Angeklagten wiederholt werden musste. Auch bei der Wiederholung des Verfahrens fehlte eine materielle Verteidigung und stützte die Vorinstanz ihr Urteil - mit Ausnahme einer kurzen Befragung des Angeklagten - vollständig auf die Akten des ersten Verfahrens, insbesondere auf die damals in Abwesenheit der Verteidigung und des Angeklagten durchgeführten Einvernahmen des Geschädigten Wettstein. Die mehrfach beantragte Zeugeneinvernahme des Geschädigten Wettstein wurde nicht wiederholt und die ebenfalls mehrfach beantragte Einvernahme des Augenzeugen B... wurde wiederum ohne jede Begründung nicht durchgeführt. Über die Beweisanträge der Verteidigung fasste die Vorinstanz stillschweigend und ohne jede Begründung keinen Beschluss - nicht einmal zusammen mit dem Urteil. Damit verletzte die Vorinstanz in krasser Weise die Verteidigungsrechte des Angeklagten und damit sein rechtliches Gehör.

Auch bezüglich der Anklage wegen Rassendiskriminierung fand keine materielle Verteidigung statt. Die Vorinstanz stützte ihr zweites Urteil in Nichtbeachtung des Rückweisungsentscheides ausschliesslich auf die Akten des ersten Verfahrens.

Damit blieb der Angeklagte gerade in den beiden Hauptanklagepunkten ohne jede materielle Verteidigung. Dies ist um so gravierender, als schon im gesamten Untersuchungsverfahren keine Mitwirkung der Verteidigung stattgefunden hatte.

Die Garantien der EMRK, insbesondere Art. 6, werden verletzt, wenn die Verteidigung erst im Rechtsmittelverfahren zum Zuge kommt und dies in einem Prozess, in dem eine unbedingte Gefängnisstrafe droht.

Gemäss Praxis des EGMR zu Art. 6 EMRK haben "die Behörden dafür zu sorgen, dass die Offizialverteidigung während des gesamten Strafverfahrens wirksam durchgeführt wird. Stellen sie Mängel in der Verteidigung fest, obliegt es ihnen, den betreffenden Verteidiger auf seine Pflichten hinzuweisen, allenfalls auch einen neuen Verteidiger zu bestellen" (Villiger, Handbuch der EMRK, 2. Aufl., Rz 521).

Art. 6 ERMR garantiert jedem Angeklagten ausdrücklich das Recht auf eine wirksame Verteidigung (Villiger, a.a.o., Rz 524).

In Fällen der unzureichenden Verteidigung und der Verweigerung des rechtlichen Gehörs hat zur Wahrung des durch die Bundesverfassung und die EGMR-Praxis garantierten Anspruchs auf Beurteilung des Falles durch zwei Instanzen eine Rückweisung an die Vorinstanz zu erfolgen (Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Rz 1044; Donatsch/Schmid, Kommentar zur StPO des Kantons Zürich, § 427, Rz 8, 11 und 12).

Im Einzelnen:

1.2. Keine Verteidigung betreffend Körperverletzung und keine Einvernahme des Zeugen B...

1.2.1.

Anlässlich der Verhandlung vom 28. Mai 2003 erklärte der erbetene Verteidiger, dass er zu diesem Anklagepunkt vorläufig nicht plädieren könne, da die Untersuchung nicht abgeschlossen und insbesondere der mehrfach beantragte wichtige Augenzeuge B... noch nicht einvernommen worden sei.

Mit Schreiben vom 18. August 2003 teilte der erbetene Verteidiger der Vorinstanz mit, dass er an der Fortsetzung der Verhandlung vom 3. September 2003 nicht teilnehmen werde, da der Zeuge B... nicht vorgeladen worden sei und er - wie schon am 28. Mai 2003 dargelegt - solange nicht zur Anklage betreffend Körperverletzung plädieren könne.

Die amtliche Verteidigerin wies anlässlich der Fortsetzung der Verhandlung vom 3. September 2003 ebenfalls darauf hin, dass der Zeuge B... noch einzuvernehmen sei, beantragte dies formell und begründete dies auch.

Hierauf schloss der Vorsitzende überraschend die Verhandlung, und das Gericht schritt zur Urteilsberatung. Über die Beweisanträge wurde nicht Beschluss gefasst, und ohne angekündigt zu haben, dass die von der Verteidigung beantragte und erwartete Beweisaufnahme nicht stattfinde und deshalb ohne Beweisabnahme materiell zu plädieren sei, schloss die Vorinstanz die Verhandlung und erliess das Urteil.

Das Gericht hat somit nicht über den erwähnten Antrag entschieden, welcher Entscheid bis heute nicht erfolgt ist.

Mit Anträgen wird im Sinne von Erwirkungshandlungen die Durchführung behördlicher Prozesshandlungen verlangt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verlangt, dass die angesprochene Behörde den Antrag prüft und - soweit er zulässig ist - einen materiellen Entscheid darüber trifft und dem Antragsteller mitteilt (Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, Rz 544).

Indem die Vorinstanz nicht über den erwähnten Antrag entschied, hat sie den Grundsatz des rechtlichen Gehörs zum Nachteil des Angeklagten verletzt.

1.2.2.

Wäre das Gericht der Ansicht gewesen, über die Beweisanträge nicht entscheiden zu müssen, hätte es zumindest die Verteidigung darauf aufmerksam machen müssen, dass sie trotzdem zur Sache plädieren müsse. Dies hat das Gericht nicht getan und die Verteidigung im Glauben gelassen, dass über die beantragte Beweisabnahme vor dem Erlass des Urteils entschieden würde.

Mit diesem Verhalten hat die Vorinstanz in einer gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (BV 5.3) verstossenden Weise eine materielle Verteidigung verhindert, obwohl es vom Obergericht angewiesen worden, die erstinstanzliche Hauptverhandlung mit einer ausreichenden Verteidigung zu wiederholen.

1.2.3.

Von einer Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens i.S. des Beschlusses des Obergerichts vom 20. August 2002 kann aufgrund obiger Ausführungen nicht die Rede sein, da keine materielle Verteidigung zugelassen wurde und das Gericht sich statt dessen einfach auf das Ergebnis der ersten Hauptverhandlung stützte.

1.2.4.

Gemäss der Praxis des EGMR genügt es nicht, den materiellen Garantien der EMRK bloss formell, dem Anschein nach, Rechnung zu tragen. Den Verteidigungsrechten gemäss Art. 6 EMRK ist durch die blosse Anwesenheit von Verteidigern noch nicht Genüge getan. Der Staat hat - insbesondere im Fall einer als notwendig erkannten Verteidigung - dafür zu sorgen, dass ein Angeklagter effektiv verteidigt wird.

Indem sich die Vorinstanz während der Verhandlung nicht zur beantragten Zeugeneinvernahme äusserte und die Verteidigung dadurch im Glauben liess, es werde entweder eine Beweisverhandlung mit den beantragten Zeugeneinvernahmen sowie eine Tatortbesichtigung erfolgen oder aber, es werde dieser Antrag abgelehnt, womit die Verteidigung sich auf diese Situation hätte einstellen können, verhinderte die Vorinstanz eine gehörige Verteidigung i.S. des Rückweisungsbeschlusses sowie i.S. von Art. 6 EMRK.

