VN2004-1, Mai 2004
Die Tragödie der angeblich glücklichen
Schweizer Hühner
Vortrag von Erwin Kessler an der
Fachtagung über artgerechte Tierhaltung an der Universität Kassel am 2./3. Mai
2003
Verantstalter: Prof Dr D W Fölsch, Ökologische Agrarwissenschaften,
Witzenhausen,
Geschätztes Publikum, ich habe Prof Detlef Fölsch
anfangs der 60iger-Jahre, inder Pionierzeit der artgerechten Nutztierhaltung,
kennengelernt und bin aus Achtung vor ihm heute hierher an diese Tagung
gekommen, denn er ist einer der seltenen, nicht käuflichen Experten. Leider
gehört es zum menschlichen Normalverhalten, dass ethische Grundsätze dem
beruflichen Erfolg und der sozialen Akzeptanz geopfert werden. Mein Referat
zeigt die Folgen am Beispiel der Hühnerhaltung in der Schweiz.
Seitdem in der Schweiz die Käfighaltung von Legehennen abgeschafft ist, herrscht
die Vorstellung von glücklichen Schweizer Hühnern - kräftig gefördert von der
Werbung.
Den Schweizer Hühnern geht es weniger schlecht, als den Käfighühnern hier in
Deutschland. Das ist wahr. Aber sie werden doch auch unter KZ-artigen
Bedingungen gehalten. Das liegt daran, dass die von Prof Fölsch entwickelte, an
sich tierfreundlichen Volièren-Stallsysteme zu KZs pervertiert wurden, durch
katastrophale Überfüllung (www.vgt.ch/news2002/020812.htm).
Der sog Scharrraum wird nur einmal, jeweils beim Einstallen neuer Tiere, frisch
eingestreut; bald ist es nur noch eine matschige Schicht aus Mist und Sägemehl,
in der es nichts mehr zu scharren gibt. Tageslicht wird kaum hereingelassen. Ein
automatisches Kunstlichtprogramm täuscht Frühling vor zur Anregung des
Eierlegens. Ein übles Klima aus Staub und Ammoniakgestank trägt das übrige bei,
um das Leben der Hennen zur Hölle zu machen, und die Tiere selber sind derart
überzüchtet und werden mit Industriefutter zu maximaler Legeleistung
angetrieben, dass sie schon im Alter von wenig über einem halben Jahr körperlich
erschöpft und verbraucht sind, so dass ihnen die Federn ausfallen. Schon
im jungen Alter von 15 Monaten geht es deshalb ab in die Geflügelschlächterei,
wobei es auf Bein- und Flügelbrüche nicht ankommt, denn diese noch jungen, aber
völlig rücksichtslos ausgebeuteten Tiere stellen nur noch Abfall dar. In der
Schlächterei werden sie bei vollem Bewusstsein mit den Füssen - Kopf nach unten -
an Metallbügel eines Förderbandes gehängt, das langsam verschiedene Windungen
durchläuft, bis die in Todesangst versetzten Tiere vor Erschöpfung nicht mehr
stark flattern. In diesem Zustand werden sie durch das Elektrobad gezogen,
wonach sie nur teilweise betäubt sind, wenn sie an einem rotierenden Messer
vorbeigezogen werden, das ihnen den Hals aufschneidet.
Ach ja, da hätte ich noch fast den Anfang dieser Tragödie vergessen: Eine
riesige Masse mutterloser, unaufhörlich piepsender, vergeblich nach ihrer Mutter
rufender Küken, die in tagelanger Reise in ganz Europa herumgekarrt werden -
auch in die Schweiz, wo die weiblichen Tiere dann angeblich glückliche Hühner
werden, während die unnützen männlichen vergast oder auch ohne vorgängige
Vergasung direkt durch einen Mixer hindurch in den Abfallcontainer befördert
werden.
Ich wünsche Ihnen guten Appetit bei Ihrer nächsten Eierspeise! Leider hat es
fast in allen Fertigprodukten und Restaurant-Menüs Eier drin, weil Eier so
billig sind - dank billiger KZ-Haltung.
