16. Dezember 2004 Kanton Thurgau: Tierschutz-Verhinderung mit Trinkgeldbussen Die schweizerischen Tierschutzorganisationen sind sich einig: Die Tierschutzverordnung des Bundesrates ist absolut ungenügend. Sie schützt mehr die Tierhalter als die Tiere. Tierquälerische Praktiken in der Nutztierhaltung werden darin nicht verboten, sondern ausdrücklich erlaubt, besonders krass in der Schweinehaltung. Noch immer müssen sich Mastschweine mit einem Lebensraum von rund 0.6 Quadratmeter pro Tier begnügen. Noch immer dürfen diese sensiblen Tiere auf einstreulosem, harten Betonboden gehalten werden, wo sie am gleichen Platz fressen, koten und schlafen müssen - krass entgegen den angeborenen Bedürfnisse. Noch immer dürfen Mutterschweine in engen Käfigen gehalten werden, wochenlang zur Bewegungslosigkeit verurteilt. Die Käfige sind derart eng, dass die Tiere nur mit Mühe gerade noch knapp abliegen und aufstehen können. Das einzige, was die Tierschutzverordnung diesen skrupellos ausgebeuteten, leidenden Tieren zugesteht, ist Stroheinstreu für die Muttertiere während der Geburt und Säugezeit. Artikel 23 Absatz 2 der Tierschutzverordnung schreibt für Abferkelbuchten vor: "Einige Tage vor dem Abferkeln ist ausreichend Langstroh oder zum Nestbau geeignetes Material und während der Säugezeit ausreichend Einstreu in die Bucht zu geben." In den Richtlinien des Bundesamtes für Veterinärwesen zur Schweinehaltung wird diese Vorschrift wie folgt erläutert: "Langstroh oder anderes Material ist dann zum Nestbau geeignet, wenn es folgende Verhaltenselemente des Nestbaues ermöglicht: Ausmulden mit dem Rüssel, Einscharren mit den Vorderläufen, Sammeln und Eintragen von Nestbaumaterial." Es ist uns kein einziger Betrieb bekannt, wo diese Vorschrift eingehalten wird. Nicht einmal in Labelbetrieben (CoopNaturaplan, Migros M7/Engagement, Bio) wird diese Vorschrift eingehalten. In Labelbetrieben hat es meistens etwas Alibistroh, in konventionellen Betrieben meistens gar nichts, die Mutterschweine liegen bei der Geburt und beim Säugen mit ihrem schweren Körper auf dem harten Zementboden. Diese Missstände werden von den Thurgauer Behörden systematisch gedeckt, indem die Einstreuvorschrift nicht durchgesetzt wird. Und wenn der VgT mit unwiderlegbaren Beweisfotos Anzeigen macht, erhalten die Täter eine lächerliche Trinkgeldbusse, die keinen einzigen Schweinezüchter veranlasst, dieser Vorschrift künftig nachzuleben. Auch der allerdümmste Schweinemäster kann sich ausrechnen, dass es für ihn vorteilhafter ist, eine kleine Busse zu bezahlen, als sich täglich mit Stroh Mehrarbeit zu machen. Die Missachtung von Tierschutzvorschriften wird allgmein, und bezüglich der Einstreuvorschrift im besonderen, als bedeutungsloses Kavaliersdelikt, wie etwa ein Überziehen der Parkzeit in der blauen Zone, behandelt. Ob Stroh vorhanden ist oder nicht, ist aber in diesem unbeschreiblichen Elend, in dem die Tiere dahinvegetieren müssen, ein himmelweiter Unterschied. Um diese tierverachtende, bauernfreundliche Bussenpraxis im Agrar-Kanton Thurgau zu verschleiern, haben einige Thurgauer Bezirksämter dem VgT das Recht, als Anzeigeerstatter in die Bussenverfügung Einsicht zu nehmen, rechtswidrig verweigert. Diese Rechtswidrigkeit wurde von der notorisch tierschutzfeindlichen Staatsanwaltschaft gedeckt. Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert die Öffentlichkeit von Strafverfahren, damit die Öffentlichkeit das Funktionieren der Justiz kontrollieren kann. Das Obergericht hat deshalb eine Beschwerde des VgT gegen das Bezirksamt Bischofszell und gegen die Staatsanwaltschaft gutgeheissen und das Bezirksamt Bischofszell angewiesen, dem VgT Kopien der Bussenverfügungen zuzustellen (mehr dazu hier). Damit ist die skandalöse Bussenpraxis, mit welcher die Thurgauer Bezirksämter den Tierschutzvollzug systematisch torpedieren, ans Tageslicht gekommen: Ein Bauer hielt seine Kühe unter vorsätzlicher Missachtung der gesetzlichen Auslaufvorschrift jahrelang dauernd angekettet. Für diese Tierquälerei erhielt er vom Bezirksamt Arbon eine Trinkgeldbusse von 500 Franken. Verantwortlicher Verantwortlich für diese Aufmunterung, den Tierschutz nicht ernst zu nehmen, ist Bezirksstatthalter Homberger. Mehr zu diesem Fall hier. Käser und Schweinemäster Hans Ulrich Jost, Mettlen, schnürte einem Schwein vorsätzlich den Schwanz mit einem Gummiring ab, um dieses Körperteil absterben zu lassen. Für diese Tierquälerei wurde er vom Bezirksamt Weinfelden mit 90 Franken gebüsst. Verantwortlich für diese Ermunterung, Tierschutzvorschriften nicht ernst zu nehmen und mit Tierquälereien weiterzufahren, ist Bezirkstatthalter Jünger. Der gleiche Käser und Schweinemäster - Jost, Mettlen - hat in Tuttwil unter grauenhaften Umständen Schweine gemästet. Siehe hier. Hiefür erhielt er vom Bezirksamt Münchwilen (Vizestatthalter Rogg) eine Trinkgeldbusse von 900 Franken. Käser und Schweinemäster Stefan Jud in Schönenberg, der in seinem Schweine-KZ nicht einmal die ohnehin völlig ungenügenden gesetzlichen Mindesvorschriften einhielt, wurde vom Bezirksamt Bischofszell mit lächerlichen 250 Franken gebüsst. Und Schweinezüchter David Berlinger (Pächter der Schweinefabrik des Restaurants Muggensturm), der seinen hochträchtigen Mutterschweinen die vorgeschriebene Einstreu vorenthielt, erhielt ebenfalls eine Trinkgeldbusse von 250 Franken. Verantwortlich hiefür ist Vizestatthalter Heinz Iseli Am 13. Mai 2002 reichte der VgT gegen Schweinezüchter Paul Pfleghart in Guntershausen bei Aadorf, der bis heute die Einstreuvorschrift für Abferkelbuchten systematisch missachtet, eine Anzeige ein. Der Tatbestand war durch verschiedene Fotos eindeutig festgehalten:
Auf obiger Aufnahme vom Mai 2002 ist klar ersichtlich, dass jegliche Einstreu fehlt. Im weiteren hatte Pfleghart den Ferkeln ohne Betäubung die Schwänze abgeschnitten. Rür diese Tierquälerei erhielt er vom Bezirksamt Frauenfeld eine Trinkgeldbusse von 500 Franken. Dagegen habe er die Einstreuvorschrift nicht verletzt, heisst es in der Verfügung mit folgender Wahnwitzigen Begründung: ".. Bezüglich der grösseren Ferkeln ist glaubhaft, dass diesen am Morgen um 9.00 Uhr ausreichend Strohhäcksel eingestreut wurde, dieses aber in der Zwischenzeit verbraucht war. Gleiches gilt für die vom VgT eingereichten Fotos, welche zur Nachtzeit erstellt worden sein müssen, also zu einem Zeitpunkt, wo die Einstreu verbraucht war." Für diese unglaubliche Tatsachen- und Rechtsverdrehung ist Vizestatthalterin lic iur Elisabeth Aepli verantwortlich. Ferkel können Stroh nicht auffressen, nur damit spielen und ein wenig daran knabbern, und das Muttertier kann ausserhalb ihres Käfigs keine Einstreu auffressen und auflecken. Die Aufnahme beweist deshalb ganz klar, dass hier überhaupt kein Stroh gegeben wurde. So oder so wäre es jedenfalls viel zuwenig gewesen und eben nicht "ausreichend", wie Artikel 23 der Tierschutzverordnung ausdrücklich verlangt. Die