1.2.5.

Um die dargelegten Unterlassung zu rechtfertigen, stellt sich die Vorinstanz auf den Standpunkt, der Angeklagte habe den Sachverhalt zugegeben (Erw. S. 90 ff., insbesondere S. 93), was aktenwidrig ist. Im Plädoyer zur Hauptverhandlung vom 7. November 2001 (d.h. der ersten Hauptverhandlung) hatte der Angeklagte den Sachverhalt ausführlich geschildert und seine Notwehr-Situation dargelegt. Darauf ging die Vorinstanz willkürlich und unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten nicht ein. Statt dessen behauptet sie aktenwidrig - wie ein Vergleich der Zeugeneinvernahme des Geschädigten mit dem Plädoyer des Angeklagten sofort ergibt - die Sachverhaltsschilderungen würden im Wesentlichen übereinstimmen. Stillschweigend - und ohne den einzigen Augenzeugen einvernommen zu haben - unterschlägt die Vorinstanz die Schilderung der Notwehrsituation durch den Angeklagten und stützt sich einseitig auf die Darstellung des Geschädigten; dies wiederum ohne jede Begründung. Dadurch hat die Vorinstanz wiederum das rechtliche Gehör des Angeklagten verletzt.

Die Vorinstanz beurteilt die Darstellung des Angeklagten im erwähnten Plädoyer als "nicht gesichert" (Erw. S. 93). Diese bleibe deshalb zum Vorteil des Angeklagten unbeachtet, was sich angeblich zum Vorteil des Angeklagten auswirken würde. Die Vorinstanz begründet dies damit, der Angeklagte habe anlässlich der Befragung erklärt, Wettstein sei nicht tätlich geworden. Dies ist indessen kein Widerspruch, da der Sprayeinsatz ja zur Abwehr versuchter Tätlichkeiten oder sogar Körperverletzungen diente. Wenn ein Täter durch eine Notwehrhandlung an der Ausführung der geplanten Tat verhindert werden kann, heisst dies nicht, dass er diese Tat gar nicht geplant habe. So zog sich nach einem ersten kurzen Warneinsatz des Sprays, damit der Geschädigte den Weg endlich freigebe, der Geschädigte nicht etwa zurück, sondern ging gegen den Angeklagten vor und versuchte diesen zu packen. Der Angeklagte konnte dies nur dadurch verhindern, dass er zurückweichend den Spray erneut einsetzte.

1.2.6.

Dieser scheinbare Widerspruch wäre leicht zu klären gewesen, wenn der Angeklagte bei der Befragung darauf angesprochen worden wäre oder aber durch die mehrfach beantragte Einvernahme des Augenzeugen B.... Die Vorinstanz hat beides pflichtwidrig unterlassen, obwohl sie zu beidem verpflichtet gewesen wäre. Bei unklaren bzw. mehrdeutigen Äusserungen des Angeklagten besteht eine richterliche Fragepflicht, die sich aus der richterlichen Fürsorgepflicht ergibt (Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage Rz 245 und Fussnote 291 dazu). Anderseits wäre das Gericht aufgrund des durch EMRK 6 garantierten Rechts auf den Beweis verpflichtet gewesen, den Augenzeugen B... durch die Bezirksanwaltschaft (im Rahmen einer Rückweisung) einvernehmen zu lassen oder selber einzuvernehmen; dadurch wäre der scheinbare Widerspruch vermutlich auch geklärt worden. Insgesamt hat die Vorinstanz aufgrund falscher Annahmen, die ein ordnungsgemässes Verfahren vermieden hätte, geurteilt, und ihre richterliche Fragepflicht verletzt.

1.2.7.

In seinem schriftlichen Plädoyer vom 7. November 2001 schilderte der Angeklagte die Situation sorgfältig und in allen Details, währenddem die Befragung anlässlich der zweiten Hauptverhandlung vom 3. September 2003 - vier Jahre nach dem Vorfall - sich kurz auf ein paar pauschale Fragen beschränkte. Das Resultat dieser Befragung benutzte die Vorinstanz als Vorwand, um den Zeugen B... nicht einzuvernehmen mit der Begründung, es werde statt dessen zugunsten des Angeklagten angenommen, er habe nur einmal kurz vom Spray Gebrauch gemacht und nicht mehrmals, um den Geschädigten abzuwehren. Doch diese Frage stellte sich nicht. Thema war die Frage einer Notwehrsituation und damit der Berechtigung des Angeklagten, den Spray in Notwehr einzusetzen.

Das Gericht hätte den scheinbaren Widerspruch zwischen dem schriftlichen Plädoyer des Angeklagten und seiner kurzen Befragung (Jahre später!) nicht ohne einen Versuch zur Klärung dazu missbrauchen dürfen, den Sachverhalt stillschweigend anders zu deuten als vom Angeklagten in seinem schriftlichen Plädoyer ausführlich geschildert. Dieses Vorgehen gehört zu den durch die Menschenrechtsgarantie auf ein faires Verfahren verpönten Praktiken (Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, Rz 242a).

1.2.8.

Im weiteren hält die Vorinstanz an der Behauptung einer angeblich schweren Augenentzündung fest, ohne dass sich eine solche dem ärztlichen Zeugnis oder anderen Unterlagen entnehmen liesse; zum Widerspruch mit dem angenommenen einmaligen kurzen Spray-Einsatz (Ziff. 1.2.8.) äussert sich die Vorinstanz nicht. Die Urteilsbegründung ist somit widersprüchlich.

Die Vorinstanz hat nicht nur den Hauptzeugen Peter B... nicht einvernommen, sondern der Verteidigung auch keine Möglichkeit gegeben, dem als Zeugen einvernommenen Geschädigten Wettstein Ergänzungsfragen zu stellen. Damit hätte dieser Widerspruch allenfalls geklärt werden können (vgl. unten Ziff. 1.3.).

1.2.9.

Anstelle der Einvernahme des Augenzeugen B... sowie von möglichen Ergänzungsfragen an den Zeugen Wettstein begnügte sich die Vorinstanz mit einer widersprüchlichen Beweiswürdigung und glaubt aus unerfindlichen Gründen der Darstellung des Geschädigten, es habe bloss ein verbaler Disput stattgefunden, nicht jedoch die vom Geschädigten geschilderte Nötigung durch Versperren des Weges. Aus unerfindlichen Gründen und unter Missachtung des rechtlichen Gehörs und des Rechts auf Beweis hat die Vorinstanz die vom Angeklagten glaubwürdig geltend gemachte Blockade seines Fahrzeuges durch den Geschädigten beim Eindunkeln im unwegsamen Waldgelände kurzerhand unterschlagen.