Sie konsumieren nur Freilandeier? Diese Illusion hatte ich auch einmal. Dass ich
früher Freilandeier empfohlen habe, zähle ich zu den grossen Fehler meiner
Tierschutzarbeit. Mit Eiern aus sogenannter Freiland- und Auslaufhaltung wird
die Verbrauchertäuschung besonders hemmungslos betrieben. Ich denke da nicht
einmal in erster Linie an jene nette Bauersfrau, die auf dem Markt in der Stadt
Bern angebliche "Freilandeier" verkaufte, welche sie sich vorher im
Grossverteiler als billige Käfigeier besorgt hatte. Ihren Marktstand zierte die Tafel eines Tierschutzvereins mit einer Garantieerklärung für die
Freilandeier an diesem Stand. Dieser Tierschutzverein existierte schon seit
Jahren nicht mehr.
Solche Konsumententäuschungen wirken schon fast nostalgisch angesichts
des im grossen Stil, systematisch organisierten Betruges durch die
Grossverteiler (Migros, Coop etc). Eier aus Auslaufhaltung werden angeboten,
und der Konsument stellt sich darunter freilaufende, sonnenbadende und in einer Wiese
herumpickende glückliche Hühner vor. In Tat und Wahrheit ist der sog "Auslauf"
ein vergitterter, überdachter Stallanbau. Oft ist auch noch die Front
grösstenteils abgedeckt, mit Windschutzblachen oder auch ganz direkt mit einer
Bretterwand, so dass dieser sog Auslauf eigentlich nur noch eine
Stallvergrösserung darstellt. Wenn damit die Hühner, wenn sie schon nicht ins
Freie können, wenigstens etwas mehr Platz hätten, wäre das wenigstens etwas. So
ist es aber nicht. Die Hühnerfabrikanten haben rasch gemerkt, dass ein solcher
Pseudo-Auslauf eigentlich eine Stallvergrösserung darstellt, die es erlaubt,
noch mehr Hühner hineinzupferchen.. Es ist übliche Praxis, dass die Ställe
dementsprechend überbelegt werden. Eine solche Hühnerfabrik gleicht nach dem
Einstallen neuer Hennen einer Sardinenbüchse. Ausser Hühnern ist da nichts zu
sehen. Viele finden auf den Sitzstangen keinen Platz. Der sogenannte Scharrraum
ist nachts mit artwidrig auf dem Bauch schlafenden Hennen bedeckt.
Die Reihen lichten sich dann allerdings rasch, denn die Abgänge - per Förderband
zusammen mit dem Mist hinaus befördert - sind beachtlich.
Ich habe in Hunzenschwil im Kanton Aargau eine
grosse Hühnerfabrik angetroffen, welche ihre Freilandeier dem Grossverteiler
Migros lieferte. Dieser Tierfabrikbesitzer ist den Weg zur Integrierung des
Auslaufs in das Stallinnere konsequent zu Ende gegangen. Der Stall ist
unterteilt: Ein Abteil hat kleine vergitterte Fenster ohne Glas. Dieses
Stallabteil war der sog Schlechtwetterauslauf. Vor dem Stall hat es eine grosse
Wiese - aber nicht für die Hühner! Um den Stall herum war ein kleine Fläche mit
einem Elektrozaunnetz eingezäunt - ein Alibi für die angebliche Freilandhaltung.
Es waren nur selten ein paar wenige Hühner im Freien zu sehen. Das
Elektrozaunnetz lag meistens am Boden, und zwar über Wochen und Monate immer
genau gleich. Die toten Hühner wurden laufend im Freien in einem Tag und Nacht
qualmenden Mottfeuer verbrannt - eine illegale Kadaverbrennung, die beissenden
Gestank und weithin sichtbaren schwarzen Rauch je nach Windrichtung bis über die
Autobahn verbreitete. Dieser Rauch hat mich eines Tages angelockt. Nach einer
Strafanzeige ist es jetzt fertig mit Freiland-Kadaververbrennung, und nach dem
ich diesen Fall veröffentlichte - aber erst dann! -, verzichtete Migros auf
diesen Lieferanten. Nur: ich kann nicht in der ganzen Schweiz alle diese
Gaunereien aufdecken, nur hie und da an einzelnen Beispielen aufzeigen, was da
wirklich mit den glücklichen Schweizer Hühnern abläuft, und die Verbraucher dazu
aufrufen, keine Eier und eihaltigen Speisen zu essen. Und auch das nur in
unserer eigenen Zeitschrift. Die anderen Medien interessieren sich nicht für
solche Nebensächlichkeiten; es sind ja nur Tiere, die da missbraucht und
ausgebeutet werden.