Einstreuvorschrift verlangt nicht, die Tiere seien mit Stroh zu füttern, vielmehr ist "Einstreu" - darunter versteht man eine Bodenbedeckung mit Stroh -, vorgeschrieben. Und wenn es keine Einstreu hat, dann ist diese Vorschrift verletzt, auch wenn der Täter behauptet, es habe zu einem früheren Zeitpunkt Stroh gehabt. Wie kann diese herzlose Vizestatthalterin unter diesen Umständen behaupten, die Einstreuvorschrift sei erfüllt gewesen, wo doch feststeht, dass es keine Einstreu hatte? Wie ist es möglich, dass eine Frau(!) nicht das Mindeste an Einfühlungsvermögen für derart misshandelte Muttertiere hat? Wenn sie schon seelisch derart abgestumpft ist, wäre es wenigstens ihre Amtspflicht, das geltende Recht anzuwenden. Statt dessen hat sie den erwiesenen Sachverhalt verdreht und das Recht gebogen, um den Täter vor Strafe zu schonen. Diese Dame findet offenbar, die Mutterschweine seien selber schuld, wenn sie trotz Einstreuvorschrift auf dem nackten Zementboden schlafen müssen, weil sie halt das bisschen Stroh, das sie angeblich am Morgen erhalten, bis zum Abend spurlos auflecken. Mit dieser Praxis der Trinkgeldbussen - ohne Strafregistereintrag! - wird die Nichteinhaltung der eidgenössischen Tierschutzvorschriften amtlich zur bedeutungslosen Nichtigkeit erklärt. Damit wird den Tierausbeutern signalisiert, dass sie im Agrar-Kanton Thurgau vor dem Tierschutzgesetz sicher sind, dh durch den Nichtvollzug vor den ohnehin minimalen Tierschutzvorschriften verschont werden. Das Tierschutzgesetz wurde - das war immer klar und zeigt sich hier wiedereinmal deutlich - nicht zum Schutz der Tiere, sondern zur Beruhigung der Öffentlichkeit und der Konsumenten geschaffen. Andererseits erhält VgT-Präsident Erwin Kessler drakonische, unbedingte Gefängnisstrafen, weil er barbarische, "religöse" Tierquäler kritiseirt (siehe Schächtprozess).
Schweinefabrik von Paul Pfleghart in Guntershausen bei Aadorf
Die folgenden neuen Aufnahmen aus der Schweinefabrik Pfleghart vom Dezember 2004 belegen, dass angezeigte Missstände nicht behoben werden und dass das Tierschutzgesetz weiterhin nicht durchgesetzt wird. Stattdessen wird mit Alibi-"Bussen" der Anschein erweckt, es gehe alles mit rechten Dingen zu und her, während in Wirklichkeit das vom Schweizer Volk schon vor einem Vierteljahrhundert mit einem überwätligenden Mahr von 80%-Ja-Stimmen gutgeheissene Tierschutzgesetz toter Buchstabe bleibt.
Aufnahmen aus der Schweinefabrik Pfleghart vom Dezember 2004: zweieinhalb Jahre nach der Anzeige immer noch alles gleich. Anmerkung dazu: Auf unsere Anzeige hin, hat das Veterinäramt wenige Tage, nachdem diese Aufnahmen entstanden sind, den Betrieb kontrolliert und dabei das auf den Aufnahmen zu sehende Fehlen der Einstreu nicht bestätigt gefunden. Grund: Zufällig war ungefähr zur gleichen Zeit der Schweinegesundheitsdienst SGD angemeldet. Der SGD führt seine Betriebskontrollen freundlicherweise nach Voranmeldung durch, so dass die Tierhalter auf dieses Datum hin kurz Ordnung machen können.
Das Parlament ist zur Zeit an einer Änderung des Tierschutzgesetzes, mit welcher der Bundesrat ermächtig wird, den Tierschutz der "Wirtschaftlichkeit" unterzuordnen. Das hat der Bundesrat schon immer getan - bisher rechtswidrig, künftig legal. So wird der grösste Teil der Schweine in der Schweiz auch weiterhin nichts vom Tierschutzgesetz spüren. Darauf gibt es von verantwortungsbewussten Bürgern nur eine Antwort: Vegetarische Ernährung. |