Die dargelegt willkürliche Beweiswürdigung kann niemals die Einvernahme eines Kronzeugen überflüssig machen. Die Vorinstanz ist sich dessen offensichtlich bewusst und hat wohl deshalb schon gar nicht erst zu begründen versucht, weshalb sie den wiederholten Beweisantrag, den Zeugen B... einzuvernehmen, ignoriert hat.

Damit aber verletzt das vorinstanzliche Urteil auch die Begründungspflicht in einem zentralen Punkt. Über die beantragte Zeugeneinvernahme ist bis heute nicht entschieden worden, was eine klare Rechtsverweigerung darstellt. Die Vorinstanz hat geurteilt, ohne über die wichtigen Beweisanträge der Verteidigung zu entscheiden und sogar ohne dies zu begründen. Die aus menschenrechtlicher Sicht grundsätzlich problematische antizipierte Beweiswürdigung in einem Strafverfahren, in welchem 12 Monate Gefängnis unbedingt beantragt sind, bedürfte zumindest einer sehr sorgfältigen Begründung.

Auf S. 109 der Erwägungen behauptet die Vorinstanz - ohne den Augenzeugen B... angehört zu haben - der Angeklagte sei bloss wegen eines Disputes über artgerechte Tierhaltung mit dem Spray gegen den wehrlosen Geschädigten vorgegangen. Diese Darstellung ist in jeder Hinsicht tatsachenwidrig und willkürlich. Erstens ging es nicht um artgerechte Tierhaltung, sondern um eine massive Provokation durch den Geschädigten, der dem Angeklagten einzig zu diesem Zweck in den Wald nachgefahren war! Weil sich der Angeklagte auf diese Provokation nicht einlassen und statt dessen wegfahren wollte, versperrte der Geschädigte dem Angeklagten mit seinem Auto den Weg und gab ihm grinsend zu erkennen, dass er den Angeklagten solange in die Nacht hinein im Wald festhalten werde, wie es dem Geschädigten beliebe. Nach der vergeblichen Warnung, den Weg freizugeben, setzte der Angeklagte, immer noch i.S. einer Warnung, den Pfefferspray einmal kurz ein. Anstatt nun den Weg freizugeben, ging der Geschädigte auf den Angeklagten los und versuchte diesen zu packen und ihm den Pfefferspray zu entreissen. Dies erst machte einen massiveren Spray-Einsatz notwendig. Der Geschädigte hätte sich jederzeit zurückziehen und den Weg freigeben können.

Es ist willkürlich, wenn die Vorinstanz nun behauptete, der Angeklagte sie bloss wegen einer Diskussion über artgerechte Tierhaltung auf den wehrlosen Geschädigten losgegangen. Wer aktiv Streit sucht und sich jederzeit zurückziehen kann, ist nicht wehrlos. Die Vorinstanz übertrifft ihre Willkür alsdann noch damit, dass sie völlig aus der Luft gegriffen behauptet, der Angeklagte habe den Pfefferspray "offensichtlich" bewusst zu dem Zweck mit sich geführt, um damit auf verbale Provokationen zu reagieren (Erw. S. 95).

Typisch für willkürliche Begründungen ist es, Unwahres und nicht Bewiesenes einfach als "offensichtlich" zu bezeichnen. Dies unter gezielter Nichtbeachtung von Tatsachen, z.B., dass der Angeklagte nicht wegen Gewaltanwendung vorbestraft ist. Der Angeklagte wurde nie gefragt, weshalb er einen Selbstverteidigungsspray auf sich trug. Die Vorinstanz wollte dies offensichtlich gar nicht wissen, um dann in der Urteilsbegründung um so unbeschwerter "Offensichtliches" behaupten zu können - offensichtlich Unwahres. Wenn sich der Angeklagte aufgrund bloss verbaler Provokationen zu Tätlichkeiten hinreissen liesse, käme er fast täglich mit dem Gesetz in Konflikt. Tatsache ist, dass ihm das Mitführen eines Pfeffersprays von der Kantonspolizei aufgrund ständiger Mord- und Gewaltdrohungen empfohlen wurde. Der Spray wurde als Alternative zum Mitführen einer Schusswaffe empfohlen (BO: ... als Zeuge). Tatsache ist weiter, dass vier Aktivistinnen des VGT - zwei davon Jugendliche - die nichts anderes taten, als auf einer Brücke ein Spruchband "Essen sie heute vegetarisch - Ihrer Gesundheit und den Tieren zuliebe" aufzuhalten, von sechs Metzgern und Mästern 10 Minuten lang brutal zusammengeschlagen wurden, wobei versucht wurde, aus den Frauen herauszupressen, wo sich (vermeintlich) der Kessler versteckt halte. Die Frauen gaben anschliessend zu Protokoll, der vorliegend Angeklagte Erwin Kessler hätte es nicht überlebt, wenn er dieser Gruppe in die Hände gefallen wäre. Die Opfer trugen Hirnerschütterungen, Prellungen (vgl. Beilage 1) und bleibende Narben am Kopf davon. Die Täter wurden zu kurzen(!) bedingten Gefängnisstrafen verurteilt (Beilage 2). Dies belegt wie auch zahlreiche Telefonanrufe (Beilage 3) die ständige Bedrohung des Angeklagten und den Grund dafür, dass er einen Selbstverteidigungsspray auf sich trägt.

Das Strafmass im geschilderten Fall zeigt im Übrigen auch die völlige Unverhältnismässigkeit zum Antrag auf drei Monate Gefängnis wegen Körperverletzung unbedingt, welchem die Vorinstanz offensichtlich aus politischen Gründen voreingenommen gefolgt ist. Jedes andere Mittel, die Wegblockade durch den Geschädigten zu brechen, hätte das Risiko schwererer Verletzungen beinhaltet. Der Angeklagte hat vom mindesten Mittel, um sein Notwehrrecht durchzusetzen, Gebrauch gemacht. Immerhin konnte der Geschädigte nach eigenen Angaben eine Viertelstunde nach dem Zwischenfall mit seinem Auto durch den inzwischen dunkel gewordenen Wald heimfahren - trotz der angeblich schweren Augenentzündung; eine von der Vorinstanz ebenfalls unterschlagene Tatsache.

1.2.10.

Der Angeklagte beantragte die Einvernahme des Zeugen B... bereits im Untersuchungsverfahren (Eingabe an die Bezirksanwaltschaft vom 12. Juli 1999) und dann nochmals mit schriftlicher Eingabe an der Hauptverhandlung vom 7. November 2001. Schon die Bezirksanwaltschaft hatte diesen Antrag pflichtwidrig ignoriert und war in Verletzung von § 31 StPO einseitig nur den belastenden Tatsachen nachgegangen. Trotzdem lehnte die Vorinstanz den Antrag auf Rückweisung des Verfahrens zur Vervollständigung der Untersuchung an die Bezirksanwaltschaft ab. Als Begründung gab die Vorinstanz an, das Gericht könne Beweisergänzungen selber vornehmen (Erw. S. 13), machte das dann aber doch nicht.