Berichte und Bilder über diese Aargauer
Migros-Hühnerfabrik:
www.vgt.ch/vn/0002/tierfabriken.htm
www.vgt.ch/vn/0102/hunzenschwil.htm
www.vgt.ch/news_bis2001/010606B.htm
Während sich andere Tierschutzorganisationen, wenn überhaupt, nur gegen das
Fleischessen wenden, finde ich das Essen von Eiern ethisch verwerflicher als das
Essen von Rindfleisch.
Den Freilandhühnern, die im Gegensatz zu den Hühnern mit "Auslauf", wirklich
einen Auslauf unter freiem Himmel haben sollten, geht es auch nicht viel besser.
Der Auslauf wird sowieso erst um die Mittagszeit geöffnet, damit die Hühner die
Eier nicht verlegen. Denn als junges Huhn in einer Masse von mir unbekannten
anderen Hühnern würde ich mein Ei wahrscheinlich auch lieber dort ablegen, wo
ich gerade bin, als durch das Gedränge hindurch den langen Weg zu den Nestern zu
suchen und damit die paar Freunde zu verlieren, die in dieser anonymen,
unübersehbaren Masse von Artgenossen eben erst gewonnen wurden. Dass dieses
Eierverlegen und Geschlossenhalten des Auslaufs, ebenso wie der Verlust des
Gefieders, auch bei kleinen, sog bäuerlichen Hühnerhaltungen mit zB 200 Hühnern
ein Problem ist, sagt alles über den Zustand der heutigen Hühnerhaltungspraxis.
Es bricht mir fast das Herz, wenn ich sog Freilandhühner im düsteren, staubigen
Stall sehe, wie sie bei strahlendem Wetter den ganzen Vormittag aufgeregt hinter
dem Stallfenster hin und her gehen und einfach nicht verstehen können, warum sie
nicht - ihrem natürlichen Verlangen folgend - bei Sonnenaufgang aus dem
Stall dürfen. Wenn es dann endlich Mittag wird, ist es noch lange nicht sicher, dass der
Auslauf aufgemacht wird. Dieser wird nur bei schönem Wetter geöffnet, wenn es nicht
zu kalt, nicht zu heiss, nicht zu nass, nicht zu trocken, nicht zu windig ist.
Vielleicht ist auch Windstille ein Grund, den Auslauf nicht zu öffnen, denn die
Vegetation vor dem Stall wandelt sich rasch in eine unansehnliche Wüste, wenn
viele Hühner täglich hinaus können.
Wenn Sie nun denken, Sie kennen einen Bauern mit einem Dutzend Hühner, die es
wirklich schön haben, dann sage ich Ihnen: Mag sein, dann haben nicht nur die
Hühner, sondern auch Sie Glück. Aber seien Sie vorsichtig. Ich habe schon
zuviele schmucke Bauernhöfe gefunden mit Bauersleuten wie aus dem Bilderbuch.
Vor dem blumengeschmückten, gemütlichen Bauernhaus ein Kühlschrank mit
Freilandeier "direkt ab Hof" zur Selbstbedienung. Und hinter dem Haus ein
kleiner, dreckiger Hühnerstall, mit zerzausten, halbnackten Hennen, die nie ins
Freie kommen (www.vgt.ch/news2002/020812.htm).
*
Ausführlicher Bild-Bericht zu diesem Thema:
www.vgt.ch/vn/0002/huehner.htm
www.vgt.ch/doc/huehner
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