Auf S. 13 der Erwägungen führte die Vorinstanz dazu aus, um die Frage nach der Erforderlichkeit einer Beweisergänzung beantworten zu können, müsse sich das Gericht zwangsläufig zuerst materiell mit der Sache befassen. Es gilt indessen auch umgekehrt für die Verteidigung, die den Angeklagten erst dann wirksam verteidigen kann, wenn bekannt ist, was der einzige Augenzeuge gesehen hat. Hier zeigt sich der Nachteil deutlich, der dem Angeklagten daraus erwachsen ist, dass in der Untersuchung nur einseitig nach Belastendem gesucht wurde. Die Vorinstanz hat auch nicht begründet, warum der Antrag auf Rückweisung an die Untersuchungsbehörde abgelehnt wurde. Sie führte lediglich dazu aus, Beweisergänzungen könnten auch vom Gericht selber durchgeführt werden, ohne daraus die Konsequenzen zu ziehen.

Die Vorinstanz beanspruchte für sich, über die beantragten Beweisergänzungen erst nach den Plädoyers der Verteidigung befinden zu können, verweigerte damit aber der Verteidigung das Recht, erst in Kenntnis der Aussagen des rechtzeitig beantragten Augenzeugen materiell plädieren zu können. Und dies wäre der normale, durch die Verteidigungsrechte gebotene Ablauf einer Hauptverhandlung, eine Auffassung, die auch von Hauser/Schweri in "Schweizerisches Strafprozessrecht" (5. Aufl., § 82.10) klar vertreten wird: "Ist das Beweisverfahren abgeschlossen, so äussern sich Staatsanwalt, Geschädigter und Verteidiger zu Anklage...". Und (§ 82.6): "Ob und inwieweit das Gericht auch Zeugen, Auskunftspersonen oder Sachverständige anhört und einen Augenschein durchführt, entscheiden das Kollegium oder der Vorsitzende tunlichst vor der Hauptverhandlung...".

Anstatt die schwerwiegenden Mängel der Untersuchung zu heilen, hat die Vorinstanz diese durch ihr unverständliches Verhalten zementiert. Dies stellt eine schwerwiegende Verletzung der Verteidigungsrechte des Angeklagten dar und damit ein absoluter Nichtigkeitsgrund, der nur durch eine Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens geheilt werden kann.

Es kann von der Verteidigung nicht erwartet werden, materiell zu plädieren in der Ungewissheit darüber, was der einzige Augenzeuge gesehen hat und aussagen wird. Der Angeklagte hat es nicht zu verantworten, dass die Bezirksanwaltschaft diesen Zeugen nicht einvernommen hat; dem Angeklagten darf daraus kein Nachteil erwachsen. Die im Urteil zum Vorschein gekommene Auffassung des Gerichts, die Verteidigung müsse vor den Zeugeneinvernahmen materiell plädieren und es sei dann dem Ermessen des Gerichts überlassen, ob der Zeuge noch einernommen werde oder nicht, ist mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens i.S.v. Art. 6 EMRK nicht vereinbar. Mit dem Zeugen B... hat die Verteidigung kein neues Beweismittel in das Verfahren eingeführt, sondern vielmehr zu Recht gerügt, dass dieser im Untersuchungsverfahren nicht angehört wurde. Die Verteidigung hat zu Recht verlangt, dass dieser wichtige Mangel des Untersuchungsverfahrens beseitigt werde durch Rückweisung zur Ergänzung der Untersuchung, eventuell durch eine Beweisergänzung durch das Gericht selber, selbstverständlich so, dass dem Angeklagten daraus kein Nachteil erwachse. Jedes andere Vorgehen ist mit den Verteidigungsrechten und mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens unvereinbar.

Der Zeuge B... könnte zweifellos wichtige Aussagen zu der vom Angeklagten geltend gemachten Notwehrsituation machen. Deshalb hat die Verteidigung dessen Einvernahme mehrfach beantragt und bis zuletzt mit einer Einvernahme gerechnet. Die Vorinstanz verkennt (vgl. Erw. S. 13), dass das Recht auf den Beweis zu den fundamentalen Verfahrensgarantieren der EMRK und die Abnahme rechtzeitig beantragter Beweise nicht dem freien Ermessen des Gerichts überlassen ist.

1.2.11.

Antizipierte Beweiswürdigung ist im Hinblick auf das durch Art. 6 EMRK garantierte Recht auf den Beweis grundsätzlich fragwürdig. "Heikel ist die Zulässigkeit der antizipierten Beweiswürdigung, also des Vorgehens, bei dem der Richter einen angerufenen Beweis nicht abnimmt mit der Begründung, das dieses Beweismittel - was immer es ergebe - an einem vom Richter mit Blick auf die gegebene Sach- und Beweislage vorweggenommenen Ergebnis nichts ändern könnte. Sie wird als zulässig betrachtet, wenn die entsprechende richterliche Überzeugung in gesetzmässiger Art und Weise gebildet wurde und nicht auf unrechtmässig eingeflossene Informationen beruht." (Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, Rz 291). Im vorliegenden Fall wurde die richterliche Überzeugung nicht in gesetzmässiger Art und Weise gebildet, indem gerade im entscheidenden Punkt - der Notwehrsituation - die Sachverhaltsdarstellung, welche vom angerufenen Zeugen bestätigt werden könnte, nicht zur Kenntnis genommen und nicht berücksichtigt wurde und die Pflichtverteidigerin nicht zur materiellen Verteidigung zugelassen wurde. Im gleichen Sinne wie Schmid äussern sich Schweri/Hauser (Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. Auflage, § 55.10): "Voraussetzung ist, dass willkürfrei die Annahme gerechtfertigt ist, nach richterlicher Überzeugung sei eine Tatsache dermassen erwiesen oder widerlegt, dass der angebotene Beweis darin nichts mehr zu ändern vermöge (Annahme der Beweisuntauglichkeit). Die Voraussetzung des feststehenden Beweisergebnisses darf nicht leichthin angenommen werden (z.B. wegen Unzuverlässigkeit eines Alibi-Zeugen)".

Vorliegend hat die Vorinstanz mit keinem Wort dargelegt, warum der beantragte Augenzeuge untauglich sein soll. Über den entsprechenden Antrag wurde nicht einmal beschlossen; der Antrag wurde vielmehr einfach ignoriert. Dies stellt eine klare Verweigerung des rechtlichen Gehörs dar.

Die Vorinstanz hat sich auch nicht mit der vom Angeklagten geschilderten Notwehrsituation auseinandergesetzt, womit die Vorinstanz ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen ist und damit wiederum dem Angeklagten das ihm zustehende rechtliche Gehör verweigert hat.

Die vom Angeklagten ausführlich geschilderte und mit Fotoaufnahmen belegte Notwehrsituation wurde nicht widerlegt, sondern ignoriert. Die Nichteinvernahme des einzigen Augenzeugen lässt sich somit nicht mit einer korrekten antizipierten Beweiswürdigung rechtfertigen.

1.2.12.

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall nicht wissen, was der Augenzeuge B... alles zu berichten wusste, und die Verteidigung hatte deshalb keine Veranlassung anzunehmen, dass das Gericht ausgerechnet in diesem Fall, wo der beantragte Zeuge der einzige Augenzeuge überhaupt ist, dessen Einvernahme ebenso wie die beantragte Tatortbesichtigung für unnötig erachten und diese Beweisanträge wortlos, d.h. ohne korrekten verfahrensleitenden Zwischenentscheid, verweigern würde. Mit einer solchen Überrumpelung musste die Verteidigung nicht rechnen. Gemäss Artikel 5 BV haben staatliche Organe nach Treu und Glaube zu handeln. Die Verteidigung durfte sich darauf verlassen, dass sich die Vorinstanz an dieses Verfassungs-Gebot und an die Menschenrechte halte.

"Das Bundesgericht betrachtet das rechtliche Gehör als verletzt, wenn einem anerbotenen Beweismittel ohne sachliche Gründe im vornherein jede Erheblichkeit abgesprochen wird" (Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 1999, Seite 524). Dieser Fall liegt hier vor. Die Vorinstanz hat zu den Beweisanträgen überhaupt nicht Stellung genommen, über diese nicht entschieden und schon gar nicht sachliche Gründe für deren stillschweigende Ablehnung geltend gemacht. Damit ist das rechtliche Gehör massiv verletzt und das erstinstanzliche Verfahren zur blossen Farce geworden.

1.3. Die Verteidigung konnte an den Zeugen Wettstein keine Fragen stellen

Art. 6 Abs. 3 d EMRK gewährt das Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie der Belastungszeugen zu erwirken (vgl. Villiger, Handbuch der ERMK, 2. Aufl., Rz 526). "Wesentlich ist, dass der Beschuldigte, sein Verteidiger, ..., bei den Zeugeneinvernahmen anwesend sein dürfen und dass der Beschuldigte Anspruch darauf hat, mit den Belastungszeugen konfrontiert zu werden." (Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage Rz 653). "Zeugeneinvernahmen, bei denen die in StPO 14 I, III, IV bzw. VI garantierten Teilnahmerechte des Angeschuldigten verletzt wurden, sind nicht und unverwertbar, soweit sie den Angeschuldigten belasten. Solche Einvernahmen, die die Rechte des Beschuldigten nach StPO 14 verletzen, sind zu wiederholen, wenn dieser nicht darauf verzichtet." (Schmid, Rz 655).

Unter obiger Ziffer 1.2. wurde dargelegt, dass dieses Recht in Bezug auf den Entlastungszeugen B... verletzt wurde. Das Recht des Angeklagten wurde aber auch bezüglich der Einvernahme des Belastungszeugen Wettstein verletzt. Die Einvernahme des Belastungszeugen Wettsteins, verbunden mit der Möglichkeit der Verteidigung, dem Zeugen Wettstein Ergänzungsfragen zu stellen, erfolgte nicht, obwohl

  • das Obergericht die Wiederholung der Hauptverhandlung angeordnet hatte
  • der Angeklagte in diesem Anklagepunkt verurteilt wurde
  • dieser Anklagepunkt mit drei Monaten Gefängnis am meisten zum Gesamtstrafmass beitrug
  • die Vorinstanz die Verurteilung entscheidend und einseitig auf die Darstellungen dieses Belastungszeugen stützte.

Die Verteidigung hatte somit keine Gelegenheit, an den Belastungszeugen Ergänzungsfragen zu stellen, insbesondere nicht zur entscheidenden Frage der Notwehrsituation und zur angeblich "schweren" Augenentzündung, die sich dem ärztlichen Zeugnis nicht entnehmen lässt und die im Widerspruch dazu vom Zeugen selber zugegebenen Tatsache steht, dass er schon eine Viertelstunde nach dem Zwischenfall mit dem Auto durch den inzwischen völlig dunkel gewordenen Wald nach Hause fahren konnte.

Gemäss Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., Rz 108 zu Art. 6 EMRK, gilt folgendes: "Kommt es für eine Verurteilung ausschliesslich auf die Aussage eines Zeugen an, ist dieser in Gegenwart des Angeklagten vom erkennenden Gericht zu hören. Eine frühere Aussage eines solchen Zeugen kann, wenn er bei der Hauptverhandlung nicht verfügbar ist, grundsätzlich nur dann berücksichtigt werden, wenn seinerzeit Gegenüberstellung mit dem Angeklagten erfolgte."

Das anderweitige Vorgehen der Vorinstanz bedeutet eine Verletzung von Art. 6 EMRK.

1.4. Keine Verteidigung betreffend der Verurteilung wegen Rassendiskriminierung

Betreffend der Rassendiskriminierung durch Veröffentlichung des Gerichtsprotokolls im Verfahren Graf wurde der Angeklagte verteidigt und freigesprochen. Nicht verteidigt war der Angeklagte betreffend seiner Äusserungen zum Schächten, für die er von der Vorinstanz verurteilt wurde. Diesbezüglich wurde eine wirksame Verteidigung dadurch verunmöglicht, dass die Verteidigung erst aus dem erstinstanzlichen Urteil erfuhr, weshalb sich der Angeklagte der Rassendiskriminierung schuldig gemacht haben soll. Der Wahlverteidiger hat der Vorinstanz mit Schreiben vom 5. September 2001 mitgeteilt, dass er den Angeklagten diesbezüglich unter den gegebenen Umständen nicht materiell verteidigen können, ohne selber ein Strafverfahren wegen Rassendiskriminierung zu riskieren. Die amtliche Verteidigerin äusserte sich in gleichem Sinne und legte an der Verhandlung vom 28. Mai 2003 dar, dass die Anklageschrift den Anforderungen von EMRK 6 nicht genüge, indem weder der Angeklagte noch die beiden Verteidiger daraus entnehmen konnten, worin die Tatbestandsmässigkeit der inkriminierten Äusserungen zum Schächten liege, und dass es Pflicht der Anklage sei, dem Angeklagten "in allen Einzelheiten" mitzuteilen, was man ihm vorwerfe und weshalb und dass es mit den menschenrechtlich garantierten Verteidigungsrechten nicht vereinbar sei, wenn der Angeklagte und seine Verteidiger dies erst aus der Urteilsbegründung erfahren, und dass es auch nicht zumutbar sei, dass die Verteidigung sich in Mutmassungen über die Gründe der Anklage ergehe - zumal die Antirassismusstrafnorm derart unbestimmt und die Praxis dazu derart unberechenbar sei, dass die Verteidiger damit selber ein Strafverfahren riskieren würden. Aus diesen Gründen beantragte die amtliche Verteidigerin die Rückweisung der Anklage an die Untersuchungsbehörde.

Ob zutreffend ist, was die Vorinstanz dazu gestützt einzig auf die StPO ausführt, kann offen bleiben. Die EMRK-Garantien gehen der kantonalen StPO vor und letztere ist EMRK-konform auszulegen. Dies hat die Vorinstanz unterlassen, indem sie sich nur am Buchstaben der StPO orientierte. Ein Angeklagter hat gemäss Artikel 6 EMRK das Recht, frühzeitig, spätestens anlässlich der Anklage (Villiger, Handbuch der EMRK 2. Auflage Rz 506) und "in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden" (Villiger Rz 504). Dazu gehört ausdrücklich und im Gegensatz zu den Behauptungen der Vorinstanz (Seite 17) auch die strafrechtliche Würdigung (Villiger Rz 507).

Die allgemeine Praxis sehr knapp gehaltener Anklageschriften ist jedenfalls zumindest dann nicht EMRK-konform, wenn es um eine Anklage gestützt auf eine unbestimmte Strafnorm geht, die wie StGB Art 261bis in ihrer Unbestimmtheit selbst schon menschenrechtswidrig das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot verletzt (Villiger Rz 546; EGMR-Urteil Amann c. Schweiz, Auszug in Beilage 4, vollständiges Urteil in der Entscheidsammlung des EGMR unter www.echr.coe.int). Das unerträgliche Übermass an Unbestimmtheit von Art 261bis StGB ist von namhaften Rechtsprofessoren zu Recht kritisiert worden (Stratenwerth: Strafrecht; Trechsel: Kurzkommentar zum StGB; insbesondere auch die ausführliche Behandlung durch Karl Ludwig Kunz in der ZStrR, siehe Beilage 5) und zeigte sich im Frühjahr 1999 auch in der Parlamentsdebatte über die Aufhebung der Immunität von Nationalrat Keller. Die WELTWOCHE kommentierte wie folgt:

Misstrauen in eigener Sache.

Da haben sie nun die Bescherung, die Damen und Herren Parlamentarier. Ihr Kollege vom rechten Flügel, der Nationalrat und Präsident der Schweizer Demokraten Rudolf Keller, hat sich mit seiner Forderung - 'sämtliche amerikanische und jüdische Waren' seien zu boykottieren - ins Rampenlicht gesetzt... Eine Mehrheit beider Räte wäre zwar der Ansicht, dass Keller sich für seine Aussage verantworten müsste. Doch sie misstraut dem Gesetz, das sie selbst geschaffen und mit moralischem Druck durch die Volksabstimmung gebracht hat: der Strafnorm gegen Rassismus. Die Situation ist paradox: Im Ständerat wandte sich die SP-Politikerin Christiane Brunner gegen die Aufhebung von Kellers Immunität. Sie glaubt nicht, dass die gesetzliche Grundlage für einen Schuldspruch ausreicht. Diese Einschätzung teilt SVP-Ständeherr Maximilian Reimann, der gerade deshalb für die Aufhebung der Immunität eintrat. Im Nationalrat das umgekehrte Bild: Die Ratslinke und manche Bürgerlichen meinen, dass es garantiert zu einer Verurteilung käme, und stimmten deshalb für eine Aufhebung des parlamentarischen Schutzes. Eine rechtsbürgerliche Minderheit befürchtete hingegen eine Verurteilung und stimmte nein. ... Wie viele Keller und Kessler braucht das Parlament noch, bis es endlich die Mängel des Gesetzes behebt?

Und der Tages-Anzeiger schrieb in seiner Ausgabe vom 1. März 1999:

Wird das Rassismus-Verbot abgeschwächt?

Nicht harmlos: Die Anti-Rassismus-Strafnorm war noch keine zweieinhalb Jahre in Kraft, als der Thurgauer Carrossier und FPS-Nationalrat Wilfried Gusset schon eine Abänderung verlangte: Sie müsse präzisiert, eingeengt, volksnaher formuliert werden, heisst es im Motionstext, der auch von Christoph Blocher (SVP), Ernst Mühlemann (FDP) und 50 weiteren Ratsmitgliedern unterschrieben wurde. Vor allem müsse die Bestrafung der Rassen- und Religionsdiskriminierung von "klar definierter böswilliger Absicht" abhängig gemacht werden....

Trotz diesen Tatsachen verweigerte die Vorinstanz die Rückweisung der Anklage an die Untersuchungsbehörde zur Ergänzung. Der Vorsitzende forderte die Verteidigung auf, auch zur Anklage der Rassendiskriminierung zu plädieren. An der Fortsetzung der Verhandlung am 3. September 2003 erläuterte die amtliche Verteidigerin nochmals sehr ausführlich, warum sie sich nicht imstande sehe, den Angeklagten bezüglich der Anklage wegen Rassendiskriminierung im Zusammenhang mit der Diskussion um das Schächten materiell zu verteidigen (siehe Plädoyer-Notizen). Der Angeklagte blieb demzufolge in diesem Anklagepunkt, in dem er dann erstinstanzlich schuldig gesprochen und zu Gefängnis unbedingt verurteilt wurde, ohne wirksame Verteidigung. Von einem ordnungsgemässen Verfahren kann nicht die Rede sein. Indem der Angeklagte und seine Verteidiger erst in der erstinstanzlichen Urteilsbegründung erfuhren, warum seine Kritik am Schächten das Rassendiskriminierungsverbot verletzen sollen, wurde der Angeklagte faktisch der ersten Instanz beraubt, weshalb der Fall zur Wiederholung der Verhandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.

1.5. Urteilsbegründung mit Akten, die sich nicht im Verfahren befinden

Ein weiterer Grund zur Rückweisung ist, dass sich das Urteil des BG Bülach vom 3. September 2003 auf Akten stützt, die nicht Teil des vorliegenden Verfahrens sind und sich nicht in den Akten dieses Verfahrens befinden...

Auf S. 75, b) des Urteils vom 3. September 2003 zitiert die Vorinstanz

  • ein Urteil vom 14. Juli 1997 des ER in Strafsachen des BG Bülach, Proz. Nr. GG970040, act. 4/44/23 S. 97
  • ein Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 10. März 1998, act. 4/44/25 S. 23 und weiter unten S. 32 (S. 75 oben und ganz unten)
  • einen Bundesgerichtsentscheid vom 26. September 2000, von dem nicht einmal ein Verfahrens- und/oder Aktennummer angegeben ist

Diese Akten befinden sich nicht im Dossier des heutigen Verfahrens DG020100. Sie sind den Verteidigern nicht bekannt.

Trotzdem verwendet die Vorinstanz diese Akten (S. 76 oben des Urteil vom 3. September 2003) zur Begründung dafür, dass es "dem Angeklagten doch offensichtlich einzig um die Bestätigung bzw.

1.6. Ungenügende Anklageschrift

1.6.1.

Art. 261 bis StGB genügt schon selber den Anforderungen, welche an die Umschreibung eines Straftatbestandes gestellt werden müssen, nicht (ZStrR Band 109 [1992] S. 154 ff) und Entscheid EGMR vom 16. Februar 2000, S. 17 Ziff. 55 ff., B4.

Die Tatbestandsdarstellung gibt dem Rechtsunterworfenen nicht den geringsten Anhaltspunkt, welches Verhalten erlaubt und insbesondere, welche unerlaubt sei. Umso strengere Anforderungen sind bezüglich Konkretisierung von Sachverhalt und strafrechtlichen Vorwurf an eine Anklageschrift zu stellen, welche die Bestrafung eines Angeklagten gestützt auf Art. 261 bis zum Zwecke haben soll. Mehr noch, wenn diese Person, wie im Falle des Angeklagten, zu einer unbedingten Gefängnisstrafe verurteilt werden soll.

1.6.2.

Die Nachtragsanklage vom 28. April 2003 (DG020100, act. 15/8) erfüllt weder die Anforderungen von § 162 StGB noch diejenigen von EMRK Art. 6 Ziff. 3a. Letzterer fordert, dass der Angeklagte "...in allen Einzelheiten (Unterstreichung nicht im Original) über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen in Kenntnis gesetzt wird". Um eine wirksame Verteidigung aufbauen zu können, ist eindeutig klar, dass diese Einzelheiten selbstverständlich vor der ersten Gerichtsverhandlung dem Angeklagten und seinem Verteidiger bekannt sein müssen.

Die Nachtragsanklage vom 28. April 2003 genügt diesen Anforderungen nicht: Welche strafrechtlich relevanten Ideologien verbreitet denn der Angeklagte (act. 15/8 S. 2 ff)? Welchen Inhaltes? Gegen welche (Zitat) "Rasse, Ethnie oder Religion" soll sich denn die behauptete Ideologie des Angeklagten richten? Worin sieht die Bezirksanwaltschaft die "gegen die Menschenwürde verstossende Weise", welche sie dem Angeklagten vorwirft? Inwieweit handelt es sich denn um Wiederholungen von Äusserungen (act. 15/8 S. 2 unteres Drittel). Zudem beruft sich die Anklage fälschlicherweise darauf, der Angeklagte habe bereits eine "erstinstanzliche Verurteilung durch das Bezirksgericht Bülach vom 5.Dezember 2001" erfahren, ist doch genau dieses Urteil vom Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 20. August 2002 (act. 1) aufgehoben worden.

Es ist nicht die Aufgabe der Verteidigung, über die Gründe der Anklage zu spekulieren.

Die Nachtragsanklage (act. 15/8) bietet mangels Erfüllung der Anforderungen an § 162 StPO und EMRK Art. 6 Ziff. 3 die Voraussetzungen für eine effiziente Verteidigung nicht.

1.6.3.

Ebenso wenig genügt die Anklageschrift den Anforderungen, welche die bundesgerichtliche Praxis an sie stellt:

So BGE 126 I 21, E 2a ausdrücklich: "Die Anklage hat die dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind" und hält fest, dass das Anklageprinzip zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte des Angeschuldigten und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör dient.

In beiden Verhandlungen (act. 27 S. 1 ff, Prot. S. 8ff und act. 46 S. 1 ff und Prot. S. 44 ff) erhob die Verteidigung vorgängig der Verhandlung über die Sache Einwendungen zur Anklage i.S.v. § 182 StPO, rügte deren Mangelhaftigkeit und verlangte die Rückweisung der Anklageschrift/en an die Bezirksanwaltschaft/en zur Verbesserung der Mängel. Leider drang die Verteidigung dannzumal mit diesen Anträgen nicht durch.

Dass eine Rückweisung an die Untersuchungsbehörde zur Verbesserung von Mängeln der Anklageschrift zulässig, ja sogar zwingend ist, entschied das Bundesgericht in 120 IV 348 insbes. Erw. 2 ff: das Bundesgericht wies eine mangelhafte Anklageschrift an die (Bundes)Anwaltschaft zurück und führte dazu aus, das Anklagezulassungsverfahren solle den Angeklagten vor ungerechtfertigter Anklage und insbesondere vor einer allenfalls unnötigen Prangerwirkung des öffentlichen Gerichtsverfahren schützen. Gleiches muss für den Angeklagten gelten, um so mehr, als er immer wieder negativ in den Medien "herumgeschleikt" wird. Es wäre die Fürsorgepflicht der Vorinstanz gewesen, die Nachtrags-Anklage – zumindest in dieser Form – nicht zuzulassen und von Amtes wegen, spätestens aber auf den Antrag der Verteidigung hin – zur Verbesserung an die Untersuchungsbehörden zurückzuweisen.

In dieser Form, so wie die Anklagen heute vorliegen, wird keine genügen, den Angeklagten zu verurteilen

Bereits im Plädoyer vom 28. Mai 2003 wie auch am 3. September 2003 (act. 27 S. 1 ff und act. 46)) wies die amtliche Verteidigung darauf hin, dass sich jeder Anwalt, der zur Verteidigung seines Klienten gestützt auf diese schwammige Anklage ausholt, sich selber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einem Strafverfahren i.S. von Art. 261 bis StGB aussetzt. Mit Grund blieb der Unterzeichnende der ersten Verhandlung im Jahre 2001 fern. Niemand, auch nicht ein Verteidiger, ist verpflichtet, sich in Ausübung seiner Berufspflichten wissentlich höchstem Risiko einer eigenen Strafverfolgung auszusetzen.

Somit fand keine gültige Verhandlung bezüglich Rassendiskriminierung statt, weil die Verteidigungsrechte diesbezüglich unmöglich ausgeübt werden konnten. Auch unter diesem Aspekt ist eine Rückweisung zwingend (so auch Donatsch/Schmid, Kommentar zur Zürcher Strafprozessordnung, zu § 427, N 8).

Im Sinne dieser Erwägungen ist das Urteil vom 3. September 2003 aufzuheben und das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen.

1.7. Verletzung des Verbots der reformatio in peius

Im Urteil der Vorinstanz vom 5. Dezember 2001 wurde der Angeklagte von der Anklage der versuchten Nötigung (Geschädigte Demuth) freigesprochen. Auf Berufung des Angeklagten hin hob das Obergericht dieses Urteil auf und wies die Sache zur Neuverhandlung an die Vorinstanz zurück. Im neuen, nun hier erneut angefochtenen Urteil vom 3. September 2003 wurde der Angeklagte in diesem Punkt schuldig gesprochen. Das verletzt das Verbot der reformatio in peius.

Hauser/Schweri, 5. Auflage 2002, Rz 4 S. 448: "Das Verbot der reformatio in peius gilt auch, wenn ein Rechtsmittel gutgeheissen und die Sache zu neuer Entscheidung an die untere Instanz zurückgewiesen wird."

Desgleichen in Rz 12 auf S. 450 oben: "Das Verbot der reformatio in peius gilt grundsätzlich nicht nur für das Rechtsmittelgericht, sondern auch für das Gericht, an das die Sache zur Wiederholung der Hauptverhandlung zurückgewiesen wird (in diesem Sinne z.B. § 399 StPO Zürich (...) § 209 Abs. 1 und 4 Thurgau).

Es haben sich im zweiten keine NEUEN wesentlich erschwerenden Tatsachen zu Lasten des Angeklagten ergeben und die Vorinstanz macht auch keine solchen geltend, weshalb dieser umstrittene Fall vorliegend nicht zu beurteilen ist.

2. Eventualantrag auf Sistierung der Berufungsverhandlung bis zum Vorliegen des EGMR-Entscheides im 1. Schächtprozess

Wie die Vorinstanz auf S. 42 ihrer Erwägungen festhält, geht es im vorliegenden Verfahren teilweise um "identische bzw. gleich gelagerte Aussagen zum Schächten (rituelles Schlachten von Kühen, Kälbern und Schafen bei vollem Bewusstsein, ohne vorherige Betäubung), wie im sog. 1. Schächtprozess (Urteil des Obergerichts vom 10. März 1998)". Sowohl die Urteilsbegründung als auch die Strafzumessung bauen wesentlich auf jenes Urteil, gegen welches seit dem 18. November 2000 eine Beschwerde des Angeklagten gegen die Schweiz hängig ist (Beilagen 6 und 7). Die Beschwerde hat die Zulassungshürde offenbar genommen (dem Beschwerdeführer wird gemäss Praxis des EGMR nur ein negativer Zulassungsentscheid mitgeteilt und dies innert Jahresfrist, was vorliegend nicht geschah), und dürfte in Anbetracht der Dauer der Hängigkeit demnächst zur materiellen Beurteilung kommen.

Dass diese Beschwerde die Zulassungshürde, an welcher 95% aller Beschwerden scheitern, genommen hat, zeigt das Interesse, welcher der EGMR dieser Verurteilung wegen sachlich begründeten Äusserungen in einer landesweiten öffentlichen Diskussion beimisst. Das Vorhaben des Bundesrates, das Schächtverbot aufzuheben, hat eine öffentliche Diskussion ausgelöst, wobei die Informationen und Stellungnahmen des Angeklagten zu diesem Thema eine hervorragende Rolle gespielt haben. Schliesslich musste der Bundesrat sein Vorhaben, das grossmehrheitlich auf Ablehnung stiess, fallen lassen. In einem solchen Umfeld misst der EGMR der durch das vorinstanzliche Urteil massiv betroffenen Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit grosse Bedeutung zu. "Zusammen mit dem Recht auf Leben und dem Verbot der Folter steht das Recht auf freie Meinungsäusserung hierarchisch an der Spitze des Grundrechtssystems: Denn ohne freie Meinungsäusserung können andere Grundrechte nicht verteidigt werden.... Der Gerichtshof unterstrich diese Bedeutung, als er ausführte: 'Freedom of expression constitutes one of the essential foundations of a democratic society and one of the basic conditions for its progress and for the development of every man and woman.' Entsprechend der zentralen Position von Art 10 EMRK werden diese Rechte weit gefasst. Geschützt werden nicht nur einzelne oder bestimmte Informationen. Art. 10 umfasst auch unangenehme Inhalte, die 'offend, shock or disturb'" (Villiger, Rz 603).

Der vorinstanzlichen Verurteilung wegen angeblicher Rassendiskriminierung liegen ausschliesslich Äusserungen zum Schächten zugrunde. Der Angeklagte hat die inkriminierenden Äusserungen gegen das Schächten und die schächtenden Juden in seinen Publikationen sachlich begründet. Der Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit durch die vorinstanzliche Verurteilung ist schwerwiegend, weil damit in die politische Diskussion über ein Thema von erheblichem öffentlichen Interesse eingegriffen wird (Tierschutz hat Verfassungsrang).

Dazu kommt, dass unmittelbar auch die Medienfreiheit betroffen ist, denn der Angeklagte hat sämtliche inkriminierenden Äusserungen als hauptverantwortlicher Redaktor in den Medien des Vereins gegen Tierfabriken (Zeitschrift "VgT-Nachrichten" und "VgT-Website www.vgt.ch") veröffentlicht, klar ersichtlich als Beitrag zur Schächtdiskussion und keinesfalls als private Äusserungen "gegen Juden".

Das Urteil des EGMR wird für das vorliegende Verfahren entscheidende Präjudizwirkung haben. Es ist deshalb angezeigt, die Berufungsverhandlung bis zum Vorliegen des EGMR-Urteils zu sistieren, andernfalls mit einem aufwendigen Revisionsverfahren gerechnet werden muss.

3. Subeventualantrag betreffend Einvernahme der Zeugen B...und Wettstein sowie Tatortbesichtigung

Sollte das Obergericht die Auffassung des Angeklagten bezüglich Rückweisung, eventualiter Sistierung des Verfahrens, nicht teilen, wäre im Rahmen des Berufungsverfahrens zumindest Peter B... als Zeuge einzuvernehmen, und wäre der Verteidigung Gelegenheit zu geben, dem Geschädigten Wettstein Ergänzungsfragen zu stellen. Ebenso wäre eine Tatortbesichtigung an einem 5. Oktober, 19.45 Uhr, möglicherweise an einem anderen Tag (Bäume im Laub), eine Stunde nach Sonnenuntergang, durchzuführen, damit der Angeklagte dem Obergericht die damals bestehende Notwehrsituation aufzeigen könnte.

Mit diesem Vorgehen würde der Angeklagte allerdings um eine Instanz gebracht.

4. Zusammenfassung und Schlussbemerkung

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte misst in der demokratischen Gesellschaft dem Recht auf ein faires Gerichtsverfahren eine zentrale Bedeutung zu, die eine restriktive Auslegung ausschliesst (Villiger, a.a.o, S. 239). Die Verteidigungsrechte und das rechtliche Gehör des Angeklagten wurden dadurch krass verletzt, dass der Angeklagte trotz notwendiger Verteidigung in den Hauptpunkten materiell nicht verteidigt war, die Verteidigung keine Fragen an den Zeugen Wettstein stellen konnte, die Vorinstanz sich einseitig auf die Sachverhaltsdarstellung dieses Zeugen abstützte, die Schilderung der Notwehrsituation durch den Angeklagten (Blockierung seines Fahrzeuges), ohne Begründung nicht beachtete, den beantragten Entlastungsbeweis (Zeugeneinvernahme B...) ohne Begründung nicht abnahm und darüber nicht einmal entschied.

Unter solchen Umständen kann nicht von einem ordnungsgemässen, verfassungs- und menschenrechtskonformen Verfahren gesprochen werden.

Gemäss Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, RZ 500, hat das Gericht "in Fällen notwendiger Verteidigung selbst für eine auch materiell ausreichende Verteidigung besorgt zu sein. Eine im Berufungsverfahren festgestellte ungenügende Verteidigung vor der Vorinstanz führt zur Rückweisung des Falles zur Wiederholung des bezirksgerichtlichen Verfahrens. Ohne genügende Verteidigung leidet das hernach ergehende Urteil am Nichtigkeitsgrund von StPO 430 I Ziff 4.".

Den Verteidigern des Angeklagten ist bewusst, dass das vorliegende Verfahren ein Prozess mit politischem Hintergrund ist. Gerade deswegen ist es die vornehmste Pflicht des Richters, den einem Angeklagten zustehenden Rechten besondere Aufmerksamkeit zu widmen und keine Verfahrensfehler zu schützen, die einem Angeklagten zum Nachteil gereichen. Nur auf diese Art und Weise kann die Unabhängigkeit der Justiz gepflegt und kund getan und der ohnehin schon stark überlastete Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entlastet werden.


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